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Titel: Lesermails zum Thema Zuwanderung, zu den bösen Folgen für die Abwanderungsländer, zur Mitwirkung deutscher Stellen bei der Abwerbung u.a.m.

Datum: 20. August 2018 um 9:15 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Audio-Podcast, Fachkräftemangel, Globalisierung, Leserbriefe
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Zum NDS-Artikel “Der Grundwert der westlichen „Werte“gemeinschaft: Egoismus. Ein neuer Beleg: Fachkräfte-Einwanderungsgesetz” erreichten uns einige Leserbriefe, darunter eine informative Darstellung der Folgen für die von Abwanderung betroffenen Regionen. Sie leiden darunter, dass die jungen, aktiven und gut Ausgebildeten ihre Familien und Gemeinden verlassen. Heiner Biewer skizziert in seiner Lesermail auch die Beteiligung deutscher Einrichtungen wie der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) an der Abwerbung; auch die UN und unternehmernahe Organisationen wie das WEF Davos wirken mit. Heiner Biewer erweitert das Thema zu Recht um die Frage, welche Bedeutung Arbeitslosigkeit als Drohung und Mittel zur Disziplinierung und damit für die Fortsetzung und Vertiefung einer einseitigen und ungerechten Einkommensverteilung hat. Er nennt Vollbeschäftigung als notwendiges Ziel. Wer wagt sonst noch, dieses zu fordern? Obwohl diese Forderung selbstverständlich sein müsste. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Lesermail von Heiner Biewer enthält mehrere weiterführende Links. Sie sind von Interesse für NachDenkSeiten-Leserinnen und -Leser, die sich umfassender informieren wollen. Die allgemeine Debatte darüber ist nämlich sowohl in den Medien als auch in der Politik egozentrisch aufgeladen.

Im Anhang sind dann noch einige weitere Leserbriefe aufgenommen. Allen gilt unser Dank.

Lesermail von Heiner Biewer, Stuttgart:

Lieber Herr Müller,

ich teile Ihren kritischen Blick auf das geplante Einwanderungsgesetz.

Im Nachtrag erwähnen Sie die Folgen für die Familien bzw. betroffenen Länder. Das kann ich aus eigener Erfahrung und Lektüre nur bestätigen.

Unsere Freunde in Bosnien sind zwar froh, dass ihre Kinder einen Ausbildungsplatz in Deutschland gefunden haben, aber sie leiden an der Trennung – und jenseits dieser sehr persönlichen Aspekte nehmen sie sehr wohl war, welche Auswirkungen diese Abwanderung für die Städte, Regionen und das Land hat. Die fehlenden Perspektiven, die zur Auswanderung führen, werden eben durch diesen Prozess weiter verstärkt. Dass gerade die Aktiven, gut Ausgebildeten gehen, die vielleicht am meisten für eine positive Entwicklung tun könnten, ist das Eine. Mit jeder und jedem der geht, gleich welcher Qualifikation, geht aber auch jemand, der beim Bäcker einkauft, zum Friseur geht … mit offensichtlichen unmittelbaren Folgen für jene, die zu Hause bleiben.

Den Exodus aus dem Balkan beschreibt der sehr lesenswerte Beitrag Kein Bleiben in Banja Luka, der vor allem auf Lage und Entwicklungen in Ex-Jugoslawien eingeht. Die dazu passende Grafik zur Bevölkerungsentwicklung in Europa in den vergangenen 30 Jahren macht auf einen Blick die fast schon dramatische Entwicklung in den meisten Staaten des ehemaligen Ostblocks deutlich. Man erfährt im Artikel auch etwas von den regen deutschen Aktivitäten, etwa dass die GIZ deutschen Unternehmen bei der Anwerbung behilflich ist oder dass Rekrutierungskampagnen durch Unternehmen, Länder und Gemeinden keine Seltenheit sind. Und dass die massenhafte Abwanderung die örtlichen Unternehmen gefährdet.

Angesichts dieser bereits laufenden Aktivitäten und dem real existierenden, impliziten “Einwanderungsgesetz” des EU-Binnenmarktes mit seinen Grundfreiheiten fragt man sich, wozu es da noch eines expliziten Gesetzes bedarf: Ich denke, es fügt sich gut ins herrschende politisch-ökonomische Denken: Schwarze Null, Shareholder Value, Machtverhältnisse zugunsten der Unternehmen konsolidieren …

Zum Beispiel Ausbildungskosten …

Die Ausbildunskosten tragen andere. So ist die Zahl der Studienplätze für Medizin seit der Wiedervereinigung von 16.000 auf 11.000 zurückgegangen. Bei Kosten von 36.000 Euro pro Jahr und Platz kann man damit schon sparen (Siehe diesen Hinweis auf den NDS). Die fehlenden Ärzte müssen dann eben woanders herkommen – und ausgebildet werden. Im privaten Sektor gilt die gleiche Logik. Und wer mangels Perspektive zuwandert, wird vermutlich eher einen geringeren Lohn aktzeptieren und ist erst mal kein Gewerkschafsmitglied.

