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Titel: Autoland ist abgebrannt

Datum: 10. Oktober 2018 um 12:13 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Europäische Union, Lobbyismus und politische Korruption, Schadstoffe, Umweltpolitik, Verkehrspolitik
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Merkel ist die Klimakanzlerin und Deutschland Vorreiter in Sachen Klimaschutz. So lautet ein vielgehörtes Mantra der Hauptstadtjournalisten. Doch Anspruch und Wirklichkeit klaffen immer weiter auseinander. In der Realität hat Deutschland sein im Pariser Klimaabkommen vereinbartes CO2-Budget für das laufende Jahr bereits Ende März verbraucht – und damit sogar noch eine Woche früher als im Vorjahr. Derweil kämpft die „Klimakanzlerin“ im Namen der deutschen Industrie allein auf weiter Front auf EU-Ebene gegen eine Reduktion der CO2-Emissionen. Gestern platzte dem Rest der EU der Kragen und in einer Kampfabstimmung wurde Deutschlands Linie torpediert und versenkt. Gegen den ausdrücklichen Willen Deutschlands einigten sich gestern die Umweltminister der EU für strengere CO2-Standards bei Neuwagen. Wie man diese Vorgaben umsetzen will, ist jedoch schleierhaft. Doch anstatt umzudenken, haben sich Deutschlands industrielle und politische Eliten einem Kampf verschworen, den sie nicht gewinnen können. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Ambitionierte Grenzwerte

Wenn es um das komplexe Thema CO2-Grenzwerte geht, lohnt sich zum besseren Verständnis ein kleiner Blick in die Vorgeschichte. Nach langem Ringen auf zahlreichen UN-Klimakonferenzen konnten sich die 195 UN-Staaten 2015 in Paris auf ein Klimaabkommen einigen, in dem – zum ersten Mal seit dem Kyoto-Protokoll aus den 90-ern – verbindliche Zahlen für die Reduktion von klimaschädlichen Emissionen beschlossen wurden. Bis 2050 sollen die Emissionen im Vergleich zu 1990 um 80 bis 95 Prozent sinken – 2020 und 2030 wurden Zwischenziele mit 20 bzw. 40 Prozent Reduktion vereinbart. Doch hinter diesen großen Zielen steckt in der realen Politik erstaunlich wenig. Momentan ist Deutschland weit davon entfernt, diese Ziele auch nur im Ansatz zu erreichen. Schuld daran sind die schleppend verlaufende Energiewende und auch der Straßenverkehr, immerhin stammen rund 12% der Kohlendioxidemissionen von Personenkraftwagen.

CO2-Grenzwerte für Neuwagen gibt es in der EU trotz massiver Lobbyarbeit schon seit längerem. So konnte sich die EU-Kommission 2009 nach einem fast 13 Jahre dauernden Kampf gegen die Lobbyisten durchringen, die UN-Klimakonvention von 1993 umzusetzen und für 2015 durchschnittliche Emissionen von 130g CO2 pro Kilometer festzulegen; der Wert soll bis 2021 auf 95 g/km abgesenkt werden. Kohlendioxid (CO2) ist ein direktes Reaktionsprodukt, das bei der Verbrennung von fossilen Energieträgern entsteht. Daher hängt der CO2-Ausstoß direkt mit dem Kraftstoffverbrauch eines Autos zusammen. Je weniger Kraftstoff ein Auto verbraucht, desto niedriger der CO2-Ausstoß. Um die Grenzwerte einzuhalten, müsste die Automobilindustrie also ganz einfach leichtere, effizientere, geringer motorisierte, sprich spritsparendere Autos verkaufen. Wie wir alle wissen, ist jedoch das exakte Gegenteil der Fall. Nicht spritsparende leichte Kleinwagen, sondern schachtelförmige, höhergelegte Ungetüme sind im Trend und sorgen für Traumrenditen.

Eine Niederlage für die Autokanzlerin

Die Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens auf die Grenzwerte für Neuwagen hört jedoch nicht beim Jahr 2021 auf. Eine weitere Reduktion der Grenzwerte von 25 Prozent bis 2025 bzw. 35 Prozent bis 2030 (jeweils auf Basis des 2021-Wertes von 95 g/km) ist von Abkommen vorgesehen und sollte eigentlich auch von der EU-Kommission so umgesetzt werden. Deutschlands Autohersteller hatten vor gut einem Jahr jedoch zusammen mit der Bundesregierung zum Sturmangriff geblasen und vor allem EU-Staaten (z.B. Ungarn, Tschechien, Spanien), in denen deutsche Hersteller produzieren, massiv unter Druck gesetzt, diese Grenzwerte zu verwässern. Mit Teilerfolg – die EU-Kommission rückte vom 35-Prozent-Ziel ab und senkte die Forderung für 2030 auf 30%.

