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Titel: Die verschenkte Zeit: Europa zwischen Konflikt und neuer Weltordnung (Teil 3)
Datum: 30. Juli 2025 um 12:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Interviews, Veranstaltungshinweise/Veranstaltungen
Verantwortlich: Redaktion
Die Idee eines gemeinsamen europäischen Hauses scheint verblasst. In einer Welt im Umbruch fordert Christoph Polajner, stellvertretender Vorsitzender der Eurasien Gesellschaft, eindringlich eine Rückkehr zum Dialog und die Überwindung der tiefen Gräben, die Europa spalten. Er nimmt regelmäßig am Sankt Petersburger Wirtschaftsforum teil und plädiert für eine Abkehr von Konfrontation zugunsten einer positiven Zukunftsvision und des Aufbaus neuer Sicherheitsarchitekturen. Mit Christoph Polajner sprach Éva Péli.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Éva Péli: Herr Polajner, was genau unternimmt die Eurasien Gesellschaft, um die noch vorhandenen Brücken zwischen Europa und Eurasien zu stärken?
Christoph Polajner: Das ist ein erklärtes Ziel unserer Gesellschaft, auch wenn wir natürlich sehr klein sind und unsere Möglichkeiten bescheiden einschätzen müssen. Unser Hauptanliegen ist es, Menschen zusammenzubringen, die sich für eine friedliche Koexistenz der Länder Europas und Asiens einsetzen und das Potenzial der Zusammenarbeit erkennen. Diesen Fokus auf das Kooperationspotenzial vermisse ich oft im hiesigen Diskurs.
Vor diesem Hintergrund war das Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg sehr inspirierend. Dort wurden viele Ideen diskutiert, mit denen ich mich seit Langem beschäftige, wie beispielsweise die Veränderung der internationalen Ordnung und der internationalen Institutionen, Weltreservewährungen, Konnektivität sowohl im Hinblick auf den Ausbau der Landverbindungen zwischen Europa und Asien als auch auf die Nordostpassage, also den Seeweg von der Nordsee entlang der russischen Küste nach Asien. Was ich meinerseits dort immer wieder in Gespräche eingebracht habe, ist die Wiederbelebung der Idee eines gemeinsamen Wirtschaftsraums von Lissabon bis Wladiwostok.
Unsere Rolle sehen wir darin, Gesprächskanäle aufrechtzuerhalten, gerade in einer Zeit, in der es zwischen Russland und den EU-Staaten kaum noch Austausch zu Themen wie dem Krieg in der Ukraine, europäischer Sicherheit, der internationalen Ordnung und der Wiederherstellung der bilateralen Beziehungen gibt. Wir möchten auch vermitteln, dass es hier nach wie vor Personen gibt, die an einen geeinten und friedlichen europäischen Raum glauben. Ich persönlich erinnere mich gern an die Stimmung der frühen 90er-Jahre. In der Charta von Paris von 1990 heißt es „Das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung Europas ist zu Ende gegangen.“ Wir hatten das Ziel, ein „gemeinsames europäisches Haus“ zu bauen. Leider ist diese Idee auf beiden Seiten des geteilten Europas – sowohl in der EU als auch in Russland – über drei Jahrzehnte hinweg verblasst. Aber ich bin froh, dass es auch auf russischer Seite noch Menschen gibt, die daran glauben. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir als Europäer nur dann eine gute Zukunft haben, wenn wir diese Teilung des europäischen Raumes überwinden.
Wie beurteilen Sie die aktuellen Chancen Europas, diese Spaltung zu überwinden?
Im Moment erleben wir, dass sich die Welt rasant neu ordnet. Russland hat dies wesentlich früher erkannt als wir, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Hierzulande hat man sich sehr in der jahrhundertelangen europäischen Vorherrschaft eingerichtet und in dem Gefühl, den Kalten Krieg gewonnen zu haben. Es gab zwar einzelne Dialogformate mit Russland und auch einige Konzepte für eine engere Zusammenarbeit, aber am Potenzial der Beziehungen gemessen war das viel zu wenig. Das lag sicherlich auch daran, dass viele bei uns das Land – außer vielleicht als Lieferant von Rohstoffen – als wenig relevant betrachteten.
