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Titel: “Der Putsch in Brasilien hat das Chaos und den Faschismus entfesselt”

Datum: 20. Dezember 2016 um 14:56 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Interviews, Länderberichte, Lobbyismus und politische Korruption
Verantwortlich:

Eugênio Aragão

“In unseren Institutionen herrscht das Chaos, es ist ein einziges Schlamassel. Die Exekutive ist in Händen von Leuten, die nicht die Größe besitzen, um dieses Land zu regieren. Die Legislative ist bis aufs Knochenmark von Straftätern durchsetzt und ist der Hauptverantwortliche für den parlamentarischen Putsch gegen die gewählte Präsidentin. Doch die Justiz ist eine Helfershelferin. Eine trommelnde Staatsanwaltschaft führt sich auf, als wäre sie die Vaterlandsretterin”. Mit dieser dramatischen Lagebeurteilung beginnt ein hier gekürzt wiedergegebenes Interview für die NachDenkSeiten mit dem Oberbundesanwalt und ehemaligen Justizminister im Kabinett Dilma Rousseffs Eugênio Aragão in seinem Amtsbüro in der brasilianischen Hauptstadt Brasília. Von Frederico Füllgraf.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Schmutzige Wäsche im Obersten Gerichtshof

Gleich zu Beginn erörtert der brasilianische Oberbundesanwalt den jüngsten Justizskandal.

Mit einer blitzartigen Einstweiligen Verfügung hatte in den ersten Dezembertagen Richter Marco Aurélio Mello vom Obersten Gerichtshof (STF) den Vorsitzenden des brasilianischen Oberhauses, Renan Calheiros, seines Amtes enthoben. Mello bewilligte einen Antrag der Zwergpartei “Rede” und bestätigte deren Begründung, wonach die Vorsitzenden des Unter- und Oberhauses des Parlaments und des Obersten Gerichtshofs – die in dieser Rangfolge im Fall einer Absetzung wie der von Dilma Rousseff als Ersatz-Präsidenten vom Gesetz vorgeschrieben werden – keiner Straftat schuldig sein dürfen. Was de jure nicht auf Senator Calheiros zutrifft, gegen den von der Staatsanwaltschaft seit 2013 wegen Unterschlagung öffentlicher Mittel, Falschaussage, Unterlagenfälschung und Empfang von Bestechungsgeldern des Bauunternehmens Mendes Júnior ermittelt, doch erst im Oktober 2016 vom STF Klage erhoben wurde.

Weniger als 24 Stunden später bezeichnete der Mello-Kollege im Obersten Gerichtshof, Richter Gilmar Mendes, die Maßnahme als “illegal”. Und fügte beleidigend hinzu: “Ein Sprichwort im brasilianischen Nordosten besagt, Irren soll man nicht nacheilen, man weiß nie, wohin die laufen”- ein Affront, unvorstellbar an einem europäischen Gerichtshof.

Der elfköpfige Senat des STF folgte nicht Mellos Alleingang und bestätigte mit knapper Mehrheit den korrupten Calheiros wieder im Amt. In Brasilien wird offen gewettet, dass Straftäter Calheiros von den hohen Richtern im Amt bestätigt wurde, damit er eine dringende “Drecksarbeit” erledige: nämlich die Durchpeitschung des bereits im Oktober von der Abgeordnetenkammer verabschiedeten Verfassungsänderungs-Antrags Nr. 241.

Gesagt, getan. Pünktlich am 13. Dezember votierte auch das Oberhaus für den Antrag der illegitimen Regierung Michel Temer, der die für die Staatsverschuldung angeblich verantwortlichen öffentlichen Ausgaben für Bildung und Gesundheit für den Zeitraum der nächsten 20 Jahre einfrieren soll – ein von seriösen Wirtschaftsexperten widerlegter, heuchlerischer Vorwand, der den tatsächlichen Grund für die Staatsverschuldung verschweigen solle.

Bekanntermaßen muss Brasilien jährlich mehr als 40 Prozent seines Staatshaushalts für die Bedienung des Schuldendienstes aufbringen. Im Jahr 2015 waren es umgerechnet 777 Milliarden Euro, die sich maximal 10.000 ausländische Spekulanten und brasilianische Rentiers in ihre Tasche steckten. Die Politik der überhöhten Zinsen und die daraus folgenden, obszönen Gewinne wurden jedoch von der Verfassungsänderung verschont. Von den sozialen Bewegungen und der Arbeiterpartei (PT) auch als “Todesstoß” bezeichnet, hat die Verfassungsänderung das restlose Begräbnis des seit 2003 existierenden, bescheidenen Sozialstaats und die erneute Verarmung von zig Millionen Brasilianern zur Folge.

