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Titel: Eine völkerrechtliche Einordung des bisherigen Krieges zwischen Israel, USA und dem Iran
Datum: 24. Juni 2025 um 11:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Militäreinsätze/Kriege
Verantwortlich: Redaktion
Am 13. Juni trat das ein, was viele Beobachter befürchteten: Israel griff den Iran mit voller militärischer Wucht und offensichtlich entgegen iranischen Erwartungen, zumindest was den konkreten Zeitpunkt betraf, an. Binnen kurzer Zeit wurde die iranische Luftabwehrsysteme massiv zerstört, sodass der iranische Luftraum in erheblichem Ausmaß ungeschützt ist. Zeitgleich wurde ein personeller Enthauptungsschlag gegen den iranischen Sicherheitsapparat sowie Atomwissenschaftler durchgeführt. Die USA bombardierten am Sonntag darüber hinaus iranische Atomanlagen, von denen Washington und Tel Aviv behaupten, diese dienten dem Bau von Atombomben. Nach einer kurzen Schockstarre begann der Iran mit seiner Gegenwehr. Seit wenigen Stunden herrscht ein Waffenstillstand. Was sagt das Völkerrecht zum Agieren von Israel, Iran und den USA? Von Alexander Neu.
Souveränität und konditionierte Souveränität
Dass der Iran kein Musterknabe in Fragen der universellen Menschenrechte ist und dieses theokratische System sich nicht im Rahmen der europäischen Wertvorstellungen bewegt, ist eine Sache. Auch kann man trefflich darüber streiten, ob der Iran ein regionales Sicherheitsrisiko im Nahen und Mittleren Osten darstellt. Allerdings muss fairerweise festgestellt werden, dass der Iran im 20. und 21. Jahrhundert keinen Angriffskrieg gegen einen Drittstaat geführt hat – im Gegensatz zu anderen Staaten der Region. Vielmehr war der Iran wie auch sein „Vorgängerstaat“ Persien eher Objekt als Subjekt internationaler Machtpolitik. Allerdings hat der Iran – auch das gehört zur Wahrheit – wie auch andere Staaten in der Region über sogenannte Proxis, also Hilfskräfte, in Syrien, im Irak, Libanon seine Machtspielchen getrieben; aber eben nicht nur der Iran. Und auch die Staats- und Gesellschaftsform, ob man sie nun mag oder nicht, ist nicht Gegenstand völkerrechtlicher Bewertung.
Denn das moderne Völkerrecht, basierend auf dem Westfälischen Frieden, hat gerade die innere gesellschaftliche, wirtschaftliche und weltanschauliche Verfasstheit von Staaten aus gutem Grunde außen vor belassen – der Bereich der inneren Verfasstheit ist ausschließlich Bestandteil staatlicher Souveränität (Art. 2, Abs. 7 UNO-Charta). Eine völkerrechtliche Kategorisierung von Autokratien, Diktaturen sowie Demokratien und damit einhergehend einen abgestuften Souveränitätsanspruch gibt es schlichtweg nicht („Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder“, gemäß Art. 2, Abs. 1 UNO-Charta) – kann es nicht geben, soll das friedensstiftende Souveränitätskonzept des Westfälischen Friedens, das bis heute die Grundlage des UNO-Völkerrechts darstellt, nicht zerstört werden.
Diese Souveränitätskonditionierung vor dem Hintergrund Demokratien versus Diktaturen, Autokratien ist nichts weniger als ein Ausdruck westlicher Hybris in der kurzen Phase der unipolaren Weltordnung, die seit dem Ende des Kalten Krieges die westliche Globalpolitik bestimmte.
Kurzum: Eine im Westen gerne verbreitete, auf den ersten Blick nur infantile Einteilung in „gut“ und „böse“, in „Garten“/„Paradies“ versus „Dschungel“ dient allein dem Zweck, eine Konditionierung des staatlichen Souveränitätsanspruchs weltweit durchzusetzen. Dies bedeutet im Klartext: Vom Westen als nicht in seinem Verständnis demokratisch verfasst angesehene Staaten können, im Gegensatz zu westlichen Demokratien, keine vollumfängliche Souveränität für sich beanspruchen. Sie können somit keinen Interventionsschutz (Art. 2, Abs. 7 UNO-Charta) sowie keinen Schutz vor Androhung von oder Vollzug der Gewaltanwendung von Drittstaaten für sich geltend machen (Art. 2, Abs. 7 UNO-Charta). Sie sind also keine gleichberechtigten Staaten im internationalen System und der UNO-Charta. Diese eigenmächtige Interpretation ist definitiv nicht vom modernen Völkerrecht und insbesondere nicht von der UNO-Charta gedeckt; sie ist vielmehr eine klare machtpolitische Absage an das Völkerrecht – sie steht dem Völkerrecht diametral entgegen. Sie ist der Todesstoß des modernen Völkerrechts.
