Die Antworten der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage zu Maßnahmen des Bundes gegen sogenannte „Desinformation“ geraten zu einem Offenbarungseid. Aus den Antworten ergibt sich unter anderem, dass die Bundesregierung auf Grundlage einer höchst fragwürdigen Definition die Finanzierung für Projekte mit Schwerpunkt „Desinformation“ in einem gigantischen Ausmaß gesteigert hat. Gefragt nach konkreten und aktuellen Fällen von „Desinformationskampagnen“, zeigt sich die Bundesregierung noch nackter als im Falle jenes Kaisers im legendären Märchen von Hans Christian Andersen. Von Florian Warweg.
Unter dem Titel „Desinformation – Politische Zielsetzungen und Maßnahmen der Bundesregierung im digitalen Meinungskampf“ hat die AfD-Fraktion, initiiert vom Büro des Bundestagsabgeordneten Martin Renner, der Bundesregierung insgesamt 37 Fragen zu dem Themenkomplex gestellt. Darunter sind Fragen nach der offiziellen Definition, finanziellen Aufwendungen und konkreten Beispielen von Desinformationskampagnen. In der Vorbemerkung zur Anfrage erklären die Autoren, dass diese klären soll, „wie die neue Bundesregierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz das Thema Desinformation bewertet“.
Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf „die grundsätzliche Frage der Verhältnismäßigkeit der staatlichen Maßnahmen“ und die Gefahr, dass das Thema Desinformation vor allem als Vorwand diene, „um in die öffentliche Debatte einzugreifen und unbequeme Meinungsäußerungen gezielt zu delegitimieren“.
Die Bundesregierung weist zunächst „die Verdächtigung der Fragesteller“ zurück und liefert dann die regierungsamtliche Definition von „Desinformation“:
„Desinformation als hybride Bedrohung bezeichnet falsche oder irreführende Informationen, die durch fremde Staaten, auch mittels nichtstaatlicher Akteure, mit dem Ziel der Destabilisierung von Staaten durch die Beeinflussung der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung verbreitet werden. Ziel ist es, das Vertrauen der Bevölkerung in unser demokratisches System und seine Institutionen zu untergraben, auf den politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess in Deutschland einzuwirken und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu schwächen.“
Das heißt, die Bundesregierung definiert „Desinformation“ offiziell ausschließlich als „ausländische Einflussnahme“, die sie im weiteren Verlauf der Antworten auch als „FIMI“ (Foreign Information Manipulation and Interference) bezeichnet. Dies ist höchst brisant, denn im weiteren Verlauf erklärt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang:
„Desinformationskampagnen sind ein klassisches Instrument fremder Nachrichtendienste.“
Damit macht die Bundesregierung die Rechnung auf: „Desinformation“ ist gleich „ausländische Einflussnahme“ ist gleich „ein Instrument fremder Nachrichtendienste“. Auf dieser Grundlage wird jeder Vorwurf der Desinformation umgehend in den Bereich „Spionage“ gerückt, und von dort aus ist es zum „Hochverrat“ nicht mehr weit.
Ähnlich erschreckend ist die Antwort der Bundesregierung auf die Frage nach den rechtlichen Grundlagen, mit denen die Bundesregierung „Maßnahmen gegen Desinformation“ rechtfertigt. Auf diese Frage gibt es keine konkrete Antwort, sondern nur den Verweis auf „die Antwort der Bundesregierung zu Frage 24 in der Bundestagsdrucksache 20/4948“.
Hinter dieser Drucksachennummer versteckt sich die Antwort der Bundesregierung von Dezember 2022 auf eine Kleine Anfrage in Bezug auf einen Behörden-Leak, den die NachDenkSeiten unter dem Titel „Dokumenten-Leak: Wie die Bundesregierung an einer „Narrativ-Gleichschaltung“ zum Ukraine-Krieg arbeitet“ exklusiv veröffentlicht hatten.
Die Antwort von 2022 „zu den Rechtsgrundlagen für die im Dokument genannten Maßnahmen gegen Desinformation“, auf die die Bundesregierung nun wieder referiert, könnte schwammiger kaum formuliert sein:
„Die Zuständigkeit und Rechtsgrundlage der Maßnahmen der Bundesregierung leiten sich insbesondere aus den Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und aus der Natur der Sache, hier Informationshandeln der Bundesregierung zu überregional relevanten Fragestellungen, ab. Sofern die unterschiedlichen Behörden einzelgesetzlichen Aufgabenzuweisungen unterliegen, sind diese einschlägig.“
Steigerung der Ausgaben im „Kampf gegen Desinformation“ um mehr als 450 Prozent
Eindrücklich ist der enorme Anstieg bei den Mittelzuwendungen der Bundesregierung im Themenfeld „Desinformation“. 2020 betrug das Fördervolumen „für Projekte mit dem Themenschwerpunkt Desinformation“ 4,9 Millionen Euro. Nur vier Jahre später finanzierte die Bundesregierung das Thema bereits mit 27,2 Millionen Euro – eine Steigerung um mehr als 450 Prozent. Der Betrag ist zudem mutmaßlich signifikant höher, weil sich das Auswärtige Amt im Gegensatz zu allen anderen Ministerien weigerte („nicht vertretbarer Aufwand“), eine Aufschlüsselung der Ausgaben zu diesem Themenfeld vorzulegen:
In diesem Zusammenhang ist auch die Antwort der Bundesregierung auf die Frage aufschlussreich, „welche zivilgesellschaftlichen Organisationen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) oder Stiftungen in staatliche Projekte oder Maßnahmen zur Bekämpfung von Desinformation“ eingebunden sind. In der Definitionslogik der Bundesregierung dürften diese sich ja nur „ausländischer Desinformation“ widmen. Die Bundesregierung nennt allerdings nur vier Organisationen, darunter zwei ausschließlich regional tätige: „Kulturbüro Sachsen“ sowie „Arbeit und Leben Thüringen“. Bundesweit tätige „zivilgesellschaftliche Organisationen zur Bekämpfung von Desinformation“ fördert die Bundesregierung nach eigener Darstellung nur zwei, darunter die wegen ihres tendenziösen und oft diffamatorischen Vorgehens hochumstrittene „Amadeu Antonio Stiftung“, gegründet von der langjährig als Stasi-Spitzel tätigen Anetta Kahane (IM-Vorgang V 55/74):
Bei „konkreten Beispielen für Desinformation“ ist die Bundesregierung komplett blank
Wie haltlos, faktenfrei und zugleich orwellianisch die Bundesregierung in ihrem vorgeblichen „Kampf gegen Desinformation“ agiert, wird spätestens bei der Antwort auf Frage 25, ob die Bundesregierung „konkrete, aktuelle Fälle von Desinformation oder Desinformationskampagnen“ benennen kann, deutlich.