… oder Strukturelle Macht der Unternehmen bewahren …

Vollbeschäftigung kann durch Migration vermieden werden. Wir sind davon bei realistischer Betrachtung zwar weit entfernt, aber hier gilt wohl das Prinzip “Wehret den Anfängen”. Michaek Kalecki hat die Bedeutung der Machtverhältnisse in “Politische Aspekte der Vollbeschäftigung” wunderbar beschrieben:

“Die (Aufrechterhaltung) der Vollbeschäftigung würde soziale und politische Veränderungen bewirken … Arbeitslosigkeit würde ihre Rolle als disziplinäre Massnahme verlieren … Es ist wahr, dass die Profite bei einer Politik der Vollbeschäftigung höher wären … Aber ‚Disziplin in den Fabriken‘ und ‚politische Stabilität‘ werden von Unternehmensführern mehr geschätzt als Profite. Ihr Klasseninstinkt sagt ihnen … dass Arbeitslosigkeit ein integraler Bestandteil des ‚normalen‘ kapitalistischen Systems ist.” (ein

… oder “Die Welt aus Sicht des Unternehmens”

Das Denken in Unternehmensinteressen zeigt sich im neuen UN-Migrationsabkommen “Globales Abkommen für sichere, geordnete und reguläre Migration”, wie Norbert Häring analysiert ( Migrationsabkommen-1, Migrationsabkommen-2 ; die NDS hatten verlinkt). Härings zweiteilige Serie ist lesenswert. Das geplante Einwanderungsgesetz passt gut zum Inhalt dieses Abkommens, dessen Sprache deulich macht, dass es aus Sicht der Eliten geschrieben ist. Es geht ausdrücklich nicht um Flucht und Asyl. Ich zitiere sinngemäß aus Härings Analyse:

Der Generalsekretär behauptet dass es “machtvolle Belege gibt, dass Migranten große Vorteile für Gastgeberländer als auch Ursprungsländer bringen”. Und man verpflichtet sich “Wege für reguläre Migration so anzupassen, dass Arbeitsmobilität gefördert wird (…)”.

Interessant ist das Zustandekommen: Das Abkommen wurde bei den UN vom Global Forum on Migration and Development (GFMD) vorbereitet (seit 2017 unter Vorsitz der BRD und Marokkos). Im seit 2007 dauernden Prozess wurde das Weltwirtschaftsforum (WEF) über verschiedene Räte/Gremien seit 2011 als wichtiger Partner anerkannt, seit 2015 als festes Beratungsorgan eingebunden. Das ganz gewöhnliche Unternehmenslobbying funktioniert auf allen Ebenen.

Die Sprache der Veröffentlichungen dieser WEF-Gremien ist unverblümt. Beim Bericht „The Business Case for Migration“(Warum Migration gut fürs Geschäft ist) von 2013 sagt der Name alles. Und auf der Webseite des eigentlichen Beratungsorgans finde man Sätze wie diesen: “Wir ermutigen Regierungen, reguläre Wege für Migration und Mobilität zu schaffen. Unser Ziel ist ein regulatorisches Umfeld, in dem Arbeitsmigrationspolitik den Unternehmen hilft. Wir wollen ein Gleichgewicht zwischen den Qualifikationsanforderungen und der Verfügbarkeit relevanter Qualifikationen erreichen.”

Deutschland erfüllt da schon mal einen Teil seiner “Verpflichtungen”, bevor das Abkommen im Dezember unterschrieben wird.

Könnte ein Einwanderungsgesetz für die Menschen gut sein?

Mit dem aktuellen Zungenschlag sicher nicht. Ob es in anderer Form für die Menschen – hier Lebende wie Zuwandernde – mehr Sicherheit bringen könnte, kann ich nicht beurteilen. Es müsste aber m.E. in ein Bündel weiterer Maßnahmen eingebunden sein, wie eine ganz andere Handelspolitik, eine friedliche Außenpolitik, Ausstieg aus der Austeritätsideologie, Vollbeschäftigungspolitik usw. Ein solcher Politikwandel scheint im Westen derzeit weit entfernt; und wenn er käme, würden die Push-Faktoren sicher nicht von heute auf morgen verschwinden. Möglicherweise muss man eigene linke Überlegungen zu einem “Einwanderungsgesetz” anstellen.

