„Würden Minister ihre Kinder in den Krieg schicken?“ Diese Frage hat gerade die Berliner Zeitung allen Mitgliedern der Bundesregierung gestellt. Was dabei herauskam, war zwar erwartbar, aber dennoch: Sehr gut, dass das Blatt mit der Frage an die Minister herangetreten ist. Den Bürgern kann es nicht oft genug gesagt werden: Schon immer haben „feine“ Damen und Herren vor den Kameras von der Notwendigkeit eines Krieges gesprochen, von Verteidigung und Kampf. Nur: Nicht sie selbst sind es, die ihr Leben lassen oder traumatisiert und verstümmelt aus dem Krieg zurückkommen. Es sind die Söhne und Töchter der anderen. Die Reaktionen und Nichtreaktionen der Minister lassen tief blicken – während sie selbst das politische Großvorhaben Kriegstüchtigkeit forcieren. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
Friedrich Merz ist als Hardliner in Sachen Russlandpolitik bekannt. Markig sprach er vor einer Weile bei einem Auftritt vor einem braven Publikum über Freiheit und Frieden und sagte: „Frieden gibt es auf jedem Friedhof.“ Wie steht wohl ein Mann, der sich so positioniert, dazu, wenn es um die eigenen Kinder geht, die in einem Krieg für die „Freiheit“ kämpfen sollen? Und wie denken die anderen Mitglieder der Bundesregierung über diese Frage? Schließlich: Alle tragen das Unternehmen Kriegstüchtigkeit mit. Alle wollen den als „Aufwuchs“ bezeichneten Ausbau der Bundeswehr aufgrund der angeblichen „Bedrohungslage“. Die Berliner Zeitung beweist journalistischen Verstand und adressiert folgende Frage an die Minister:
„Würden Minister ihre Kinder in den Krieg schicken?“
Bravo! Richtig so! Denn auch wenn jeder sich die Antworten denken kann: Sollen die Verantwortlichen für die politische Bankrotterklärung „Zeitenwende“ ruhig einmal ausdrücklich mit dieser sehr zentralen Frage konfrontiert werden. Ohnehin sind Politiker, die meinen, das Land, für das sie Regierungsverantwortung übernommen haben, solle kriegstüchtig werden, der Öffentlichkeit gleich eine ganze Reihe an Antworten schuldig.
Auf die Anfrage der Berliner Zeitung folgt das, was sich die Politik immer wieder bei kritischen Anfragen erlaubt. Ein kläglicher Tanz um die Frage herum. Antworten, ohne zu antworten – die Pressestellen der Politik verstehen sich darauf. Die Berliner Zeitung berichtet, das Kanzleramt habe mitgeteilt, dass Merz sich „im Interview bei Pinar Atalay“ geäußert habe. Die Zeitung merkt an: „Tatsächlich sagte er dort auf die Frage ‚Empfehlen Sie Ihrem Enkel den Wehrdienst?‘: ‚Wenn er mich danach fragen würde – ja, ich hätte keine Einwände, wenn meine Kinder oder Enkelkinder Wehrdienst leisten würden.‘“
Die Berliner Zeitung hakte nach, doch auf ihre Frage, „ob er es auch für richtig hielte, wenn seine Kinder im Kriegsfall – etwa in einem Konflikt mit Russland – kämpfen müssten, antwortete der Kanzler nicht“.
Wir alle wissen: Keine Antwort ist auch eine Antwort. Dass auf diese zentrale Frage von jener Person, die massiv in der Öffentlichkeit für die „Verteidigungsfähigkeit“ eintritt, ein lautes Schweigen zu vernehmen ist, zeigt unmissverständlich, woher der Wind weht.
Der Wind kommt aus jener Richtung, aus der der Wind immer weht, wenn Politiker Kriegstrommeln schlagen und meinen, „wir“ müssten „uns“ gegen einen möglichen Angriff eines angeblich so bösen äußeren Feindes wappnen. Selbstverständlich für Freiheit, Frieden, Demokratie – und wie die hehren Motivationsziele alle so heißen, unter denen die naiven Teile der Öffentlichkeit im Falle eines Falles auf die Schlachtfelder geführt werden sollen.
