Polen verweigert Auslieferung von Nord-Stream-Terrorverdächtigem – wie reagiert die Bundesregierung?

Polen verweigert Auslieferung von Nord-Stream-Terrorverdächtigem – wie reagiert die Bundesregierung?

Polen verweigert Auslieferung von Nord-Stream-Terrorverdächtigem – wie reagiert die Bundesregierung?

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Der polnische Premier Donald Tusk hatte am 7. Oktober öffentlich erklärt, dass es nicht im Interesse Polens sei, den auf Basis eines europäischen Haftbefehls festgenommenen Ukrainer Vladimir Z., der laut Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft (GBA) aktiv an der Sprengung der zivilen Infrastruktur Nord Stream beteiligt war, an Deutschland auszuliefern. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund unter anderem wissen, wie die Bundesregierung diesen Vorgang, der ja auch mit einem Bruch der Gewaltenteilung einhergeht, bewertet. Zudem kam die Frage auf, was für Konsequenzen die Bundesregierung aus dem bisher bekannten Ermittlungsstand der GBA zieht, der auf eine Involvierung hochrangiger staatlicher ukrainischer Akteure mit CIA-Verbindung bei dem Terroranschlag gegen das Pipelinesystem hindeutet. Von Florian Warweg.

Hintergrund

Im Rahmen einer Pressekonferenz am 7. Oktober erklärte der polnische Premierminister Donald Tusk, es sei nicht im Interesse Polens, den am 30. September in Warschau auf Grundlage eines von der Bundesanwaltschaft erwirkten europäischen Haftbefehls festgenommenen Ukrainer Vladimir Z. nach Deutschland auszuliefern. Weiter verkündete er in diesem Zusammenhang:

„Das Problem Europas, der Ukraine, Litauens und Polens ist nicht, dass Nord Stream 2 gesprengt wurde, sondern dass es gebaut wurde.“

Diese Aussage wiederholte er dann noch in englischer Sprache auf seinem offiziellen X-Kanal:

Zuvor hatte sich die Bundesanwaltschaft in einer Pressemitteilung noch optimistisch gegeben, was eine baldige Auslieferung des Tatverdächtigen angeht:

„Der Beschuldigte wird nach einer Überstellung aus Polen dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt.“

Von der Bundesregierung gab es zunächst keinerlei proaktive Reaktion auf die provokanten Äußerungen des polnischen Premiers. Dass es auch anders geht und man durchaus selbstbewusst Tusk in seine Schranken weisen könnte, zeigt das Beispiel des ungarischen Außenministers Péter Szijjártó. Dieser nahm direkt Bezug auf die Aussagen des polnischen Regierungschefs und erklärte diesbezüglich:

„Laut Donald Tusk ist die Sprengung einer Gaspipeline akzeptabel. Das ist schockierend, denn man fragt sich, was sonst noch als verzeihlich oder gar lobenswert gelten könnte. Eines ist klar: Wir wollen kein Europa, in dem Ministerpräsidenten Terroristen verteidigen.“

Wie die Berliner Zeitung berichtet, soll Polens Außenminister Radoslaw Sikorski sogar erwägen, dem tatverdächtigen Ukrainer politisches Asyl und einen Orden für die Sprengung von Nord Stream zu verleihen. Sollte dies zutreffen, wäre das ein ungeheurer Affront gegenüber Deutschland und eine explizite Belohnung für die Durchführung eines Terroranschlags. Davon abgesehen fällt weder die Erteilung von Asyl noch Orden in die Kompetenzen des polnischen Außenministers. Ein Außenminister, der zuvor noch, damals noch in der Rolle als EU-Abgeordneter, den USA für die Zerstörung von Nord Stream öffentlich gedankt hatte:

Vor diesem Hintergrund sollte man sich noch einmal vergegenwärtigen, dass der Terror-Anschlag gegen Nord Stream, und nichts anderes ist die aktive Sprengung von ziviler Infrastruktur, als der größte Sabotageakt in der Geschichte Europas gilt. Deutsche Konzerne hatten rund acht Milliarden Euro in Nordstream 1 und 2 investiert. Allein der Bau der Pipeline Nord Steam 2 sorgte laut einer Dokumentation der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages von 2024 für über 24.000 Arbeitsplätze in Deutschland.

