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Titel: „Der Staat hat sich in der Corona-Krise als einer der größten Fake-News-Produzenten erwiesen“ – BMI-Mitarbeiter leakt Dokument

Datum: 13. Mai 2020 um 10:38 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Gesundheitspolitik, Innen- und Gesellschaftspolitik, Staatsorgane, Strategien der Meinungsmache
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Ein Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums hat Medien eine brisante Analyse zugespielt: Demnach ist die Corona-Krise ein „Fehlalarm“, eine besondere Gefahr bestand „zu keinem Zeitpunkt“. Die Zwangsmaßnahmen seien unnötig und lebensgefährlich: Sie sollten „kurzfristig und vollständig“ aufgehoben werden. Die Bevölkerung werde „desinformiert“. Die Krisenmanager hätten „großen Schaden“ angerichtet, würden sich aber weigern, die irrationale Strategie zu ändern. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Ein internes Papier aus dem Bundesinnenministerium (BMI) wurde Medien zugespielt, nachdem es innerhalb des Ministeriums blockiert worden sei. Die auf diesem Weg öffentlich gewordenen Aussagen eines Beamten des Referats “KM 4: Schutz Kritischer Infrastrukturen – Bundesministerium des Innern” sind eindeutig und beunruhigend. Außerdem haben sich die an der über 80-seitigen Risiko-Analyse beteiligten externen Wissenschaftler nun in einer gemeinsamen Erklärung geäußert, dazu folgt später im Text mehr. Zunächst zur Risiko-Analyse des BMI-Beamten, der laut Medienberichten die Position eines Referatsleiters (Oberregierungsrat) innegehabt haben soll. Zur Informationspolitik der Bundesregierung steht dort:

“Der Staat hat sich in der Corona-Krise als einer der größten Fake-news-Produzenten erwiesen.”

Die Einordnung des Gefahrenpotenzials von Corona wird als „Fehlalarm“ bezeichnet:

“Die beobachtbaren Wirkungen und Auswirkungen von COVID 19 lassen keine ausreichende Evidenz dafür erkennen, dass es sich – bezogen auf die gesundheitlichen Auswirkungen auf die Gesamtgesellschaft – um mehr als um einen Fehlalarm handelt. (…) Wir haben es aller Voraussicht nach mit einem über längere Zeit unerkannt gebliebenen globalen Fehlalarm zu tun.“

Ein weiterer schwerer Vorwurf in dem Papier ist, dass „in der Vergangenheit (leider wider besseren institutionellen Wissens) keine adäquaten Instrumente zur Gefahrenanalyse und -bewertung aufgebaut“ worden seien. Es sei unverzüglich eine angemessene Analyse und Bewertung durchzuführen: „Anderenfalls könnte der Staat für entstandene Schäden haftbar sein.“

Gigantischer Kollateralschaden

Unsere Gesellschaft lebe ab sofort mit einer gestiegenen Verletzlichkeit und mit höheren Ausfallrisiken von lebenswichtigen Infrastrukturen, so das Dokument. Der Kollateralschaden sei inzwischen höher als der erkennbare Nutzen:

„Der (völlig zweckfreie) Kollateralschaden der Coronakrise ist zwischenzeitlich gigantisch. Ein großer Teil dieses Schadens wird sich sogar erst in der näheren und ferneren Zukunft manifestieren. Dies kann nicht mehr verhindert, sondern nur noch begrenzt werden.“

Die Analyse fordert, die „Sinnlosigkeit“ der Corona-Maßnahmen offiziell anzuerkennen:

„Die staatlich angeordneten Schutzmaßnahmen, sowie die vielfältigen gesellschaftlichen Aktivitäten und Initiativen, die als ursprüngliche Schutzmaßnahmen den Kollateralschaden bewirken, aber inzwischen jeden Sinn verloren haben, sind größtenteils immer noch in Kraft. Es wird dringend empfohlen, sie kurzfristig vollständig aufzuheben, um Schaden von der Bevölkerung abzuwenden.“

Nochmals geht das Dokument auf die (Des-)Informations-Politik ein:

„Die Defizite und Fehlleistungen im Krisenmanagement haben in der Konsequenz zu einer Vermittlung von nicht stichhaltigen Informationen geführt und damit eine Desinformation der Bevölkerung ausgelöst.“

