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Titel: Deutsche Rüstungskäufe finanzieren israelischen Völkermord
Datum: 1. Dezember 2025 um 9:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Militäreinsätze/Kriege, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Redaktion
Völlig zu Recht war die Kritik groß, als die Bundesregierung Mitte November die im August verhängten Beschränkungen für Rüstungsexporte nach Israel aufhob. Begründet wurde dieser Schritt mit der seit dem 10. Oktober offiziell geltenden Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas, die sich angeblich „stabilisiert“ habe. Außenminster Johann Wadephul ging gar von einem „tragfähigen Waffenstillstand“ aus. Dabei haben die Waffen zu keinem Zeitpunkt geschwiegen. Ein Artikel von Wiebke Diehl.
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Tagtäglich greift Israel Ziele im Gazastreifen an, täglich sterben Menschen im Bombenhagel oder verbrennen bei lebendigem Leib in Flüchtlingszelten. Zugleich werden der notleidenden Bevölkerung weiterhin unter Verstoß gegen das Waffenstillstandsabkommen, das Völkerrecht und drei rechtsverbindliche Anordnungen und zwei Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) ausreichend Nahrung, Medikamente und angemessene Unterbringungsmöglichkeiten verweigert. Nach Angaben von vor Ort tätigen Hilfsorganisationen sind 1,5 Millionen Menschen nicht für den einsetzenden Winter gewappnet.
Amnesty International: Der Genozid dauert an
Systematisch wird die Bevölkerung aus der sogenannten „grünen Zone“, in der nach US-amerikanisch-israelischem Willen ein Wiederaufbau geplant ist, vertrieben und in die „rote Zone“, die in Trümmern belassen werden soll und in der weiter Häuserzerstörungen stattfinden, abgedrängt. Die Bewohner Gazas werden somit in kaum lebensfähigen Gebieten eingepfercht, während Israel die Kontrolle über die anderen 54 bis 58 Prozent des Gazastreifens behält und dort eine Annexion vorbereiten könnte. Gerade erst hat Amnesty International in einem Bericht[1] Alarm geschlagen: Der Genozid dauere an, da Israel die Palästinenser weiterhin Lebensbedingungen unterwerfe, die auf ihre körperliche Zerstörung abzielten. Auch würden Ausrüstung und Material für die Reparatur lebenserhaltender Infrastrukturen und zur Entfernung nicht explodierter Kampfmittel, kontaminierten Schutts und Abwassers sowie die Wiederherstellung von überlebenswichtigen Dienstleistungen blockiert. Die für den Völkermord Verantwortlichen würden nicht zur Rechenschaft gezogen. Der Druck müsse dringend aufrechterhalten werden, der Export von Rüstungsgütern nach Israel dürfe in dieser Situation nicht wieder aufgenommen werden.
Zudem greift Israel weiterhin den Jemen, den Libanon und Syrien an und verfestigt seine Besatzung in den beiden Nachbarländern. Im Libanon hat die UN-Mission UNIFIL über 7.500 israelische Luftraumverletzungen und etwa 2.500 Landraumverletzungen registriert, die gegen das im November 2024 in Kraft getretene Waffenstillstandsabkommen verstoßen.
In all diesen Kriegen kommen deutsche Waffen zum Einsatz. Nach den USA, dem mit Abstand bedeutendsten Waffenlieferanten Israels, das 70 Prozent seiner Rüstungsimporte aus den USA bezieht, folgt auf Platz 2 Deutschland. Allein seit Beginn des Gazakriegs im Oktober 2023 bis Mai 2025 genehmigte Berlin den Export von Rüstungsgütern im Wert von 500 Millionen Euro nach Israel. Wie viele Kriegswaffen darunter waren, wird mittels uneindeutiger Nummern verschleiert.
