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Titel: Bundesregierung zu Enteignung russischen Staatsvermögens: Chinesische Haltung interessiert uns nicht

Datum: 18. Dezember 2025 um 11:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Bundesregierung, Finanzen und Währung
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Diesen Donnerstag treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel, um endgültig über die Aneignung der eingefrorenen Vermögenswerte der russischen Zentralbank in Höhe von 185 Milliarden Euro zu entscheiden. Deponiert sind diese bisher beim belgischen Vermögensverwalter Euroclear. Einer deren Hauptaktionäre, neben belgischen und französischen Staatsfonds, ist der chinesische Staat. Vor diesem Hintergrund wollten die NachDenkSeiten unter anderem wissen, ob Kanzler Merz, einer der Hauptbefürworter dieses völker- und finanzrechtlich hoch umstrittenen Schritts, schon mit der chinesischen Seite gesprochen hat, wie diese das Vorhaben der Beschlagnahmung von Staatsvermögen bewertet. Zudem kam die Frage auf, auf welcher konkreten rechtlichen Grundlage EU und Bundesregierung eigentlich an das Geld vom privaten Vermögensverwalter Euroclear rankommen wollen. Von Florian Warweg.

Hintergrund

Nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 wurden auf Initiative der EU Vermögenswerte der russischen Zentralbank im Gesamtwert von 210 Milliarden Euro im EU-Raum eingefroren. 185 Milliarden davon allein bei dem Unternehmen Euroclear, einer globalen Finanzmarktinfrastrukturgruppe mit Sitz in Brüssel. Das Unternehmen spielt eine entscheidende Rolle bei der Erleichterung des Wertpapierhandels und der Verwahrung. Die Gelder steckten, bevor es zum Einfrieren kam, vor allem in Staatsanleihen und sollten Rentenzahlungen des russischen Staates absichern. Jetzt wollen Merz und Co die Gelder de facto enteignen und der Ukraine als Kreditlinie zur Verfügung stellen. Die ganzen völker- und finanzrechtlichen Probleme und Widersprüche bei diesem Vorhaben von Merz und der EU-Kommission hat Jens Berger jüngst hier und hier nachgezeichnet.

Das zentrale Problem bei dem Vorhaben von Merz und Co: Das Staatsvermögen eines jeden Staates hat gemäß Völkerrecht einen umfassenden Immunitätsschutz und gilt, dem Prinzip der Staatensouveränität folgend, einem fremden Zugriff als grundsätzlich entzogen.

Das von Merz und EU-Kommission jetzt ins Visier genommene Euroclear, in dem das russische Staatsvermögen deponiert ist, gilt als eine der größten sogenannten Clearinggesellschaften der Welt. Euroclear verwahrt nach Darlegung seiner Chefin, der Belgierin Valérie Urbain, „die Währungsreserven von 100 Zentralbanken aus Europa und der ganzen Welt“ im Wert von gigantischen 42 Billionen (!) Euro und wickelt „jeden Monat Wertpapiergeschäfte im Wert des Welt-Bruttoinlandsprodukts“ ab. Das heißt, Euroclear ist angesichts dieser Zahlen extrem „systemrelevant“ für die Finanzstabilität im Euro-Raum.

Wegen EU-Agieren: US-Ratingagentur Fitch setzt Euroclear auf „negativ“

Doch diese ganzen damit einhergehenden existenziellen Risiken scheinen Merz & Co (von der Leyen, Kallas …) in ihrer Mission („Das ist eine Schlüsselfrage für Europa“) nicht zu stören. Deren mutmaßlich völkerrechtswidriges Vorgehen hat bereits dazu geführt, dass zum Beispiel die einflussreiche US-Ratingagentur Fitch den Ausblick für den belgischen Finanzdienstleister Euroclear auf „negativ“ herabgesetzt und eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit in Aussicht gestellt hat. Als Grund nennt Fitch explizit „rechtliche Gefahren und Liquiditätsrisiken“ wegen der EU-Pläne zur Aneignung des dort lagernden Staatsvermögens. Laut Euroclear-Chefin Urbain hätten in Reaktion auf das Agieren der EU-Kommission auch bereits mehrere andere Zentralbanken angefragt, ob ihr Geld noch sicher ist. Der ungarische Regierungschef Orban hat bereits angekündigt, das bei Euroclear angelegte ungarische Vermögen abzuziehen. Das Geld sei in Belgien nicht mehr sicher, so die Begründung.