Politik der Desinformation

Ein Teil dieser Desinformation werde durch das Robert Koch-Institut angerichtet. Zu diesem Aspekt haben die NachDenkSeiten bereits diverse Beiträge gebracht, etwa hier oder hier. Gerade hat sich Jens Berger in diesem Artikel damit befasst. Die Analyse des BMI-Mitarbeiters sagt dazu:

„Die vom RKI gelieferten Daten sind als Grundlage für die Entscheidungsfindung nicht zu gebrauchen. Die Bewertungen des RKI sind durch die vorgelegten Daten nicht gedeckt. Die Bewertungen sind vielfach spekulativ, teilweise unplausibel. Leider besteht der Lagebericht des Krisenstabs alleine aus einer Aufbereitung dieser Daten.“

Zum Gefahrenpotenzial des Virus – die zentrale Orientierung für alle Corona-Maßnahmen – ist zu lesen:

„Durch das neue Virus bestand vermutlich zu keinem Zeitpunkt eine über das Normalmaß hinausgehende Gefahr für die Bevölkerung (Vergleichsgröße ist das übliche Sterbegeschehen in DEU). (…) Die Gefährlichkeit von Covid-19 wurde überschätzt.“

Obwohl jeder Tag Todesopfer fordern könne, an dem trotz dieser (angeblichen) Harmlosigkeit des Virus der Lockdown fortbestehe, sei eine Einsicht kaum zu erwarten:

„Es kann zwar beim genauen Hinsehen keinen vernünftigen Zweifel mehr daran geben, dass die Coronawarnung ein Fehlalarm war, dass das Krisenmanagement die Arbeit der Gefahrenabwehr suboptimal verrichtet und Fehler gemacht hat, die einen großen Schaden verursacht haben und jeden Tag weiter verursachen (einschließlich Todesopfer), an dem die Maßnahmen nicht ersatzlos gestrichen werden. Da der Krisenstab und das gesamte Krisenmanagement einschließlich der Politik weitestgehend den rechtlichen, organisatorischen und sonstigen Rahmenvorgaben entsprechend gehandelt haben, scheint für sie zunächst jedoch wenig Anlass zu bestehen, Änderungen vorzunehmen.“

Gefahrenpotenzial zweifelhaft

Da die offiziell verkündete medizinische Grundlage für die Corona-Maßnahmen unseriös sei und deren Folgen nicht angemessen berücksichtigt würden, gerate die gesamte darauf gründende juristische Abwägung in Schieflage:

„Die Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in Rechte von z.B. Bürgern ist derzeit nicht gegeben, da staatlicherseits keine angemessene Abwägung mit den Folgen durchgeführt wurde.“

Die Maßnahmen ohne nachvollziehbare Grundlage fortzuführen, gefährde das Vertrauen in den Staat und sei gesellschaftlich gefährlich:

„Angesichts des sachlichen Befunds der vorliegenden Analyse und der dazu im Kontrast stehenden Entscheidungen der Politik, kann bei geschädigten Außenstehenden möglicherweise die Befürchtung aufkommen, dass das bestimmende Schutzziel des nationalen Krisenmanagements nicht mehr die Sicherheit und Gesundheit der Bevölkerung ist.“

Wissenschaftler kritisieren Ministerium

Auch die an der Risiko-Analyse beteiligten externen Wissenschaftler haben nun eine gemeinsame Erklärung zum Verhalten des Ministeriums gegenüber seinem Mitarbeiter verfasst. Zu den Unterzeichnern gehören unter vielen anderen etwa Peter Schirmacher (Professor der Pathologie, Heidelberg, Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina), Sucharit Bhakdi (Universitätsprofessor für Medizinische Mikrobiologie, im Ruhestand/Universität Mainz) und Andreas Sönnichsen (stellvertretender Curriculumsdirektor der Medizinischen Universität Wien).

Die Autoren widersprechen massiv der offiziellen Darstellung des Ministeriums zum Bericht und seiner Entstehung, wonach ein Mitarbeiter viele interne Regeln missachtet habe. Laut den Wissenschaftlern hat der mittlerweile beurlaubte Verfasser seine Analyse nach eigenen Angaben zunächst am 25. März an einen kleinen internen Verteiler verschickt. Seine Bitte, die Analyse Innenminister Horst Seehofer vorzulegen, sei ohne Prüfung des Inhalts abgelehnt worden. Erst daraufhin habe der Mitarbeiter diese an den Krisenstab sowie an die fachlichen BMI-Arbeitskreise auf Bundes- und Länderebene weitergeleitet. Im weiteren Verlauf wurde die Analyse dann dem Online-Portal „Tichys Einblick“ zugespielt.

