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Titel: Die Vereinnahmung der Eliten und die Selbstzerstörung Europas – Teil 3/4

Datum: 13. September 2025 um 12:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Drehtür Politik und Wirtschaft, Erosion der Demokratie, Strategien der Meinungsmache
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Von dem Schweigen zur Sabotage der Nord-Stream-Pipelines bis zur wirtschaftlich und politisch ruinösen NATO-Aufrüstung: Viele Menschen in Deutschland fragen sich, warum unsere „Eliten“ in Medien und Politik so häufig die geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen der USA über die der eigenen Bevölkerung zu stellen scheinen. Unsere neue Gastautorin Nel Bonilla analysiert in einer Reihe von vier Artikeln die verborgene Architektur der transatlantischen Hegemonie und die Netzwerke hinter dem transatlantischen Wahnsinn. Ein Artikel von Nel Bonilla.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wir verlinken für Sie an dieser Stelle Teil 1 und Teil 2 zum Nachlesen.

Der deutsche Fall: Die Atlantik-Brücke als Bindeglied im transatlantischen Machtgefüge

Anne Zetsches Archivstudien zur Atlantik-Brücke und ihrer US-Schwesterorganisation, dem American Council on Germany (ACG), zeigen, wie eine scheinbar „private“ Freundschaftsgesellschaft zu einem Präzisionsinstrument für die Eingliederung der Eliten in die Nachkriegsordnung wurde. Ähnlich wie Denkfabriken ist sie eine Schlüsselinstitution in der Maschinerie der Elitenintegration und -prägung.

Gründer & Geflecht

  • Eric Warburg, Erbe der Hamburger Bankiersdynastie, nutzte seine Wall-Street-Verbindungen zu John J. McCloy, einem einflussreichen Banker und Bürokraten, der nach dem Krieg Präsident der Weltbank, US-Hochkommissar für Deutschland sowie Vorsitzender der Chase Manhattan Bank wurde, um die deutsche Finanzwelt wieder mit den US-Kapitalmärkten zu verknüpfen. Warburg-Brinckmann, Wirtz & Co. vermittelten bald darauf den ersten größeren US-Kredit für Volkswagen.
  • Marion Dönhoff wiederum setzte auf Salons und Empfänge der Zeitschrift Foreign Affairs und auf das Mentoring von George F. Kennan, um deutsche Neutralität als „verantwortungslos“ umzudeuten.
  • Ein kosmopolitischer Elitehabitus, also eine geteilte Lebensführung, gemeinsame Verhaltensmuster und Weltsicht, verband diese Banker, Herausgeber und Adligen. Ihre Mission bestand darin, Westdeutschland in eine von den USA geführte „Gemeinschaft der Nationen“ einzubinden – bevor entweder Moskau oder das gaullistische Paris Anspruch darauf erheben konnte.

Die Vereinnahmung der SPD

  • Ein neutrales oder frankreichzentriertes Westdeutschland galt als Abweichung von der gewünschten atlantischen Ausrichtung: So korrespondierten etwa Emmet Hughes, ein enger Berater Eisenhowers und späterer Journalist, und Emissäre des American Council on Germany (ACG) mit dem Hamburger Bürgermeister Max Brauer, um den Antimilitarismus der SPD zwischen 1950 und 1954 abzumildern.
  • 1963 half das Tandem ACG/Atlantik-Brücke dabei, den Élysée-Vertrag, eigentlich als Fundament einer eigenständigeren deutsch-französischen Kooperation gedacht, mit einem Pro-NATO-Präambeltext zu verwässern.
  • Auch Willy Brandts Ostpolitik sollte von einem eigenständigen und nachhaltigen Friedensprojekt in eine NATO-kompatible „Entspannungspolitik“ überführt werden.
  • Zudem finanzierten Mittel der Ford Foundation – über den vom CIA mitbegründeten Congress for Cultural Freedom (ein internationales Netzwerk von Intellektuellen und Kulturinstitutionen zur ideologischen Einflussnahme im Kalten Krieg) und die AFL-CIO-Gewerkschaften (der Dachverband der US-Gewerkschaften, der in dieser Zeit eng mit Washingtons Außenpolitik verflochten war) – Jugendseminare, die die Partei von marxistischen Unterströmungen „säuberten“; ein frühes Beispiel dafür, dass Stiftungsarbeit eine Wirkung entfalten kann, die jener von Geheimdiensten vergleichbar ist.

