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Titel: Die vergessene Egalité. Gleichheit ist ein wichtiger Wert.

Datum: 17. Dezember 2018 um 17:01 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Steuern und Abgaben, Ungleichheit, Armut, Reichtum, Wertedebatte
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Die Bewegung der Gelben Westen erinnert daran, dass in unseren Gesellschaften insgesamt ein wichtiger Wert aus der öffentlichen Diskussion und aus der praktischen Politik hinauskomplimentiert worden ist. Was hat es nicht alles für Verrenkungen gegeben, um ja nicht bekennen zu müssen: die Gleichheit aller Menschen ist ein wichtiger Wert. Es wurde von “Chancengleichheit” und von “mehr sozialer Gerechtigkeit” philosophiert. Von den Werten der französischen Revolution “Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit” – Liberté, Égalité, Fraternité – blieb gerade mal noch die Freiheit übrig. Wir sollten jetzt die Chance nutzen, den Gedanken substantieller Gleichheit aller Menschen wieder hoffähig zu machen. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

In der praktischen Politik spielt Gleichheit keine Rolle. Im Gegenteil. In vielfältiger Weise wurde dafür gesorgt, dass Vermögen, Einkommen und als Konsequenz auch die Chancen skandalös ungleich verteilt sind.

Die Umverteilung nach oben hat viele Facetten und prägt die Wirklichkeit. Zur Erinnerung:

  • Ein Teil hat feste Arbeitsverhältnisse und einen sicheren Arbeitsplatz. Andere, junge Leute und Ältere über 50 hangeln sich von einem befristeten Vertrag oder gar von einer Leiharbeit zur nächsten. Damit sind die Chancen im Leben grundlegend verschieden verteilt, übrigens auch die Chance, Partnerschaft und Familie planen zu können.
  • Wer hat, dem wird gegeben. Oder “der Teufel macht immer auf den größeren Haufen”. Wer Vermögen hat, kann warten, kann sich die besten Chancen aussuchen.
  • Wer viel Vermögen hat, bekommt auch in diesen Zeiten mithilfe von Vermögensberatern und großen Kapitalsammelstellen immer noch zwischen fünf und 15 % Rendite. Wer wenig Angespartes hat, geht mit einem Nominalzins von null und damit mit Wertverlust nach Hause.
  • Wir lassen heute Monopolrenten und Oligopolrenten zu. Ohne mit der Wimper zu zucken. Die großen Unternehmen wie Amazon, Facebook, Microsoft, und viele mehr profitieren von mangelndem Wettbewerb. Man muss nicht einmal Befürworter des Wertes Gleichheit sein, um dagegen anzugehen. Bekennender Marktwirtschaftler mit der Einsicht, dass Wettbewerb geschützt und geschaffen werden muss, zu sein, würde reichen.
  • Heute erreichen die Besitzer von Immobilien wegen Knappheit und wegen der mangelnden Anlegemöglichkeit der kleinen Sparguthaben zu einem realen positiven Zinssatz besondere Monopolrenten. Ein ständiger Fluss der Vermögensumverteilung.
  • Die Vermögenssteuer ist abgeschafft worden. Die Gewerbekapitalsteuer ist abgeschafft worden. Gewinne beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen sind zum 1.1.2002 steuerfrei gestellt worden. Dies alles fördert die Vermögenden und belastet die Besitzlosen.
  • Jahrelang, jahrzehntelang wurde das Verstecken von Einkommen und Vermögen in Steueroasen komplett geduldet. Heute wird oft ein Auge zugedrückt.
  • Die Erbschaftssteuer wurde bewusst heruntergefahren, sodass sie jeglichen Umverteilungseffekt verloren hat. Sie war aber mal als Instrument der Umverteilung gedacht. Wie anders soll man verhindern, dass eine Gesellschaft sich immer weiter auseinander entwickelt. Der jetzige Zustand ist die praktische Folge der ideologischen und praktischen Abneigung gegen eine wirksame Erbschaftssteuer.
  • Spekulation wurde gefördert, Spekulation auf den Aktienmärkten wurde angeheizt, Spekulation in besonderen Finanzprodukten wurde gefeiert. Und als die großen Spekulanten bei der Finanzkrise 2007 und 2008 Miese machten, dann wurden wir Steuerzahler gezwungen, die Wettschulden reicher Leute, Gruppen und Finanzeinrichtungen zu bezahlen.
  • Der Spitzensteuersatz liegt unter 50 %, selbst einschließlich Soli. Bei Kohl und vorher lag er 53 %. Steuerreformvorschläge, wie jener der SPD von 1971, sahen 56 % vor.