Die Wissenschaftler beurteilen die Analyse, die sie als „Anfang einer noch umfangreicheren Prüfung“ bezeichnen, folgendermaßen:

„Renommierte Kollegen und Kolleginnen, allesamt hervorragende Vertreter ihres Fachs, nahmen zu konkreten Fragen auf der Basis der angefragten Expertise sachlich Stellung. Daraus resultierte eine erste umfangreiche Einschätzung der bereits eingetretenen sowie der drohenden medizinischen Schäden, einschließlich zu erwartender Todesfälle. (…) Unserer Auffassung nach müssten die adressierten Fachbeamten aufgrund dieses Papiers eine sofortige Neubewertung der Schutzmaßnahmen einleiten.“

BMI-Mitarbeiter kaltgestellt

Das Ministerium leitete aber zunächst zusätzliche Schutzmaßnahmen ein – nämlich gegen den geleakten Bericht. Laut „Tichys Einblick“ hat das BMI folgenden Brief an alle Empfänger der Analyse verschickt:

„Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte Sie darauf hinweisen, dass es sich vorliegend um ein von einem einzelnen Mitarbeiter verfasstes Papier handelt. Der Mitarbeiter war weder am Krisenstab beteiligt, noch beauftragt oder autorisiert eine solche Analyse zu erstellen oder zu veröffentlichen. Sie gibt seine private Auffassung wieder, nicht die des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat.“

Auf diese prinzipielle Abwehrhaltung des Ministeriums gegenüber einer akut notwendigen Analyse reagieren die Wissenschaftler in ihrer Erklärung mit großem Unverständnis. An der geistigen oder politischen Verfassung des Autoren kann die Ablehnung laut den Wissenschaftlern nicht liegen: Der wird als „engagierter“ und „couragierter“ Mitarbeiter des BMI beschrieben. Das scheint ihn nicht zu schützen: Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, durch das Ministerium sei inzwischen „sichergestellt worden“, dass der Verfasser des Schreibens nicht weiter „den Eindruck erwecken könne, er handele für oder im Namen des Ministeriums“. Nach einem Bericht des „Spiegel“ wurde der Mann von seinen Dienstpflichten entbunden.

Das Papier muss penibel überprüft werden – aber es darf nicht abgetan werden

Das Papier soll durch diesen Text nicht von Kritik und penibler Überprüfung abgeschirmt werden. Diese Abschirmung geschieht auch eher dadurch, dass es vom Ministerium als Einzelmeinung eines verwirrten Einzeltäters abgetan wird, und somit als nicht prüfungswürdig bezeichnet wird. Dabei könnte die Analyse doch als Herausforderung angenommen werden: von den Politikern und Journalisten, die den aktuellen irrational begründeten Kurs zu verantworten haben und die keine Anstalten machen, ihn korrigieren zu wollen. In der kritischen Analyse hätten sie doch eine Steilvorlage, um ihre Maßnahmen argumentativ zu verteidigen – soweit das möglich ist.

Eine Herausforderung für die Kanalisation der öffentlichen Meinung ist das Papier allemal: Immerhin kann man das Dokument angesichts seiner Herkunft und Autorenschaft nicht automatisch als rechtsextreme Spinnerei abtun. Man müsste sich (eigentlich, endlich) den darin aufgeworfenen gravierenden Fragen stellen: In diesem Prozess könnten auch Aussagen der Analyse glaubhaft entkräftet werden. Es geht ja nicht darum, eine vorgefertigte Meinung zu bestätigen. Es geht darum, dass zentrale Fragen gar nicht erst besprochen werden, weil bereits das Stellen der Fragen als „rechtsradikal“ abgetan wird.

Darum ist die Veröffentlichung der Analyse im Sinne einer klärenden Debatte zu begrüßen. Wenn in den nächsten Tagen von wissenschaftlicher Seite seriöse inhaltliche Kritik an der Analyse formuliert werden sollte, werden die NachDenkSeiten diese auch transportieren.

Bisher allerdings ist es – abgesehen von den Diffamierungen des Autors – auffallend ruhig im Blätterwald.


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Titelbild: Tupungato / Shutterstock


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