Die Medien

Die jährlichen Atlantik-Brücke-Dinner mit dem NATO-Oberbefehlshaber in Europa (Supreme Allied Commander Europe) fungieren zugleich als redaktionelle Rückzugsräume:

  • Josef Joffe (Die Zeit), Kai Diekmann (Bild) und Stefan Kornelius (Süddeutsche Zeitung) sind langjährige Mitglieder; der ZDF-Moderator Claus Kleber saß zeitweise im Kuratorium der Atlantik-Brücke.
  • Das Ergebnis ist kein offenes Diktat, sondern eine Form antizipierender Anpassung: Leitmedien stellen die deutsche Aufrüstung selten als Option dar, sondern vielmehr als den einzig gangbaren Weg und sorgen dafür, dass der öffentliche Diskurs nicht von den atlantischen Leitplanken abweicht.

Synergieeffekte in den Vorstandsetagen

Das heutige Kuratorium der Atlantik-Brücke liest sich wie eine Bilanz des atlantischen Kapitalismus: Es umfasst prominente Unternehmen wie die American Chamber of Commerce (die US-Handelskammer in Deutschland, ein Lobbyverband amerikanischer Konzerne), die Deutsche Bank, Goldman Sachs, Pfizer und BASF. Vertreter aus Medien, Anwaltskanzleien und der Pharmaindustrie sitzen dort Seite an Seite mit Schwergewichten von CDU und SPD – ein Beleg dafür, dass die „Überparteilichkeit“ in diesem Kontext vor allem Treue zu einem gemeinsamen transatlantischen Geschäftsmodell und Weltordnung bedeutet.

Konsensbildung in der Praxis

  • 2009 wurde Friedrich Merz (CDU) Vorsitzender der Atlantik-Brücke und später Deutschland-Vorsitzender des Aufsichtsrats des Finanzgiganten BlackRock.
  • 2019 folgte ihm Sigmar Gabriel (SPD). Kritiker warnten vor einem „Provokateur“, doch die Berufung hatte vor allem den Effekt, auch die letzten Reste sozialdemokratischer Skepsis gegenüber dem NATO-Zwei-Prozent-Ziel zu neutralisieren – das heute längst zu einem Fünf-Prozent-Ziel ausgeweitet worden ist.

Was sich äußerlich als gesellige Salonkultur präsentiert, erfüllt in Wirklichkeit die Funktion eines transatlantischen Bindeglieds: US-amerikanische Interessen und Präferenzen werden so in deutsche Parteiprogramme, Vorstandsetagen und Redaktionen hineingetragen – ganz ohne eine einzige Direktive aus dem Pentagon.

Nachdem nun gezeigt wurde, wie die Atlantik-Brücke half, die westdeutschen Nachkriegsinstitutionen in die transatlantischen Schaltkreise einzuschweißen, wenden wir uns im Folgenden den Bilderberg-Konferenzen zu – einem weiteren Kanal der transatlantischen Elitenprägung.

Bilderberg und das Geschäft der Hegemonie

Die sogenannte Bilderberg-Gruppe wird oft als Steckenpferd von Verschwörungstheoretikern abgetan. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um einen wichtigen Knotenpunkt dessen, was der Soziologe Kantor (2017) in diesem Kontext als „transnationale Kapitalistenklasse“ bezeichnet.

