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Titel: Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (III)

Datum: 22. Juni 2025 um 12:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Aufrüstung, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Strategien der Meinungsmache
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Vokabelkritik ist zu Kriegszeiten das Gebot der Stunde. Ich veröffentliche ab jetzt in unregelmäßigen Abständen eine Sammlung lügenhafter Wörter oder Formulierungen, deren Sinn und Funktion es ist, unsere Gesellschaft möglichst geräuschlos in Richtung „Kriegstüchtigkeit“ umzukrempeln. – Die ersten beiden Folgen erschienen am 29. Mai und am 2. Juni. Von Leo Ensel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

2030
Magisches Datum, an dem angeblich Russland uns alle spätestens angreifen wird. „Russland könnte innerhalb von fünf Jahren bereit sein, militärische Gewalt gegen die NATO einzusetzen. Fünf Jahre …“, raunt wiederholt – ohne Begründungen zu liefern – NATO-Generalsekretär Mark Rutte dunkel. Dem Militärhistoriker Sönke Neitzel dagegen geht selbst das nicht schnell genug. Er proklamiert schon mal den „letzten Friedenssommer“ für 2025. So redet man fröhlich Kriege herbei. Und wir alle lassen uns das widerstandslos gefallen!

Appeasement
Sollte der Westen – nein: Deutschland und die EU! – auf keinen Fall gegenüber Putin, dem „zweiten Hitler“, betreiben, denn sonst wird der ja, nachdem er die gesamte Ukraine geschluckt hat, auch noch die NATO angreifen und spätestens 2030 mit seinen Panzern wieder vorm Brandenburger Tor stehen. – Betreiben die EU und die black-rote Bundesregierung aber de facto gegenüber Donald Trump: Legionen von Psychologen, Konfliktologen und Coachs entwickeln ausgefuchste Kommunikationsstrategien, um die launische Diva im Weißen Haus – z.B. im persönlichen Gespräch – bloß nicht zu reizen, am besten gar gnädig zu stimmen.

Brückeneinstürze
„Zwei Züge in Russland entgleisen nach Brückeneinstürzen. Es gibt Tote und Verletzte, Moskau stuft das als Terror ein“, schrieb das RedaktionsNetzwerk Deutschland am 1. Juni 2025. Dass diese Brücken nicht einfach ‚einstürzten‘, sondern (von wem eigentlich?) gesprengt wurden – was offenbar der Grund dafür ist, dass das russische Ermittlungskomitee dies als Terrorakt einstuft –, das erfahren wir erst viel später im Text, bevor die gesamte Meldung dann endgültig westlich-korrekt geframed wird. (vgl. „Vorfall“)

das von Russland angegriffene Land
Wie „in ihrem Abwehrkampf“ eine beliebte, in den öffentlich-rechtlichen Medien gern verwendete Exkulpierungsformel, wenn die Ukraine auf russischem Territorium operiert. Und sei es, wie im Mai 2024 und am 1. Juni 2025, bei den die globale Sicherheit gefährdenden Attacken auf die russische strategische Zweitschlagsfähigkeit. Als die NATO (unter deutscher Beteiligung) im Frühjahr 1999 die Bundesrepublik Jugoslawien und die USA vier Jahre später mit ihrer „Koalition der Willigen“ den Irak angriffen, waren analoge Formeln hierzulande nicht vernehmbar.

Experte
Als solcher wird uns von den Leitmedien mittlerweile so gut wie jeder Mensch angedreht, der/die offensiv und mit Herzblut die transatlantische Perspektive vertritt. Meist Vertreter entsprechender einflussreicher Think Tanks, im Zeitalter der Emanzipation gerne auch Frauen. (Manche sogar, hoch die Ästhetik!, auch noch mit dem passenden Nachnamen …) Dauerabonnements in den entsprechenden Talkshows – „Fünf Stühle, eine Meinung“ – garantiert.

Fatigue
„Ein Moment der Fatigue.“ So umschrieb vornehm Ex-Außenministerin Annalena Baerbock die „Kriegsmüdigkeit“ der deutschen Gesellschaft schon nach drei Monaten Ukrainekrieg.

feministische Außenpolitik
Bedeutet: Sich für jährlich 136.500 Euro aus der Staatskasse das Outfit auf Vorderfrau bringen lassen, um die Welt jetten und dort einschlägige Bilder von sich selbst produzieren, von Atombunkern schwärmen und da ausgelassene Hüpfspielchen veranstalten, sich öffentlich in der eigenen gefühlten moralischen Superiorität sonnen, anderen Staatsoberhäuptern vor aller Welt ungefragt Ratschläge erteilen, für die Menschenrechte über Leichen gehen, andere Länder ruinieren wollen und zu guter Letzt auch noch eine zuvor selbst nominierte, nun aber zur unliebsamen Konkurrentin mutierte hochgeschätzte Diplomatin mit jahrzehntelanger Erfahrung wegzubeißen. Bedeutet nicht: Sich auch nur ein einziges Mal auf das graue, unspektakuläre Tagesgeschäft der Diplomatie, das ‚starke und langsame Bohren harter Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich‘ einzulassen!