Dieser klimapolitische Rückschritt brachte jedoch das Europaparlament auf die Palme, das nun mit einer 40-Prozent-Forderung das Ringen um den Klimaschutz neu eröffnete. Am Ende mussten sich nun die deutsche Autolobby und ihr politischer Arm in Berlin geschlagen geben und dem alten 35-Prozent-Ziel „als Kompromiss“ zustimmen. Angeblich hatte die „Klimakanzlerin“ zuletzt nur noch Ungarn und Bulgarien an ihrer Seite – erstere haben zahlreiche Werke deutscher Hersteller, letztere hoffen auf Investitionen. Massiver Widerstand kam hingegen von Ländern wie Dänemark, Schweden und den Niederlanden, die noch über 40 Prozent Reduktion hinauswollen.

Den gestrigen EU-Beschluss nun als Sieg für den Klimaschutz zu bewerten, wäre jedoch voreilig. Denn man sollte in der EU nie die Rechnung ohne die Deutschen machen. Denn der Unterschied zwischen abstrakten Reduktionszielen und den konkreten Emissionen im Straßenverkehr ist „dank“ des Einflusses der Autolobby mittlerweile gewaltig.

Umgehungsmöglichkeiten und Ansatzpunkte für Manipulationen

  1. Messwerte
    Dass der reale Kraftstoffverbrauch und damit auch die CO2-Emissionen bei modernen Autos im Schnitt um 42% über den offiziellen Angaben liegen, ist bekannt. Bekannt ist auch, dass die Differenz zwischen realem und offiziellem Verbrauch von Jahr zu Jahr größer wird. Prinzipiell sollte die Differenz durch den erst vor wenigen Wochen – gegen den Willen Deutschlands – eingeführten Testzyklus WLTP zwar sinken. Entscheidend für die Reduktions-Vorgaben ist jedoch, wie man die alten Werte nun auf das neue Format umrechnet. Hierbei handelt es sich um eine sehr technische Frage, die aller Voraussicht nach von den Experten der Autohersteller maßgeblich beeinflusst wird.
  2. Flottenverbrauch
    Bei den Angaben handelt es sich um Durchschnittswerte für alle Autos und da es natürlich ungerecht wäre, einen Sportwagenhersteller auf die gleichen Durchschnittswerte zu verpflichten wie einen Kleinwagenhersteller, hat die Autolobby sich die Kenngröße des Flottenverbrauchs ausgedacht und von ihrem politischen Arm auch umsetzen lassen. Für Deutschlands „Premiummarken“ gelten daher Werte wie der für 2021 vorgesehene Durchschnittswert von 95 g/km CO2 ohnehin nicht, da man sich einen „Premiumaufschlag“ heraushandeln konnte. Für Mercedes liegt der Wert beispielsweise bei 101,6 g/km CO2.
  3. Das Kleingedruckte
    Um die rechnerischen Werte noch weiter nach unten zu schrauben, hat sich die Lobby noch einige weitere Tricksereien einfallen lassen. So gibt es beispielsweise sogenannte „Supercredits“. Die gibt es für besonders sparsame Hybrid- und Elektroautos, die noch gar nicht gebaut und verkauft sind. Diese Credits gehen jedoch bereits jetzt in die Durchschnittszahlen mit ein – und dies nicht normal, sondern faktoriert, also gleich mehrfach. So können Mercedes, VW und Co. prognostizierte, aber komplett unrealistische Verkaufszahlen hypothetischer Elektromobile schon heute in ihren offiziellen Flottenverbrauch mit einrechnen. Hybride und Elektrofahrzeuge werden übrigens zudem als emissionsfrei berechnet – obgleich die Herstellung des Stroms für diese Fahrzeuge natürlich auch CO2-Emissionen mit sich gebracht hat. Elektrofahrzeuge sind beim deutschen Energiemix – anders als in Norwegen oder Dänemark – nicht emissionsfrei, sie haben ihren Auspuff lediglich im Schlot der Kohlekraftwerke. Dieser Umstand bleibt jedoch bei der EU-Flottenverbrauchs-Berechnung unberücksichtigt.

Es ist anzunehmen, dass die deutschen Lobbyisten bereits jetzt mit allem Druck an weiteren Manipulationsmöglichkeiten arbeiten, mit denen selbst die ambitioniertesten Klimaziele ad absurdum geführt werden. Ob sie damit Erfolg haben, ist jedoch ungewiss. Die gestrige Niederlage der Deutschen zeigt, dass der Rest der EU sich langsam aus dem Würgegriff der deutschen Lobbyisten befreit und das könnte langfristig für die Hersteller entweder sehr teuer werden … oder aber zu einem Umdenken führen.