Die Reaktion oder Nichtreaktion von Merz, aber auch der anderen Minister zeigt: Wie in jedem Krieg sind diejenigen, die am lautesten von Verteidigung sprechen, diejenigen, die samt ihrer Liebsten vom Grauen des Krieges verschont bleiben werden. Politiker, deren Entscheidungen unter dem Strich über Krieg und Frieden entscheiden, deren Entscheidungen gegebenenfalls Hunderttausende oder gar Millionen Soldaten zum Kampf in den Krieg schicken, werden ganz schmallippig, wenn es um ihre Haut oder die ihrer Nächsten geht.
Gewiss, das ist erwartbar. Keiner möchte, dass der eigene Sohn plötzlich ohne Beine oder die eigene Tochter ohne Arme ist. Allerdings: Diese Politiker, die zur Kriegstüchtigkeit aufrufen, die aufrüsten, die am langen Ende möglicherweise sogar den „Verteidigungsfall“ ausrufen, verfügen als Weichensteller über Privilegien, über die die normalen Bürger nicht verfügen. Sie selbst, die politischen Entscheider, werden nie an die Front zum Kampf geschickt. Schließlich: Sie werden in der bequemen Position sein, zu Hause, an der geistigen Heimatfront, mit Worten vom warmen Sessel im Fernsehstudio aus zu agieren. Und während die Söhne und Töchter der gemeinen Bürger vielleicht sogar per Los zum Wehrdienst eingezogen werden sollen und im Ernstfall ohnehin „ran müssen“, verfügen Politiker über Mittel und Wege, den eigenen Nachwuchs in Sicherheit zu bringen.
In dem Song „Fortunate Son“ der US-amerikanischen Band Creedence Clearwater Revival ist das uralte Phänomen mit viel Kraft besungen. „Einige Leute sind mit dem silbernen Löffel in der Hand geboren“, heißt es in dem Liedtext und dann ergänzt der Sänger John Fogerty mit den Worten: „Yeah, einige Leute haben sternengesprenkelte Augen. Sie schicken Dich in den Krieg. Und wenn Du sie fragst: ‚Wie viel sollen wir geben?‘, ist ihre einzige Antwort: ‚Mehr, mehr, mehr‘.“ Im Refrain singt Fogerty: „Das bin nicht ich, das bin nicht ich. Ich bin kein Sohn eines Millionärs. Das bin nicht ich. Das bin nicht ich. Ich bin kein glücklicher Sohn.“
Die Antworten der Minister lassen erkennen: Ihre Kinder dürften kaum zu den „Unglücklichen“ zählen.
Boris Pistorius, der ebenfalls zu den Hardlinern der Russlandpolitik zählt, beantwortet die Frage nicht. Die Berliner Zeitung schreibt: „Auf die persönliche Haltung von Minister Boris Pistorius zum möglichen Einsatz der eigenen Kinder ging das Haus [Verteidigungsministerium] nicht ein.“
Innenminister Alexander Dobrindt ließ mitteilen, dass er sich „zu Fragen, die sein privates Umfeld betreffen, grundsätzlich nicht äußert“, so die Zeitung. Arbeitsministerin Bärbel Bas wollte kein Zitat beisteuern und Justizministerin Nina Warken ebenso nicht.
Einzig Bildungsministerin Karin Prien ließ sich auf die Frage ein und redete etwas davon, dass es sich lohne, „unsere Freiheit zu verteidigen“. Von ihren beiden Söhnen habe sich einer entschieden, den Wehrdienst zu leisten. „Ob sie dann auch in einen Einsatz gehen würden, entscheiden sie zunächst einmal selbst. Ist die liberale Demokratie in Gefahr, braucht es eben auch den Mut der Jugend“, so die Ministerin laut der Berliner Zeitung. Die Antwort von Prien ist nicht überzeugend, sondern politisch erwartbar.
Im Netz findet sich eine Aussage, die angeblich von dem russischen General Alexander Lebed stammen soll. Sie lautet: „Lassen Sie mich eine Kompanie aus den Kindern der Elite rekrutieren und der Krieg wird an einem Tag vorbei sein.“
So ist es!
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