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Titel: Gabriele Krone-Schmalz: „Es ist höchste Zeit für eine neue Entspannungspolitik“

Datum: 8. Februar 2018 um 11:11 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Interviews, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
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Medial „geschlachtet“ wird, wer sich für ein differenziertes Russlandbild einsetzt. Diese Beobachtung hat die ehemalige Russland-Korrespondentin der ARD, Gabriele Krone-Schmalz gemacht. Im Interview mit den NachDenkSeiten sagt Krone-Schmalz, mittlerweile seien geradezu hysterische Zustände zu erkennen, wenn es darum gehe, sich der Dämonisierung Russlands entgegenzustellen. In den USA sei es mittlerweile so schlimm, dass „jeder Kontakt“ zu Russland sofort unter einen „Generalverdacht“ gestellt werde. „Die McCarthy-Ära lässt grüßen“, sagt Krone-Schmalz. Ein Interview über die angeschlagenen Beziehungen zu Russland, Schieflagen in der journalistischen Berichterstattung und die Möglichkeiten, die zu einer Verbesserung des Verhältnisses zwischen Deutschland und Russland führen könnten. Ein Interview von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Frau Krone-Schmalz, das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen ist seit geraumer Zeit alles andere als gut. Was läuft hier falsch?

Eine ganze Menge. Die vorherrschende Meinung ist, dass nur Russland dafür Verantwortung trägt: etwa durch die Unterstützung des Assad-Regimes, die Intervention in der Ukraine, die Angliederung der Krim oder die Modernisierung seiner Streitkräfte.

Gut, so ist es immer wieder in den Medien zu hören.

Ja, aber die Sache ist komplizierter. Denn diese Sichtweise unterschlägt den westlichen Anteil an der Eskalation, und das ist entscheidend für die Frage, welche Politik gegenüber Russland betrieben werden soll.

Würden Sie das bitte näher erläutern?

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind russische Interessen immer wieder entweder nicht ernstgenommen oder gleich als illegitim beiseitegeschoben worden und man hat Wladimir Putin in seiner ersten Amtszeit mit seinen Versuchen auflaufen lassen, die Verbindungen mit dem Westen zu stärken. Gleichzeitig hat die NATO ihre Politik durchgezogen, wobei Deutschland immer wieder mäßigend gewirkt hat – sehr zum Ärger Washingtons und seiner osteuropäischen Verbündeten. Die NATO-Osterweiterung war und ist eine schwere Belastung des Verhältnisses zu Russland, und dasselbe gilt für das Raketenabwehrsystem in Polen und Rumänien, das sich angeblich nur gegen den Iran und Nordkorea richtet, von dem Moskau jedoch befürchtet, dass es im Zusammenspiel mit anderen Systemen seine nukleare Zweitschlagfähigkeit einschränkt. Der Umsturz in der Ukraine 2014, durch den in Kiew Politiker an die Spitze kamen, die allesamt vehemente Befürworter einer NATO-Mitgliedschaft ihres Landes sind, hat das Fass – aus russischer Sicht – zum Überlaufen gebracht. Damit die Krim nicht zum NATO-Territorium werden konnte – immerhin ist dort auf Grund eines mit Kiew geschlossenen Vertrags die russische Schwarzmeerflotte stationiert – hat Russland Fakten geschaffen. Soweit hätte es nie kommen müssen, wenn Moskau nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vom Westen ernstgenommen worden wäre. Inzwischen befinden wir uns in einer klassischen Eskalationsspirale, wo einer sich vom anderen bedroht fühlt und entsprechende Gegenmaßnahmen ergreift. Es ist höchste Zeit für eine neue Entspannungspolitik.

Wie sehen Sie denn die Rolle der deutschen Medien, wenn es um Russland geht?