Das nach westlichem Willen das UNO-Völkerrecht ersetzende „Recht“ ist die vielfach zitierte „regelbasierte internationale Ordnung“. Diese ist eben nicht das universell akzeptierte Völkerrecht, sondern ein unbestimmtes, ein nicht international legitimiertes, vom Westen entworfenes Ordnungssystem für den Rest der Welt – zwecks Absicherung der westlichen Globaldominanz. Und selbstverständlich wird dieses Ordnungssystem vom Rest der Welt logischerweise in der sich entwickelnden multipolaren Weltordnung auch nicht akzeptiert. Man könnte sagen, es ist ein Kampf zwischen der UNO-Charta, der sich auch die westlichen Mitglieder ursprünglich qua Beitritt zur UNO verpflichtet hatten, nun aber die Unterordnung unter dieses Regelwerk als nicht mehr nützlich betrachten, und der „regelbasierten internationalen Ordnung“, einem neuen Ordnungssystem, das den westlichen Interessen dienlicher erscheint.
Und auch nur so sind die Aussagen des Bundeskanzlers Friedrich Merz zu verstehen, wonach „der Iran ein Terrorregime“ sei und „es gut wäre, wenn dieses Mullah-Regime an sein Ende käme“. Mehr noch: „Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle“. Hier verdeutlicht Friedrich Merz seine Sympathie für einen völkerrechtswidrigen Regime Change im Iran, womit er der UNO-Charta einen weiteren Tritt versetzt. Rechtsnihilismus in Reinform.
Ob man nun das iranische System mag oder nicht, ob man Sympathie für die iranische Opposition hegt oder nicht – ein Nichtmögen stellt mitnichten eine Berechtigung dar, diesem Staat die Souveränität abzusprechen, sie zu konditionieren, ihn militärisch anzugreifen bzw. einen Angriff auch nur anzudrohen oder sogar von außen einen Regime Change anzustreben bzw. zu vollziehen. Die Frage der inneren Verfasstheit eines Staates, auch des Irans, ist eine Frage der iranischen Gesellschaft, und das ausschließlich. Genau das ist Souveränität.
Der israelische Angriffskrieg gegen den Iran soll im Folgenden völkerrechtlich eingeordnet und bewertet werden.
UNO-Charta – Gewaltverbot als zwingendes Recht
Israel und die USA haben den Iran unstrittig militärisch angegriffen – das hat sogar die „Tagesschau“ in Form eines Interviews mit Friedrich Merz so formuliert: „Am Freitag hat ein souveräner Staat – Israel – angefangen, einen anderen souveränen Staat zu bombardieren.“ Es war eben kein Akt der klassischen Selbstverteidigung, kein Akt des modernisierten präemptiven Selbstverteidigungsverständnisses, wie es der deutsche Bundeskanzler der Öffentlichkeit auch in diesem Interview zu verkaufen sucht. Es war allenfalls und mit sehr viel Phantasie ein Akt der Prävention, denn der Begriff der klassischen Verteidigung wird durch eine spezifische Raum-Zeit-Dimension definiert:
Die Verteidigung ist die militärische Reaktion auf einen zuvor stattgefundenen militärischen Angriff (spezifische zeitliche Dimension) eines Dritten gegenüber dem eigenen Territorium (spezifische räumliche Dimension).
Diesem Verständnis von Verteidigung folgt auch der Artikel 51 der UNO-Charta:
„Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung (…).“
Es wird deutlich, dass ein Angriff auf das eigene Staatsgebiet (Raum) zeitlich vorausgegangen (Zeit) sein muss, um die eigenen militärischen Maßnahmen als Verteidigung klassifizieren zu können.
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete 1974 darüber hinaus zur Präzisierung eine Definition für den Begriff der „Aggression“ (A/RES/3314 [XXIX] 14. Dezember 1974 3314 [XXIX]).