Die Wende in der praktischen Politik werden wir nur schaffen, wenn wir auch eine ideologische Wende hinbekommen.

Es gibt nicht mit Recht zwei verschiedene Menschentypen auf der Welt, die Reichen und die Armen. Die Klassenaufteilung, die wir heute vorfinden, ist nicht nur ungerecht, sie ist antidemokratisch; sie gefährdet auf vielfache Weise das demokratische Leben. Wer viel Geld hat, kann die öffentliche Meinung und die veröffentlichte Meinung, also die Meinung der Führungskräfte, der Wissenschaft und der Journalisten in seinem Sinne beeinflussen und damit auch die politischen Entscheidungen bestimmen. Das ist die Kernerkenntnis, die die Arbeit der NachDenkSeiten von Anfang an bestimmt und 2009 Hauptgegenstand meines Buches “Meinungsmache” war. Wer viel Geld hat, kann sich Lobbys kaufen und auf diese Weise ein X-faches des Einflusses gewinnen, den der normale Mensch erreicht. Wer viel Geld hat, kann sich PR-Agenturen leisten. Wer viel Geld hat, hat in der Regel auch um vieles mehr Chancen, Beziehungen spielen zu lassen. Vitamin B ist ein zusätzlicher Hebel der Reichen, um ihren Reichtum und ihren Einfluss zu mehren.

Die jetzige Einkommens- und Vermögensverteilung ist obszön. Noch in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat der Top-Manager gerade mal 1 Million DM verdient; die Mehrheit der Spitzenverdiener lag darunter. Sie haben vielleicht das Zehnfache oder 15-fache eines gut ausgebildeten Facharbeiters des gleichen Unternehmens verdient. Das war mehr als ausreichend.

Wir müssen zu vernünftigen Relationen zurückkommen und das muss ein öffentliches Thema sein und werden. Das ist nur möglich, wenn wir Gleichheit als erstrebenswerten Zustand und als gültigen und maßgeblichen Grundwert betrachten. Also: Es muss Schluss sein mit der Relativierung dieses Wertes.

Über diese eigentlich Selbstverständlichkeit schreibe ich, weil Gleichheit nichts Selbstverständliches mehr ist. Im Gegenteil. Es gibt heute ein Segment von Menschen dieser angeblich demokratischen Gesellschaft, die sich für etwas Besseres halten. Wenn die Gelben Westen es nur schaffen täten, diese antidemokratische Gesinnung und Entwicklung zu brechen, dann müsste man ihnen schon ein Denkmal setzen.

Wenn Gleichheit de facto unser politisches Handeln und unsere Entscheidungen bestimmen soll, dann muss das praktische Konsequenzen haben. Ich wiederhole und fasse zusammen:

  • Erhöhung des Einkommensspitzensteuersatzes und entsprechende Anpassung der Steuertabelle
  • Wiedereinführung der Vermögensteuer
  • Abschaffung des Steuerprivilegs beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen
  • Eine wirksame Erbschaftssteuer muss erarbeitet und eingeführt werden.
  • Spekulation, Boden-Spekulation und die Spekulation in Wertpapiere muss gebrochen werden. Das geht vermutlich ohne Einführung einer Besteuerung auch der nicht realisierten Spekulationsgewinne nicht.
  • Kampf den Monopolgewinnen d. h. Wettbewerb oder Übernahme der entsprechenden Unternehmensteile in die öffentlicher Hand.
  • Feste Arbeitsverträge,
  • Ausreichende Mindestlöhne
  • Rückbesinnung auf und Stärkung der gesetzlichen Rente
  • Usw. usw.

Zusammenfassende Wiederholung: Wichtig ist die ideologische Auseinandersetzung, wichtig ist es, dem Grundwert Gleichheit wieder Respekt in der öffentlichen Debatte zu verschaffen.

Dazu gehört übrigens dann auch noch das “Fraternité”, die Brüderlichkeit, selbstverständlich übertragen auch auf die “Schwestern”, von denen ohnehin mehr Einsicht in die Bedeutung dieses Wertes und entsprechende Praxis zu spüren ist. – Es gab letzthin in der ARD einen Bericht über Gelbe Westen in der Provinz Frankreichs, der den brüderlichen und schwesterlichen Umgang unter den Demonstranten/innen anschaulich schilderte. Es war zu spüren, dass in dieser interessanten Bewegung auch dieser Teil der Parole der französischen Revolution eine große Rolle spielt.


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