Friedensforscher
Widmen sich heutzutage – Orwell lässt grüßen – immer stärker der Militarisierung der Gesellschaft. Siehe die Einleitung eines uns gerade als „Friedensgutachten 2025“ verkauften Dossiers: „Um den Frieden ist es gegenwärtig schlecht bestellt. Als politisches Konzept scheint er sich mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine erschöpft zu haben.“ Unwillkürlich fragt man sich, was eigentlich die Alternative sein soll, wenn der Frieden, wie offizielle Friedensforscher und -forscherinnen postulieren, sich „als politisches Konzept erschöpft zu haben“ scheint …! (Die Richtung deuten sie immerhin an, indem sie für den Übergang von der NATO zu einer, euphemistisch „Sicherheitssystem“ genannten, extrem hochgerüsteten europäischen Militärmacht werben.) Etwas unverblümter plauderte dankenswerterweise die wissenschaftliche Direktorin des „Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg“ kürzlich aus dem Nähkästchen: „Interessant ist, dass viele Menschen denken, dass sich die Friedensforschung vorrangig mit Frieden beschäftigt und wir diejenigen sind, die keine Waffen wollen und mit selbstgebatikten T-Shirts in der Gegend rumstehen. Das ist nicht so.“ Mag sein, aber vor vier Jahrzehnten war das durchaus noch etwas anders.

Gesicht zeigen
Sollen wir alle. Und bei dieser Gelegenheit am besten auch noch „ein Zeichen setzen“. Zum Beispiel, wenn es „gegen Rechts“ geht. Oder gegen die Abschiebung von Flüchtlingen, ääh: Geflüchteten. Oder fürs Klima. Oder bei Demonstrationen gegen den „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine“. Nur nicht, wenn es um einen sofortigen Stop der Kampfhandlungen im Ukrainekrieg, gegen „Kriegstüchtigkeit,“ die irrwitzige billionenschwere Aufrüstung und die totale Militarisierung der gesamten Gesellschaft nach dem „Operationsplan Deutschland“ geht! (Dann gilt man nämlich als „rechtsoffen“.) So funktioniert der regierungsamtlich wohlwollend geförderte „Aufstand der Anständigen“. (vgl. „Zivilcourage“)

gewachsene internationale Verantwortung
Bedeutet schlicht: Deutsche Soldaten können, nein: sollen, wieder schießen.

Gewalt um der Gewalt willen
NATO-Generalsekretär Rutte: „Russland greift weiterhin zivile Ziele in der Ukraine an, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Das ist Gewalt um der Gewalt willen.“ Ganz im Gegensatz zur Ukraine. Die griff sehr zielgerichtet im Mai 2024 Module des russischen Raketenabwehrsystems und im Mai/Juni 2025 die strategische Bomberflotte Russlands an. Nicht um der Gewalt willen. Sondern, um die NATO in den Krieg hineinzuziehen!

Haltung
Eine solche – natürlich regierungsamtlich erwünschte – sollen Journalisten heute flächendeckend an den Tag legen. Um „das Volk, den großen Lümmel“ auf den richtigen Weg zu bringen. (vgl. „Gesicht zeigen“, „Zivilcourage“)

Heimatfront und Frontlinie
„Die Heimatfront und die Frontlinie sind jetzt ein und dasselbe. Kriege werden nicht mehr aus der Ferne geführt – unsere Gesellschaften und Militärs sind gemeinsam daran beteiligt“, deklarierte – jubilierte? – NATO-Generalsekretär Mark Rutte am 9. Juni im Londoner transatlantischen Chatham House. Denn: „Straßen, Schienen und Häfen sind ebenso wichtig wie Panzer, Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe. Wir brauchen zivile Transportnetze, die die militärische Mobilität unterstützen, um die richtigen Kräfte zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu bringen.“ Brillanter hätte man das dem „Operationsplan Deutschland“ – oder sollte man besser schreiben: „dem neuen totalen Krieg“? – zugrunde liegende Prinzip nicht auf den Punkt bringen können! Ruttes ungenierte Conclusio: „Together, we will make our Alliance stronger, fairer and more lethal.“ Wohlgemerkt: tödlicher. (vgl. „Gewalt um der Gewalt willen“, „unsere Lebensweise“)

