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Titel: Der doppelte Selbstmord der Sozialdemokratie: JA zu CETA und NEIN zu ihrer eigenen erfolgreichen Ostpolitik

Datum: 19. September 2016 um 10:32 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Globalisierung, SPD, Wahlen
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Das Ergebnis der Landtagswahl in Berlin ist eine Katastrophe: weniger als 22 %. Noch weniger als Steinmeier im Bund 2009, damals 23 %. Die Skala ist nach unten offen. Das ist zum einen das Ergebnis dessen, dass die SPD ihre Gestaltungsaufgabe aufgegeben hat. Mit ihrer heute in Wolfsburg zu erwartenden Zustimmung zum „Freihandelsabkommen“ CETA und in der Folge auch von TTIP wird die gesellschaftspolitische Gestaltungsmacht den internationalen Großkonzernen übereignet. Parallel dazu hat die SPD-Führung zum anderen das große Werk ihrer Ostpolitik, das Ende der Konfrontation zwischen West und Ost, aufgegeben. Beides zusammen geht ans Mark. Die SPD hat bundesweit schon mehr als die Hälfte ihrer Wählerschaft verloren. Und es gibt kein Halten mehr, wenn sich die SPD-Führung in letzter Minute nicht eines Besseren besinnt. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Anmerkungen zur Wahl in Berlin folgen am Ende dieses Textes. Hier zunächst mehr zu der Konstellation, die mich vom doppelten Selbstmord sprechen lässt.

Die schlimmen Folgen der sogenannten Freihandelsabkommen für die Mehrheit der Menschen haben wir vielfach beschrieben. Zuletzt in diesen Beiträgen CETA auf dem Parteikonvent: Hält sich die SPD an die eigenen roten Linien? und Die SPD könnte CETA stoppen … sie müsste es nur wollen (inkl. zweier wichtiger Dokumente)

Ein Vorstandsmitglied der Hannoverschen SPD, der Rechtsanwalt Hans-Georg Tillmann, hat das in einem Brief an Gabriel, Schulz und Lange drastisch aber richtig formuliert:

„CETA ist das Messer an der Kehle der Sozialdemokratie.

Sind wir Sozis wirklich so dämlich, den finalen Schnitt selbst zu besorgen?

Wie wollt ihr überhaupt noch Politik zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit machen, wenn über allem das Damoklesschwert der Milliardenklagen der Investoren und Spekulanten schwebt?“

Die SPD verliert mit ihrer Zustimmung zu diesen Verträgen drastisch, weil daran sichtbar wird, dass sie nicht mehr für die Interessen der großen Mehrheit der arbeitenden Menschen einsteht. Der Verdacht, dass sie das Geschäft der weltweit tätigen Großkonzerne befolgt, ist nicht von der Hand zu weisen und hat der ältesten Partei zusammen mit ihrer Initiative für die Agenda 2010 einen Großteil des Vertrauens ihrer Wählerinnen und Wähler gekostet.

Die SPD erweist sich als fremdbestimmt. Das geht ins Mark des Vertrauens.

Ähnliches gilt für die große Leistung der Sozialdemokratie: die Entspannungs- und Friedenspolitik. Auch auf diesem zentralen Feld der Politik und ihres Ansehens ist die SPD gerade dabei, das Vertrauen endgültig zu zerstören.

Ihre große Leistung bestand darin, den Kalten Krieg und die Konfrontation zu beenden und dafür zu sorgen, dass zwischen West und Ost verabredet worden ist, dass an die Stelle der gefährlichen Konfrontation Zusammenarbeit treten sollte. Es wurde vereinbart, dass man an Strukturen einer gemeinsamen Sicherheit bauen wolle, dass man abrüsten will, dass man wirtschaftlich und kulturell zusammenarbeiten will. Ausdruck dieser Politik der Verständigung war beispielsweise die Gründung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Ausdruck dessen war der Abbau der militärischen Blockkonfrontation. Das betraf den Warschauer Pakt im Osten, der aufgelöst wurde. Nach den Vorstellungen der SPD sollte auch die NATO aufgelöst werden. So wurde es im Berliner Grundsatzprogramm vom 20. Dezember 1989 beschlossen.