Eine Auswertung der Treffen zwischen 2010 und 2015 zeigt:

  • 67 Prozent der Teilnehmer waren Vorstandsvorsitzende, Banker oder Aufsichtsratsmitglieder großer Konzerne – darunter die Deutsche Bank, Goldman Sachs und BP.
  • Kein einziger Gewerkschafter war eingeladen. Dieser „Dialog“ schließt die Arbeitnehmerseite von vornherein aus – und das ganz bewusst.
  • Die Unternehmensfraktion dominiert die sogenannte transnationale Kapitalistenklasse; Politik wird dabei zunehmend zum bloßen Dienstleister des Kapitals.

Andererseits zeigt eine Analyse von Gijswijt (2019) die Zusammensetzung der Bilderberg-Treffen in der Zeit nach dem Kalten Krieg beziehungsweise in ihrer frühen Etablierungsphase zwischen 1954 und 1968:

  • Etwa 25 Prozent der Teilnehmer kamen aus den USA, 14 Prozent aus Großbritannien und jeweils 9 Prozent aus Frankreich und Westdeutschland.
  • 30 Prozent waren „Unternehmer, Banker und Juristen“, 20 Prozent „Politiker und einige Gewerkschaftsvertreter“, weitere 16 Prozent Diplomaten; der Rest setzte sich aus Wissenschaftlern, Journalisten und hochrangigen Vertretern von NATO, Weltbank, OECD, und IWF zusammen.
  • Frauen waren dabei „auffallend abwesend“.
  • Doppelvertretungen von Kernstaaten und -unternehmen
  • So entsandte die Deutsche Bank im Jahr 2016 sowohl ihren Vorstandsvorsitzenden als auch ihren Aufsichtsratschef; die Niederlande schickten im selben Jahr sowohl den Premierminister als auch den König.
  • Solche Doppelbesetzungen sichern die Agendasetzung und belegen zugleich, dass in der elitären Koordination die Wirtschaft Vorrang vor der Politik hat.

Diese Zahlen zeigen, wie eng der Schwerpunkt der Bilderberg-Treffen mit dem Kern des liberalen Ordnungsmodells im Kalten Krieg verbunden war, also dem westlich-atlantischen System aus Marktökonomie, Militärbündnis und internationalen Institutionen. Sie umfassten die atlantischen Finanz-, Verteidigungs- und Diplomatieeliten und hielten zugleich genügend nationale Repräsentation aufrecht, um einen gesamteuropäisch-westlichen Anspruch geltend machen zu können.

Rekrutierung durch Anerkennung

Die Organisatoren „waren stets auf der Suche nach neuen Talenten“, die in den Kreis sozialisiert werden konnten (Gijswijt 2019). Eine Teilnahme wurde dabei selbst zum Karrieresprungbrett: Bill Clinton, Tony Blair und Angela Merkel nahmen jeweils teil, noch bevor sie höchste politische Ämter erreichten. Von einem Hinterzimmer, in dem Könige gemacht würden, konnte keine Rede sein – der eigentliche Wert lag in der Prestige-Pipeline selbst: ein Eintrag im Lebenslauf, der ideologische Verlässlichkeit signalisierte und Türen öffnete von der Wall Street über Whitehall bis ins Bundeskanzleramt.

Informelle Diplomatie statt formaler Beschlüsse

Es wurden weder Resolutionen verabschiedet noch Protokolle veröffentlicht. Doch, so Gijswijt (2019): „Die eigentliche Bedeutung der Treffen bestimmte sich daraus, was die Teilnehmer mit dem symbolischen Kapital anfingen, das sie dort sammelten.“ Die Konferenz fungierte als ein Proberaum mit hohem Vertrauensniveau: Ideen konnten erprobt, Karrieren und Reputation überprüft und gegensätzliche Ausgangspositionen aufeinander abgestimmt werden. Dieser latente Konsens tauchte dann später wieder auf – etwa in NATO-Kommuniqués oder in Weißbüchern der Europäischen Gemeinschaft.

