Die EU hat in ihrem letzten Sanktionspaket vom 20. Mai gegen „destabilisierende Aktivitäten Russlands“ erstmals das linke Medienportal Red sowie dessen Chefredakteur mit weitreichenden Sanktionen belegt. Begründet wird das Ganze mit der Berichterstattung von Red über „gewaltsame Demonstrationen“ in Deutschland gegen das israelische Vorgehen in Gaza. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, ob die Bundesregierung wirklich den Standpunkt einnimmt, dass ab jetzt das journalistische Berichten über Pro-Palästina-Proteste „die Stabilität und Sicherheit in EU-Mitgliedsstaaten untergräbt“ und man damit indirekt „Handlungen der Regierung der Russischen Föderation unterstützt“. So lautet nämlich die wortwörtliche „Argumentation“ in der Sanktionierungsbegründung. Von Florian Warweg.
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Hintergrund
Einem breiteren Kreis ist bekannt, dass die derzeit in Russland lebenden deutschen Blogger und „Kriegskorrespondenten“ (so die Betitelung in der EU-Sanktionsliste) Alina Lipp und Thomas Röper wegen „Verbreitung russischer Propaganda-Narrative“ auf der neuen Sanktionsliste der EU stehen (die NachDenkSeiten berichteten). Weniger bekannt ist bisher, dass die EU auch den Deutsch-Türken und Chefredakteur des Medienportals Red, Hüseyin Doğru, auf die Sanktionsliste gesetzt hat. Dabei ist sein Fall in vielen Aspekten noch gravierender und mit weitreichenderen Folgen verbunden als die Sanktionierung von Lipp und Röper – sowohl was sein persönliches Schicksal (er lebt voll EU-sanktioniert in Deutschland), aber auch was die allgemeine Zukunft der Pressefreiheit in Deutschland und der gesamten EU angeht.
Berichte über propalästinensische Proteste sind jetzt „russische Desinformation“
Denn erstmals sanktioniert die EU, mutmaßlich auf Initiative der Bundesregierung, einen Chefredakteur und dessen Medium auf Grundlage des „Beschlusses (GASP) 2024/2643 über restriktive Maßnahmen angesichts der destabilisierenden Aktivitäten Russlands“ nicht wegen deren Berichterstattung zum Krieg in der Ukraine (Red hat diesbezüglich eine explizit russland-kritische Haltung), sondern weil deren Berichterstattung über Pro-Palästina-Proteste in Deutschland angeblich „unter seinem überwiegend deutschen Zielpublikum ethnische, politische und religiöse Zwietracht“ säen und damit „die Stabilität und Sicherheit in der Union sowie mehrerer ihrer Mitgliedstaaten untergraben und bedrohen“ würde. Der Zirkelschluss der EU-Bürokraten lautet dann, der Chefredakteur von Red würde mit Berichterstattung über angeblich gewaltsame Pro-Palästina-Proteste „Handlungen der Regierung der Russischen Föderation“ unterstützen, „indem er gewaltsame Demonstrationen indirekt unterstützt und erleichtert und koordinierte Informationsmanipulation betreibt“.
Die gesamte Begründung der EU für die Sanktionierung von Dogru und Red liest sich wie aus einem schlechten 1984-er Remake:
„RED hat seine Medienplattformen, auf denen es häufig unter ‚redstreamnet‘ oder thered.stream‘ veröffentlicht, genutzt, um systematisch falsche Informationen über politisch kontroverse Themen zu verbreiten, mit der Absicht, unter seinem überwiegend deutschen Zielpublikum ethnische, politische und religiöse Zwietracht zu säen, unter anderem durch die Verbreitung der Narrative über radikalislamische terroristische Gruppierungen wie die Hamas.
Während einer gewaltsamen Besetzung einer Universität in Deutschland durch anti-israelische Randalierer fanden Absprachen zwischen RED und den Besetzern statt, um Bilder des Vandalismus, auf denen auch Hamas-Symbole zu sehen waren, über die Online-Kanäle von RED zu verbreiten und den Besetzern so eine exklusive Medienplattform zu bieten und den gewaltorientierten Charakter des Protests zu erleichtern.
Über AFA Medya unterstützt Hüseyin Doğru daher Handlungen der Regierung der Russischen Föderation, die die Stabilität und Sicherheit in der Union und in einem oder mehrerer ihrer Mitgliedstaaten untergraben und bedrohen, einschließlich indem er gewaltsame Demonstrationen indirekt unterstützt und erleichtert und koordinierte Informationsmanipulation betreibt.“
Mit dieser Art der Argumentation, Berichterstattung über der Bundesregierung nicht genehme Proteste in Deutschland würde per se „indirekt Handlungen der Regierung der Russischen Föderation“ unterstützen, ließe sich ab jetzt bei Bedarf jede Art von kritischer Berichterstattung sanktionieren und kriminalisieren.
