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Titel: „Deshalb glaube ich, dass wir über kurz oder lang einen Rundfunk haben werden, der auch ganz offiziell Staatsfunk ist“

Datum: 11. September 2025 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Interviews, Medien und Medienanalyse, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien, Steuern und Abgaben
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„Der Zugriff von Militär, Staat und großem Geld wird durch drei Märchen verschleiert“, sagt Michael Meyen im Interview mit den NachDenkSeiten. Eins davon lautet, so der Kommunikationswissenschaftler: „Der Rundfunk gehört uns. Ihnen, mir.“ Die Realität aber sieht anders aus. Wie die Verhältnisse tatsächlich sind und was es mit den Hebeln „Geld“, „Aufsicht“ und „Hierarchien“ auf sich hat, das schildert Meyen im Folgenden. Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Marcus Klöckner: Der Propagandaforscher Jonas Tögel hat vor Kurzen auf der Plattform X Folgendes veröffentlicht:

„Viele Menschen haben mich gefragt: Gibt es Kriegspropaganda in der Tagesschau? Um diese Fragen zu beantworten, habe ich mir vorgenommen, 1 Woche die Tagesschau anzuschauen und meine Ergebnisse in einem Vortrag zu analysieren – ich musste jedoch aufgrund der Fülle an Material, das ich gefunden habe, den Untersuchungszeitraum auf 3 Tage verkürzen.“

In Ihrem neuen Buch mit dem bezeichnenden Namen „Staatsfunk“ haben Sie das Ergebnis Ihrer Untersuchung zum Schluss in einem Kapitel festgehalten: „Ergebnis: Propaganda als Programm“. Wie kommen Sie zu diesem Fazit?

Michael Meyen: Die Überschrift ist von mir, aber sonst fasse ich in diesem Kapitel nur zusammen, was die Forschung sagt zu den Schlüsselthemen der letzten Jahre. Migration, Klima, Corona, Russland, Krieg und Frieden. Meine Kollegen haben wunderbar zusammengetragen, was dazu gesendet worden ist, und dabei weit mehr Beiträge untersucht als Jonas Tögel. In einem langen Satz: ARD und Co. beschränken sich bei zentralen politischen Fragen auf „offizielle“ Positionen, blenden Widerspruch entweder aus oder werten ihn ab, erlauben so keine öffentliche Debatte, die diesen Namen verdient, und verfehlen folglich den „Auftrag“, der ihnen per Medienstaatsvertrag erteilt wird und der allein die Finanzierung aus Rundfunkbeiträgen rechtfertigt.

Offiziell ist in Deutschland vom „öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ die Rede. Das hört sich anders an als „Staatsfunk“. Warum sprechen Sie vom Staatsfunk?

Der Titel ist bei mir Diagnose, Prognose und lange Linie. Militär, Staat und großes Kapital haben von Tag eins an das Potenzial gesehen, das mit der Technologie verbunden war und ist. Rund-Funken. Alle Köpfe mit einem Wort in Brand setzen. Mit jeder Einheit verbunden bleiben, auch wenn der Gegner die Drähte kappt. Im Ausland gehört werden, bei Freunden, Feinden, Neutralen. Deshalb wurde dort keine Luft rangelassen, nirgendwo auf der Welt, auch in den USA nicht, wo zwar Konzerne senden, aber der „nationale Sicherheitsstaat“ trotzdem die Kontrolle hat, wie man ja gerade bei Patrick Lawrence lesen konnte, im Buch „Journalisten und ihre Schatten“. Flexibel ist nur die Erzählung, mit der das getarnt wird, und damit auch der Weg, über den sich Einfluss ausüben lässt. Wenn die Tarnung auffliegt, muss sich etwas ändern. Deshalb glaube ich, dass wir über kurz oder lang einen Rundfunk haben werden, der auch ganz offiziell Staatsfunk ist.

Sie sprechen in Ihrem Buch immer wieder davon, dass die Propaganda bei der „Verpackung beginnt“. Welche Verpackung bieten ARD und Co.? Und: Was bedeutet sie für jene Bürger, die diese Sender noch nutzen?

Der Zugriff von Militär, Staat und großem Geld wird durch drei Märchen verschleiert. Nummer eins: Der Journalismus ist unabhängig, neutral und objektiv. Nummer zwei: Er ist eine „vierte Gewalt“ – ein Korrektiv zu den anderen drei Gewalten und immer dann zur Stelle, wenn Parlamente, Verwaltungen und Gerichte im Gleichklang laufen und ihren Job verfehlen. Wir müssen nur auf die Besitzverhältnisse schauen, wenn wir verstehen wollen, dass beide Erzählungen nicht stimmen können. In Deutschland gehören die Medienkonzerne einigen wenigen ultrareichen Familien. Die Macht als Gegenspieler der Macht, noch dazu im Gewand von Neutralität und Objektivität: Darauf muss man erst mal kommen. Und Märchen drei, das beste von allen: Der Rundfunk gehört uns. Ihnen, mir, den Lesern der NachDenkSeiten. Was unter dem Label „öffentlich-rechtlich“ läuft, so geht diese Geschichte weiter, hat nichts mit dem Staat zu tun und auch nichts mit irgendwelchen Sonderinteressen, zum Beispiel aus der Wirtschaft oder aus der Politik, sondern spiegelt einzig und allein das, was Profis in den Redaktionen für so relevant halten, dass es die Gesellschaft wissen sollte. Deshalb muss jeder zahlen. Ein „Beitrag“ für das gedeihliche Miteinander. Ohne dieses Märchen, davon bin ich überzeugt, würde auch die Kriegspropaganda nicht so verfangen, die Jonas Tögel in der „Tagesschau“ gefunden hat.

