Überall Schlossallee: Studieren in Deutschland nur noch auf teuerstem Pflaster

Überall Schlossallee: Studieren in Deutschland nur noch auf teuerstem Pflaster

Überall Schlossallee: Studieren in Deutschland nur noch auf teuerstem Pflaster

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Wie jedes Mal zum Semesterstart stehen noch zahllose Studenten ohne Bleibe da. Öffentliche Heimplätze gibt es viel zu wenige, und auf dem freien Markt herrscht Hauen und Stechen. Wer‘s hat, blättert in München 900 Euro für ein WG-Zimmer hin oder 320 Euro für ein Wohnklo in Freiburg. Mittlerweile gelten drei Viertel der allein lebenden Hochschüler als „armutsgefährdet“, und es könnten noch mehr werden. Abhilfe durch die Bundesregierung lässt auf sich warten. Die zuständige Ministerin denkt lieber an Mondmissionen. Von Ralf Wurzbacher.

Gut 35 Prozent aller Studierenden in Deutschland leben in Armut. Sie verfügen über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens, viele liegen weit darunter. Die entsprechenden Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) stammen aus dem Jahr 2023 und dürften schon wieder überholt sein. Eine Hauptursache der Misere: Als Student muss man horrende Kosten fürs Wohnen hinblättern, verhältnismäßig mehr als der große Rest der Bevölkerung. Für ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft (WG) werden gemäß einer Analyse des Moses Mendelssohn Instituts (MMI) aktuell im Schnitt 505 Euro fällig, vielerorts ist es noch um vieles teurer. In München bewegt sich die Spanne zwischen 700 und 900 Euro inklusive Nebenkosten. Quadratmeterpreise von 30 Euro und mehr (Kaltmiete) sind speziell in Großstädten und Ballungsgebieten keine Seltenheit.

Insbesondere außerhalb des Elternhauses wohnende Hochschüler befinden sich vielfach in bedrückender Lage. Von ihnen galten vor zwei Jahren 77 Prozent als „armutsgefährdet“, wie der gängige Euphemismus für „arm“ lautet. In der Gesamtbevölkerung betrifft dies „nur“ 14 Prozent. Allein lebende Studierende gaben im Vorjahr 54 Prozent ihres verfügbaren Haushaltseinkommens fürs Wohnen aus, wie die Wiesbadener Statistiker Ende August vermeldeten. Fast zwei Drittel von ihnen (64 Prozent) gelten deshalb als „überbelastet“. Davon spricht man, sobald die Wohnausgaben auch nach Abzug erhaltener wohnungsbezogener Transferleistungen noch über 40 Prozent hinausgehen. Im Durchschnitt aller Bürger der BRD betrug die Wohnkostenbelastung 25 Prozent (Ausgaben versus Einkommen) und der Anteil derer, die als überbelastet geführt wurden, lag bei zwölf Prozent.

Soziale Auslese

Für viele und immer mehr wird ein Studium zu einer Frage der Existenz. Was bleibt jemandem noch zum Leben – Ernährung, sonstige Anschaffungen, Freizeitgestaltung –, wenn allein ein Dach über dem Kopf mehr als die Hälfte des Budgets auffrisst? Nach Destatis-Angaben brachte es die Hälfte der Studenten mit eigener Haushaltsführung zuletzt auf ein Nettoäquivalenzeinkommen von weniger als 930 Euro pro Monat. 46 Prozent davon (bei 54 Prozent Wohnkostenbelastung) entsprechen knapp 428 Euro. Bei den seit Jahren immens gestiegenen Preisen in allen Lebensbereichen erfordert es eine ausgeprägte Verzichtsfähigkeit, um damit über die Runden zu kommen.

„Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum droht die Bildungsgerechtigkeit auszuhebeln“, beklagte in der Vorwoche das Deutsche Studierendenwerk (DSW). „Nicht mehr Talent und Interesse entscheiden über die Wahl der Hochschule, sondern die Höhe der Miete“, äußerte sich Verbandschef Matthias Anbuhl. Anlass war die Vorlage des „Studentenwohnreports 2025“ des Finanzberatungsunternehmens MLP. Gemäß der Erhebung haben die Kosten für WG-Zimmer und kleinere Wohnungen im Vergleich zum Vorjahr um weitere 2,3 Prozent zugelegt. Nach einem Plus von 5,1 Prozent im Jahr davor (gegenüber 2023) erscheint der Zuwachs zwar moderat, von Entspannung kann nach Auskunft der Studienautoren trotzdem keine Rede sein.