hybrid
Ominös klingendes Wort für alle möglichen dunklen verdeckten Attacken, die Russland – pardon: Putin – führt oder, was so gut wie auf dasselbe hinausläuft, führen könnte. Also alles! Funktioniert nach dem Prinzip des berühmten Witzes vom Elefanten im Kirschbaum: „Warum hat der Elefant rosa Augen?“ – „Damit er im Kirschbaum nicht gesehen wird.“ – „Hast du schon mal einen Elefanten im Kirschbaum gesehen? Nein? Siehst du, so gut hat er sich getarnt!“

In ihrem Abwehrkampf
Obligatorische Einleitungsphrase in den offiziellen Nachrichten des Deutschlandfunks. Und zwar immer dann, wenn die Ukraine ihrerseits mit Soldaten, Drohnen, Marschflugkörpern etc. auf russischem Terrain operiert. Wird vom DLF stets kostenlos mitgeliefert, damit wir Hörer auch genau wissen, wer in diesem Krieg gut und wer böse ist. (vgl. „das von Russland angegriffene Land“)

Kreml-Narrativ
Das darf man bei Strafe des sozialen Todes auf gar keinen Fall bedienen oder gar verwenden. Diese „Argumentation“ basiert auf folgenden impliziten Prämissen: Alles, was aus Russland, pardon: dem Kreml, kommt, ist zu hundert Prozent erlogen. Und alles, was unsere Politiker und Medien verlautbaren, entspricht – ebenfalls zu hundert Prozent – der Wahrheit. Also: Wenn Putin behauptet, zwei plus zwei würde vier ergeben, dann kann in Wirklichkeit zwei plus zwei nur fünf, wenn nicht sechs oder achtundfünfzig sein!

Kriegsmüdigkeit
Vor einer solchen warnte Ex-Außenministerin Annalena Baerbock bereits ein Vierteljahr nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine. „Wir haben einen Moment der Fatigue erreicht“, formulierte Baerbock es allerdings noch einen Tick gezierter. Gemeint war nicht etwa die ukrainische oder die russische Bevölkerung. Die Warnung galt der Kriegsmüdigkeit in den westlichen Staaten: Eine wachsende Skepsis hänge, so Baerbock, auch damit zusammen, dass der russische Angriffskrieg zu höheren Preisen bei Energie und Nahrungsmitteln führe. Dies aber sei genau die Taktik von Russlands Präsident Wladimir Putin. Daher sei es so wichtig, an den Sanktionen und der Unterstützung der Ukraine festzuhalten. – Auf Deutsch: Durchhalten, Leute, bis zum bitteren Ende!

kulturelle Umprogrammierung
„Aus dieser Situation herauszukommen, ist eine sehr schwierige Sache, weil dazu eine kulturelle Umprogrammierung einer weitgehend entpolitisierten Gesellschaft – manche nennen sie postheroische Gesellschaft – notwendig ist.“ Worum geht es? Die 3sat-Sendung Kulturzeit vom 2. Juni diesen Jahres klärt uns auf: Eltern, so ganz unverblümt der Althistoriker Egon Flaig, müssten bereit sein, ihre Kinder – junge Männer und Frauen – zu geben. O-Ton Flaig: „Die Unwilligkeit von Eltern, ihre Kinder als Soldaten zu sehen, d.h. als Mitglieder des Gemeinwesens, die eventuell geopfert werden für das Gemeinwesen – die geopfert werden für die Aufrechterhaltung unseres Lebens, so wie wir es weiterpflegen wollen – dieser Wille, dieses Opfer auch bringen zu wollen, ist ein schmerzliches [sic!].“ Auch wenn dieser Satz jeglicher syntaktischen Logik entbehrt, ist klar, worauf der Althistoriker hinaus will … Vielleicht sollte man ja die betreffende 3sat-Sendung künftig in Barbareizeit umbenennen. (vgl. „Opferbereitschaft“, „Opfermut“, „postheroisch“)

(wird fortgesetzt)

Mit freundlicher Genehmigung von Globalbridge.

Titelbild: © NATO – NATO-Generalsekretär Mark Rutte referierte im Chatham House, einer britischen privaten Denkfabrik in London, die 1920 als “Royal Institute of International Affairs” gegründet wurde und heute von 75 Großunternehmen unterstützt wird und mit knapp 200 Beschäftigten über ein Jahresbudget von 12 Millionen Euros verfügt. Dort erklärte Mark Rutte, wie die NATO “more lethal” werden soll, also tödlicher.


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