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Titel: Pressefreiheit in Gefahr: EU-Sanktionen gegen deutsche Journalisten schaffen beunruhigenden Präzedenzfall
Datum: 11. Juli 2025 um 9:00 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien, Veranstaltungshinweise/Veranstaltungen
Verantwortlich: Redaktion
Ein beunruhigender Präzedenzfall erschüttert die Pressefreiheit in Europa: Erstmals treffen EU-Sanktionen deutsche Journalisten und legen offen, wie „Worte und Ideen zu Waffen“ erklärt werden, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Bei der Podiumsdiskussion „EU-Wahrheitsverschiebung kontra Pressefreiheit, Arbeitsverbot und Ächtung. Deutsche Journalisten landen auf Sanktionsliste. Was können wir tun?“ analysierten Vertreter von NachDenkSeiten, Overton-Magazin, Hintergrund und der jungen Welt eine besorgniserregende Entwicklung: die potenzielle Nutzung von Sanktionen als gefährliches Einschüchterungsinstrument. Ein Bericht von Éva Péli.
Die Europäische Union hat erstmals im Rahmen ihres 17. Sanktionspakets, dem EU-Beschluss 2025-966 vom 20. Mai 2025, Sanktionen gegen deutsche Journalisten verhängt. Obwohl diese Maßnahmen offiziell der Bekämpfung „destabilisierender Aktivitäten Russlands“ dienen sollen, lösen sie aufgrund der direkten Zielsetzung auf Journalisten und des Fehlens traditioneller Gerichtsverfahren erhebliche Kontroversen aus. Rüdiger Göbel, ehemaliger Redakteur der Tageszeitung junge Welt, machte diese alarmierende Entwicklung Anfang Juli bei einer Diskussionsrunde in der Berliner Maigalerie der jungen Welt öffentlich und betonte das Fehlen eines fairen Prozesses oder Gerichtsurteils für die Betroffenen.
Im Sanktionspaket namentlich genannt wurden:
Die verhängten Maßnahmen bezeichnete Göbel als drastisch. Dazu gehören Einreiseverbote in die EU, Sperrung von Bankkonten, Einfrieren von Vermögenswerten und ein umfassendes Verbot jeglicher finanziellen Unterstützung. Dies reicht bis zur „Sippenhaftung“ für Familienangehörige. Göbel sprach von einer totalen „Entmündigung und Entrechtung“. Entscheidend ist: All dies geschieht ohne ordentliches Gerichtsverfahren oder -urteil. Den Betroffenen wird ihre Existenzgrundlage entzogen, nur weil sie kritisch über die Rolle des Westens in den Konflikten in der Ukraine und in Gaza berichten.
Rüdiger Göbel bezeichnete diese Strafmaßnahmen als „Zäsur und gefährlichen Präzedenzfall“. Er sagte, die EU instrumentalisiere den „Kampf gegen Desinformation“, um kritischen Journalismus zu unterdrücken, der offizielle Narrative von EU und NATO hinterfragt. Ziel sei es, die Öffentlichkeit einem „totalitären EU-Wahrheitsregime“ zu unterwerfen, während Deutschland und die EU sich auf „Kriegstüchtigkeit“ vorbereiten würden. Alina Lipp und Thomas Röper, per Videoschalte aus Russland an der Veranstaltung teilnehmend, bestätigten die weitreichenden Folgen. Lipp interpretierte die Maßnahmen als „Test“ der EU. Röper betonte, dass in einem Rechtsstaat Anklage, Verteidigung und Urteil zwingend seien – in ihrem Fall sei dies nicht gegeben. Für ihn sind die Sanktionen illegal und ein Zeichen, dass ihre Arbeit „störend“ wirke.