Der weggeputschte Justizminister

Der 57jährige, perfekt Deutsch sprechende und schreibende Eugênio José Guilherme de Aragão stammt aus Rio de Janeiro und absolvierte 1982 sein Jura-Grundstudium an der Universität Brasília. An der britischen Universität Essex schrieb er 1994 seine Magisterarbeit auf dem Gebiet des Völkerrechts. Nach knapp vierjährigem Aufenthalt in Deutschland, von 2001 bis 2004, erlangte er unter Professor Joachim Wolf seinen Doktortitel mit summa cum laude an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum.

Wie kaum ein anderer kennt sich Aragão im brasilianischen Justizapparat aus, dem er seit 1987 als Beamter der Staatsanwaltschaft (Ministério Público Federal – MPF) angehört. Nach seinem politischen Zerwürfnis mit Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot schied der Jurist 2015 als dessen Vize aus und bekleidet seit Mai 2016 das Amt des Oberbundesanwalts.

Allerdings: von den Übergriffen der brasilianischen Justiz kann Aragão als selbst Betroffener ein Lied singen. Als Nachfolger José Eduardo Cardozos wurde er Anfang 2016 von Präsidentin Dilma Rousseff zum Justizminister nominiert.

Weniger als vier Wochen nach Amtsantritt wurde seine Nominierung bereits von einer Richterin in erster Instanz mit der Begründung annulliert, Aragãos Zugehörigkeit zur Staatsanwaltschaft bedeute einen Interessenkonflikt mit dem Ministeramt. In Wahrheit hatte sich der Jurist durch den Obersten Rat der Staatsanwaltschaft (CSMPF) rechtzeitig von seinen Funktionen entbinden lassen. Der Rat bestätigte außerdem, dass Aragãos Laufbahn vor 1988 begann, als die neue Verfassung die Nominierung von amtierenden Staatsanwälten für Regierungsämter unter Verbot stellte. Einen Tag später wurde der Justizminister von Bundesrichter Cândido Ribeiro wieder im Amt bestätigt.

Ribeiro kritisierte die Entscheidung seiner Kollegin aufs Schärfste und setzte ein Alarmzeichen: “Eine überstürzte Verfügung, eine unzulässige Einmischung der Justiz in die Geschäfte der Exekutive, die dazu dient, das unbeständige, institutionelle Klima und die politische Unsicherheit im Lande weiter zu schüren”.

Angefeindet von der rechtsradikalen Szene, darunter Bundespolizisten von Richter Sérgio Moros “Unternehmen Waschanlage”, deren Rechtswidrigkeiten er unter Kontrolle zu stellen versuchte, war Aragão vom 14. März bis 12. Mai 2016 nur knappe acht Wochen im Amt, als die Regierung Rousseff durch den weltweit angeprangerten, parlamentarischen Putsch abgesetzt wurde. Doch mit Aufrufen zu öffentlichen Protesten “gegen die Korruption”, die mit Unterstützung der Mainstream-Medien einseitig gegen die PT-Regierung umdirigiert wurden, spielte ausgerechnet die Staatsanwaltschaft eine entscheidende Rolle in der Vorbereitung der illegalen Amtsenthebung.

“Die brasilianische Staatsanwaltschaft ist Teil der herrschenden Elite”.

Frage: Dr. Aragão, wie erklären Sie die dominante Rolle, die derzeit junge, überhastete Staatsanwälte unzulässigerweise in der brasilianischen Politik spielen?