Ohne in die übliche Medienbeschimpfung zu verfallen, die überhaupt nicht weiterhilft, weil das in unproduktive Konfrontation statt in kreativen Diskurs führt, muss ich feststellen, dass sich allzu oft ein simples Gut/Böse-Schema beobachten lässt. Ganz gleich wo man hinschaut, ob in die Ukraine, nach Syrien, in den Sport oder sonst wohin: Es sind immer allein die Russen, die auf der bösen Seite stehen. Und achten Sie einmal darauf, wie oft Berichte über russische Missetaten auf Mutmaßungen beruhen, etwa auf unbewiesenen Vorwürfen, beispielsweise von baltischen Regierungsstellen, wie jüngst beim russischen „Zapad“-Manöver. Der Medienwissenschaftler Uwe Krüger nennt das sehr zutreffend „Verdachtsberichterstattung“.

Wo liegen die Schwachstellen in der Berichterstattung?

Statt politischer Analyse wird moralische Bewertung geliefert und auf allen möglichen Gebieten mit zweierlei Maß gemessen. Statt Hintergründe und Zusammenhänge so neutral wie möglich zu schildern und auch mal Perspektivwechsel vorzunehmen, um sämtliche Seiten zu „verstehen“ im Sinne von deren Beweggründe zu begreifen, – statt also Politik zu erklären, wird viel zu oft versucht, selbst Politik zu machen und den Bürger auf den „richtigen“ Weg zu führen.

Was fällt Ihnen noch negativ auf?

Dass der Druck durch die veröffentlichte Meinung, in der Russland eine bestimmte, nämlich rein negative Rolle spielt, mittlerweile so stark ist, dass selbst Politiker und Kollegen, die sich für ein differenzierteres Russlandbild einsetzen und mit Blick auf das hohe Gut Frieden nach Wegen suchen, die aus der Konfrontation herausführen, es nicht wagen, das öffentlich zu äußern, aus Sorge medial geschlachtet zu werden. Denn jeder, der sich außerhalb des Mainstreams bewegt, kann ja nur gekauft sein. Der Gedanke, dass jemand sich des eigenen Verstandes bedienen und auf Grund von Fakten zu einer anderen Einschätzung kommen könnte, wird nicht zugelassen. Es herrscht mittlerweile eine Art Hysterie. In Deutschland noch nicht so stark wie in den USA, wo mittlerweile jeder Kontakt zu Russland kriminalisiert und unter Generalverdacht gestellt wird. Die McCarthy-Ära lässt grüßen.

Wie kommt es, dass Qualitätsmedien, die in aller Regel über sehr gut ausgebildete Journalisten verfügen, solch einen Journalismus abliefern?

Mit dieser Frage quäle ich mich schon lange. Es hat sicher auch strukturelle Gründe. Die technischen Möglichkeiten im Fernsehen zum Beispiel haben sich dramatisch verbessert. Technisch sind wir in der Lage, unmittelbar nach einem Ereignis „auf Sendung“ zu gehen. Und Schnelligkeit ist im Journalismus auch eine Qualität, aber wenn sie zu Lasten der Gründlichkeit geht, dann verkehrt sich der vermeintliche Vorteil ins krasse Gegenteil. Es kann nicht sein, dass Journalisten, die sich an Ort und Stelle aufhalten, lediglich auf Agenturmeldungen für ihre Berichte zurückgreifen müssen, weil die Zeit für eigene Recherche nicht reicht. Was Zeitungen betrifft – das Zeitungssterben geht zu Lasten der Vielfalt. Das was allgemein berichtet wird, stammt aus den Redaktionen weniger Leitmedien, auf die sich alle verlassen. Was man nicht unterschätzen sollte: Es ist viel bequemer, sich im Mainstream zu bewegen, dafür braucht man sich nicht zu rechtfertigen. Alles was abseits davon ist, muss man aufwendig begründen und herleiten und sich gegebenenfalls arbeitsintensiv wehren. Nicht zu vergessen: In der politischen Kabarettsendung „Die Anstalt“ im April 2014 konnte man Erhellendes über die transatlantischen Netzwerke wichtiger Chefredakteure erfahren. Etwas Vergleichbares Richtung Russland gibt es meines Wissens nicht.

Sie selbst sind auch in der Journalistenausbildung tätig. Welchen Ratschlag haben Sie für Journalisten, die womöglich selbst bemerken, dass in der Berichterstattung Schieflagen zu finden sind, sich aber aus Angst vor Druck durch die eigene Redaktion nicht trauen, auf die Probleme hinzuweisen?