Identitätsarbeit und Bündnispflege

Von Beginn an pflegte Bilderberg „ein starkes Gefühl emotionaler Gemeinschaft, gegründet auf den Vorstellungen von der Freien Welt oder dem Westen“ (Gijswijt 2019). Allein die Teilnahme – insbesondere für prominente US-Vertreter – „stimulierte die Akzeptanz der Führungsrolle der Vereinigten Staaten innerhalb der NATO“. Das Treffen wirkte wie eine Therapie für transatlantische Nervosität: ein Ort, um einseitige Schocks aufzufangen, Gesprächsleitfäden neu abzustimmen und mit einer gefestigten Hierarchie auseinanderzugehen, in der Washington zwar als primus inter pares galt – also als Erster unter Gleichen.

Netzwerkmultiplikatoren

Die Mitgliedschaften überschnitten sich mit dem Council on Foreign Relations (CFR, der einflussreichste außenpolitische Thinktank in den USA), Chatham House (das britische Pendant in London), dem französischen Institut français des relations internationales (IFRI), der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und später auch mit der Trilateralen Kommission. So entstand „ein dichtes Netz transnationaler Beziehungen: eine informelle Allianz“ (Gijswijt 2019).

Ableger schossen wie Pilze aus dem Boden. So sicherte Denis Healey, damaliger britischer Verteidigungsminister und später Schatzkanzler, 1957 in einem Bilderberg-Nebengespräch Mittel der Ford Foundation für das Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS). Andere Satelliten griffen das Format auf, um politische Netzwerke auch auf nationaler Ebene zu stabilisieren: darunter die Münchner Sicherheitskonferenz, die Königswinter-Konferenz sowie die im Zweijahresrhythmus stattfindenden Deutsch-Amerikanischen Konferenzen des ACG/der Atlantik-Brücke.

Die Drehtür

Ein weiteres Merkmal der Bilderberg-Teilnehmer ist ihre Mehrfachmitgliedschaft in den verschiedenen Bereichen von Politik, Wirtschaft, Medien und Wissenschaft:

  • Peter Sutherland, ein regelmäßiger Bilderberg-Gast und einer der Gründer der WTO, wechselte zwischen Goldman Sachs, der Welthandelsorganisation (WTO) und der EU-Kommission.
  • Robert Rubin wechselte vom US-Finanzministerium zu Citigroup und weiter zum Council on Foreign Relations (CFR): ein perfektes Beispiel für die enge Verflechtung elitärer Fraktionen.

Thinktank-Stammgäste

  • Ständige Teilnehmer kamen auch aus Thinktanks wie dem CFR, der Carnegie-Stiftung, dem französischen IFRI, dem American Enterprise Institute (AEI) und der Zeitschrift The Economist.
  • Das zeigt die Durchlässigkeit der Fraktionen der transnationalen Kapitalistenklasse – ob wirtschaftlich, politisch, technisch oder konsumorientiert – und, wie leicht sich Expertenkommentare mit Macht in den Vorstandsetagen vermischen.

Der ideologische Filter

Wie der Forscher Lukáš Kantor anmerkt:

Bilderberg behauptet in seinen FAQ, es würden ‘unterschiedliche Standpunkte’ eingeladen. Doch Noam Chomsky hat niemals eine Einladung erhalten. Der ‘Dialog’ ist auf jene beschränkt, die ohnehin übereinstimmen.“

Dies ist Ultraimperialismus in Aktion – um Karl Kautskys Begriff zu verwenden: Nationale Eliten arbeiten über Grenzen hinweg zusammen, um gemeinsame Klasseninteressen zu schützen, während die Bevölkerungen die Kosten tragen.

Warum das für Deutschland wichtig ist

Der deutsche Anteil bei Bilderberg überschritt nie zehn Prozent. Doch die Karrieren, die dort beschleunigt wurden – etwa von Friedrich Merz, Karl-Theodor zu Guttenberg oder Josef Ackermann – flossen zurück in das bereits skizzierte Netzwerk aus Atlantik-Brücke, DGAP und Münchner Sicherheitskonferenz.