Eugênio Aragão: Ja, hier äußert sich der Geist einer Körperschaft. Das hat unter anderem damit zu tun, dass die Staatsanwaltschaft seit 1985 zunehmend ein neues Selbstwertgefühl pflegt. Mit der Verteidigung von Bürgerbelangen, wie z.B. im Umweltschutz, der Rechtssicherung von Unterprivilegierten oder dem Schutz der indigenen Völker wurde ihre institutionelle Rolle plötzlich aufgewertet Auch beteiligte sie sich aktiv an der Ausarbeitung der demokratischen Verfassung von 1988. Die Staatsanwaltschaft trat als eine Art “Wächterin der Grundrechte” auf und wurde in der öffentlichen Rezeption als Mittlerin zwischen der Zivilgesellschaft und dem Staat wahrgenommen. Das erregte das öffentliche Aufsehen und wirkte sehr attraktiv auf Absolventen des Jura-Studiums, die überhaupt keine Chance in anspruchsvollen und gut zahlenden Anwaltsbüros hatten. Das muss man sich in Zahlen vorstellen: 1990 bewarben sich 16.000 Anwärter auf Staatsanwaltschafts-Posten. Umso attraktiver wurde die Laufbahn zu Anfang des neuen Millenniums, mit einer gewaltigen Aufstockung der Gehälter, die Staatsanwälte mit den Richtern des Obersten Gerichtshofs gleichstellte. Ihre Privilegien werden gerade im Vergleich mit anderen hochgestellten Beamten deutlich. Mit umgerechnet 10.000 Euro verdient ein gerade angehender, titelloser, junger Staatsanwalt dreimal mehr als ein promovierter Universitätsprofessor, und fast das Doppelte wie ein Botschafter und ein Fünf-Sterne-General. Das ist ein absurdes Unding! Schließlich kommt die zunehmende Elitisierung dazu. In den vergangenen Jahren wurde die Institution von Vertretern der oberen Mittelschicht und der herrschenden Klasse durchsetzt, weil arme Jura-Absolventen sich nicht, wie die Wohlhabenden, ein ganzes Jahr lang auf die Bewerbung vorbereiten können. Die arbeiten tagsüber und studieren in Abendkursen, haben also kaum eine Chance.

Frage: Dazu kommt doch sicherlich eine konservative Politisierung in der Bundespolizei und der Staatsanwaltschaft, die sich ausgerechnet gegen die PT-Regierungen richtete, die ihnen mehr Befugnisse und Etat zusicherten und einen niemals zuvor erreichten Erfolg in der Korruptions-Bekämpfung erzielten. Wie erklären Sie sich diesen “Verrat” der Beamten ausgerechnet an ihren Förderern?

Aragão: Naja, das begann alles 2014, mit der Kritik am Kauf jener überteuerten Raffinerie im US-amerikanischen Pasadena durch unseren Petrobras-Konzern. Da holte sich der ehemalige Hilfsrichter des STF, Sérgio Moro, wieder den zehn Jahre zuvor im Fall Banestado als Devisenschmuggler und Geldwäscher bekannten Alberto Yousseff und baute ihn zum zweiten Mal als Kronzeugen gegen eine Schar korrupter Petrobras-Direktoren auf. Von Anbeginn zielen die angeblichen Untersuchungen auf die Kriminalisierung der Arbeiterpartei, Lulas und Dilma Rousseffs, denen die Ernennung und die Komplizenschaft mit den beschuldigten Direktoren vorgeworfen wird, obwohl dies erwiesenermaßen nicht stimmt. Das ist der Beginn von “Unternehmen Waschanlage”.
Wohin das führte, ist nun hinlänglich bekannt, nämlich zur illegalen Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff, der selbst einige Gegner nachträglich bescheinigen, dass sie sich keinerlei Amtsmissbrauchs, geschweige denn der Korruption schuldig gemacht hat.

“Treibende Kraft des Putschs ist die rechte Subkultur in den sozialen Netzwerken”.

Frage: Die brasilianischen Leitmedien lehnen die These des parlamentarischen Staatsstreichs ab. Dass der Putsch jedoch weltweit beim Namen genannt wird, ist zum großen Teil einigen internationalen Medien zu verdanken, die die illegale Absetzung Rousseffs schnell durchschauten. Welche Organisationen konnten Sie von Brasília aus als treibende Kräfte des Putsches beobachten?