„3314 (XXIX). Definition der Aggression 3314 (XXIX) – ANLAGE Definition der Aggression
Artikel 3: Vorbehaltlich und nach Maßgabe der Bestimmungen des Artikels 2 gilt, ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer Kriegserklärung, jede der folgenden Handlungen als Angriffshandlung:
a) die Invasion oder der Angriff der Streitkräfte eines Staates auf das Hoheitsgebiet eines anderen Staates oder jede, wenn auch vorübergehende, militärische Besetzung, die sich aus einer solchen Invasion oder einem solchen Angriff ergibt, oder jede gewaltsame Annexion des Hoheitsgebiets eines anderen Staates oder eines Teiles desselben;
b) die Beschießung oder Bombardierung des Hoheitsgebietes eines Staates durch die Streitkräfte eines anderen Staates oder der Einsatz von Waffen jeder Art durch einen Staat gegen das Hoheitsgebiet eines anderen Staates;
c) die Blockade der Häfen oder Küsten eines Staates durch die Streitkräfte eines anderen Staates;
d) der Angriff der Streitkräfte eines Staates auf die Land-, See- oder Luftstreitkräfte oder auf die See- und Luftflotte eines anderen Staates; (…)“
Man kann es drehen, wie man will, aber aus dem Angriff Israels und auch der USA einen Akt der Selbstverteidigung zu konstruieren, ist nichts weniger als ein direkter Angriff auf das Völkerrecht sowie den menschlichen Verstand.
Voraussetzungen für die Selbstverteidigung
In der Politikwissenschaft, der Völkerrechtslehre und der Diplomatie hat sich eine interessante Unterscheidung im Hinblick auf die Voraussetzungen für einen Akt der Selbstverteidigung auch vor dem Hintergrund der technologischen Entwicklungen von Waffensystemen herausgebildet. Hierbei geht es um die zeitliche Dimension. Die beiden zentralen Begriffe sind Präemption und Prävention. Beiden Begriffen ist gemein, dass ein Abwarten eines militärischen Schlags gegen das eigene Territorium nicht mehr zwingend erforderlich ist.
Das heißt, dass zuvor (zeitliche Dimension) kein Angriff auf das eigene Staats- oder Bündnisterritorium (räumliche Dimension) stattgefunden haben muss. Demnach reiche es aus, dass außerhalb des eigenen Territoriums Gefährdungen existieren oder existieren könnten, die die eigene Sicherheit untergraben oder untergraben könnten und somit bereits dort das militärische Eingreifen eine Verteidigung der eigenen Existenz darstellt. Die Verwendung beider grammatikalischer Formen, des Indikativs und des Konjunktivs, verweist nun ihrerseits auf die zweite, die zeitliche Dimension, die zwei Handlungsmöglichkeiten eröffnet: Die Prävention und die Präemption – beides Formen der sogenannten „Offensiven Selbstverteidigung“.
In beiden Fällen, der Prävention und der Präemption, wird militärisch interveniert, bevor die manifeste oder potenzielle Gefahr die eigenen Grenzen überschreitet.
Prävention und Präemption – Die Generierung einer Trennschärfe
Präemptivschlag als Akt der Selbstverteidigung:
Nun neigt ein erheblicher Teil der völkerrechtlichen Literatur tatsächlich dazu, den präemptiven Krieg zu akzeptieren. Und in der internationalen Politik wird bei eindeutig nachweisbaren unmittelbaren Gefahren auch niemand ernsthaft von einer Aggression des präemptiv handelnden Staates reden. Voraussetzung ist auch hier wiederum, dass die Beweispflicht bei dem Akteur zu liegen hat, der präemptiv zu Handeln gedenkt. Die Ausnahmesituation des präemptiven Selbstverteidigungsschlags ergibt sich aus der gesicherten Erkenntnis, dass die militärischen Maßnahmen des Angreifers bereits auf seinem (z.B. Aktivierung von Distanzwaffen wie ICBMs) oder zumindest in unmittelbarer Nähe des Territoriums des anzugreifenden Staates angelaufen sind. Auf diese Weise ist der Angriffskrieg kein künftiges, sondern bereits ein gegenwärtiges Ereignis, womit zumindest mit der zeitlichen Dimension einer der beiden Kernfaktoren des Selbstverteidigungsbegriffs als erfüllt betrachtet werden könnte.