Einschüchterung: Die gezielte Zerstörung bürgerlicher Existenzen
Das Einschüchterungspotenzial dieser Politik wurde am Fall von Hüseyin Doğru besonders deutlich, den Nick Brauns, Chefredakteur der jungen Welt, detailliert darlegte. Doğru, ein deutscher Staatsbürger aus Berlin, erfuhr von seiner Sanktionierung, als seine Bankkarte plötzlich nicht mehr funktionierte. Seine Konten wurden eingefroren, ebenso wie die seiner hochschwangeren Frau, deren Krankenversicherung davon betroffen war – ein Vorgang, der als Sippenhaftung interpretiert wurde und massiven existenziellen Druck erzeugt.
Brauns schilderte eine absurde Situation: Doğru hat keinen Zugriff auf seine Gelder und muss für grundlegende Bedürfnisse Anträge stellen. Die Bundesregierung konnte auf Anfrage keine Auskunft geben, wie er seinen Anwalt bezahlen soll. Selbst die junge Welt würde sich strafbar machen, wenn sie ihn einstellte oder ihm finanzielle Unterstützung gewährte. Dies schränkt nicht nur Doğrus Grundrechte und Existenz massiv ein, sondern beeinträchtigt auch die Gewerbefreiheit von Verlagen.
Quelle: Éva Péli
Brauns nannte Doğrus Fall den ersten seiner Art in Deutschland, der einen Journalisten betrifft, der „guten Journalismus“ leistete, aber dabei Narrative der EU und der Bundesregierung hinterfragte. Er betonte, dies sei eine eindeutige Warnung an alle kritischen Journalisten in Deutschland: Wer sich dem „EU-Wahrheitsregime“ nicht unterwerfe, riskiere, mit ähnlichen Mitteln mundtot gemacht zu werden. Das Vorgehen gegen Doğru diene als Exempel mit der klaren Botschaft: Euch könnte es als Nächste treffen. Florian Warweg, Parlamentskorrespondent der NachDenkSeiten, verstärkte diesen Punkt, indem er auf Doğrus hochschwangere Frau verwies und vermutete, dass diese Umstände bewusst für zusätzlichen Druck genutzt würden.
Absurde Begründungen für Sanktionen gegen Hüseyin
Warweg berichtete von seinem Treffen mit Hüseyin und gab Einblick in dessen Sanktionsakte. Als Belege für die angebliche „Spaltung der bundesdeutschen Gesellschaft“ durch Hüseyin Doğru führte die EU-Kommission zwei spezifische Aussagen an:
Warweg bezeichnete diese Argumentationskette als absurd, da diese beiden Aussagen als Grundlage dafür dienten, Hüseyin Doğru der Destabilisierung der deutschen Gesellschaft zu bezichtigen. Er kritisierte, wie die Bundesregierung diese Aussagen des Journalisten genutzt hat, ungeachtet der politischen Perspektive beim Blick auf diese Äußerungen.
Die Regierung stützt sich auf Artikel aus taz und Tagesspiegel, um den Journalisten Hüseyin Doğru (@hussedogru) zu belasten, der nun auf der EU-Sanktionsliste steht. Laut @FWarweg zeigt sich darin eine bedenkliche Komplizenschaft von Regierung und Medien gegen kritische Stimmen. pic.twitter.com/Uditta9BH8
— junge Welt (@jungewelt) July 8, 2025
In der Bundespressekonferenz vom 2. Juli 2025 hat die Bundesregierung proaktiv das Thema bezüglich Florian Warweg und der NachDenkSeiten angesprochen, was darauf hindeutet, dass es sich um eine Chefsache handelt. An diesem Thema sind laut Göbel das Bundeskanzleramt, das Innenministerium, das Verteidigungsministerium, das Außenministerium und die deutschen Geheimdienste beteiligt.