Sowohl die bisher bekannt gewordenen Ermittlungsergebnisse der GBA als auch Recherchen des Nachrichtenmagazins SPIEGEL deuten darauf hin, dass hochrangige staatliche ukrainische Akteure mit Verbindungen zum US-Auslandsgeheimdienst CIA in den Terroranschlag involviert waren.

„Die Verantwortlichen für den größten Sabotageakt in der Geschichte Europas, darauf deutet vieles hin, waren alles in allem etwa ein Dutzend Männer und eine Frau aus der Ukraine. Einige sind Zivilisten, andere Soldaten. Sie wurden angeheuert und ausgebildet von einer Gruppe, die über Jahre immer wieder Geheimoperationen für den ukrainischen Sicherheitsapparat plante und durchführte. Manche der Täter haben weit in die Vergangenheit reichende Verbindungen zur CIA.“

Was für Konsequenzen im Umgang mit der Ukraine zieht die Bundesregierung aus diesen Erkenntnissen? Keine:

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 8. Oktober 2025

Frage Lejman (Deutschlandkorrespondent TV Polsat News)
Herr Kornelius, wie zuversichtlich ist die Bundesregierung, dass Wolodymyr Z. von Polen nach Deutschland ausgeliefert wird? Ich frage nicht nur unter juristischem Aspekt, sondern auch politisch. Anders als in Deutschland wird dieser Fall in Polen nicht unbedingt gesellschaftlich und politisch als Sabotage betrachtet.

Regierungssprecher Kornelius
Sie wissen, dass das ein Verfahren ist, das beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe liegt. Er führt die Ermittlungen; diese Ermittlungen laufen. Die Bundesregierung ist nicht Teil dieser Ermittlungen, deswegen werde ich mich nicht dazu äußern.

Zusatzfrage Lejman
Laufen schon irgendwelche diplomatischen Kanäle parallel zu diesen Ermittlungen?

Kornelius
Die Justiz arbeitet in dieser Frage unabhängig.

Frage Esipov (Deutsche Welle)
Der polnische Ministerpräsident Tusk hat gestern gesagt, das Problem von Nord Stream sei nicht, dass es gesprengt wurde, sondern dass es gebaut wurde. Wie bewerten Sie diese Aussage?

Kornelius
Die Aussage haben wir zur Kenntnis genommen. Wir kommentieren sie nicht. Die Bundesregierung hat, wie gesagt, ein hohes Interesse daran, dass die Hintergründe juristisch aufgeklärt werden, und dazu müssen wir jetzt auch die Entscheidung der polnischen Justiz abwarten.

Zusatzfrage Esipov
Wie kommentieren Sie denn das, was im September 2022 mit Nord Stream passiert ist?

Kornelius
Meinen Sie die Sprengung? – Ich verweise auf das, was die Bundesregierung damals kommentiert hat. Ich sehe heute keinen Anlass, diesen Vorfall noch einmal zu kommentieren.

Frage Warweg
Ich versuche es auch noch einmal. Mich würde interessieren, wie die Bundesregierung denn die Weigerung des polnischen Premiers, den wegen des Terroranschlags gesuchten Tatverdächtigen Wolodymyr Z. auszuliefern, auch vor dem Hintergrund bewertet, dass das ja eigentlich eine Angelegenheit zwischen der deutschen und polnischen Judikative sein sollte.

Kornelius
Aus unserer Sicht ist das ein Vorgang, der bei der deutschen Justiz und der polnischen Justiz liegt, und insofern würde ich ihn auch dort belassen. Was andere dazu kommentieren, habe ich nicht zu kommentieren.

Zusatzfrage Warweg
Der erwähnte Terroranschlag gegen die Nord-Stream-2-Pipelines, in die deutsche Konzerne ja alleine schon acht Milliarden Euro investiert hatten, gilt als der größte Sabotageakt der europäischen Geschichte und ein Terroranschlag, bei dem laut GBA – – – Ich habe gerade nur den „SPIEGEL“ zitiert.

Kornelius
Ja, ich weiß, dass Sie wieder den Kontext liefern. Ich danke Ihnen sehr!