Viele Grüße aus Stuttgart
Heiner Biewer

Anhang
Weitere Leserbriefe zum Thema Einwanderungsgesetz:

  1. Leserbrief von Armin Kammrad:
    Sehr geehrter Herr Müller,

    mit Ihren Anmerkungen zu einem Einwanderungsgesetz haben Sie für mich den Bogen etwas überspannt. Es ist ja ganz schön, dass Sie sich gegen ein „Germany First“ wenden. Aber dazu passt es überhaupt nicht, wenn Sie in Kolonialmanier nun den Menschen in anderen Staaten vorschreiben wollen, was Sie tun sollen. Wenn diese Menschen sich dafür entscheiden, dass sie nach Deutschland gegen, um z.B. mehr zu verdienen, ist es eine typisch nationalistische Anmaßung, sie auf irgendwelche Verpflichtung bezüglich ihres Herkunftlandes zu verweisen. Wissen Sie eigentlich wieviele deutsche Facharbeiter jedes Jahr ins Ausland gegen, weil sie hoffen dort mehr zu verdienen? Wo bleibt denn da Ihr Aufruf zum Bleiben um dem deutschen Staat zu dienen? Solche Staatstreue erscheint Ihnen (hoffentlich?) irgendwie daneben? Genau. Ihr Problem ist nur, dass Sie für ausländische Fachkräfte andere Maßstäbe anwenden als für deutsche. Was wirklich in der Presse fehlt, ist die Verpflichtung hier im Land alles zu tun, damit ausländische Arbeitskräfte nicht benachteiligt werden, dass eben kein nationalen Egoismus praktiziert wird. Am meisten reibt sich das Kapital die Hände, wenn es durch Nationalismus den gemeinsamen Kampf spalten kann.

    Mit der Hoffnung auf Ihre Einsicht verbleibt
    Armin Kammrad

    Anmerkung Albrecht Müller: Dazu kann ich nur empfehlen, die beiden von Heiner Biewer verlinkten Artikel und Statistiken anzuschauen. Ich wiederhole dazu die einschlägige Passage:

    „Den Exodus aus dem Balkan beschreibt der sehr lesenswerte Beitrag Kein Bleiben in Banja Luka, der vor allem auf Lage und Entwicklungen in Ex-Jugoslawien eingeht. Die dazu passende Grafik zur Bevölkerungsentwicklung in Europa in den vergangenen 30 Jahren macht auf einen Blick die fast schon dramatische Entwicklung in den meisten Staaten des ehemaligen Ostblocks deutlich.“

  2. Leserbrief von Gertrude Fernekes
    Sehr geehrter Herr Müller,

    zu obigem Thema mache ich mir Gedanken, seit die Nachricht über Seehofers Gesetz zur Abwerbung von ausländischen Fachkräften durch den Medienwald geistert. Von dem, wie auch ich leider feststellen muss, kein Wort der Kritik, sondern eher noch begeisterte Zustimmung kommt. Wie passt das eigentlich zusammen mit der “Bekämpfung von Fluchtursachen”, die die Bundesregierung sich ja angeblich auf die Fahnen geschrieben hat? Wird es weniger Fluchtursachen geben, wenn man Ärzte, Pfleger(innen), Techniker, etc. etc. aus armen Ländern her lockt? Das Gegenteil wird wohl eher der Fall sein! Es soll also selektiert werden zwischen “nützlichen” und “unbrauchbaren” Flüchtlingen (hier tut sich insbesondere die FDP hervor). Parallelen zum Dritten Reich fallen ins Auge.  

    Die hier zutage tretende Kaltherzigkeit (Germany first) ist in höchstem Maße empörend!

    Für Ihre unermüdliche Arbeit kann ich Ihnen und dem NDS-Team nur immer wieder herzlich danken! 

    Mit freundlichen Grüßen
    Gertrude Fernekes
    Worms

  3. Leserbrief von K.-H.Goll
    Liebe Nachdenkseiten,

    Albrecht Müller hat völlig recht: das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz ist nichts als bereits mit der bisherigen Migrationspolitik praktizierter und jetzt in Gesetzesform gebrachter imperialistischer Parasitismus.

    Viele Grüße
    K.-H.Goll


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