Jetzt befinden wir uns in der für Europa sehr schlechten Situation, dass sich die Welt neu sortiert, der europäische Raum aber geteilt ist. Zwischen uns Europäern – also den Russen und Belarussen auf der einen Seite und den EU-Staaten auf der anderen Seite – fehlt die Diskussion darüber, welchen Platz wir in dieser neuen Welt einnehmen möchten. Das ist in fast allen anderen Teilen der Welt anders: Die US-Amerikaner, Chinesen, BRICS-Staaten, Afrikaner und Lateinamerikaner denken intensiv darüber nach. Aber wir als Europäer tun es nicht beziehungsweise wir definieren uns gegenseitig nur in Abgrenzung zum jeweils anderen Teil des europäischen Kulturraums und bemühen uns, uns durch Waffen, Munition und Sanktionen gegenseitig möglichst großen Schaden zuzufügen. Dadurch fällt Europa als Ganzes zurück, und so viel ist klar: Der Rest der Welt wartet nicht auf uns.
Russland organisiert das Wirtschaftsforum in St. Petersburg, sie laden ein, und selbst wir als kleine Organisation können hinreisen. Man wird freundlich empfangen und kommt mit vielen Menschen ins Gespräch. Das ist eine gute Gelegenheit, die vorangehend genannten Fragen zu diskutieren – aber es nehmen sehr wenige Personen aus der EU teil. Auf der anderen Seite gibt es, wenn auch mit etwas Verspätung, ähnliche Diskussionen hier in Deutschland, beispielsweise auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die zuletzt ebenfalls den Titel „Multipolarität“ trug – aber wir laden keine Menschen aus Russland mehr ein. Das bedeutet, dass wir keine Plattformen haben, auf denen wir als Europäer gemeinsam darüber sprechen könnten, wie der Krieg beendet wird, wie wir eine europäische Sicherheitsarchitektur aufbauen, welchen Platz wir in einer sich neu ordnenden Welt einnehmen möchten, wie wir wirtschaftlich oder auch als Menschen wieder zusammenfinden möchten.
Der ungarische Außen- und Handelsminister Péter Szijjártó ist auch zum Forum gereist. Welche Bedeutung messen Sie der Haltung Ungarns bei?
Es war meiner Ansicht nach sehr gut, dass Herr Szijjártó persönlich an der Konferenz teilgenommen hat. Mir gefiel besonders die relativ konstruktive ungarische Position. Er wiederholte das Angebot, dass Ungarn als Verhandlungsort für eine Lösung des Ukrainekriegs dienen könne – ein Vorschlag, den er bereits Ende Februar 2022 gemacht hatte. Der Außenminister hob auch klar hervor, dass sein Land natürlich daran interessiert sei, die Beziehungen zu Russland auszubauen – auch die wirtschaftlichen; genauso, wie Ungarn auch sehr erfolgreich die Beziehungen zu China ausbaut.
Ungarn ist für mich innerhalb der EU ein positives Beispiel dafür, wie ein Land die Veränderungen in der internationalen Ordnung richtig analysiert und konstruktiv darauf reagiert, statt in ideologisch verhärteten Positionen zu verharren. Ich würde mich sehr freuen, wenn es gelänge, Menschen aus Russland und der Europäischen Union, auch die US-Amerikaner, in Ungarn zusammenzubringen, um diese Sonderstellung Ungarns und das daraus resultierende Potenzial zu nutzen, um wieder Frieden in Europa zu schaffen.
Inwiefern teilt die Eurasien Gesellschaft diese Einschätzung Ungarns, und welche konkreten Initiativen verfolgen Sie, um den Dialog voranzutreiben?
