Gazakrieg – Italien und Spanien demonstrieren, Deutschland schweigt

Gazakrieg – Italien und Spanien demonstrieren, Deutschland schweigt

Gazakrieg – Italien und Spanien demonstrieren, Deutschland schweigt

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Als am Freitag die Boote der „Global Sumud Flotilla“ von der israelischen Armee abgefangen und die Aktivisten festgenommen wurden, nahm man dies in Deutschland eher beiläufig zur Kenntnis. Ganz anders fiel die Reaktion in anderen europäischen Ländern aus. In spanischen Städten kam es zu Massenprotesten, in Italien riefen die Gewerkschaften gar zu einem Generalstreik auf, bei dem zwei Millionen Menschen in zahlreichen Städten bei Protesten ihre Solidarität mit Gaza und ihre Kritik an Israel kundtaten. Die Unterschiede sind erstaunlich: Glaubt man den Umfragen, sehen die Deutschen Israel nämlich nahezu genau so kritisch wie die Spanier und die Italiener. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Es gibt einige Themen, bei denen die große Mehrheit der Bevölkerung Positionen vertritt, die sich fast diametral von der Position der Bundesregierung unterscheiden und die auch von der parlamentarischen Opposition anders gesehen werden. Das Themenfeld Israel/Gaza nimmt jedoch bei der „Repräsentationslücke“ einen ganz besonderen Rang ein. So findet sich bei den im Bundestag vertretenen Parteien beispielsweise immer noch fast niemand, der den Völkermord in Gaza auch klar als Völkermord bezeichnet.

Das ist erstaunlich, vertreten doch mehr als 60 Prozent aller Deutschen in Umfragen die Position, dass man das Vorgehen Israels in Gaza als Völkermord bezeichnen kann. Bei Anhängern der Linkspartei sind es fast 80 Prozent. Dennoch wurde der Begriff von den Spitzen der Linkspartei bis vor wenigen Tagen als Tabu behandelt und erst jetzt scheint sich die Partei zu einer kritischen Linie gegenüber Israel durchzuringen. Besser spät als nie? Bei anderen Parteien wie der SPD oder den Grünen, bei denen auch mehr als 70 Prozent der Anhänger das Vorgehen Israels als Völkermord bezeichnen, ist Israelkritik nach wie vor tabuisiert. Von den rechten Parteien müssen wir in diesem Kontext erst gar nicht reden; obgleich der Völkermord-Begriff sogar von CDU- und AfD-Wählern mehrheitlich für zutreffend gehalten wird, auch wenn deren Parteien klar hinter der israelischen Politik stehen.

Generell hat sich das Israel-Bild der Deutschen durch die Kriegsführung in Gaza massiv verschlechtert. Heute sehen nur noch 19 Prozent der Deutschen Israel in Umfragen als eher oder sehr positiv, während 67 Prozent Israel eher oder sehr negativ sehen. Vor dem Gazakrieg hielten sich positive und negative Sichtweise noch nahezu die Waage.

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Ländervergleich. Hier zeigt sich, dass die „Israel-Linie“ der nationalen Regierung europäischer Staaten weitestgehend losgelöst von der öffentlichen Stimmung ist. Es ist zwar in der Tat so, dass beispielsweise die Spanier Israel in der Tat etwas negativer sehen als die Deutschen. Große Unterschiede gibt es hier jedoch nicht. In sämtlichen europäischen Staaten ist der Anteil der Bürger, die heute ein negatives Bild von Israel haben, deutlich größer als der Anteil derer, die Israel nach wie vor positiv sehen.

Diese Zahlen laden förmlich zur Debatte ein. In Deutschland sieht die übergroße Mehrheit Israel kritisch, die Politik steht jedoch hinter Israel, und auf den Straßen ist es vergleichsweise ruhig. In Italien sieht die übergroße Mehrheit Israel ebenfalls kritisch und die Politik steht ebenfalls hinter Israel, hier gibt es jedoch auf der Straße Massenproteste, die sich gegen Israel und die eigene Regierung stellen. In Spanien wiederum vertritt neben der übergroßen Bevölkerungsmehrheit auch die Politik eine israelkritische Haltung und auch hier gibt es Massenproteste auf der Straße, die jedoch anders als Italien nicht gegen die eigene Regierung, sondern gegen Israel gerichtet sind. Eckart Leiser hatte erst vor wenigen Wochen dazu einen Gastartikel auf den NachDenkSeiten verfasst. Was ist der Grund für diese unterschiedlichen Entwicklungen?

Eine Erklärung dürfte die gesellschaftliche Akzeptanz der Israelkritik sein. Nehmen wir hier Spanien als Beispiel. Hier ist Kritik an Israel und an dessen Völkermord in Gaza im Mainstream verankert. So hat beispielsweise der weltberühmte spanische Fußballtrainer Pep Guardiola am Freitag öffentlich für die Teilnahme an den Demonstrationen in Barcelona geworben.

Guardiola trainiert seit 2016 den englischen Spitzenclub Manchester City und nahm dort auch in der Vergangenheit in Sachen „Gaza“ kein Blatt vor den Mund. Zuvor war er beim deutschen Spitzenclub Bayern München unter Vertrag. Man stelle sich nur die Reaktionen von Politik und Medien in Deutschland vor, wenn er sich als Bayern-Trainer in dieser Form geäußert hätte. Seinen Job wäre er wohl losgeworden.

Hierzulande werden ja sogar Konzerte von Rappern abgesagt, nur weil sie sich mit dem „falschen“ T-Shirt mit den Palästinensern solidarisieren. Und immer schwingt dabei der „Antisemitismus-Vorwurf“ mit, der in Deutschland aufgrund unserer Geschichte natürlich besonders wirkmächtig ist.

Die Zahlen zeigen jedoch auch – und das ist sogar überraschend -, dass das politisch-mediale Framing seine Wirkmacht mehr und mehr verliert. Wenn sogar mehr als 70 Prozent der Grünen-Wähler den Begriff „Völkermord“ im Gaza-Kontext für zutreffend halten, zeigt dies vielmehr, dass die unzähligen Kommentare und Leitartikel, die Gegenteiliges suggerieren, entweder nicht gelesen oder nicht geteilt werden. Das ist gut so. Weniger gut ist jedoch, dass die politischen Konsequenzen ausbleiben.

Offenbar haben wir mittlerweile sogar schon den Anspruch verloren, dass die von uns gewählten Parteien unsere Positionen vertreten und sogar umsetzen. Die Mehrheit war gegen die Corona-Maßnahmen; die Politik hat die Maßnahmen umgesetzt, verschärft und verlängert. Die Mehrheit ist für Frieden, die Politik rüstet auf, liefert Waffen und konstruiert Bedrohungsszenarien. Die Mehrheit kritisiert Israels Völkermord, die Politik blockt auf internationaler Ebene jegliche spürbare Konsequenz für Israel. Es ist was faul im Staate Deutschland. Und diesmal taugt noch nicht einmal das verbale Totschlagargument „AfD“ etwas – denn wenn es um Israel geht, passt zwischen Regierung und AfD kein Blatt; nur dass dies hier offenbar niemanden stört.

Titelbild: Protest in Venedig am 3. Oktober 2025 – Renato Murolo 68/shutterstock.com

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