Ein beträchtlicher Teil deutscher Waffenlieferungen an Israel ist de facto der parlamentarischen Kontrolle entzogen worden
Nachdem die Ampelkoalition ihre Waffenverkäufe nach Israel nach Beginn des Gazakriegs sogar zunächst verzehnfacht hatte, drosselte man sie im Vorfeld des Eilverfahrens Nicaragua vs. Deutschland vor dem IGH im Frühjahr 2024, in dem Deutschland Beihilfe zum Völkermord vorgeworfen wird. Ende Oktober haben dann Journalisten aufgedeckt, dass die deutsche Vertreterin vor dem IGH möglicherweise nur die halbe Wahrheit sagte, als sie behauptete, 2023 habe man an Israel nur „medizinische Hilfsgüter und Helme“, aber keine Kriegswaffen aus Bundeswehrbeständen geliefert.[2] Ein beträchtlicher Teil deutscher Waffenlieferungen an Israel ist de facto der parlamentarischen Kontrolle entzogen worden. Der sogenannte Rüstungsexportstopp, der nie einer war, weil er sich immer nur auf einen bestimmten Teil des nach Israel gelieferten Mordwerkzeugs bezog, weil er die anderen Kriege Israels (neben Gaza) ausklammerte und weil er von Anfang an zahlreiche Schlupflöcher bot, war nie konsequent. Und schnell drohten deutsche Rüstungsunternehmen wie etwa die Renk AG, die Panzerersatzteile für israelische Merkava-Panzer produziert, ihre Produktion zur Umgehung der Beschränkungen in ein anderes Land zu verlagern.
Mit dem Gazakrieg haben Israels Waffenexporte einen neuen Rekordwert erreicht – Tendenz steigend
Ganz anders als Deutschland hat etwa Slowenien nicht nur seit Beginn des Gazakriegs im Oktober 2023 – wie es gemäß dem Gemeinsamen Standpunkt der EU für Rüstungsexporte von 2008 spätestens zu diesem Zeitpunkt alle EU-Mitgliedstaaten hätten tun müssen – keinerlei Genehmigungen für Waffenexporte nach Israel mehr erteilt. Die Regierung in Ljubljana verbot zudem im August 2023 – noch vor Verhängung des Rüstungsexport-Teilstopps Deutschlands – sowohl offiziell den längst gestoppten Export als auch den Transit nach und den Import von Waffen aus und somit jeden Waffenhandel mit Israel. Deutschland hingegen lieferte nicht nur völlig unbeirrt weiter Rüstungsgüter an Israel, man tastete auch einen zweiten Teil der jahrzehntealten Rüstungskooperation mit Israel nie an: Auch nachdem der IGH im Januar 2024 die Gefahr eines Völkermords in Gaza feststellte, hielt man daran fest, fleißig israelische Rüstungsgüter einzukaufen und erhöhte diesen Handel vielmehr noch.
Makabererweise wirbt Israel seit Jahrzehnten damit, dass seine Waffensysteme im realen Krieg erprobt sind und damit deren Wirksamkeit erwiesen sei. Dass die israelischen Raketenabwehrsysteme Angriffen aus dem Iran oder dem Jemen nicht einwandfrei standhalten konnten, hat ihrem Image zwar Kratzer verpasst – das Geschäft boomt aber trotzdem. Mit dem Gazakrieg haben Israels Waffenexporte einen neuen Rekordwert erreicht – Tendenz steigend. Um 19 Prozent stiegen die Verkäufe auf 14,8 Milliarden US-Dollar an, womit Israel zum achtgrößten Rüstungsexporteur weltweit aufgestiegen ist. Verkauft werden Waffen an 88 Länder auf allen fünf Kontinenten, darunter auch arabische Länder wie Marokko, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Katar, Jordanien, Indonesien oder Bangladesh. Wichtigste Abnehmer sind die USA, die EU, Indien, Vietnam und Aserbaidschan. Ob Baku im Krieg gegen Armenien im Jahr 2022 und bei der Eroberung Bergkarabachs im Jahr 2023 ohne israelische Drohnen gleichermaßen „erfolgreich“ gewesen wäre, ist höchst fraglich.
Bemerkenswert ist, dass im Jahr 2024 über die Hälfte der israelischen Waffenexporte in europäische Länder gingen, obwohl mehrere dieser Länder Israel wegen des Gazakriegs die Lieferung von Komponenten und Rohstoffen für die Waffenproduktion verweigert haben. In Frankreich durften etliche israelische Rüstungsunternehmen nicht an Verteidigungsmessen teilnehmen. Spanien fror einen Vertrag über den Kauf von Panzerabwehrraketen des Rüstungskonzerns Rafael im Wert von mehr als 300 Millionen US-Dollar ein und kündigte einen Vertrag über den Kauf von Kleinwaffenmunition von Elbit Systems in Höhe von 6,6 Millionen US-Dollar. Gegen Rafael hat die Europäische Kommission zudem im Sommer 2025 eine Ethikprüfung eingeleitet, weil der Konzern mit einem Video warb, in dem die Kamikazedrohne Spike Firefly einen unbewaffneten Mann im Gazastreifen tötete. Rafael hat im Rahmen des EU-Horizon-Programms regelmäßig Fördergelder in sechsstelliger Höhe erhalten.