Mit anderen Worten: Die Atlantik-Brücke ist der deutsche Zweig, die Bilderberg-Treffen sind die transatlantischen Wurzeln, die den ideologischen Boden beständig düngen. Bilderberg fungiert zudem als eine Art Qualitätssicherungslabor des euro-atlantischen Kapitalismus: Hier werden Personalien überprüft, Gesprächsleitfäden angeglichen und die Vorherrschaft der Unternehmensfraktion innerhalb der größeren transnationalen Kapitalistenklasse abgesichert.

Die Ford Foundation: Risikokapital des Atlantizismus

Neue Generationen würden in Machtpositionen eintreten, ohne eine persönliche Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg oder den Marshallplan. Um das Bündnis am Leben zu erhalten, mussten sie zunächst darin sozialisiert werden.“ – Zetsche (2015)

Von Anfang an öffentlich-privat

In Lehrbüchern über Stiftungswesen wird die Ford Foundation bis heute als neutrale, technokratische Wohltätigkeitsorganisation dargestellt. Archivarbeiten von Anne Zetsche zeigen jedoch das Gegenteil: Die Stiftung stand im Zentrum eines dichten öffentlich-privaten Dreiecks – bestehend aus dem US-Außenministerium, Fortune-500-Konzernen und Elite-Universitäten –, das geschaffen wurde, um die Steuerung der US-Außenpolitik abzusichern. Inderjeet Parmar bezeichnet dieses Geflecht als die „weiche Maschinerie“, die Unternehmensvermögen in strategisches Wissen und in Personal umwandelt.

Finanzierung des deutschen Ablegers

Gelder der Ford Foundation ermöglichten die frühen Deutsch-Amerikanischen Konferenzen der Atlantik-Brücke (ab 1959) sowie Stipendienprogramme, die Personal in die DGAP, die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und die parteinahen Stiftungen einspeisten. Als die Mitarbeiter sich sorgten, dass die Gästelisten zu alt wirkten, ergänzte man Jugendprogramme und „Next-Gen“-Studienstipendien – um das atlantische Weltbild an Generationen weiterzugeben, die keine eigene Erinnerung mehr an Trümmerzeit oder Antikommunismus hatten.

Strategische Ziele

Interne Korrespondenzen aus den frühen Jahren der Ford Foundation benannten zwei ideologische Bedrohungen:

  • ein gaullistisches Europa ohne Amerika – also ein von Frankreich geführter kontinentaler Block,
  • und Willy Brandts frühe Ostpolitik – die Aussicht auf eine deutsche Neutralität zwischen den Blöcken.

Das Gegenmittel bestand darin, den Förderrahmen für Austauschprogramme, Sommerakademien und Startstipendien gezielt nur auf Kandidaten auszudehnen, denen man zutraute, stets mit einem Fuß in Washington zu stehen. Bis 1970 beschäftigte fast jedes westdeutsche Ministerium Ford-Alumni; bis 1980 galt das auch für die Redaktionen von Der Spiegel, Die Zeit und der FAZ.

Geld als Lehrplan

Im Unterschied zu den Einladungen von Bilderberg waren die Stipendien der Ford Foundation mit einem Lehrplan verknüpft: Module zur Atlantikgeschichte, Rückblicke auf den Marshallplan und vertrauliche Briefings beim Council on Foreign Relations. Finanzierung bedeutete hier zugleich politische Orientierung. Das Ergebnis war ein Kader, der europäische Sicherheit ganz selbstverständlich mit US-Vorherrschaft gleichsetzte und Alternativen wie Blockfreiheit oder europäische Autonomie als historische Abweichungen betrachtete.

Eine Generation später hatte sich der „Klassenraum“ verlagert: von den Seminarräumen der Elite-Universitäten in abgeschirmte Konferenzhotels. Die soziale Logik blieb dieselbe, nur dass die Dozenten inzwischen vier Sterne auf der Schulter tragen, Cloud-Computing-Zentren leiten oder beides zugleich.