Aragão: Also, dies ist ein einwandfreier “Putsch made in Brazil”, ein Aufstand der inländischen Elite und ihrer Mitläufer in der Mittelklasse. Das schließt selbstverständlich die diskrete Begrüßung des Staatsstreichs durch bestimmte ausländische Regierungen nicht aus. Doch die Initiatoren sind genuin brasilianische Akteure. Da trat plötzlich “Unternehmen Waschanlage” in Szene, das als Kreuzzug “gegen die Korruption” unverblümt zu öffentlichen Aufmärschen gegen die Regierung Rousseff aufwiegelte. Dazu kam 2014 eine sehr aggressive Präsidentschaftskampagne, in der die Konservativen, seit 2002, zum vierten Mal gegen die Arbeiterpartei und zum zweiten Mal gegen Dilma Rousseff unterlagen. Und “Rache” schworen. Was wir seitdem in Brasilien erleben, ist die militante Hasspredigt ultrakonservativen Gedankenguts; wenn man das überhaupt noch als “Gedanken” und “Gut” bezeichnen darf! Da sind Kräfte am Werk, die keinen Dialog wollen. Die sitzen vor ihren Computern und beschießen die Öffentlichkeit mit einem regelrechten shitstorm von Lügen, Verschwörungstheorien und Hass.

“Faschisten sind wie Aasgeier, sie nähren sich von ideologischem Müll”.

Frage: In einem Mitte November in Brasilien veröffentlichten Artikel, mit dem sinngemäßen Titel “Dieses Land ist krank”, warnten Sie vor der Massenpsychose, die in jenen Tagen einen Vater zur Erschießung des eigenen, jungen Sohns trieb, weil er sich am Protest gegen die Schließung von öffentlichen Schulen beteiligte. Anfang Dezember sagten Sie in einem Interview mit dem Journalisten Luis Nassif, “leider ist Brasilien Opfer der gefährlichsten faschistischen Umtriebe seiner Geschichte, wahrscheinlich schlimmer als zu Zeiten des autoritären “Neuen Staats” der 1940er Jahre und selbst im Vergleich mit der Militärdiktatur (1964-1985). Die deutschen Leitmedien haben bisher kaum ein Wort über diese Auswüchse verloren. Was soll sich der deutsche Leser unter dem Faschismus in Brasilien vorstellen?

Aragão: Nun, zunächst muss man festhalten, dass kollektive Unsicherheiten und Phobien den Nährboden des Faschismus bilden. Ich vergleiche die Faschisten mit den Aasgeiern: die ernähren sich von psychologischem und ideologischem Müll. Zu ihrem gedanklichen Unrat gehört die lächerliche Hasstirade, “die Linken sind an allem schuld!”. In dem von Ihnen genannten Artikel habe ich in der Tat darauf hingewiesen, dass jemand für die Ermordung des jungen Studenten durch seinen eigenen Vater – der sich anschließend selbst eine Kugel in den Kopf jagte – verantwortlich gemacht werden muss. Der “gemeinsame Feind” ist ja nicht derjenige, der anders denkt und handelt als ich. Der reale, gemeinsame Feind ist vielmehr derjenige, der zum Hass anstiftet und unser Land mit der Dämonisierung der Andersartigkeit zur Hölle macht. Das ist auch eine Absage an das Vorbild des Mannes von Nazareth, der uns lehrte, die anderen zu lieben. Es kommt aber noch etwas Entscheidendes hinzu: seitdem die brasilianische Elite die nationale, politische Bühne betrat, handelt sie konspirativ. Das ganze 20. Jahrhundert ist davon geprägt. Wenn ihr die Zustände nicht passten, zog sie Fäden der Verschwörung. Wie zum Beispiel ihr Ansturm auf die Kasernentore, an denen sie 1964 die Militärs zum Eingreifen aufrief. Zwar lässt sich, nach meiner Einschätzung, die Mehrheit der Militärs heute nicht mehr auf solche Abenteuer ein. Sie verhält sich zwar legalistisch, beobachtet die Hysterie aber mit Sorge. Allerdings sollte man auch gleichzeitig klarstellen, dass die 1985 mit den Zivilen ausgehandelte Demokratisierung bis in die Gegenwart von den Militärs überwacht wurde. Deshalb gab es trotz der Nationalen Wahrheitskommission über die Menschenrechts-Verbrechen, die hunderte von Beschuldigten für mehrere hundert Folter- und Erschießungsopfer identifizierte, keine einzige Verurteilung von Militärs und Polizisten, wie in Argentinien und Chile. Straflosigkeit wirkt ermunternd für neue Straftaten und beeinträchtigt die Qualität der Demokratie.

“Begeht Richter Sérgio Moro Hochverrat?”.