Es sei bemerkenswert, dass die Bundesregierung diese Angelegenheit von sich aus zur Sprache brachte, anstatt auf eine Frage von Herrn Warweg zu warten, so der Moderator. Dies unterstreiche die Wichtigkeit, die die Regierung diesem Thema beimisst. Der Parlamentskorrespondent von den NachDenkSeiten kritisierte, dass andere anwesende Journalisten nicht nur keine Nachfragen stellten, sondern teilweise sogar als „Stichwortgeber“ für eine Ausweitung von Repressionen fungierten und fragten, ob die Türkei ebenfalls ermuntert wurde, gegen Hüseyin Doğru vorzugehen.
Die Äußerungen von Rüdiger Göbel deuten darauf hin, dass die Haltung gegenüber Florian Warweg und den NachDenkSeiten in der Bundespressekonferenz grundsätzlich kritisch ist. Der Umstand, dass sich die NachDenkSeiten den Zugang zur Bundespressekonferenz juristisch erstreiten mussten, wird hier als Beispiel für die Herausforderungen der Pressefreiheit in diesem Kontext angeführt.
Digitale Instrumente der Kontrolle: „Faktenchecker“ und Digital Services Act
Tilo Gräser, Redakteur des Nachrichtenmagazins Hintergrund und ehemaliger Mitarbeiter der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti, beleuchtete die moderne Form der Zensur, die nicht mehr primär von staatlichen Behörden ausgeht, sondern von einer „Allianz von Staaten und Digitalkonzernen“. Er zitierte den Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen: „Propaganda und Zensur sind zwei Seiten der gleichen Medaille.“ So perfektioniere der Digital Services Act (DSA) der EU diese „Überwachungsbürokratie“ und könnte das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit fundamental gefährden. Meyens Schlussfolgerung „Der Digitalkonzernstaat braucht kein Wahrheitsministerium“ unterstreicht die subtile, aber weitreichende Natur dieser neuen Kontrollmechanismen.
Roberto de Lapuente, Redakteur bei Overton-Magazin, kritisierte zudem die sogenannten Faktenchecker. Er beschrieb sie als von öffentlichen Geldern finanzierte Akteure, die nicht ergebnisoffen, sondern im Sinne der Regierung, der NATO oder von Wirtschaftsinteressen arbeiteten. Sie würden die Arbeit „richtiger Journalisten destruktiv“ beeinflussen und als Propagandisten fungieren, die unerwünschte Meinungen im Vorfeld diskreditieren und so eine Atmosphäre der Selbstzensur schaffen.
Die andere Seite der Medaille: Repression gegen russische Journalisten in Deutschland
Gräser erweiterte die Diskussion und machte auf die Behandlung russischer Journalisten in Deutschland aufmerksam. Er berichtete von seinen eigenen Erfahrungen während eines Aufenthalts in Moskau im Mai, wo er als Journalist respektvoll behandelt wurde, obwohl er aus einem Land kam, dessen Außenminister Russland als „Feind“ bezeichnet hatte.
Im Gegensatz dazu schilderte er die Fälle zweier ihm bekannter russischer Kollegen in Deutschland. Diese würden von der Berliner Ausländerbehörde als „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung Deutschlands“ eingestuft. Ein Kollege wurde ausgewiesen, ein anderer, Sergej Feoktistow, dessen Familie die Pässe abgenommen wurden, steht vor einem ähnlichen Verfahren. Gräser kritisierte, dass solche weitreichenden Entscheidungen von einer Landesbehörde getroffen werden könnten, und forderte, dass auch dieses Vorgehen als „verfassungswidrig und rechtswidrig“ eingeschätzt werden und dagegen protestiert werden müsse.
Kritik an aktuellen Entwicklungen und Forderung nach Widerstand
Der Hintergrund-Redakteur betonte, dass die angesprochenen Fälle Präzedenzfälle sind, bei denen „das Regime seine Waffen gezeigt hat“. „Wir müssen uns überlegen“, fuhr er fort, „wie wir uns wehren und auf solche Fälle vorbereiten können.“ Das gelte besonders, wenn die „Angst der Macht“, wie von Thomas Röper beschrieben, weiterhin zu derartigen „hysterischen Reaktionen“ führe.