Bilderberg 2025: Von der Grand Strategy zur Tech-Kriegsübung

Die Linie setzt sich fort. Im Juni 2025 verlagerte sich die Gästeliste der Bilderberg-Konferenz noch stärker hin zu Generälen, KI-Magnaten und Nuklearstrategen; ein Signal dafür, dass das heutige „informelle Bündnis“ weniger einem Salon gleicht als vielmehr einem gemeinsamen Kriegsplanungsraum.

Diskussionsthemen 2025: Auf der Agenda standen die transatlantischen Beziehungen, die Ukraine, das Kräfteverhältnis zwischen US-Wirtschaft und Europa, der Nahe Osten, eine „Achse der Autoritären“, Verteidigungsinnovation und -resilienz, Künstliche Intelligenz, Abschreckung und nationale Sicherheit, Energie- und Rohstoffgeopolitik, Bevölkerungsrückgang und Migration – und auffällig: Auf der Agenda tauchte „Proliferation“ auf – nicht, wie sonst üblich, „Non-Proliferation“ (Nichtverbreitung).

Wer gab den Ton an? Ein Querschnitt der Teilnehmer (mit aktuellen Funktionen):

Hard Power: Mark Rutte (NATO-Generalsekretär), Jens Stoltenberg (ehemaliger NATO-Generalsekretär), General Chris Donahue (US Army Europe-Africa), Admiral Sam Paparo (Oberbefehlshaber des US-Indo-Pacific Command, also des US-Oberkommandos für den Indopazifik).

Überwachungskapitalismus: Satya Nadella & Mustafa Suleyman (Microsoft AI), Demis Hassabis (Google DeepMind), Alex Karp (Palantir), Eric Schmidt (Ex-Google), Gundbert Scherf (Helsing GmbH), Peter Thiel (Thiel Capital).

Medienchor: Mathias Döpfner (Axel Springer), Zanny Minton Beddoes (The Economist), Anne Applebaum (The Atlantic).

Das aufschlussreichste Wort der Agenda: „Proliferation“. Nicht Nichtverbreitung, sondern das offene Eingeständnis, dass nukleare Teilhabe – also die Stationierung und Mitnutzung von US-Atomwaffen durch europäische NATO-Staaten (Polen, Rumänien?) – sich vom Tabu-Thema zum offiziellen Gesprächspunkt entwickelt. Nur wenige Tage später veröffentlichte das GLOBSEC-Forum 2025 – eine sicherheitspolitische Konferenz mit Sitz in Bratislava, oft als osteuropäisches Pendant zur Münchner Sicherheitskonferenz gesehen und finanziert von vielen derselben Konzerne wie Bilderberg, mit stärkerem Fokus auf Technologie und Verteidigung – ein Strategiepapier, in dem die NATO aufgefordert wurde,

ausdrücklich alle drei wesentlichen Säulen nuklearer Abschreckung zu betonen: Fähigkeiten, Entschlossenheit und Kommunikation. Dieser ganzheitliche Ansatz ist entscheidend, nicht nur um Russland in einem gefährlicheren Sicherheitsumfeld abzuschrecken, sondern auch, um den inneren Zusammenhalt des Bündnisses zu stärken, das öffentliche Vertrauen zu sichern und Gegner davon abzuhalten, die roten Linien der NATO zu testen.

Ein Musterbeispiel für diese zusammenwachsende Tech-Defense-Elite ist Dr. Gundbert Scherf (Teilnehmer des Bilderberg-Treffens 2025 und der GLOBSEC-Konferenz 2024):

  • 2000er-Jahre: Cambridge / Sciences Po / Freie Universität Berlin (klassische transatlantische Ausbildungsschiene)
  • 2014 – 16: Sonderberater im deutschen Verteidigungsministerium
  • 2017 – 20: McKinsey-Partner für Luft- und Raumfahrt sowie Rüstung
  • seit 2021: Mitgründer und Co-CEO von Helsing AI, einem deutschen Rüstungs-Start-up für KI-gestützte Gefechtsführung, derzeit das Schlachtfeld-KI-Unternehmen Europas (bereits in NATO-Projekte eingebunden)
  • 2024 – 25: Auftritte bei Bilderberg-nahen Foren sowie Bilderberg selbst (GLOBSEC, Münchner Sicherheitskonferenz „Innovation Track“ usw.)