Hier sind die einschlägigen Passagen dieses Grundsatzprogramm und unten sind die entsprechenden Seiten wiedergegeben:

Unser Ziel ist es, die Militärbündnisse durch eine europäische Friedensordnung abzulösen. …

Sie (die Militärbündnisse) müssen, bei Wahrung der Stabilität, ihrer Auflösung und den Übergang zu einer europäischen Friedensordnung organisieren. Dies eröffnet auch die Perspektive für das Ende der Stationierung amerikanischer und sowjetischer Streitkräfte außerhalb ihrer Territorien in Europa. …

Unser Ziel ist eine gesamteuropäische Friedensordnung auf der Grundlage gemeinsamer Sicherheit, der Unverletzlichkeit der Grenzen und der Achtung der Integrität und Souveränität aller Staaten in Europa. …

Von deutschem Boden muss Frieden ausgehen.

Diese Ziele und Abreden sind vielfältig gebrochen worden. Zuerst vom Westen, dann auch von Russland. Die NATO wurde nicht aufgelöst, sondern bis an die Grenzen Russlands ausgedehnt. Von deutschem Boden geht Krieg aus, zum Beispiel beim Jugoslawien Krieg, zum Beispiel beim Drohneneinsatz, zum Beispiel beim vielfältigen militärischen Einsatz der USA und Deutschlands an vielen Stellen der Welt.

Führende Sozialdemokraten leugnen und verleugnen ihre eigenen Leistungen und das vereinbarte Ziel: eine europäische Friedensordnung einschließlich Russlands.

Der sozialdemokratische Außenminister Steinmeier fällt zurück auf das Konzept des Kalten Krieges: Abschreckung gegenüber Russland. Auch wenn er das als Teil einer Doppelstrategie betrachtet, es ist die Abkehr vom Konzept der gemeinsamen Sicherheit. Siehe dazu auch den NachDenkSeiten-Beitrag vom 12. September 2016: Für wen arbeitet eigentlich der deutsche Außenminister? Für Sie, für mich, für Deutschland? Eine Anregung zum Beobachten.

Ins Bild der neuen Konfrontation passt auch die Gründung eines Arbeitskreises neue Ostpolitik der SPD. Siehe hier und hier.

Besonders trickreich arbeitet der ehemalige außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und frühere Koordinator der deutsch-amerikanischen Beziehungen, der Atlantiker Karsten Voigt an der Verschleierung der sicherheits- und außenpolitischen Wende der SPD. Auf einer Veranstaltung der Bundeskanzler Willy Brandt Stiftung wurde er vergangene Woche von Dr. Johannes Posth, dem Referenten des kommenden Pleisweiler Gesprächs, auf die Abkehr vom Berliner Grundsatzprogramm und seiner Forderung zur Auflösung beider Blöcke angesprochen. Voigt erklärte das Berliner Grundsatzprogramm der Bundes-SPD schlicht und einfach zu einem Produkt der Berliner Landespartei – und wollte damit offensichtlich die Bedeutung dieser Programmatik und der friedenspolitischen Versprechen verniedlichen.

Wenn die SPD so weiterarbeitet und ihre eigenen größten Erfolge in der Ostpolitik wie bei der etwas sozialeren Gestaltung unseres Landes in den sechziger und siebziger Jahren verleugnet, dann unterschreitet sie demnächst die Grenze eines Wähleranteils von 20 %. Das gleicht dem Selbstmord und der Zerstörung der sozialdemokratischen Idee.

Heute wird der SPD Konvent vermutlich CETA zustimmen; damit geht es weiter auf diesem verheerenden Weg.

Nun noch ein paar Anmerkungen zum Ergebnis der Berliner Abgeordnetenwahl:

Am Wahlabend konnte man sich das Ergebnis ein bisschen schönreden, weil zunächst noch 23 % signalisiert worden sind. Aber das war nur von kurzer Dauer. Unter 22 % für die Sozialdemokratie in ihrem Stammland Berlin, 21,6 % und ein Verlust von 6,7 % – das müsste als letztes Signal verstanden werden.

Hier die Ergebnisse laut Angaben der Berliner Wahlleiterin:



Quelle: wahlen-berlin.de

Anhang:
Auszüge aus dem Berliner Grundsatzprogramm vom 20. Dezember 1989:





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