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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Sanktionen gegen das internationale Recht
Datum: 14. Juli 2025 um 12:15 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Gestaltete PDF, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Militäreinsätze/Kriege
Verantwortlich: Redaktion
In Zeiten des offenen Bruchs von internationalem und humanitärem Recht, Missachtung der UN-Charta und im Livestream sozialer und internationaler Medien übertragenem Völkermord an den Palästinensern wird in Think Tanks und Medien scheinbar nachdenklich über den „katastrophalen Zusammenbruch von Normen durch Gewalt“ philosophiert: „Macht könnte das Recht außer Kraft setzen“. Von Karin Leukefeld.
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Doch die verantwortlichen Staaten, allen voran die USA und Israel, bewegen sich längst in einem anderen Universum, wo die Hegemonialmacht der westlichen, US-geführten Welt alle Register zieht, um „den Rest der Welt“ im Globalen Süden zurückzudrängen. Die europäischen imperialen Kolonialmächte setzen in Westasien fort, was sie vor und mit dem Ersten Weltkrieg begonnen haben. Sie wollen sich die Kontrolle zwischen dem östlichen Mittelmeer und der Persischen Golfregion aneignen und das Gebiet als „Neuer Mittlerer Osten“ der Kontrolle von Israel unterstellen. Denn Israel – so Ministerpräsident Benjamin Netanjahu – führt den Kampf gegen das Böse auch für Europa, auch für die USA. Wer sich den israelischen Bombenkampagnen nicht beugt, wird vernichtet und vertrieben. Für Waffen, Geld, medialen und politischen Schutz sorgen die Paten Israels in Washington, London, Paris, Berlin und Brüssel.
Eine beliebte Waffe in diesem Unterwerfungskampf sind einseitige wirtschaftliche Strafmaßnahmen (Sanktionen), mit denen USA und EU andere Staaten, Unternehmen und Einzelpersonen in die Gefolgschaft der westlichen Interessen beugen wollen. Ein weiteres Mittel der Kriegsführung ist die „Ausschaltung politischer Gegner mit juristischen Mitteln, genannt auch „Lawfare“. Mit medialer Unterstützung werden aggressive Kampagnen gegen die „Zielpersonen“ eingeleitet, die geradezu eine Pogromstimmung erzeugen können. Diese Waffe wurde vielfach in Lateinamerika erprobt, wo juristische Anschuldigungen zweifelhafter Herkunft aber medial verstärkt hochrangige Politiker und Politikerinnen in Argentinien und Brasilien vor Gericht zerrten.
Die USA drehen die von ihr in Lateinamerika unterstützte Kriegswaffe des „Lawfare“ nun herum und werfen einer Person vor, gegen sie, die USA, und Israel einen „politischen und ökonomischen Krieg“ zu führen, einen „Lawfare“. Die Rede ist von Francesca Albanese, UN-Sonderberichterstatterin für die Menschenrechte der Palästinenser. In Deutschland erhielt sie bereits Anfang des Jahres Redeverbot von den Universitäten in München und Berlin, ihr improvisierter Auftritt in einem Veranstaltungsraum in Berlin-Mitte wurde von einem halben Dutzend Polizeibeamten im Publikum überwacht. Vor wenigen Tagen erteilte auch die Universität in Bern der engagierten Anwältin, die von Amnesty International eingeladen worden war, Redeverbot. Eine Ausweichveranstaltung fand in Zürich statt.
Nun hat US-Außenminister Marco Rubio Sanktionen gegen Francesca Albanese verhängt, die Sonderberichterstatterin des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen für die Lage der Menschenrechte in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebiete. Das teilte das US-Außenministerium am 9. Juli 2025 (Ortszeit) in einer Presseerklärung mit. Rubio berief sich auf eine Verordnung 14203, mit der US-Präsident Donald Trump zuvor bereits Sanktionen gegen den Internationalen Strafgerichtshof verhängt hatte.
Die US-Administration wirft Albanese vor, sich an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) gewandt zu haben, damit dieser Ermittlungen „gegen Staatsangehörige der USA und Israels einleitet, sie verhaftet, inhaftiert oder strafrechtlich verfolgt“. Weder die USA noch Israel sind Vertragsparteien des Römischen Statuts. Das besagt, dass diejenigen, die versuchen, die Verfolgung von Kriegsverbrechen zu verhindern, dafür angeklagt werden können. Rubio wirft Albanese vor, sich nicht an die beiden Staaten gewandt und damit die Souveränität beider Länder „grob verletzt“ zu haben.
