Naiv oder perfide? Wadephul gegen den Rest der EU

Naiv oder perfide? Wadephul gegen den Rest der EU

Naiv oder perfide? Wadephul gegen den Rest der EU

Maike Gosch
Ein Artikel von: Maike Gosch

Deutschland verhindert weiterhin jegliche von der EU-Kommission vorgeschlagenen Sanktionen gegen Israel und steht damit zunehmend allein. Die Begründung von Außenminister Johann Wadephul für seine Weigerung ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Bürger über Motive und Strategien der Bundesregierung in dieser Frage in die Irre geführt werden. Man fragt sich, ob es Naivität unseres politischen Personals ist oder Perfidität. Darüber hinaus enthüllt die Beschäftigung mit dem „Horizon Europe“-Programm, um das es hier geht, ein Ausmaß an finanzieller Unterstützung Israels durch die EU, das viele überraschen dürfte. Ein Kommentar von Maike Gosch.

Vor dem Hintergrund des voranschreitenden Völkermords in Gaza durch Israel und der von Israel verursachten Hungersnot der Bevölkerung hatte sich die Europäische Kommission Ende Juli auf öffentlichen Druck zu dem Vorschlag durchgerungen, Israel wenigstens teilweise von der Förderung durch das Forschungs- und Entwicklungsprogramm „Horizon Europe“ auszuschließen. Über 180 internationale Organisationen hatten davor die EU dazu aufgerufen, wegen der massiven Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen durch Israel das bestehende Assoziationsabkommen der EU mit Israel aufzuheben. So weit wollte die EU („dank“ des massiven Widerstands Deutschlands und Ungarns) nicht gehen. Auch zu einer kompletten Aussetzung der Förderung in Milliardenhöhe durch das „Horizon Europe“-Programm konnte sich die Kommission nicht durchringen. Die vorgeschlagene Aussetzung des Förderprogramms bezieht sich nur auf den sogenannten „European Innovation Council“ (EIC, Europäischer Innovationsrat). Die Aussetzung würde sich auf israelische Einrichtungen auswirken, die am „EIC Accelerator“ teilnehmen, wobei die im Rahmen dieses Programms geförderten Technologien „potenzielle Dual-Use-Anwendungen, beispielsweise in den Bereichen Cybersicherheit, Drohnen und künstliche Intelligenz haben“, so die Begründung der Kommission.

Die Abstimmung darüber am 29. Juli 2025 scheiterte, auch insbesondere wegen der Stimmen Deutschlands und Italiens. Jetzt wird darüber wieder diskutiert, aber Deutschland will weiterhin an seiner Blockadehaltung festhalten. Deutschlands Außenminister Wadephul erklärte den Grund für die Weigerung Deutschlands in dieser Frage kürzlich folgendermaßen, wie der Deutschlandfunk berichtete:

Eine Einstellung der Zusammenarbeit beim Forschungsförderungsprogramm Horizon Europe würde vermutlich keinen Einfluss auf die politische Willensbildung und auf das militärische Vorgehen Israels in dem Palästinensergebiet haben, sagte Bundesaußenminister Wadephul in Kopenhagen. Deswegen sei man davon nicht überzeugt. Wadephul verwies darauf, dass Deutschland Waffenlieferungen an Israel einschränke. Dies treffe das militärische Engagement. Die Wissenschaftskooperation sei hingegen sinnvoll.“

So also Wadephul. Dass er parallel bei dem informellen Treffen der EU-Außenminister in Kopenhagen einen erhöhten „Druck auf Putin“ forderte und davor schon eine Wiedereinsetzung der Sanktionen gegen den Iran, um das Land zu einer Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zu zwingen – geschenkt. An die himmelschreiende Doppelmoral unserer Außenpolitik mussten wir uns ja in den letzten Jahren immer stärker gewöhnen.

Aber man fragt sich bei solchen Aussagen immer: Sind unsere Politiker einfach naiv oder perfide? Zunächst einmal geht es ja bei den Sanktionen darum, Druck auf Israel auszuüben, seinen Völkermord und seine Kriegsverbrechen zu beenden und internationales Recht einzuhalten. Jede Möglichkeit, Druck auszuüben, ist daher sinnvoll. Die Aussetzung auch nur von Teilen der „Horizon Europe“-Förderung wäre ein starker Hebel für eine Einflussnahme. Immerhin ist allein der „European Innovation Council“ mit 10,1 Milliarden Euro dotiert, und auch hier – wie im Gesamtprogramm „Horizon Europe“ – ist Israel, obwohl kein EU-Mitgliedstaat, einer der Hauptprofiteure.