Welche Ängste müssen die Regierenden in Deutschland haben, dass sie zu solch drastischen Schritten greifen, fragte er. Der Vorwurf der Destabilisierung falle auf die aktuelle Politik selbst zurück, denn „die asoziale Kriegspolitik destabilisiert die Lage im Land, in dem wir leben“. Abschließend forderte er auch in diesem Zusammenhang einen „wirklichen Verfassungsschutz“.
Moderator Göbel unterstrich die Dringlichkeit: Es sei ein Fehler gewesen, „geschwiegen zu haben, als die Sanktionen gegen russische Journalisten in Deutschland verhängt worden sind“. Er warnte, ein weiteres Schweigen könnte dazu führen, dass auch die eigenen kritischen Stimmen zum Schweigen gebracht würden.
EU-Parlament: Worte als Waffen und die Gefahr unkontrollierter Sanktionen
Die ehemalige irische EU-Abgeordnete Clare Daly warnte kürzlich bei einer Anhörung im Europäischen Parlament mit Blick auf die im Mai verhängten Journalistensanktionen, insbesondere im Fall von Hüseyin, mit den Worten: „This is how free speech dies.“ Ihre Rede wurde bei der Veranstaltung als Video eingeblendet.
Daly kritisierte, dass die Europäische Union Sanktionen verhängt, die sich gegen Einzelpersonen richten, weil deren Worte und Ideen als „Waffen“ betrachtet werden. Sie hob hervor, dass unter den Betroffenen nicht nur Russen, sondern auch deutsche Blogger und ein türkischstämmiger EU-Resident waren.
Die irische Politikerin führte den Fall Doğrus an, der einem Vermögens- und Reiseverbot unterlag, weil er angeblich systematisch „falsche Informationen“ verbreitete und pro-palästinensischen Demonstranten eine „exklusive Medienplattform“ bot. Sie deutete an, dass es sich hierbei um eine Person handeln könnte, die die Razzien der deutschen Polizei bei palästinensischen Protesten dokumentierte und daraufhin von den deutschen Behörden mit EU-Sanktionen belegt wurde.
Daly betonte die Gefahren dieses Sanktionsregimes: Betroffene erfahren erst durch einen Brief, dass ihre Bankkonten eingefroren sind und sie das Land nicht verlassen dürfen, ohne jegliches Recht auf ein Gerichtsverfahren oder die Möglichkeit, sich zu wehren. Sie schloss ihre Ausführungen mit der eindringlichen Warnung: „Denn wenn es heute sie sind, morgen bist du es.“ Moderator Göbel fasste es so zusammen: „Wenn wir heute nicht aufstehen, heute trifft es die, morgen trifft es uns.“
Appell zum Widerstand
Die Veranstaltung verdeutlichte, wie das „EU-Wahrheitsregime“ mit Hilfe eines gefährlichen Präzedenzfalls und gezielter Einschüchterung versucht, kritischen Journalismus zu unterbinden. Der Fall Hüseyin Doğru steht beispielhaft für den Versuch, bürgerliche Existenzen zu zerstören und somit eine Warnung an alle anderen auszusenden.
Die Redner betonten die Dringlichkeit, sich nicht einschüchtern zu lassen und Solidarität zu zeigen. Nick Brauns appellierte an Journalistenverbände wie die DJU, ihre Rolle als Verteidiger der Pressefreiheit ernst zu nehmen und nicht an der Kriminalisierung von Kollegen mitzuwirken. Rüdiger Göbel sah in den Maßnahmen gegen „kleine Blogger“ auch ein Misstrauen in die eigenen Propagandakanäle Europas und eine Chance, sich dem neuen Selbstbewusstsein des Globalen Südens anzuschließen, um die Pressefreiheit international zu verteidigen.
Titelbild: Éva Péli
Auswärtiges Amt als Sturmspitze im Kampf gegen unliebsame Journalisten und deren Berichterstattung
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