Albanese sei „voreingenommen“ und „böswillig“ und sei „für das Amt einer Sonderberichterstatterin ungeeignet“, heißt es weiter in der Erklärung. Sie verbreite „unverhohlenen Antisemitismus“, unterstütze Terrorismus und zeige „offene Verachtung für die Vereinigten Staaten, Israel und den Westen“. Das zeige sich u.a. darin, dass sie dem Internationalen Strafgerichtshof empfohlen habe, „Haftbefehle gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant zu erlassen“.
Sie habe zudem kürzlich „Drohbriefe an Dutzende Einrichtungen weltweit, darunter große amerikanische Unternehmen aus den Bereichen Finanzen, Technologie, Verteidigung, Energie und Gastgewerbe“, verschickt, in denen sie „extreme und unbegründete Anschuldigungen“ erhoben habe „und dem IStGH empfiehlt, Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen gegen diese Unternehmen und ihre Führungskräfte einzuleiten“. Albanese betreibe Kampagnen der „politischen und wirtschaftlichen Kriegsführung“, die die nationalen Interessen und Souveränität bedrohten und nicht toleriert würden, so der US-Außenminister. Man werde „alle Maßnahmen ergreifen“, die man für notwendig erachte, um auf den „Lawfare“ zu reagieren, man werde die eigene Souveränität und „die unserer Verbündeten“ schützen.
Einen Nerv getroffen
Francesca Albanese reagierte in einer ersten kurzen Stellungnahme gegenüber dem katarischen Nachrichtensender Al Jazeera mit einer Textnachricht: „Kein Kommentar zu Einschüchterungstechniken im Stil der Mafia. Ich bin damit beschäftigt, die (UN-) Mitgliedsstaaten an ihre Verpflichtung zu erinnern, Völkermord zu stoppen und zu bestrafen. Und diejenigen, die davon profitieren.“
Tags darauf sagte sie in einem Interview mit dem Internetportal Middle East Eye, sie habe offenbar „einen Nerv getroffen“. Auf die Frage des Moderators, wie es ihr gehe, erklärte sie, sie sorge sich um die Menschen, „die in Gaza sterben, während wir hier sprechen. Und die Vereinten Nationen sind völlig unfähig, zu intervenieren.“ Sie habe dem Internationalen Strafgerichtshof in ihrer Eigenschaft als UN-Expertin die Einleitung von strafrechtlichen Maßnahmen empfohlen.
Die US-Administration zerstöre ein internationales Rechtssystem, „das uns alle schützt“, so Albanese. Washington untergrabe „das Fundament der multilateralen Ordnung“. Sie sparte nicht mit Kritik an der Tatenlosigkeit der Vereinten Nationen und sagte, es gebe 193 Mitgliedsstaaten in den Vereinten Nationen und „wir heißen Vereinte Nationen und nicht Vereinigte Staaten“.
Stephane Dujarric, Sprecher von UN-Generalsekretär Antonio Guterres, bezeichnete es als „gefährlichen Präzedenzfall“, Sanktionen gegen eine/n Sonderberichterstatter/in (des UN-Menschenrechtsrates) zu verhängen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Turk, forderte die US-Administration auf, die Sanktionen gegen Albanese „sofort“ aufzuheben. Sie richteten sich „gegen die Arbeit, die sie im Zuge ihres Mandats vornimmt, und zwar die Lage der Menschenrechte in den besetzten palästinensischen Gebieten“, so Turk. Die USA hatten bereits Anfang Juli gefordert, dass Albanese von ihrem Posten entfernt werden solle.
Der Auslandskorrespondent und langjährige Leiter des Büros der New York Times im Mittleren Osten, Chris Hedges, schrieb unmittelbar nach Bekanntwerden der US-Sanktionen gegen Albanese, „wenn die Geschichte des Völkermords in Gaza geschrieben wird, wird Francesca Albanese als eine der mutigsten und offensten Verfechterinnen der Gerechtigkeit und der Einhaltung des Völkerrechts in Erinnerung bleiben“.