Zum Innern von ARD und Co. Sie identifizieren drei „Hebel“ für den Einfluss von staatlichen und anderen Interessen, nämlich: Aufsicht, Geld, Hierarchien. Beginnen wir mit dem Hebel Aufsicht.

Die Gremien, ja. Dank einer Studie der Otto Brenner Stiftung haben wir dazu aktuelle Zahlen. 42 Prozent der Rundfunkräte lassen sich „politischen Parteien zuordnen“ und 53 Prozent der Verwaltungsräte. In diesen Gremien wird über das Spitzenpersonal entschieden und darüber, wie das Geld verteilt wird. Beim ZDF muss sogar der Chef der PR-Abteilung durch den Verwaltungsrat. Das heißt: Alle, die in irgendeiner Weise für Inhalte zuständig sind, brauchen die Gunst von politisch dominierten Gremien. Intendanten, Direktoren, Chefredakteure, Abteilungsleiter, Programmgesichter. Wenn die Medienmärchen wahr wären, müsste es genau umgekehrt sein. Dann würde der Journalismus die Politik kontrollieren und im Zweifel auch korrigieren.

Da klingt schon der Hebel Hierarchie an.

Ja. Wir haben oben Abhängigkeiten, die sich aus der Befristung für außertarifliche Verträge ergeben und aus dem Zwang, für jede Verlängerung in die Gremien zu müssen. Und wir haben unten Journalisten ohne Arbeitsvertrag. Zwei von drei Programmmachern sind frei oder fest-frei und haben damit keinen Kündigungsschutz. Schichten und Aufträge werden zwar gut bezahlt, aber erstens ist es nicht leicht, damit auf einen Vollzeitjob zu kommen, und zweitens macht der Status ganz automatisch erpressbar. Das beginnt bei Praktikanten und Volontären, die hoffen, bleiben zu können, bald abgesichert zu werden und dann vielleicht sogar einen festen Vertrag zu bekommen und damit Zutritt zu einer Gehaltstreppe, die manche auf mehr als 10.000 Euro im Monat führt. Auf jeder Hierarchiestufe gibt es ein Gefühl für das, was geht – ganz ohne den täglichen Anruf, aber hin und wieder von Angesicht zu Angesicht bestätigt.

Und der Hebel Geld?

Die Politik hat hier ab den 1970ern ein Verfahren etabliert, das auf Selbstbedienung hinausläuft. Die Rundfunkanstalten melden, wie viel sie brauchen, und eine Kommission (KEF) sagt dann den Landesregierungen, was sie davon hält. Die 16 Menschen in dieser Kommission werden von den Ministerpräsidenten berufen und haben eine Schweigepflicht, die nicht endet, wenn sie ausscheiden. Mehr muss man eigentlich nicht sagen.

Ich nenne trotzdem drei weitere Punkte. Erstens: Die KEF kann nicht sinnvoll prüfen, was ihr die Anstalten vorlegen. Es gibt schlicht keinen Maßstab. Kommerzielle Anstalten produzieren zwar für einen Bruchteil des Geldes, scheiden aber als Vergleich aus, weil der Gesetzgeber ihnen einen anderen Auftrag gibt. Punkt zwei: Selbst Zweifel helfen nicht weiter. Jeder KEF-Beschluss steht unter dem Vorbehalt der „Programmautonomie“ – eine heilige Kuh, mit der jeder Wunsch von außen abgeschmettert werden kann. Anders formuliert: Was ihr Auftrag gerade erfordert, wissen nur Journalisten, Abteilungsleiter, Senderchefs. Man muss gar nicht groß überlegen, warum der Laden immer größer wird. Das erklärt der Hausverstand. Und Punkt drei: Die Landtage sind in diesem Verfahren nur Statisten, 2021 abgesegnet vom Bundesverfassungsgericht, als Sachsen-Anhalt nicht über die Erhöhung abgestimmt hat.

Vieles davon ist bekannt. Warum haben Sie das gerade jetzt aufgeschrieben?