Lenkungswirkungen durch hohe Strafen

Die bislang gültigen EU-Richtlinien sehen eine Strafzahlung von 95 Euro für jedes Gramm CO2 vor, das über dem zugewiesenen Flottenverbrauch liegt; und zwar pro verkauftes Auto! Wenn VW also 2021 im Schnitt 10 Gramm über dem Soll-Flottenverbrauch liegt und immer noch 10 Millionen Autos pro Jahr verkauft, müsste der Konzern pro Jahr 9,5 Milliarden Euro Strafe zahlen. Es ist natürlich davon auszugehen, dass man diese Kosten auf den Endkunden abwälzt, was dann aber zu teureren Autos führt. Wenn die Lobbyisten sich nun Sorgen um die Arbeitsplätze machen, ist dies jedoch durchschaubarer Unsinn. Denn diese Regelungen gelten für alle Hersteller. Anbieter, die den Flottenverbrauch wirklich senken, müssen auch keine Strafen zahlen und können ihre Autos dann preiswerter anbieten. It’s not a bug, it’s a feature – genau so soll die Lenkungswirkung ja funktionieren.

Wie deutsche Hersteller jedoch bis 2030 – das sind nur noch 12 Jahre – auf einen durchschnittlichen Flottenverbrauch 61,8 g/km CO2 kommen sollen, ist ein echtes Rätsel. Ohne Rechentricks stößt ein typischer heutiger Neuwagen wie der C180 von Mercedes stolze 189g CO2 pro Kilometer aus. Selbst mit den noch so absurdesten Rechentricks kommt man da nicht einmal in die Nähe der Zielvorgaben und bei derart großen Abweichungen fallen die anfallenden Strafen deutlich ins Gewicht. Beim C180 wären dies nämlich – ohne Rechentricks – mehr als 12.000 Euro. Ein Verbrauchsmonster wie der Audi SQ7 (ein 435 PS starker SUV) kommt unter realen Bedingungen übrigens auf einen CO2-Ausstoß von 348 g/km und Audi müssten ihn mit einem Strafaufschlag von 27.200 Euro verkaufen. Das wäre schon eine Lenkungswirkung, da Hybride und Elektroautos aufgrund des niedrigen CO2-Ausstoßes nicht nur straffrei in den Markt gebracht werden könnten, sondern sogar noch den Flottenverbrauch nach unten ziehen und die Strafen für die „dreckigen“ Modelle mit Verbrennungsmotor ausgleichen könnten. Aber dann müssten Deutschlands Autobauer ja umdenken und spätestens hier ist Zweifel angebracht.

Deutschlands Autohersteller steuern offenbar im Nebel auf Sicht. In Norwegen dürfen ab 2025 keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden. In den Niederlanden und Dänemark wird es 2030 soweit sein. Auch Indien will ab 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr zulassen und der „Megamarkt“ China erhöht derzeit von Jahr zu Jahr seine Elektroautoquote und wird wohl ebenfalls in absehbarer Zeit keine Verbrennungsmotoren mehr zulassen – im letzten Jahr wurden in China übrigens 777.000 Elektroautos zugelassen – 15mal so viel wie in Deutschland. Und auch Großbritannien und Frankreich planen das totale Verbot von Verbrennungsmotoren im Jahre 2040.

Deutschland verschläft die Wende

Nun kann man sich vortrefflich darüber streiten, ob E-Mobilität nun der goldene Weg ist, ob andere Techniken nicht sinnvoller sind oder ob der Umwelt nicht mit einer schlauen Raumordnungspolitik und einer Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs viel mehr geholfen wäre. Das baldige Aus des Verbrennungsmotors im Massenmarkt ist jedoch beschlossene Sache. Deutschlands Automobilbauer täten gut daran, ihre Lobbyarbeit herunterzufahren und ihre Energie lieber in die Entwicklung neuer Techniken zu stecken. Ansonsten gehen bald die Lichter in Wolfsburg, Stuttgart, Ingolstadt und München aus – nicht weil irgendwelche Richtlinien Arbeitsplätze vernichten, sondern weil man ganz einfach die Zeichen der Zeit schlichtweg verschlafen hat.

Auch die deutsche Politik täte gut daran, die Zeichen der Zeit zu erkennen und der heimischen Industrie zu helfen, eine Wende hinzubekommen. Hier könnte beispielsweise eine Neuregelung der steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten für umweltschädliche Autos zielführend sein. Vor allem im „Premiumsegment“ werden nämlich die allermeisten Neuwagen nicht von Privatpersonen, sondern als Firmen- und Dienstwagen zugelassen – je umweltschädlicher, desto höher der „gewerbliche“ Anteil. Warum sollte ein Unternehmen aber die Kosten für einen Audi SQ7 für einen seiner Mitarbeiter voll von der Steuer absetzen können? Gäbe es diese Regelung nicht, würden die deutschen Hersteller womöglich schon längst sauberere Autos bauen. Doch hier muss man leider sehr skeptisch sein. Deutsche Kanzler sind keine Klimakanzler, sondern Autokanzler. Die Union hat es ohnehin nicht so mit dem Klimaschutz und innerhalb der SPD versperren die traditionalistischen Industriegewerkschaften, die Seit´ an Seit´ mit den Aktionären jedwedes Umdenken verhindern wollen, einen Paradigmenwechsel. So läuft Deutschland dank seiner blinden Eliten sehenden Auges in die Katastrophe. Autoland ist abgebrannt.


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