Frage: Zum Schluss die Bitte an Sie, ein brennend aktuelles Thema zu kommentieren, das ebenso wenig von der Berichterstattung der deutschen Leitmedien beachtet wird.
Es war in den deutschen Medien viel die Rede vom “Kampf gegen die Korruption” in Brasilien etc. …
Der Vorwurf von den Anwälten der von Richter Sérgio Moro wegen Korruption Angeklagten, der Richter handele mit illegalen Rechtshilfe-Absprachen “im Auftrag der USA”. Was ist dran an diesem Vorwurf?

Aragão: Da ist eine Menge dran. Einzelne Kronzeugen wurden zu sogenannten “Kooperationsvereinbarungen” mit US-Stellen genötigt. Grundsätzlich sind Rechtshilfe-Abkommen ganz normale Routine in der Justiz, die ja heutzutage auf länderübergreifenden Informationsaustausch über international vernetzte Kriminalität angewiesen ist. Dafür ist bei uns eine Sonderabteilung der Staatsanwaltschaft zuständig. Doch haben Richter Moro und ein paar Hitzköpfe der Staatsanwaltschaft im “Unternehmen Waschanlage” diese Zuständigkeit unterlaufen und an sich gerissen. Kein Mensch weiß genau, was da abläuft. Unvorsichtige Kronzeugenaussagen deuten allerdings auf grobe Rechtswidrigkeiten hin. Es gibt Hinweise darauf, dass einige Kronzeugen sich auf brasilianischem Boden mit “Vertretern von US-Institutionen” getroffen haben sollen. Mit wem genau, ist noch unklar, doch der Umstand an sich grenzt an Hochverrat. Er untergräbt die Rechtshoheit Brasiliens und verrät obendrein Justiz- und Wirtschaftsgeheimnisse an eine fremde Macht. Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot machte bekanntlich den Anfang in diesem Unfug, als er Anfang 2015 in Begleitung seiner Jungs in die USA reiste und unaufgefordert die US-Justiz, also auch das FBI, aus dicken Aktenordnern mit Interna aus dem Petrobras-Konzern fütterte. Anders kann ich mir den Appetit der US-Konzerne an den brasilianischen Vorsalz-Tiefsee-Ölfunden kaum vorstellen, die jetzt vom Temer-Regime für einen Apfel und ein Ei ans Ausland verscherbelt werden.

Redaktioneller Nachtrag: Die Spannungen eskalieren.

Die Übergriffe von Staatsanwaltschaft und Gerichtsbarkeit gehören mittlerweile zur Routine der angeblichen Korruptions-Ermittlungen (siehe: Richter Sérgio Moro, die USA und der Angriff auf die brasilianische Demokratie) und bedrohen die Grundrechte der Mehrheit der Angeklagten. Einen besonders eklatanten Fall bildet die Pressekonferenz des Leiters von “Unternehmen Waschanlage”, Staatsanwalt Deltan Dallagnol, von Mitte vergangenen September. Mit Hilfe einer plumpen Powerpoint-Präsentation mutmaßte Dallagnol über eine angebliche “Vernetzung” der Petrobras-Korruption und bezeichnete Ex-Präsident Luis Inácio Lula da Silva als “Boss der kriminellen Vereinigung”. Auf die Frage von Journalisten und Kritikern, wo denn die Beweise blieben, antwortete der selbstgefällige Beamte, “Beweise haben wir nicht, wir haben aber unsere Überzeugungen”. – An Bodenlosigkeit und Arroganz ist der Rechtsbruch der sog. “Staatsräson” wohl kaum zu überbieten.

Die unerschrockenen Anwälte des Ex-Präsidenten, denen Richter Sérgio Moro bei Kronzeugenanhörungen öfters Redeverbot erteilt, reagierten schlagfertig: sie erstatteten gegen Dallagnol Kriminalanzeige wegen falscher Tatsachenbehauptung, Manipulation und Rufmord.

Obwohl selbst Richter Teori Zavascki, vom Obersten Gerichtshof, Dallagnols Powerpoint-Schau als “Medienspektakel” verurteilte, fiel Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot nichts Besseres ein, als den Fall weiter zu eskalieren. Statt den Provokateur zu disziplinieren, drohte er dem Ex-Präsidenten: “Wer Dallagnol angreift, greift die gesamte Staatsanwaltschaft an”.

Die Machtproben der politischen Justiz Brasiliens sind für 2017 vorprogrammiert.


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