Rafael, das auch Hersteller des „Iron Dome“ ist, ist einer der Hauptauftragnehmer des israelischen Verteidigungsministeriums und hat seit Beginn der Gazakriegs einen Umsatzanstieg von 27 Prozent verzeichnet. Drohnen von Rafael sollen auch im April 2024 bei dem Angriff eingesetzt worden sein, bei dem sieben Mitglieder der US-amerikanischen Hilfsorganisation World Central Kitchen getötet wurden. Trotzdem hat Deutschland kürzlich einen Großauftrag zur Beschaffung moderner Spike-Panzerabwehrraketen im Wert von etwa zwei Milliarden US-Dollar mit ebendiesem Rüstungsunternehmen abgeschlossen. Im Juli 2025 verkündete Israels größter privater Rüstungskonzern Elbit Systems, es liege eine Bestellung von Raketen im Wert von 260 Millionen US-Dollar von Airbus im Auftrag der deutschen Luftwaffe vor. Bereits im Februar war bekannt geworden, dass die Bundeswehr – ebenfalls von Elbit Systems Ltd. – PULS-Raketenartilleriesysteme im Wert von 57 Millionen US-Dollar kaufen will.[3] Elbit unterhält mit Deutschland zahlreiche weitere Rüstungskooperationen.
Es handelt sich dabei um den größten Waffendeal in der Geschichte Israels
Israel gilt mit seinen Systemen Iron Dome, David’s Sling und Arrow als nach den USA führend, was die Produktion von Luftverteidigungssystemen angeht. 48 Prozent aller israelischen Rüstungsexporte im Jahr 2024 bewegten sich im Bereich Raketen, Flugkörper, und Luftverteidigungssysteme. Deutschland hat am 23. November 2023 einen Beschaffungsvertrag über den Kauf von Arrow-Systemen im Wert von 3,6 Milliarden US-Dollar abgeschlossen. Es handelt sich dabei um den größten Waffendeal in der Geschichte Israels. Am 3. Dezember soll der erste Schritt zur Inbetriebnahme auf dem Fliegerhorst Holzdorf am Standort Schönewalde an der Grenze von Sachsen-Anhalt zu Brandenburg erfolgen. An diesem Datum soll die sogenannte Anfangsbefähigung des neuen Waffensystems erklärt werden, wie die Luftwaffe mitteilte. Offiziell soll Arrow 3, das aus dem Sondervermögen Bundeswehr finanziert wird und anfliegende Raketen in bis zu 100 Kilometern Höhe zerstören kann, wegen der angeblichen Bedrohung aus Russland[4] eine Lücke in der Abwehr schließen. Aber es gibt große Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Beschaffung des in israelisch-US-amerikanischer Kooperation (auf israelischer Seite Israel Aerospace Industries (IAI) und auf US-amerikanischer Seite Boeing und Lockheed Martin) entwickelten Arrow 3.[5]
Deutschland will Zusammenarbeit zwischen Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden beider Länder vertiefen
Deutschland, das nach den USA der zweitgrößte Abnehmer israelischer Rüstungsgüter ist, nutzt auch die hoch umstrittene israelische Spionagesoftware Pegasus, wie das Bundeskriminalamt schon 2020 eingeräumt hat. Im Mai 2024 erhielt Deutschland die erste Heron-Überwachungsdrohne aus Israel, die vom israelischen Staatskonzern Israel Aerospace Industries (IAI) hergestellt wird. Im Juni wurde bekannt, dass offenbar drei weitere dieser Langstreckendrohnen angeschafft werden und dass diese anders als die bisherigen nicht geleast, sondern gekauft werden sollen. Auch die bereits vorhandenen Herons sollen demnach langfristig käuflich erworben werden. Die Heron-TP wird ebenfalls im Gazastreifen gegen Zivilisten eingesetzt. Auch deutsche Leopard-2-Panzer werden mit israelischer Technologie, mit dem Abwehrsystem Trophy, ausgestattet, das vom Rüstungskonzern Rafael produziert wird. Gleiches gilt für die Eurofighter-Kampfjets der Bundeswehr. Im Juni wurde bekannt, dass Deutschland ein gemeinsames deutsch-israelisches Cyberforschungszentrum, das sogenannte „Cyber Dome“, schaffen will, um die Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden beider Länder zu vertiefen.