Sie erhalte Morddrohungen und werde mit Lügenkampagnen überzogen, bei denen Israel und seine Verbündeten den Taktstock schwängen. Sie prangere die „moralische und politische Charakterlosigkeit der Weltgemeinschaft“ an, die zulasse, dass der Völkermord an den Palästinensern und ihre Vertreibung anhalte. Sie werde ihrer Aufgabe als Sonderberichterstatterin gerecht, indem sie Berichte über Kriegsverbrechen in Gaza und im Westjordanland dokumentiere, darunter den Bericht „Völkermord als koloniale Auslöschung“.
Klartext gegen Täuschung
Die engagierte italienische Anwältin spricht Klartext. Seit Monaten weist sie darauf hin, dass Staaten, Regierungen und Unternehmen, die trotz des Krieges gegen die schutzlosen Palästinenser im Gazastreifen ihre Zusammenarbeit mit und Unterstützung von Israel nicht einstellten, eines Tages mit einer Anklage wegen Unterstützung von Völkermord konfrontiert sein könnten. Europäische Staatschefs, einschließlich die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, wies sie auf die möglichen strafrechtlichen Konsequenzen der politischen Unterstützung Israels angesichts des Vernichtungskrieges gegen Gaza hin.
Am 30. Juni hatte Albanese ihren jüngsten Bericht veröffentlicht, in dem mehr als 60 internationale Unternehmen, darunter Technologiekonzerne wie Google, Amazon, Microsoft, aber auch Finanzunternehmen, genannt werden, die mit ihrer Kooperation mit Israel nicht nur von der „völkerrechtswidrigen Besatzung“ palästinensischer Gebiete profitiert hätten, sondern jetzt auch vom Völkermord in Gaza. „Die Transformation der israelischen Besatzungsökonomie in eine Ökonomie des Völkermords“, so ist der Bericht überschrieben.
In dem Bericht fordert Albanese den Internationalen Strafgerichtshof und die Justiz in den UN-Mitgliedsstaaten auf, gegen die in dem Bericht genannten Unternehmen und deren Vorstände Untersuchungen wegen des Verdachts auf Unterstützung des Völkermords an den Palästinensern einzuleiten. Die Vereinten Nationen rief sie auf, Sanktionen gegen Israel zu verhängen und dessen Vermögen einzufrieren. Vorgesehen ist das u.a. in der UN-Charta, Artikel 7.
Bundesregierung, Bundestagsparteien und die großen sogenannten „Qualitäts“-Medien in Deutschland unternehmen trotz der ausführlichen Dokumentation von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die israelische Regierung und Armee nichts. Auf EU-Ebene setzten sich kürzlich deutsche Regierungsvertreter, selbst der Kanzler und eine EU-Antisemitismusbeauftragte sogar ausdrücklich für die weitere Unterstützung und den Schutz Israels ein.
Angesichts zunehmender Kritik von anderen EU-Staaten versucht die Bundesregierung, den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie Handeln vortäuscht und sich „offen zeigt“ gegenüber einer angeblich „steigenden Chance für Waffenruhe“ und für einen Arbeitsauftrag an die Außenminister der EU-Staaten, die am kommenden Dienstag (15.7.2025) über einen Prüfbericht und mögliche Konsequenzen daraus (gegenüber Israel) beraten sollen.
Der langjährige Haaretz-Korrespondent aus den besetzten palästinensischen Gebieten, Gideon Levy, spricht angesichts der Pläne der israelischen Regierung, eine sogenannte „humanitäre Stadt“ auf den Trümmern der südpalästinensischen Stadt Rafah zu errichten, von wo Palästinenser deportiert werden sollen, von einem „Konzentrationslager“.
„Es gäbe keine andere Möglichkeit, (diese Pläne) zu beschreiben, als dass dort ein Konzentrationslager errichtet werden soll“, sagt Levy im Interview mit dem katarischen Nachrichtensender Al Jazeera (11.7.2025). Es sei „wirklich schwer vorzustellen, dass das 80 Jahre nach dem Holocaust geschieht“. Verteidigungsminister Katz, der diese „verrückte und teuflische Idee entwickelt hat“, sei selbst ein Nachfahre von Überlebenden des Holocaust, so Levy. Die meisten Israelis hätten alle Menschlichkeit gegenüber Gaza verloren.
Konzentrationslager in Gaza?! In Deutschland scheinbar kein Problem. Hier feiert man das deutsch-israelische Jubiläumsjahr. 60 Jahre israelisch-deutsche diplomatische Beziehungen, gemeinsame Werte und die „strategische Partnerschaft“ mit Israel, die „nur von den USA übertroffen“ wird.
Titelbild: lev radin/shutterstock.com
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