Den einzigen Fall von „Desinformation oder Desinformationskampagnen“ in der Bundesrepublik Deutschland, den die Bundesregierung „konkret“ ausführt – ist jener der Medienplattform Red und ihres Chefredakteurs Hüseyin Doğru. Doch genau dieser Fall ist, darüber haben die NachDenkSeiten regelmäßig berichtet (hier, hier und hier), ein herbeifantasiertes Konstrukt der Bundesregierung, apropos „Desinformation“. Jeder einzelne Satz, den die Bundesregierung dazu vorbringt, lässt sich widerlegen.
Widerlegen lässt sich die Darstellung der Bundesregierung, weil Doğru über seine Anwälte am 1. September Zugang zum kompletten „evidence pack“ der EU erhalten hat – also den gesamten Beweisunterlagen für die angebliche Desinformationskampagne von Red, auf deren alleiniger (!) Grundlage die umfassenden Sanktionen gegen ihn und seine Medien-Plattform gerechtfertigt werden.
Am 3. September entschloss sich der Chefredakteur von Red, wenn ihm die EU auch untersagt, das „evidence pack“ zu veröffentlichen, so zumindest alle in dem „Beweismaterialpaket“ aufgeführten „Belege“ auf X der Öffentlichkeit in einem mehrteiligen Thread bekannt zu machen.
Das „Beweismaterial“ umfasst nach seiner Darlegung ausschließlich Tweets von seinem privaten X-Account sowie von Red Media. Darunter ein Tweet, in dem er sich über die Tatenlosigkeit deutscher Journalisten-Kollegen beschwert sowie zwei Tweets, in denen er sich kritisch mit dem Aufrüstungsdiskurs von Kanzler Merz auseinandersetzt. Als Beleg für die angebliche Desinformationskampagne von Red führt die EU z.B. zwei sogenannte Sharepics an. Einmal zum 3. Oktober 2024 sowie über die historisch belegte Rolle von ehemaligen Wehrmachtsoffizieren in späteren Führungspositionen der NATO:
Den NachDenkSeiten ist es durch eine Quelle in der EU-Administration ermöglicht worden, das „evidence pack“ des Ministerrates einzusehen. Wir können daher bestätigen, dass es sich bei den vom Red-Media-Chefredakteur aufgeführten Tweets und Sharepics tatsächlich um die einzigen „Belege“ für die „Desinformationskampagne“ handelt. Zudem werden neben den erwähnten Tweets im Beweismaterialpaket der EU noch zwei Zeitungsartikel mit Verdachtsberichterstattung als Belege (!) angeführt, einer von Oktober 2024 von der taz „Hybrider Krieg in Berlin“, sowie einer vom Tagesspiegel „Exklusiv – Verbindungen nach Moskau? Wer hinter den Videos von den Protesten gegen Israel steckt“.
Das heißt, in den „Belegen“ der EU (mutmaßlich zusammengetragen von Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes) findet sich weder das von der Bundesregierung behauptete „Attribuierungsverfahren“ noch irgendein anderer Beweis für die angebliche Verbindung „zur Regierung der Russischen Föderation“ oder „enge personelle und strukturelle Verflechtungen mit dem Staatsmedium der Russischen Föderation“. Auch die Behauptung, dass die auf Red verbreiteten Inhalte „gezielt zur gesellschaftlichen Destabilisierung und Diskreditierung Deutschlands“ eingesetzt würden, wird in dem „evidence pack“ nicht substantiiert.
Wie inhärent widersprüchlich und zugleich willkürlich die Bundesregierung in diesem Fall agiert, zeigt sich exemplarisch an dieser abschließenden Antwort auf die Frage 25 (Hervorhebungen FW):
„Der Effekt solcher Desinformationskampagnen lässt sich gegenwärtig nicht belastbar messen. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei solchen Kampagnen um konkrete Versuche (mutmaßlich) ausländischer Akteure, sowohl die Bundesregierung an sich als auch demokratische Vertreter und ihre Institutionen im In- und Ausland nachhaltig zu diskreditieren.“
Desinformationskampagnen sind ein klassisches Instrument fremder Nachrichtendienste. Die gezielte Verbreitung von Desinformation durch ausländische Akteure stellt eine zunehmende Bedrohung für die Innere Sicherheit, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die freiheitliche demokratische Grundordnung dar.
Fazit: Es ist die Bundesregierung höchstselbst, die hier als Desinformationsakteur agiert …
Titelbild: Screenshot von Drucksache 21/1970