Mit sprachlichen Verdrehungen, die an George Orwell erinnern, wird der Digital Services Act (DSA) der EU angepriesen, der die Löschung von Inhalten erleichtern soll. Er wird im Februar in Kraft treten, mit massiven Folgen für die Meinungsfreiheit. Laut Kritikern könnten Zensur, Selbstzensur und eine allgemeine „Herrschaft des Verdachts“ Folgen des DSA sein. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Einen interessanten und ausführlichen Artikel zum Digital Services Act der EU hat der Richter im Ruhestand Manfred Kölsch auf der Plattform „Netzwerk kritische Richter und Staatsanwälte“ verfasst. Kürzere Versionen des Textes finden sich auch in der Berliner Zeitung und auf der Webseite des Journalisten Norbert Häring.
Der Artikel ist eine gute Grundlage, um sich mit der wichtigen Materie des DSA vertraut zu machen. In dem Zusammenhang soll hier auch auf das „Medienfreiheitsgesetz“ hingewiesen werden. Dieses den DSA indirekt „ergänzende“ Gesetz hat Florian Warweg kürzlich in diesem Artikel beschrieben – ein Fazit:
„Zudem wird darauf verwiesen, dass das Gesetz gleich mehrfach mit Grundsätzen der Pressefreiheit breche. So werde eine behördliche Aufsicht über die Presse etabliert, bei der auch noch die EU-Kommission mitreden wolle. Zudem sollen Verlage nicht mehr über redaktionelle Inhalte entscheiden dürfen, aber weiter für alle Inhalte voll verantwortlich sein. Und im Internet werde die Zensur legaler Presseveröffentlichungen durch die digitalen Torwächter gesetzlich gebilligt und festgeschrieben.“
„Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung“
Das „Medienfreiheitsgesetz“ trägt die an George Orwells „Neusprech“ erinnernde Praxis, Begriffe in ihr Gegenteil zu verkehren, bereits im Namen. Der DSA, der laut Kölsch im Februar in vollem Umfang als EU-Verordnung 2022/2065 in Deutschland in Kraft treten soll, bedroht in seiner jetzigen Fassung meiner Meinung nach ebenfalls massiv die Meinungsfreiheit in der EU.
An der öffentlichen Wahrnehmung vorbei solle vorher durch den Bundestag noch das den DSA konkretisierende Digitale Dienste Gesetz (DDG) beschlossen werden. Diese Gesetzgebung über digitale Dienste, so Kölsch, sei ein trojanisches Pferd: Es trage eine Fassade zur Schau, die demokratischen Grundsätze zu achten. Beispielsweise bestimme Art. 1 DSA: „Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung“. Hinter dieser rechtsstaatlichen Fassade geschehe jedoch das genaue Gegenteil: „Es ereignet sich ein Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung, der weitgehend unbemerkt bleibt – wahrscheinlich aufgrund der hohen Komplexität der Materie“, so Kölsch. Er fährt fort:
„Wegen der Komplexität der Materie, der wie ein Ablenkungsmanöver wirkenden allgemeinen Informationsflut, bleibt der Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung unbemerkt. Der DSA eröffnet die Möglichkeit, auch nicht rechtswidrige Eintragungen auf sehr großen Onlineplattformen und Suchmaschinen für löschungspflichtig zu erklären.“
Ein zentrales Problem des DSA sei, dass Beiträge – obwohl es keinen Zweifel geben könne, dass falsche, irreführende oder gar unbequeme Eintragungen nicht rechtswidrig sein müssten – dennoch auf der Grundlage des DSA jederzeit für rechtswidrig erklärt werden könnten. Das würde bedeuten, „dass politisch unliebsame Meinungen, ja wissenschaftlich argumentierte Positionen gelöscht werden können“.
Kölsch spricht zudem nicht nur von der „praktisch ausgeübten Zensur“, die der DSA bei großen Plattformen forcieren könne. Dazu komme die potenziell ausgelöste Selbstzensur:
„Bei einer Einstufung als rechtswidrig drohen soziale Konsequenzen. Der Bürger unterwirft sich selbst der inneren Vorzensur. Er wird dazu gedrängt, seine Inhalte an dem auszurichten, was in den aktuellen politischen Meinungskorridor passt.“
Zensieren „für die Redefreiheit“
Ein zentrales Element des DSA ist laut Bundesregierung:
„Das Gesetz über digitale Dienste erleichtert die Entfernung illegaler Inhalte und schützt die Grundrechte der Nutzerinnen und Nutzer. Hierunter fällt auch die Redefreiheit im Internet.“
Hier ist sie wieder: die Orwell’sche Sprachregelung von der „Entfernung von Inhalten“ zum Schutz der „Redefreiheit“. Zunächst geht es meiner Meinung nach beim DSA um die Erleichterung von Zensur und das Gegenteil von Redefreiheit. Die zentrale Frage hier ist: Was sind „illegale“ Inhalte, deren Entfernung erleichtert werden soll? Und wer wacht über diese Definition?
Das fragt auch Kölsch im hier betrachteten Artikel: Durch eine fehlende inhaltliche Begrenzung der Tatbestände drohe eine „Herrschaft des Verdachts“, die nach dem Ausklingen der Coronazeit auf alle möglichen Felder des öffentlichen Lebens ausgedehnt werden könnte.
Titelbild: Shutterstock Stock-Foto ID: 266683784