Unter dem Titel „Die Kosten der deutschen Waffenimporte aus Israel“[6] kamen im August Dr. Itamar Mann und Alon Sahar auf dem Portal „Staatsräsonmonitor“ zu dem Schluss, dass wie die Waffenexporte nach Israel auch die deutschen Rüstungsimporte aus Israel, die seit dem Ukrainekrieg deutlich zugenommen haben, gestoppt werden müssten. Sie berufen sich dabei auf das deutsche Außenhandelsgesetz, laut dem „eine Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker“ verhütet werden müsse, und auf das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Eine „wertebasierte Außenpolitik“ vertrage sich nicht mit einer gleichzeitigen militärischen Partnerschaft mit einer Regierung, der Kriegsverbrechen und ethnische Säuberung vorgeworfen würden, so Mann und Sahar.
Kauf von Arrow 3 ein Subventionsprogramm für Israel und seine Waffenindustrie?
Was das Arrow-System angeht, das dieser Tage in Deutschland stationiert wird und möglicherweise sogar noch erweitert werden soll[7], steht die Sinnhaftigkeit seiner Anschaffung wie bereits erwähnt in Frage. Der dänische Experte für die Abwehr ballistischer Raketen, Simon Højbjerg Petersen, nannte die Entscheidung auf der Plattform X „die seltsamste Beschaffungsentscheidung“, die er „seit Langem gesehen“ habe. Auch andere Koryphäen auf dem Gebiet, wie u.a. Prof. Dr. Jeffrey Lewis und Dr. Aaron Stein, äußerten sich kritisch. Denn Arrow 3 wurde dafür geschaffen, ballistische Mittelstreckenwaffen außerhalb der Erdatmosphäre abzufangen, ist also ausschließlich für den Einsatz im Weltraum konzipiert. Russische Kurzstreckenraketen und Marschflugkörper hingegen kann Arrow 3 nicht abfangen, da sie die Erdatmosphäre gar nicht verlassen. Zudem können die bereits vorhandenen Luftverteidigungssysteme der Bundeswehr vom Typ Patriot dies bereits bewerkstelligen. Auch das deutsche Iris-T-System war dazu in der Ukraine in der Lage.
Ballistische Raketen mit einer größeren Reichweite, also Interkontinentalraketen, wiederum fliegen so schnell und so hoch, dass sie sich außerhalb des Wirkbereichs von Arrow 3 bewegen. Auch bezüglich der neuen russischen ballistischen Mittelstreckenrakete Oreshnik bestehen Zweifel, ob Arrow 3 das passende Abfangsystem ist.[8] Die von Experten vorgebrachten Zweifel, ob eine Fähigkeitslücke überhaupt existiert bzw. ob das Arrow-System diese, so sie denn vorhanden wäre, schließen kann, lassen die Frage aufkommen, ob der Kauf von Arrow 3 nicht vielmehr ein Subventionsprogramm für Israel und seine Waffenindustrie darstellt.
Titelbild: Fly Of Swallow Studio / Shutterstock
Hat der „Waffenstillstand“ in Gaza die palästinasolidarische Bewegung geschwächt?
Und sie bewegt sich doch: Kippt die deutsche „Staatsraison“ in Bezug auf Israel jetzt?
[«1] Amnesty schlägt mit neuem Gaza-Bericht Alarm: Israels tödliche Blockade geht weiter | Amnesty International Österreich
[«2] Waffen für Israel: Hat die Regierung nur die halbe Wahrheit gesagt? | STERN.de
[«3] Deutschland wählt das PULS-Raketenwerfer-Artilleriesystem für seine Streitkräfte | Elbit-Systeme
[«4] Raketenabwehrsystem Arrow
[«5] Arrow 3: Eine fragliche Beschaffung – PRIF BLOG; Luftabwehrsystem: Warum Arrow 3 ungeeignet für Deutschland ist
[«6] Staatsräson Monitor Newsletter #3 – 18.8.2025 – Die Kosten der deutschen Waffenimporte aus Israel
[«7] Deutschland führt Gespräche mit Israel über den Kauf weiterer Arrow-3-Luftabwehrsysteme
[«8] Raketenabwehrsystem Arrow 3 nach dem ersten Einsatz von Oreshnik
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