In den letzten Jahren sprach ich mit vielen Personen in Deutschland und einigen anderen EU-Ländern, die auch davon überzeugt sind, dass wir einen Dialog mit Russland zu diesen Themen brauchen, die es aber aufgrund des medialen und politischen Klimas hier als zu riskant erachten, selbst nach Russland zu reisen. Ähnlich ist es auf russischer Seite. Dort kommt hinzu, dass manche davon ausgehen, für viele EU-Staaten kein Visum zu bekommen. Wir versuchen, die Gesprächskanäle zwischen diesen Personen aufrechtzuerhalten und ganz konkrete Ideen auf beide Seiten zu tragen: Zum Beispiel, was genau die russische Position zur Beendigung des Krieges in der Ukraine ist oder wie erste Elemente für eine neue europäische Sicherheitsarchitektur aussehen könnten, erste Gespräche für Vorgespräche zu einer wirtschaftlichen Wiederannäherung, oder für die Idee einer Wiederaufnahme von Schüler- und Städtepartnerschaften zu werben.
Das ist natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir hätten uns sehr gewünscht, größere Gesprächsformate zu organisieren, in denen wir Fachleute von beiden Seiten zusammenbringen. Das haben wir die vergangenen Jahre mehrfach versucht, vorwiegend in Drittstaaten. Auch Ungarn wurde hierbei sowohl von mehreren Personen aus Russland als auch aus der EU als Staat genannt, in dem sie an einer solchen Veranstaltung teilnehmen könnten.
Bisher scheiterte das Vorhaben aus verschiedenen Gründen. Bedenken potenzieller Teilnehmer hinsichtlich eines steigenden Risikos medialer Angriffe oder mangelnde Finanzierung stehen hier sicherlich ganz oben auf der Liste. Beide Punkte haben mir zu denken gegeben. Man trifft hier viele Personen, die im Gespräch unter vier Augen wie wir der Meinung sind, dass wir diesen Krieg schnellstmöglich beenden und mit Russland wieder zusammenfinden müssen. Sie möchten sich aber nicht öffentlich in diese Richtung äußern oder konkrete Schritte in diese Richtung unternehmen. „Wenn selbst Gerhard Schröder und Papst Franziskus für ihre Friedensbemühungen so massiv angegriffen werden, was glauben Sie, wie es mir dann erst ergeht?“ Der Tenor der medialen Berichterstattung zu einzelnen Initiativen, die andere in diese Richtung ergriffen haben und die öffentlich bekannt geworden sind, zeigt ja auch, dass solche Befürchtungen nicht ganz unbegründet sind. Man muss sich aber fragen, was das über das Debattenklima in unserem Land aussagt.
Es verwundert mich auch sehr, dass wir in einer Situation mit dem größten Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, wahrscheinlich Hunderten von Opfern pro Tag, gewaltigen wirtschaftlichen Schäden durch Sanktionen und dem Risiko einer Eskalation zu einem großen europäischen Krieg keine Ressourcen bereitstellen, um Fachleute zumindest auf Arbeitsebene zusammenzubringen und Auswege aus diesem Konflikt zu suchen. Für die von uns angedachten Formate sind relativ kleine Beträge von nur wenigen Zehntausend Euro erforderlich. Wenn man bedenkt, was eine Artilleriegranate in der Herstellung kostet, ist das der Preis von ein paar Granaten, um über Auswege aus dem Konflikt zu sprechen. Das ist meiner Meinung nach dringend erforderlich, da die Antworten auf viele dieser Fragen nicht einfach sind. Wir haben leider den Zerfall eines Großteils der Sicherheits- und Rüstungskontrollarchitektur erlebt: Mit dem KSE-Vertrag von 1990 (Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa) haben wir ein sicheres und stabiles Gleichgewicht der konventionellen Streitkräfte auf niedrigerem Niveau umgesetzt. Inzwischen rüsten wir auf beiden Seiten des europäischen Raums wieder massiv auf. Der INF-Vertrag zu den Mittelstreckenwaffen und „Open Skies“ (Vertrag über den Offenen Himmel) sind aufgekündigt, New-START ist ausgesetzt, Formate wie der NATO-Russland-Rat haben seit Jahren nicht stattgefunden.