Natürlich wäre eine vollständige Aussetzung von „Horizon Europe“ noch viel wirksamer. Dies wäre – wie es David Harel, der Präsident der Akademie der Wissenschaften und Geisteswissenschaften Israels, im Mai in einem Interview ausführte – „fast ein Todesurteil für die israelische Wissenschaft“. Und damit hat er nicht übertrieben. Das Ausmaß der EU-Förderung für Israels Wissenschaft ist enorm, wie der Journalist Nate Bear recherchiert hat:

Die Horizon-Förderung ist für die israelische Wissenschaft und Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Seit Beginn des Programms im Jahr 1996 hat die EU israelischen Unternehmen, von denen einige direkt aus dem israelischen Militär hervorgegangen sind, 3,4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Israel ist mit Abstand der größte Nicht-EU-Empfänger von Horizon-Mitteln, und seine Forscher erhalten für ein Programm, das eigentlich zur Unterstützung europäischer Forscher und der europäischen Gesellschaft gedacht ist, äußerst großzügige, ja sogar erstaunlich hohe Geldbeträge.“ (Hervorhebungen durch NDS)

Die Aussage Johann Wadephuls und die Position der Bundesregierung machen hier also schon taktisch überhaupt keinen Sinn. Die (auch nur teilweise) Aussetzung der Förderungen im Rahmen von „Horizon Europe“ wäre effektiv und sinnvoll, um Druck auf Israel auszuüben. Natürlich wäre eine weitergehende Aussetzung noch effektiver und sinnvoller, aber die lehnt Wadephul ja erst recht ab.

Darüber hinaus ist die Unterscheidung, die Wadephul hier macht, zwischen der guten, harmlosen Wissenschaft auf der einen Seite und dem bösen Militär auf der anderen Seite generell und insbesondere in Bezug auf Israel nicht haltbar, wenn nicht sogar bewusst irreführend. Wie Nate Bear im selben Artikel berichtet, hat das Programm „Horizon Europe“, das von der EU als „wissenschaftliche Forschungsinitiative zur Entwicklung einer nachhaltigen und lebenswerten Gesellschaft in Europa“ beschrieben wird, seit Oktober 2023 rund 475 Millionen Euro an 348 israelische Start-ups und Forschungsprojekte vergeben, von denen viele von ehemaligen Soldaten und Geheimdienstmitarbeitern der israelischen Streitkräfte geleitet werden. Auch sind die Universitäten und Forschungsinstitute Israels (wie leider auch zunehmend in Deutschland, aber das ist ein anderer Artikel) stark mit dem Militär verzahnt. So pflegt zum Beispiel das Weizman Institute of Science – Israels wichtigstes Wissenschaftszentrum und Empfänger von bisher insgesamt über einer halbe Milliarde Euro in EU-Fördergeldern – schon lange enge Partnerschaften mit israelischen Waffenherstellern wie Rafael, Israel Aerospace Industries und Elbit Systems. Diese und noch viel mehr detaillierte Informationen über die überaus enge Vernetzung zwischen israelischer Wissenschaft und Forschung mit dem Militär und der Waffenindustrie finden sich in dem aktuellen Artikel von Nate Bear.

Aber zurück zu Wadephuls Argumenten, nur eine Einschränkung der militärischen Unterstützung wäre sinnvoll. Die Kommission schlägt ja gerade vor, die Förderung mit europäischen Steuergeldmillionen nur an die israelischen Firmen und Organisationen vorübergehend einzustellen, die in Bereichen arbeiten, die ein Teil der militärischen und geheimdienstlichen Infrastruktur Israels sind und damit potenziell einen Beitrag zu den Kriegsverbrechen der israelischen Armee und Geheimdienste leisten könnten.

Wissen Herr Minister Wadephul und seine Mitarbeiter dies nicht? Es lässt sich innerhalb von Minuten leicht recherchieren. Oder betreibt er mit seinen Aussagen Augenwischerei und hofft, dass die gutgläubigen Bürger ihm schon glauben werden? Von den deutschen etablierten Medien wurden diese Darstellungen Wadephuls leider auch wenig hinterfragt.

Wir als EU unterstützen die Kriegsverbrechen Israels also nicht nur diplomatisch, politisch und militärisch, sondern finanzieren auch die Forschung und Entwicklung der Instrumente, mit denen sie begangen werden, mit. Immer mehr europäische Länder erkennen das verbrecherische Vorgehen Israels als solches an und leiten daher einen, wenn auch zögerlichen, Kurswechsel ein. So hat z.B. Belgien gerade die Anerkennung Palästinas und Sanktionen gegen Israel angekündigt.

Aber Deutschland isoliert sich durch seine „Standhaftigkeit“ immer weiter. Das wäre an sich kein Problem, wenn wir damit moralisch richtig handeln würden. Das tun wir aber nicht. Das Verhalten Deutschlands in Reaktion auf die Kriegsverbrechen Israels ist eine historische Schande.

Titelbild: paparazzza / Shutterstock

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