Wir stehen vor einem Showdown. Am 1. Oktober wird vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Klage verhandelt, bei der es um Meinungsvielfalt geht und damit um den Kern des öffentlich-rechtlichen Auftrags. Dass der Ausgang offen ist, zeigt schon die Zulassung der Revision. Wenn der Rundfunkbeitrag hier nicht fällt, dann wird einer der ostdeutschen Landtage früher oder später den Medienstaatsvertrag kündigen und damit eine Kettenreaktion auslösen. Der Unmut ist inzwischen einfach zu groß. Ende 2024 waren gut acht Prozent der Beitragskonten in Mahnverfahren oder in der Vollstreckung. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, weil man sich hier ja mit dem Staat und seinem Gewaltmonopol anlegt und Schufa-Einträge, Kreditkartensperrung und mehr riskiert. Die Kritik am Programm füllt inzwischen ganze Bücher und ist auch im öffentlichen Raum nicht mehr zu übersehen. Jeder Politiker in Regierungsverantwortung wird sich fragen, ob er diese Baustelle nicht schließt und dem Wahlvolk die knapp 20 Euro im Monat schenkt.

Wie meinen Sie das?

Für einen Kanzler oder eine Koalition ist es verlockend, den Mantel zu lüften und aus dem öffentlich-rechtlichen einen echten Staatsfunk zu machen, finanziert aus dem Haushalt. Deutschland würde damit einem europäischen Trend folgen. Skandinavien, Frankreich, Belgien und die Niederlande, die Slowakei, Ungarn und Rumänien: Viele haben den Beitrag in den letzten Jahren abgeschafft und erheben nun entweder eine Rundfunksteuer oder nehmen das Geld gleich ganz aus dem großen Topf. Länder wie Spanien, Bulgarien oder die baltischen Republiken hatten nie einen Rundfunkbeitrag. Und bei allen anderen wächst der Druck. Italien hat den Jahrespreis 2024 von 90 auf 70 Euro gesenkt. In der Schweiz läuft eine Initiative mit dem Titel „200 Franken sind genug“. Und in Österreich stand die Abgabe auf der Kippe, als FPÖ und ÖVP Anfang 2025 über eine Koalition verhandelt haben.

Für das Publikum würde sich damit nichts ändern. Im Gegenteil: Es müsste weiter bezahlen und hätte keinerlei Einfluss auf das, was gesendet wird.

Ja und nein. Staatsfunk ist ein Win-win-win-Modell mit einem Haken. Gewinner eins, wie eben schon gesagt: Regierungen, die sich nicht mehr scheren müssten um Kritik an einem Programm, das offen für sie wirbt. Dänemark hat den Rundfunkbeitrag ab 2018 schrittweise reduziert, 2022 voll auf Steuerfinanzierung umgestellt, Budget, Personal und Angebot eingedampft und so offenbar Kritikern Argumente und Motivation genommen. Gewinner zwei: die Wähler, die wüssten, woran sie sind, und an der Urne entscheiden könnten, wie viel Staatsfunk sie wollen, wenn sich denn die Kandidaten hier unterscheiden. Im Moment bietet das nur die AfD, aber das dürfte sich sofort ändern, wenn der Rundfunk im Haushalt steht. Gewinner drei, allerdings mit Abstrichen: die Journalisten, die Sendeplätze und damit Jobs verlieren würden (das zeigt das Beispiel Dänemark), aber Klarheit hätten und sich außerdem über Statuten und Qualitätskriterien gegen Zumutungen aller Art wehren und vom Arbeitgeber Staat auch feste Arbeitsverträge verlangen könnten.

Noch einmal anders gefragt: Würden wir nicht weiter „Propaganda als Programm“ bekommen, wenn der Staat auch ganz offiziell auf Sendung geht?

Ein guter Punkt, ja. Ich skizziere den Trend in Richtung Staatsfunk auch deshalb, weil jede Krise eine Chance bietet. Die Erzählung vom Rundfunk, der allen gehört und uns allen dient, wurde so oft wiederholt, dass sie fest in vielen Köpfen sitzt und auch im Journalismus selbst Maßstäbe gesetzt hat. Darauf kann jede Medienreform aufbauen, wenn sie denn den Unmut mitdenkt, der mit der Berichterstattung der letzten Jahre verknüpft ist und vor allem mit dem Beitragszwang.

Im Buch schlagen Sie ein Modell vor, dass mit zwei Euro pro Haushalt und Monat auskommt.

Das scheint einerseits wenig, ja, ist manchen aber andererseits immer noch zu viel. Da habe ich aus den ersten Reaktionen gelernt. Beitrag oder Steuern: Das ist gar nicht mein Punkt. Bei mir geht es um den Kern des öffentlichen Auftrags, um einen Journalismus, der Themen- und Meinungsvielfalt bietet sowie Transparenz. Dafür würde ich erstens die Finanzierung vom Kopf auf die Füße stellen und den Anstalten ein festes Budget zuteilen, deutlich kleiner als bisher. Ich würde zweitens Publikumsräte etablieren, direkt gewählt oder ausgelost. Und ich würde den Redaktionen drittens die Freiheit geben, die mit festen Arbeitsverträgen verbunden ist sowie mit Statuten, die Transparenz und Vielfalt sichern.

Lesetipp

Michael Meyen: Staatsfunk. ARD und Co. sind am Ende – oder müssen neu erfunden werden. Berlin 2025, Verlag Hintergrund, Buchreihe WISSEN KOMPAKT, Taschenbuch, 80 Seiten, ISBN 978-3910568259, 10,90 Euro, erscheint am 22. September 2025.


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