Offen bleibt allerdings nach wie vor die räumliche Dimension, da der Angriff noch nicht das eigene Territorium berührt und somit als Tatbestand einem Restzweifel unterliegt. Und genau diese Voraussetzung des gegenwärtigen Angriffs ist dem Iran nicht nachzuweisen, womit der zwischenzeitlich völkerrechtlich akzeptierte Präemptionschlag als Akt der Selbstverteidigung für Israel nicht anwendbar ist. Schaut man in die Zeitgeschichte, so wären als Beispiele für einen völkerrechtlich berechtigten Präemptionsschlag die militärischen Aufmärsche der NATO bzw. der „Koalition der Willigen“ im Jugoslawien-Krieg und im Irak 2003 zu nennen. In beiden Fällen hätten die damalige Bundesrepublik Jugoslawien und der Irak die militärische Präemption als Akt der Selbstverteidigung im Sinne des Völkerrechts für sich in Anspruch nehmen können, da sich die Aufmärsche in zunehmendem Maße zu einem zeitlich unmittelbaren Angriff auf diese Staaten entwickelten.
Anders dagegen verhält es sich mit der Prävention als vermeintlichem Akt der Selbstverteidigung:
Diese Variante ist nun tatsächlich nicht völkerrechtlich gedeckt, im Gegensatz zu der Behauptung mancher Vertreter in der Politik. Und dies hat auch seinen guten Grund: Denn mit einer völkerrechtlich akzeptierten präventiven Kriegsführung als Akt der Selbstverteidigung würde das gesamte auf Friedenspflicht angelegte moderne Völkerrecht ad absurdum geführt. Das ius ad bellum, also das Recht zum Kriege jenseits des Selbstverteidigungsaktes, welches als Bestandteil des Gewaltmonopols dem UN-Sicherheitsrat (Art. 42 der UN-Charta) in die Hände gelegt wurde, würde wieder zu den Nationalstaaten zurückkehren, was unzweifelhaft einen zivilisatorischen Rückschritt bedeutete. Jeder Staat könnte einen anderen Staat mit dem rechtlichen Argument der Prävention angreifen, womit zugleich wieder die Bellum-iustum-Lehre, dieses Mal in der Argumentationsfigur der „präventiven Selbstverteidigung“, bedient würde. Die zutiefst subjektive Interpretation des rechten Handelns (recta intentio), die das konstitutive Merkmal der „präventiven Selbstverteidigung“ ist, lässt eine objektiv begründete Notwendigkeit des Handelns definitiv nicht zu. Jeder interessengeleitete Angriffskrieg (Rohstoffsicherung, Erschließung neuer Absatzmärkte etc.) würde mit dem „präventiven“ Selbstverteidigungsargument legitimiert werden können.
[Achtung: In der englischsprachigen Literatur und politischen Verwendung sind beide Begriffe und ihre Inhalte genau spiegelverkehrt. Dies schafft gelegentlich Irritationen.]
Welcher Angreifer hat je in der Geschichte von sich behauptet, dass er einen ungerechten Krieg führe? Dabei könnten die rechtfertigenden Argumente noch so zweifelhaft sein wie beispielsweise die Behauptung, ein anderer Staat verfüge über Massenvernichtungswaffen oder plane sogar nur, in den Besitz dieser zu gelangen. Dass dieses Argument nicht absurd ist, zeigt das Beispiel des Irak-Krieges der damaligen „Koalition der Willigen“ unter US-Führung. Wie weit das sogenannte iranische Atomprogramm auf den Besitz iranischer Atombomben abzielt und somit eine Gefahr für Israel darstellt, vermag ich tatsächlich nicht zu beurteilen. Zu widersprüchlich sind die interessengeleiteten Aussagen der Konfliktakteure: Während Israel seit 25 Jahren behauptet, der Iran werde in nächster Zeit über Atombomben verfügen, spricht beispielsweise der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) R. M. Grossi in einem CNN-Interview davon, es gebe keine Beweise für systematische Bemühungen für einen Schritt zu nuklearen Waffen.