Zusatzfrage Warweg
Auf jeden Fall impliziert ja der bisherige Kenntnis- und Ermittlungsstand des Generalbundesanwalts, dass hochrangige staatliche ukrainische Akteure in die Sprengung involviert waren. Da würde mich interessieren, was die Bundesregierung denn an Konsequenzen im Umgang mit der Ukraine zumindest einmal antizipiert oder in Vorbereitung hat, falls sich das bestätigen sollte.

Kornelius
Die Erkenntnisse, die Sie zitieren, sind der Bundesregierung in diesem Detail nicht bekannt, und deswegen will ich sie auch nicht kommentieren. Die Beziehungen der deutschen Regierung zur ukrainischen Regierung sind exzellent. Sie wissen, dass Deutschland der wichtigste Unterstützer der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Aggression ist. Daran wird sich nichts ändern.

Frage Küfner (Deutsche Welle)
Herr Kornelius, ich würde auch gerne noch einmal nachfragen wollen. Donald Tusk hat gesagt, es sei schlicht nicht im Interesse Polens, die Festgenommenen hinsichtlich Nord Stream 2 an Deutschland auszuliefern. Deswegen die Frage an Sie: Ist es denn im deutschen Interesse, dass sie ausgeliefert werden?

Frau Beckfeld, könnten Sie vielleicht noch sagen, wie dieser Prozess von der juristischen Seite her aussieht?

Kornelius
Sie wissen ja, dass Deutschland ein Rechtsstaat ist. Das Verfahren liegt bei der deutschen Justiz, und die deutsche Justiz verfolgt die Interessen, die der Rechtsstaat und das Gesetz ihr vorgeben. Deswegen hat die Bundesregierung sich dort nicht einzumischen.

Die Äußerungen des polnischen Premiers stehen für sich, die habe ich nicht zu kommentieren.

Beckfeld (BMJV)
Ich habe nichts zu außer dem ergänzen, was der Regierungssprecher gesagt hat, nämlich dass das Verfahren läuft. Das ist das, was aktuell der Stand ist.

Zusatzfrage Küfner
Können Sie vielleicht etwas zum Stand dessen sagen, wie die Kommunikation mit der polnischen Seite gerade verläuft? Gibt es da die Aussage, dass sie nicht ausgeliefert werden? Ist das formell tatsächlich der Stand, oder ist das einfach eine politische Äußerung des polnischen Premiers?

Beckfeld (BMJV)
Das ist ein Verfahren zwischen der polnischen und der deutschen Justiz – das hat der Regierungssprecher ja auch gesagt -, und dementsprechend sind das Abstimmungen zwischen den beiden Justizen. Diese Verfahren laufen.

Frage Jessen (freier Journalist, kooperiert mit jung & naiv)
Wenn ich mich nicht irre, dann liegt da doch ein europäischer Haftbefehl vor. Ist es rechtlich zulässig, dass ein Regierungschef sagt – trotz eines bestehenden europäischen Haftbefehls, an den Polen doch als Rechtsstaat auch gebunden wäre -, er werde nicht ausliefern? Ist das rechtlich zulässig?

Kornelius
Ich glaube, die Frage müssten Sie dem polnischen Premierminister stellen und nicht mir. Wie gesagt, die polnische Politik bzw. die politische Haltung habe ich nicht zu kommentieren und verweise auf die Zuständigkeit der Justiz.

Zusatz Jessen
Na ja, die Frage ist doch, ob es aus Sicht der deutschen Bundesregierung – die deutsche Justiz hat ja den Haftbefehl beantragt – rechtsstaatlich notwendig ist, dass ein europäischer Haftbefehl befolgt wird.

Kornelius
Ich glaube mich zu erinnern, dass ich gesagt habe, dass dieses Verfahren von der deutschen Justiz betrieben wird und dass der Generalbundesanwalt das Verfahren in den Händen hält. Er wird dieses Verfahren auf seinen, den ihm üblichen Wegen nach den rechtsstaatlichen Verfahren, die europäisch und in Deutschland geregelt sind, weiterverfolgen. Die Bundesregierung ist dabei nur Zuschauerin.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz am 8. Oktober 2025