Scherf hat sich nie einer Wahl gestellt und bewegt sich dennoch durch dieselben transatlantischen Fellowship-Netzwerke wie amtierende Minister. Das erinnert daran, dass im Jahr 2025 zentrale politische Hebel ebenso bequem in den Händen von Cloud-Computing-Start-ups liegen wie in Parlamenten. Wenn Bilderberg ein Thema wie „Proliferation“ diskutiert, ist Scherfs Algorithmus bereits darauf ausgelegt, Monate später als neuer Abschnitt zu Einsatzregeln (Rules of Engagement) in einem NATO-Weißbuch aufzutauchen.

Betrachten wir diese Kaskade der Politikgestaltung:

  • Bilderberg-Agenda 2025: „Proliferation“
  • GLOBSEC-Forum und Bericht 2025: „NATOs nukleare Abschreckung und Lastenteilung“
  • Live-Tweet von GLOBSEC während des NATO-Gipfels 2025:

Während die Alliierten beim #NATOSummit2025 Bilanz ziehen, erläutert Jim Stokes, Direktor für Nuklearpolitik bei @NATO, welche Rolle die nukleare Teilhabe der NATO heute inmitten veränderter europäischer Sicherheitsdynamiken und Debatten über Lastenteilung spielt.“

Die Idee entsteht zunächst hinter verschlossenen Türen in einem vertraulichen Hotelkonferenzraum, taucht dann als Podiumsthema in Bratislava wieder auf und verfestigt sich schließlich als operative Direktive in Brüssel. Diese Netzwerke diskutieren nicht länger nur über Grand Strategy; sie entwickeln Prototypen und verkaufen sie anschließend an die Verteidigungsministerien als den nächsten unausweichlichen Schritt. Proliferation, Hyperschallwaffen, KI-Zielauswahl: Jeder Zyklus beginnt mit „informeller“ Diplomatie, wandert weiter in ein Hochglanz-Strategiepapier und endet als Haushaltszeile im Rüstungsbudget.

Nationale Prägungen bleiben bestehen: Atlantische Einbindung ist niemals ein Neubeginn ohne Vorgeschichte; jedes Land bringt sein eigenes historisches Sediment mit. In Deutschland war dieser Prozess untrennbar verknüpft mit dem fortwirkenden westdeutschen Antikommunismus und einer nur teilweise vollzogenen Entnazifizierung. Das Ergebnis: eine politische Klasse, die Moskau als „ewigen Feind“ brandmarken kann (so Bundesaußenminister Johann Wadephul) – und zugleich Familienkontinuitäten fortführt, die einst in Brilon oder Breslau für Großdeutschland marschierten. Die heutige Eskalation ist daher zugleich ein Akt transatlantischer Loyalität und eine Wiederauflage, wenn auch sublimiert, des westdeutschen Kalte-Kriegs-Nationalismus. Jeder Knoten im Elitennetzwerk trägt sein eigenes lokales Aroma; das Rezept jedoch wird weiterhin in Washington gekocht.

Nachdem wir die Finanzströme nachgezeichnet haben, die dieses Förderband antreiben, können wir nun beobachten, wie sich diese Gelder in konkrete Lebensläufe übersetzen, indem wir in Teil 4 dieser Reihe einigen deutschen Entscheidungsträgern von ihrem ersten Ford-finanzierten Auslandssemester bis hin zum Kabinettsposten folgen.

Ende Teil 3

Dieser Artikel wurde zuerst im englischen Original auf Nel Bonillas Substack veröffentlicht und von der Autorin selbst ins Deutsche übersetzt.

Titelbild: US-Botschaft Berlin / Ambassador Emerson Gives Atlantik Brücke Farewell Speech


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