In dem erst im März 2025 veröffentlichten Report der „Jährlichen Bedrohungsbewertung der US-Geheimdienst-Gemeinschaft“ („Annual Threat Assessment of the U.S. Intelligence Community“) vor dem Ständigen Sonderausschuss für Geheimdienste des US-Repräsentantenhauses (HPSCI) wurde festgehalten:
„Die Geheimdienstgemeinschaft schätzt weiterhin, dass der Iran keine Atomwaffe baut und dass der Oberste Führer Khamenei das Atomwaffenprogramm, das er 2003 ausgesetzt hat, nicht wieder genehmigt hat.“
(„The IC continues to assess that Iran is not building a nuclear weapon and Supreme leader Khomeini has not authorized the nuclear weapons program that he suspended in 2003.“
Eindeutig hingegen ist, dass Israel den angestrebten Besitz von Atomwaffen Irans behauptet und nun nach eigenen Angaben einen Präventivkrieg, der – wie oben ausgeführt – eindeutig völkerrechtswidrig ist, gegen den Iran führt.
Tatsächlich nur ein Präventivkrieg?
Selbst diese Präventivkriegsbehauptung Israels ist anzweifelbar. Nicht weniger berechtigt ist die These, dass Israel mit diesem rechtswidrigen Militärschlag den größten Rivalen in der Region ausschalten will und somit eine umfassende Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens anstrebt – in einer militärisch operativen Kette, angefangen über Gaza und Westjordanland, Libanon, Syrien und nun als Höhepunkt der Iran. Dass die westlichen Verbündeten, so auch die Bundesregierung, in dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Israels keine rechtlichen Probleme sehen, also diesen Angriffskrieg nicht als völkerrechtswidrig einstuft, reiht sich ein in vorausgegangene Angriffskriege, die die Bundesregierung ebenfalls mit viel Verbalakrobatik verteidigt: NATO-Angriff auf Jugoslawien 1999, US-Angriff auf Irak 2003, türkischer Angriff auf Syrien zur Okkupation syrischen Staatsgebietes ab 2018 sowie zahlreiche von der UNO festgestellte Völkerrechtsverstöße Israels in der Region. Auch mit Blick auf Israel will die aktuelle Bundesregierung wie auch die Vorgängerregierungen keinerlei Völkerrechtsbrüche und -verstöße sehen. Ich habe mal via ChatGPT nachgefragt. Die von mir formulierte Fragestellung lautete:
„Wie viele Völkerrechtsbrüche Israels hat erstens der UNO-Sicherheitsrat seit dem Jahr 2000 festgestellt? Und wie viele die UNO-Generalversammlung im selben Zeitraum?“
Antwort ChatGPT:
Israel hat „seit dem Jahr 2000 mindestens 28 Mal gegen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates verstoßen (…). Die UN-Generalversammlung hat seit 2000 knapp 100 Resolutionen verfasst, die Israels Handlungen (…) verurteilen.“
Ein jeder kann diese Informationen über Eingabe dieser Fragestellung bei ChatGPT abrufen.
Wer Russland zu Recht angesichts seines Angriffs auf die Ukraine des Völkerrechtsbruchs verurteilt, aber mit Blick auf Israel diese Worte nicht über die Lippen bekommt oder gar dies leugnet, demonstriert nichts weniger als ein rein instrumentelles Verhältnis zum Völkerrecht. Und dass die westlichen Mainstreammedien und die Politik die völkerrechtliche Betrachtung dieses Krieges im Gegensatz zum russischen Angriffskrieg möglichst meiden, versteht sich angesichts der klaren Rechtslage von allein.
Diese Doppelstandards tragen wesentlich dazu bei, dass der Westen als vertrauenswürdiger Vertragspartner an Ansehen in der Welt verliert. Natürlich kann man sich in einer unipolaren Weltordnung, in der der Westen das uneingeschränkte Sagen hat, über alle Abkommen und Verträge nach Lust und Laune hinwegsetzen. Aber man sollte sich darüber im Klaren sein, dass diese Rechtsbrüche irgendwann einmal den Westen auch wieder einholen. Und genau in dieser Phase befinden wir uns, da die Welt eben nicht mehr unipolar ist, sondern sich zunehmend multipolar strukturiert. Der Rest der Welt ist nicht mehr nur nicht einverstanden mit der in ihren Augen westlichen Selbstherrlichkeit, sondern hat zunehmend auch die Macht, dieser etwas entgegenzusetzen.
Und so bewegen wir uns weiter mit großen Schritten auf eine Staatenanarchie, auf ein Weltunordnungssystem zu – bestenfalls; schlimmstenfalls auf einen Weltkrieg.
Titelbild: Shutterstock / motioncenter
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