Euroclear und die von Merz und der EU-Kommission bisher kaum beachtete Rolle Chinas

Laut eines Fachgutachtens der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages vom Juli 2025 gehört das „Staatliche chinesische Devisenamt“ (chinesisch 国家外汇管理局) zu den zehn größten Hauptaktionären von Euroclear, zusammen halten diese 80,67 Prozent. Die staatliche chinesische Behörde ist verantwortlich für die Verwaltung von Währungsreserven der chinesischen Zentralbank und der Chinesischen Volksbank (People’s Bank of China). Sie wäre als einer der Hauptanteilseigener also sowohl direkt wie indirekt von den Maßnahmen in Bezug auf Euroclear betroffen, die federführend die Bundesregierung und EU-Kommission derzeit planen.

Dass Regierungssprecher Stefan Kornelius vor diesem skizzierten Hintergrund im Namen des Kanzlers erklärt, dass man in dieser Angelegenheit nicht das Gespräch mit der chinesischen Seite suchen wird, spricht Bände über die Kurzsichtigkeit sowie die geo- und finanzpolitische Ignoranz der aktuellen Bundesregierung:

„Die Bundesregierung spricht nicht mit Anteilseignern von Euroclear, sondern mit der belgischen Regierung und mit den europäischen Partnern, und auf dieser Ebene wird eine Entscheidung gesucht.“

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 17. Dezember 2025

Frage Warweg
Am Donnerstag werden sich die Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel treffen, um mutmaßlich endgültig über die Aneignung der eingefrorenen Vermögenswerte der russischen Zentralbank in Höhe von 185 Milliarden Euro zu entscheiden, welche beim belgischen Vermögensverwalter Euroclear deponiert sind. Neben belgischen und französischen Staatsfonds ist das staatliche chinesische Devisenamt einer der Hauptaktionäre von Euroclear. Da der Kanzler einer der Hauptbefürworter dieses völker- und finanzrechtlich umstrittenen Vorhabens ist, würde mich interessieren: Hat die Bundesregierung vor diesem Hintergrund schon mit der chinesischen Seite darüber gesprochen, wie sie dieses Vorhaben der Beschlagnahmung von bisher völkerrechtlich eigentlich umfassend geschütztem Staatsvermögen bewertet?

Regierungssprecher Kornelius
Herr Warweg, jenseits Ihrer umfassenden Einordnung dieses Vorgangs möchte ich das in der Sache auf den Hinweis reduzieren, dass die Gespräche darüber andauern und dass sie möglichst am Donnerstag einer Entscheidung zugeführt werden. Die Bundesregierung spricht nicht mit Anteilseignern von Euroclear, sondern mit der belgischen Regierung und mit den europäischen Partnern, und auf dieser Ebene wird eine Entscheidung gesucht.

Zusatzfrage Warweg
Noch eine Verständnisfrage: Wie genau wollen die EU und Kanzler Merz eigentlich an das Geld von Euroclear herankommen? Gibt es da schon konkrete Überlegungen? Euroclear weigert sich, die belgische Regierung ebenfalls. Nach allgemeinem Verständnis bräuchte die EU also einen rechtlichen Titel, der Euroclear dazu zwingt, das Geld herauszurücken. Wer soll denn nach den Vorstellungen von Herrn Merz diesen Titel auf welcher rechtlichen Basis erteilen?

Kornelius
Auch hier möchte ich mir Ihre Sprache nicht zu eigen machen – „herausrücken“ usw., darum geht es nicht. Es geht um eine rechtssichere Konstruktion, die es nicht ermöglicht, dieses Geld zu konfiszieren – was Sie unterstellen -, sondern die es ermöglicht, dieses Geld als Garantie, als Sicherheit für ein Darlehen zu nutzen. Diese Absicherung wird momentan verhandelt – übrigens mit umfassenden Rechtssätzen, die die Europäische Kommission erstellt hat, in denen auch Ihre Fragen beantwortet werden und die momentan im Verhandlungsprozess mit Belgien zur Debatte stehen.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 17.12.2025


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