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Titel: Die totalitären Neigungen der „anständigen“ Mitte

Datum: 3. März 2024 um 13:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Innen- und Gesellschaftspolitik, Wertedebatte
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Unsere demokratische Republik ist nicht nur von Rechtsextremisten bedroht. Auch in der liberalen Mitte der Gesellschaft, die jetzt gegen Rechtsextremismus und die AfD demonstriert – und dies gern als den „Aufstand der Anständigen“ tituliert – gibt es gefährliche totalitäre Tendenzen, meint unser Autor Udo Brandes.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Als die Demonstrationen gegen die AfD und den Rechtsextremismus losgingen, habe ich auch überlegt, daran teilzunehmen, denn mir graut vor der AfD und deren Politikmix aus Neoliberalismus und Rechtsextremismus. Als ich mich fragte, was denn wohl für Leute daran teilnehmen würden, fiel mir als Erstes eine ganz konkrete Person aus meinem Umfeld ein, die sich selbst als moralisch hoch stehendenden Linken sieht – und alle möglichen Leute als Nazis betrachtet und verunglimpft, die keine sind. Es reicht für diesen Menschen schon, wenn jemand nicht wie der linksliberale Mainstream denkt, um jemanden als „rechts“ oder „Nazi“ zu verunglimpfen. Zum Beispiel, wenn jemand Kritik an der Migrationspolitik übt. Gleichzeitig habe ich diesen Menschen als skrupellos opportunistisch und stets auf der Seite der Macht erlebt, wenn es um den eigenen Vorteil geht. Und da war mein Gedanke: Der ist garantiert auf der Demo, und mit dem will ich mich nicht gemein machen.

Dann fiel mir ein, wie viele brave, anständige Bürger in der Coronazeit nicht das geringste Problem damit hatten, dass die Regierung mal eben das Grundgesetz schredderte und vielen Bürgern wirtschaftlichen wie psychischen Schaden zufügte. Und dann musste ich daran denken, wie ebenfalls viele „anständige“ Bürger in übelster Weise öffentlich gegen Bürger gehetzt und gepöbelt haben, deren einziges Verbrechen darin bestand, dass sie ihr Grundrecht auf körperliche Selbstbestimmung und Unversehrtheit in Anspruch nahmen – und sich weigerten, sich modifizierte mRNA des Coronavirus spritzen zu lassen; eine Entscheidung, das kann heute jeder wissen, der es wissen will, die absolut vernünftig war. Denn allein 2021 mussten sich nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung 2,5 Millionen Menschen wegen Corona-Impfschäden behandeln lassen (siehe dazu den Bericht auf welt.de hier). Und es hat auch Todesfälle durch die Corona-Impfung gegeben (sieh dazu das Interview der Berliner Zeitung mit einem Internisten hier).

Wer diese von einer antidemokratischen Geisteshaltung geprägten Hetzkampagnen gegen Mitbürger verdrängt hat – oder nicht wahrhaben will –, dem möchte ich hier beispielhaft ein Zitat aus der „anständigen“ bürgerlichen Mitte unserer Gesellschaft in Erinnerung rufen. Urheber ist der Journalist Nikolaus Blome, Ressortleiter Politik und Gesellschaft bei der Zentralredaktion der RTL-Mediengruppe Deutschland und Kolumnist bei spiegel.de. Sie werden ihn vielleicht schon mal im Fernsehen in Talkshows gesehen haben. Er schrieb in einer Kolumne auf spiegel.de Folgendes:

„Ich hingegen möchte an dieser Stelle ausdrücklich um gesellschaftliche Nachteile für all jene ersuchen, die freiwillig auf eine Impfung verzichten. Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen.“
(Quelle: SPIEGEL)

Blome forderte in diesem Zitat dazu auf, Menschen, die ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung in Anspruch nahmen, zu diskriminieren und vom gesellschaftlichen Leben auszuschließen. Zeugen solche Sätze von einer demokratischen Gesinnung, die über jeden Zweifel erhaben ist?

Man stelle sich mal vor, was passieren würde, wenn ein AfD-Politiker in ähnlicher Weise zu einer Diskriminierung und Ausgrenzung einer gesellschaftlichen Gruppe aufgerufen hätte. Aber damals hatte ganz offensichtlich weder die heilige Spiegel-Redaktion noch das linksliberale Milieu ein Problem mit so einer Volksverhetzung. Auch Staatsanwälte, die in eigens dafür eingerichteten Schwerpunktstaatsanwaltschaften gegen Hasskriminalität in den sozialen Medien ermitteln, hatten offensichtlich kein Problem damit, dass in einem großen Medium wie dem Spiegel öffentlich zu Diskriminierung und Ausgrenzung aufgerufen wird. War dies denn keine Volksverhetzung?