Wir können die alten Verträge nicht einfach wiederbeleben. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir Sicherheit in Europa, eine neue europäische Sicherheitsarchitektur unter den aktuellen Bedingungen wiederherstellen können. Dafür braucht es viele und lange Gespräche von Fachleuten. Dasselbe gilt für die Frage, wie konkret ein Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine aussieht.
Ausländische Diplomaten sagten mir auf verschiedenen Veranstaltungen, dass sie erstaunt über die Beschwerden der Europäer seien, dass die Trump-Administration mit den Russen verhandele, während die Vertreter der EU nicht einmal einen Platz am „Katzentisch“ hätten. Sie fragten mich dann aber auch: Wo waren denn die Initiativen der EU der letzten Jahre? Wo haben denn die Franzosen mit den Deutschen, Italienern und Polen beispielsweise wirklich eine Konferenz ins Leben gerufen, um diesen Konflikt zu beenden? Das ist auch die große Gefahr, die ich sehe: dass die neue internationale Ordnung ohne uns gestaltet wird und die Interessen der EU dabei nicht berücksichtigt werden; und dass wir ein großes Risiko eingehen, dass dieser Konflikt entweder noch sehr lange andauert – mit einer blutigen Trennungslinie durch den europäischen Raum – oder dass er zu einem großen europäischen Krieg eskaliert. Wir verschenken seit Jahren Zeit, die wir dringend bräuchten, um den Konflikt in Europa zu beenden und eine Rolle für Europa in einer sich neu herausbildenden Welt zu finden.
Angesichts dieser Herausforderungen: Welche konkreten Schritte oder Veränderungen sind aus Ihrer Sicht notwendig, um die aktuelle Situation in Europa zu verbessern?
Das Wichtigste ist, dass wir den Krieg in der Ukraine beenden. Die Gelegenheiten hierzu, die sich zum Beispiel mit den Verhandlungen in Istanbul 2022 ergeben haben, sind leider nicht genutzt worden. Ich glaube, dass die Präsidentschaft Donald Trumps ein Verhandlungsfenster geöffnet hat. Das gilt es jetzt zu nutzen, bevor es sich wieder schließt, und die EU-Staaten müssten die Bemühungen der USA in diese Richtung unterstützten und nicht konterkarieren.
Wir brauchen wieder eine positive Zukunftsvision für Europa. Momentan sind die beherrschenden Themen: Rekordschulden, Aufrüstung, Munition, Wehrpflicht, lange Konfrontation und ein Europa, in dem – wie es Außenminister Wadephul formulierte –Russland für immer unser Feind bleiben wird.
Anfang der 1990er-Jahre, mit der Wiedervereinigung, hatten wir die Vorstellung, dass die Konfrontation in Europa überwunden sei und wir gemeinsam ein europäisches Haus bauen könnten. Diese Vision, dieser „Wind of Change“, hat viele Menschen begeistert. Wir waren damals mehrheitlich überzeugt, dass das die richtige Richtung war und dass wir in einem solchen Europa leben wollten – lieber als in dem, das wir vorher hatten, und ich glaube auch lieber als in dem, das wir jetzt haben. Diese Idee ist leider verblasst, nicht erst 2022, sondern über Jahrzehnte. Bei der Suche nach den Ursachen kann man nicht nur mit dem Finger auf Russland zeigen. Das liegt auch an den handelnden Akteuren bei uns, und das bringt mich zum dritten Punkt.
Helmut Kohl hat die historische Gelegenheit zur Wiedervereinigung genutzt. Die Chance, die Teilung Europas zu überwinden, wurde hingegen verspielt. Neben einem Mangel an geopolitischem Denken liegt das an der hier lange und bei einigen immer noch verbreiteten Überzeugung, dass unser System das Beste sei und wir nichts von anderen lernen könnten, außerdem müsse der Rest der Welt so werden wie wir. Diese Einstellung hat sich bereits im Rahmen der Wiedervereinigung gezeigt. Von dem Erhaltenswerten, was es in der DDR gab, ist fast nichts in den gemeinsamen deutschen Staat überführt worden. Die Einstellung zeigte sich auch im Umgang mit Russland als dem Verlierer des Kalten Krieges und gegenüber dem Rest der Welt.