Die persönlichen Folgen: Kein Geld für Medikamente und Essen sowie keine Ausreisemöglichkeit aus Deutschland
Doğru, der mit drei Kindern zum Zeitpunkt der Sanktionierung in Deutschland lebte, findet sich wegen dieser umfassenden EU-Sanktionierung in einer geradezu ausweglosen Lage wieder. Er hat keinen Zugang mehr zu seinen Konten und darf Deutschland nicht verlassen. All dies, ohne dass es dafür irgendein Gerichtsurteil gegeben hätte. In einem X-Beitrag vom 23. Mai führte der Chefredakteur von Red aus, was die EU-Sanktionierung für konkrete Folgen für ihn hat:
I haven’t been charged with anything.
I haven’t stood trial.
I haven’t been found guilty of any crime.
I had no chance to defend my self.But the EU sanctioned me for my pro-Palestine journalism
and stripped me of all my rights.— H D (@hussedogru) May 23, 2025
„Ich bin keiner Straftat angeklagt worden.
Ich stand nicht vor Gericht.
Ich wurde keiner Straftat für schuldig befunden.
Ich hatte keine Möglichkeit, mich zu verteidigen.Aber die EU hat mich wegen meiner pro-palästinensischen Berichterstattung sanktioniert und mir alle meine Rechte entzogen.
Noch einmal: Ich wurde von keinem Gericht einer Straftat für schuldig befunden.
Aber ich darf keine Lebensmittel kaufen.
Ich darf keine Medikamente für meine Kinder kaufen –
nicht einmal eine Flasche Wasser, wenn sie durstig sind.
Ich darf keine Geschenke annehmen.
Ich darf nicht einmal ein Geschenk annehmen.Ich darf meinen Anwalt nicht bezahlen.
Ich darf das Land, in dem ich lebe, nicht verlassen.
Ich darf das Land, in dem ich lebe, nicht betreten.
Ich darf keine Arbeit annehmen.
Ich darf keine Zahlungen leisten.
Ich darf keine Zahlungen entgegennehmen.
Ich darf meine Miete nicht bezahlen.“
Man sollte all diese aufgezählten Konsequenzen im Hinterkopf haben angesichts der völlig empathielosen Aussagen und Ausreden des Auswärtigen Amts zu diesem Fall.
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 28. Mai 2025
Frage Warweg
Die EU hat in ihrem jüngsten Sanktionspaket vom 20. Mai erstmals das linke und in der Türkei ansässige Medienportal „red.“ sowie dessen Chefredakteur Hüseyin Doğru mit weitreichenden Sanktionen belegt. Begründet werden diese Sanktionen fast ausschließlich mit Verweis auf die Art der Berichterstattung über propalästinensische Proteste in Deutschland. Diese würden ethnische, politische und religiöse Zwietracht säen.
Da die von der EU angeführte Begründung fast ausschließlich auf die Rolle von „red.“ in Deutschland verweist, würde mich zunächst interessieren, ob die Entscheidung, ein Medienportal wie „red.“ und dessen Chefredakteur wegen der Berichterstattung zu Gazaprotesten zu sanktionieren, von der Bundesregierung ausging und diese „red.“ proaktiv auf die Sanktionsliste der EU hat setzen lassen. Die Frage geht vermutlich ans Auswärtige Amt.
Hinterseher (AA)
Herr Warweg, was ich Ihnen dazu sagen kann, ist, dass die Listungspakete von der Europäischen Union erstellt werden und wir uns zum Prozess und der Genese hier wie üblich nicht äußern.
Zusatzfrage Warweg
Irgendjemand muss ihnen die Infos ja zugetragen haben.
Das für die Sanktionierung angeführte Hauptargument ist der Vorwurf, „red.“-Journalisten hätten bei der mutmaßlich gewaltsamen Besetzung der Humboldt-Uni im April 2025 Absprachen mit propalästinensischen Protestlern getroffen, um so an Bildmaterial zu gelangen.
Nun ist das Berichten auch über gewaltsame Proteste journalistisches Tagesgeschäft. Mich würde interessieren, ob sich die Bundesregierung tatsächlich auf den Standpunkt stellt, dass ab jetzt das journalistische Berichten über gewaltsame Demonstrationen die Stabilität und Sicherheit in EU-Mitgliedsstaaten untergräbt und man damit in Folge Handlungen der Regierung der Russischen Föderation unterstützt. Das ist nämlich tatsächlich die wortwörtliche Begründung in dem EU-Sanktionstext. Berichterstattung über Gazaberichterstattung falle sozusagen zugunsten Russlands aus und nutze Russland indirekt. Jemanden dafür zu sanktionieren, das ist harter Tobak. Deswegen würde mich tatsächlich interessieren, wie sich das Auswärtige Amt zu solch einer Art medialer Repression durch die EU äußert.
Hinterseher (AA)
Herr Warweg, gar nicht, weil es ein gemeinsam beschlossenes Sanktionspaket ist. Ich denke, das bedarf keiner Erläuterung oder Einordnung durch die Bundesregierung. Es wurde von allen 27 EU-Mitgliedstaaten beschlossen.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 28.05.2025
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