Der Fairness halber möchte ich noch anmerken: Blome war bei Weitem nicht der Einzige aus der medialen und politischen Blase, der in derartiger Weise gegen Mitbürger gehetzt hat. Und auch viele Otto Normalbürger sahen ihre Stunde gekommen, marschierten mit der Masse und genossen es, gegen Mitbürger zu pöbeln und zu hetzen. Ich habe früher als Jugendlicher nie verstanden, wie es möglich war, dass die Nazis so ein einfaches Spiel hatten. Seit der Coronazeit kann ich mir lebhaft vorstellen, wie schnell eine Gesellschaft in eine Diktatur abdriften kann und wie schnell brave Bürger zu Unterstützern eines demokratiefeindlichen Systems werden. Deshalb bin ich innerlich zerrissen: Mir graut vor der AfD mit ihrer politischen Mischung aus rechtsextremistischer und neoliberaler Ideologie. Und deshalb wünsche ich mir, dass diese grässliche Partei bald von der Bühne verschwindet. Aber das ändert nichts daran, dass nicht nur aus der AfD Gefahren für unsere Demokratie zu befürchten sind. Die liberale Mitte, insbesondere wenn sie akademisch gebildet ist, neigt zu autoritär-repressivem Verhalten. Und man erinnere sich bitte daran: Es waren die Akademiker an den Universitäten, die zu den Ersten gehörten, die braun grüßten und Juden denunzierten. Viele werden jetzt vielleicht denken: „Was für eine Übertreibung!“ Deshalb im Folgenden einige beunruhigende Beispiele, die jedem Demokraten zu denken geben sollten.

Spiegel.de berichtete kürzlich, dass seit dem Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober der Judenhass an deutschen Universitäten stark zugenommen habe. Um den Antisemitismus zu bekämpfen, hätten sich jetzt 70 jüdische Dozenten zu einem Netzwerk zusammengeschlossen. Wörtlich heißt es auf spiegel.de:

„Einige bleiben aus Angst dem Campus fern, manche können nur mit Personenschutz arbeiten, andere verbergen ihre Identität: Viele Juden, die an deutschen Hochschulen lehren, fühlen sich an ihrem Arbeitsplatz nicht mehr sicher.“
(Quelle: SPIEGEL)

Wenn man das liest, kann man es kaum fassen: Ausgerechnet die Universitäten, die Geburtsstätte der Politischen Korrektheit, sind wieder ein Ort, an dem Juden sich nicht mehr sicher fühlen können. Aber es gibt noch viele andere Beispiele aus der „Mitte der Gesellschaft“, die einem zu denken geben sollten.

Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte gleich zu Beginn seiner Amtszeit mit Bezug auf seine Corona-Politik:

„Für meine Regierung gibt es keine Rote Linien mehr.“
(Quelle: ZEIT)

Der Regierungschef der Bundesrepublik Deutschland erklärte öffentlich, dass seine Regierung keine roten Linien mehr anerkennt. Ich hatte bis dato geglaubt, dass man auch bei einem neoliberalen SPD-Politiker davon ausgehen kann, dass er die Grenzen, die unsere Verfassung setzt, als eine rote Linie betrachtet, die man nicht überschreiten darf. Aber scheinbar kann man das nicht so ohne Weiteres voraussetzen.

Kann man Scholz diese Äußerung nachsehen in dem Sinne, dass sich hier einer im Eifer des Gefechts einfach nur sprachlich vergriffen hat? Wenn man dies so sehen will, dann müsste man aber auch sagen, dass Scholz als Regierungschef nicht ausreichend qualifiziert ist. Dies wird sofort deutlich, wenn man sich einmal vorstellt, ein AfD-Politiker hätte diesen Satz von Scholz ausgesprochen. Der Politiker wäre von der Öffentlichkeit als untragbar eingeschätzt und zum Rücktritt gezwungen worden. Und man sollte eines nie vergessen: In der Sprache finden sich immer auch Spuren der inneren Wahrheit eines Menschen. Insofern offenbart Sprache oft mehr, als ein Mensch von sich zeigen will. Mein Vertrauen in Bezug auf die Verfassungstreue der Ampel-Regierung hält sich deshalb in Grenzen, zumal die Innenministerin dieser Regierung, Nancy Faeser, regelmäßig „Demokratie“ mit „Regierung“ und „Eliten“ verwechselt. Aus diesem Grund verdanken wir ihr eine neue Kategorie im Verfassungsschutzbericht. Dort gibt es jetzt ein Kapitel über „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Hier ein Zitat daraus:

„Diese Form der Delegitimierung erfolgt meist nicht durch eine unmittelbare Infragestellung der Demokratie als solche, sondern über eine ständige Agitation gegen und Verächtlichmachung von demokratisch legitimierten Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates und ihrer Entscheidungen. Hierdurch kann das Vertrauen in das staatliche System insgesamt erschüttert und dessen Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werden. Eine derartige Agitation steht im Widerspruch zu elementaren Verfassungsgrundsätzen wie dem Demokratieprinzip oder dem Rechtsstaatsprinzip.“
(Quelle: Verfassungsschutzbericht 2021, S. 112)

Nach dieser Definition ist der CDU-Oppositionsführer Friedrich Merz ein Verfassungsfeind, denn er macht regelmäßig Repräsentanten der Regierung verächtlich. Hier ein Beispiel:

„Es ist einfach nur noch peinlich, was wir von Ihnen hier sehen und hören. (…) Sie sind ein Klempner der Macht. Ihnen fehlt jede Vorstellung davon, wie dieses Land sich in den nächsten Jahren weiterentwickeln soll. (…) Sie können es nicht. Die Schuhe, in denen Sie stehen als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, die sind Ihnen mindestens zwei Schuhnummern zu groß.“
(Quelle: WELT)

Man mag darüber streiten, ob die Kritik von Merz sachlich zutrifft oder im Stil angebracht ist für eine politische Debatte im Bundesstag. (Kurze Anmerkung: Herbert Wehner und Franz-Josef Strauß haben bisweilen rhetorisch noch ganz anders zugelangt.) Aber sind Bürger, die in diesem rhetorischen Stil die Regierung bzw. Repräsentanten des Staates angreifen, etwa Verfassungsfeinde? Mir kommt es so vor, als ob Nancy Faeser ideologisch in einer Welt lebt, in der es noch so etwas wie Majestätsbeleidigung gibt und Kritiker der Ampel-Regierung deshalb nur Staats- und Verfassungsfeinde sein können.

Ein weiterer Punkt, der mich misstrauisch macht gegenüber der „anständigen“ Mitte: Kaum erstarken in Deutschland die Gewerkschaften und es wird wieder mehr gestreikt, wobei die Gewerkschaft der Lokführer sich als besonders selbstbewusst und konfliktfähig zeigt, da werden auch schon Rufe in Politik und Medien laut, das Streikrecht einzuschränken. Die FAZ überschrieb im Januar einen Kommentar: „Die Macht der GDL endlich begrenzen!“ Auch die CDU-Politikerin und MdB Gitta Connemann bläst ins gleiche Horn (siehe hier). So eine Haltung lautet in etwa: „Ihr dürft streiken – aber nur, solange wir das erlauben.“ Offenbar hat auch in dieser Frage die Mitte der Gesellschaft kein Problem damit, mal eben ein ganz wesentliches Verfassungsrecht zu beschneiden.

Weitere Beispiele, die ich aus Platzgründen nur kurz anschneide: Der Digital Service Act der EU, ein Zensurgesetz, das in bester Orwell‘scher Manier von der EU als „Medienfreiheitsgesetz“ tituliert wurde (siehe dazu den Artikel von Tobias Riegel auf den NachDenkSeiten hier). Oder wenn Gerichte Friedensaktivisten strafrechtlich belangen, weil diese zum Ukrainekrieg und dessen Ursachen eine vom politischen und medialen Mainstream abweichende Meinung vertreten (siehe dazu den Bericht der Nachdenkseiten hier).

Aufgrund solcher und ähnlicher Vorkommnisse (man könnte die Liste mit Sicherheit noch deutlich verlängern) hält sich mein Vertrauen in die „anständige“ Mitte in Grenzen. Ich wage zu behaupten, dass gar nicht mal so wenige der Demonstrationsteilnehmer schlichtweg Opportunisten sind, die bei der nächsten Krise wieder dort abbiegen, wo die Verfassung geschreddert wird.

Aber in einem bin ich mir mit den Demonstranten einig: Unsere Demokratie ist ernsthaft bedroht – nur eben keinesfalls nur von links oder rechts, sondern ebenfalls aus der „anständigen“ Mitte der Gesellschaft.

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Titelbild: Space Images/shutterstock.com


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