Ich versuche den Studenten Selbstvertrauen zu geben und sie zu eigenständigem Denken zu ermutigen. Wenn alle dasselbe sagen, heißt das noch lange nicht, dass es stimmt. Dafür gibt es immer wieder dramatische Beispiele. Denken Sie nur an die Lügen, die als Begründung für den Irakkrieg nach den Terroranschlägen am 11. September herhalten mussten. Es gab keine Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins. Ich versuche ethische Grundsätze zu vermitteln. Natürlich müssen wir Journalisten unsere „Ware“ verkaufen, aber es ist eine ganz besondere Ware. Journalisten brauchen ähnlich wie Ärzte einen ethischen Kompass. Es wird Situationen geben, in denen man sich selbst Fragen stellen muss: Sollte ich das besser nicht machen, obwohl ich es juristisch betrachtet darf? Und andersherum: muss ich das machen, obwohl es eigentlich verboten ist? Der Einsatz einer versteckten Kamera ist so ein Fall und Themen rund um Whistleblower. Ich muss jederzeit wissen, dass ich verantwortlich bin. Ich muss die Konsequenzen meines journalistischen Handelns so gut es geht bis zum Ende durchdenken, darf mich andererseits aber nicht durch die möglicherweise dramatischen Konsequenzen von meiner Arbeit abhalten lassen. Da gibt es keine Gebrauchsanweisung. Da ist jeder Fall anders und allzu oft auch alles andere als eindeutig. Kurz und gut: sich umfassend von allen Seiten die Informationen holen und selber denken. Und noch etwas: Ich sage den Studenten immer, werden Sie misstrauisch, wenn jemand NUR moralisch argumentiert. Moral ist wichtig, darüber muss man nicht streiten, aber Moral taugt nicht als Ersatz für politische Analyse.

Im Sommer findet die Fußballweltmeisterschaft in Russland statt.
Was vermuten Sie, wie wird die Berichterstattung aussehen?

Ich befürchte Schlimmes, lasse mich aber gerne eines Besseren belehren. Vielleicht nehmen sich die Berichterstatter ja ein Beispiel an Bundestrainer Joachim Löw. Der hat während des Confed Cups letztes Jahr in einem Interview mit der ZEIT gesagt, er wolle mit seiner Mannschaft zur Völkerverständigung beitragen: „Wir wollen auf die Menschen in Russland zugehen, Interesse an ihnen zeigen. Offen sein.”

Auf der Konferenz in Kassel zum Thema „Krieg und Frieden in den Medien“, an der Sie auch teilgenommen haben, wurde viel über Propaganda gesprochen. Sehen Sie propagandistische Elemente in der Berichterstattung deutscher Medien, wenn es um Russland geht?

Da schließe ich mich dringend der Forderung von Uwe Krüger an, der auch an dieser Tagung teilgenommen hat: wir brauchen viele Lehrstühle für Propagandaanalyse. Eine kritische Propagandaanalyse muss her, denn Propaganda können alle: die in Moskau, die in Washington und die in den Hauptstädten der EU ebenfalls. Das größte Problem ist die unbewusste Propaganda, die horizontale Propaganda, wie Uwe Krüger sie nennt, „dieser Automatismus durch erfolgreich sozialisierte Gesellschaftsmitglieder“.

Welche Möglichkeiten sehen Sie zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen Deutschland und Russland?

Was sich wie eine Floskel anhört, muss mit Leben gefüllt werden: vertrauensbildende Maßnahmen. Darüber hinaus will mir nicht in den Kopf, dass sich in einer Demokratie eine Mehrheit nicht durchsetzen kann. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland ist an einem guten Verhältnis zu Russland interessiert. Es wird Zeit, dass Entscheidungsträger in Politik, aber auch die Medien, das zur Kenntnis nehmen.

Was kann noch getan werden?

Jeder, der es kann, sollte in seinem Umfeld für Kontakte und Austausch sorgen. Die beste Investition in Friedenspolitik ist Jugendaustausch auf allen möglichen Ebenen. Das ist wie eine Art Schutzimpfung gegen Borniertheit, gegen Stereotype und auch gegen etablierte Feindbilder.


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