Als ich nach langer Auslandszeit nach Deutschland zurückkam und hier Erfahrungen zu Themen wie Multipolarität, BRICS oder der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit in verschiedene Formate eingebracht habe, fiel mir auf: Diese Themen waren hier manchem gar nicht bekannt, erschienen als unbedeutend oder als ein kurioses Hobby von mir; manchem waren sie gar unheimlich. 2022 hatte ich den Eindruck, dass manch einer froh war, wieder ein vertrautes Koordinatensystem zu haben: Gut gegen Böse, Ost gegen West. Im Oktober desselben Jahres sagte der damalige Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik der EU, Josep Borrell, Europa sei ein Garten und den Großteil der restlichen Welt ein Dschungel.
Welche Rolle spielt dabei die deutsche Politik und welche müsste sie spielen?
Die deutsche Politik ist in ihrem Aufbau häufig sehr provinziell, vieles versinkt selbst in einer epochalen Umbruchphase wie dieser im parteipolitischen Kleinklein. Viel zu häufig dominieren die Eigeninteressen einzelner Personen oder Parteien. Die eigene Wiederwahl steht in der Zielhierarchie bei vielen im Zweifelsfall an erster Stelle. Es gibt folglich ein feines Gespür für die Grenzen des Korridors des politisch Korrekten und ein Verständnis für innerparteiliche Machtstrukturen, aber wenig Gespür für andere Kulturräume und wenig Verständnis für die Veränderungen in der internationalen Ordnung. Längere internationale Erfahrung, intensive Beschäftigung mit anderen Kulturen und selbst gute Kenntnis von Fremdsprachen sind unter deutschen Politikern leider nach wie vor die Ausnahme. Folglich fehlt es am Erfahrungshorizont, um manche Entwicklungen einzuordnen.
In vielen Ländern außerhalb der EU nehme ich da eine ganz andere Mentalität wahr: Der Bedeutungszuwachs des Globalen Südens, die neuen Formate, das wird allen voran als Chance auf mehr Mitsprache in internationalen Angelegenheiten und neue und erfolgreichere Entwicklungsmodelle gesehen.
Die Welt ändert sich rasant; demographisch, technologisch, wirtschaftlich. Und da die unterschiedlichen Vorstellungen nicht in einem Verhandlungsprozess in Einklang gebracht werden, geraten wir in sehr unruhiges Fahrwasser. Ich frage mich manchmal, ob wir die richtigen Personen auf der Brücke haben, um das Land durch diese Stürme hindurchzusteuern, wenn es schon innerhalb des eigenen Landes (gesellschaftliche Polarisierung, Wiedervereinigung) und des eigenen Kulturraums (Russland) nicht gelingt, wie soll dann die Verständigung mit einem asiatischen Raum gelingen, in dem heute doppelt so viele Menschen Leben wie im Rest der Welt zusammen, oder mit einem Afrika aus über 50 Staaten, das bis zur Mitte des Jahrhunderts nochmal um eine Milliarde Menschen anwächst? Dass Bundeskanzler Merz kürzlich im Hinblick auf Russland erklärte, die Mittel der Diplomatie seien ausgeschöpft, macht mich da nicht zuversichtlicher.
Die meisten Menschen hier wünschen sich Frieden und Stabilität, Glück für ihre Familien und wirtschaftliche Sicherheit – und nicht die Ausdehnung der NATO um jeden Preis. Es ist, glaube ich, an der Zeit, dass bei uns verstärkt Menschen Verantwortung übernehmen, die Erfahrungen in anderen Teilen der Welt haben, respektvoll gegenüber anderen Ländern und Kulturen sind, diese aus sich heraus zu verstehen versuchen und im Austausch mit ihnen an einer internationalen Ordnung arbeiten, in der wir alle unseren Platz finden.
Lesen Sie die ersten beiden Teile des Gesprächs zu Christoph Polajners Teilnahme am SPIEF hier:
Titelbild: Die chinesische und russische Flagge auf einem Gebäude in St. Petersburg während des SPIEF 2025 – Quelle: Christoph Polajner
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