„Unsere Wut staffelt sich“

In Hochschulstädten treffe hohe Nachfrage auf zurückgehende Bautätigkeit, steigende Kosten, lange Genehmigungen und komplexe Standards bremsten zusätzlich die Entstehung neuen Wohnraums, befand Michael Voigtländer, Immobilienexperte am Institut der deutschen Wirtschaft (IW), das die Untersuchung mitveröffentlicht hat. „Der finanzielle Druck wächst, Studierende spüren das besonders.“ Die Ergebnisse seien „alarmierend“, bilanzierten die SPD-nahen Juso-Hochschulgruppen. „Pünktlich zum Semesterstart zeigt sich, dass ohne tiefgreifende politische Reformen Wohnen für viele Studierende zur Armutsfalle wird“, monierte Bundesvorstandsmitglied Lisa Heidenreich. Überschrieben war die Pressemitteilung mit: „Unsere Wut staffelt sich wie unsere Mieten!“

Einmal mehr gibt es dieser Tage aus allen Landesteilen Berichte von Studienanfängern, die trotz erfolgtem oder bevorstehendem Semesterstart noch ohne Bleibe dastehen und deshalb in Notunterkünften oder bei Freunden unterkommen müssen. Laut DSW warten derzeit bei elf der bundesweit 57 Studierendenwerken rund 33.000 junge Menschen auf einen Wohnheimplatz. Eigentlich lässt sich nur noch dort und in ein paar wenigen ostdeutschen Studienstädten einigermaßen erschwinglich wohnen.

Am Essen sparen

Auf dem freien Markt herrschen dagegen ein knallharter Ausscheidungswettbewerb und das Recht des Stärkeren: Wer mehr hat, gewinnt. Wie so oft stoßen sich einige wenige an der Not der vielen gesund. Wie Pilze schießen Privatwohnheime, vor allem in Hotspots wie Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt (Main), Stuttgart und München aus dem Boden, die All-Inclusive-Apartments zu Mondpreisen feilbieten. Grenzen nach oben gibt es nicht – „Wenn die Studentenwohnung 2.600 Euro Miete kostet“ –, so wenig wie nach unten – „Junge Frau lebt in 7-Quadratmeter-Zimmer“ für 320 Euro.

Gegen all das unternimmt die Politik wenig bis gar nichts. Zwar zeigen manche Bundesländer sowie auch der Bund inzwischen Bemühungen, den öffentlichen Wohnheimbau anzukurbeln. Das reicht aber längst nicht, die Versäumnisse der Vergangenheit wettzumachen. Im Rahmen der letzten Novelle des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) vom Herbst 2024 wurde die Wohnpauschale für außerhalb vom Elternhaus wohnende Studierende von 360 auf 380 Euro angehoben. Nach der MMI-Studie ist dafür in 70 der 88 untersuchten Städte „kaum ein gewöhnliches Zimmer“ verfügbar. Laut der MLP-Auswertung lasse sich damit „nur in Bochum, Magdeburg und Chemnitz eine 30-Quadratmeter-Musterwohnung (warm) komplett bezahlen“. Wo das nicht so ist, also praktisch überall, muss Student die Differenz aus eigener Tasche begleichen. Damit schnurrt das häufig ohnehin schmale Budget noch mehr zusammen. Man wohnt sich arm und spart dafür am Essen.

BAföG am Boden

Studentenvertreter, das DSW und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordern schon lange eine regionale Staffelung des BAföG-Mietzuschusses, wie dies beim Wohngeld gehandhabt wird. Davon will die Bundesregierung nichts wissen, im Koalitionsvertrag von Union und SPD wird lediglich eine Erhöhung der Pauschale auf 440 Euro avisiert. Allerdings soll der Schritt erst im Wintersemester 2026/27 erfolgen, wobei die Mieten bis dahin noch einmal um fünf bis zehn Prozent aufschlagen könnten. Dazu kommt, dass ohnehin die wenigsten etwas davon hätten. Die Zahl der Leistungsempfänger war im zurückliegenden Jahr auf den niedrigsten Stand seit dem Jahr 2000 gesunken. Nur noch etwas mehr als elf Prozent aller rund 2,9 Millionen Studierenden erhalten derzeit eine Förderung. Viele eigentlich Anspruchsberechtigte verzichten auf die Unterstützung, weil die Beantragung sehr aufwändig, der Ertrag gering ist und sie sich nicht verschulden wollen. Die Hälfte der erhaltenen Zuwendungen bis zu einem Maximalbetrag von knapp über 10.000 Euro muss nach dem Studium zurückerstattet werden.

Die Rückkehr zum BAföG als Vollzuschuss – nach dessen Einführung unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) über ein Jahrzehnt lang Usus – wäre das probate Mittel, der in Jahrzehnten entwerteten Sozialleistung zu neuer Kraft zu verhelfen. Aber auch das kommt für Schwarz-Rot nicht infrage. Hoffnung macht allenfalls die Ankündigung, die Bedarfssätze an das Bürgergeld anzupassen. Allerdings soll dies in einem ersten Schritt 2027 passieren und erst 2028 vollendet sein. Bis dahin kann noch manches passieren, was der Regierung die Pläne durchkreuzt und die allgemeine Wohnungsnot weiter verschärft.

Dorothee zum Mond

Und was macht bei all dem Bundesforschungs- und Raumfahrtministerin Dorothee Bär (CSU)? Die träumt davon, „Frauen auf den Mond“ zu schießen. Das hat noch gefehlt: eine kosmische Außenstelle der Schlossallee.

Titelbild: The Image Party / Shutterstock.com