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Titel: Die Impfkampagne aus arbeitsrechtlicher Sicht

Datum: 18. Januar 2021 um 12:09 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Gesundheitspolitik, Interviews, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
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Arbeitgeber drohen ihren Mitarbeitern mit Kündigung, wenn sie sich nicht impfen lassen. Markus Söder hat bereits eine Impfpflicht für Mitarbeiter in den Gesundheitsberufen gefordert. Während die epidemiologischen Fragestellungen der Impfkampagne breit öffentlich diskutiert werden, treten die arbeitsrechtlichen Fragen dabei in den Hintergrund und bei den Betroffenen herrscht massive Verunsicherung. Jens Berger hatte die Gelegenheit, Peter Golüke zu diesem Themenkomplex für die NachDenkSeiten zu befragen. Golüke ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und hat sich intensiv mit den arbeitsrechtlichen Fragen der Covid-19-Schutzimpfung befasst.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Golüke, zurzeit macht ein Zahnarzt aus Pfaffenhofen Schlagzeilen, der seinen Mitarbeitern per WhatsApp mitgeteilt hat, dass er sie fristlos und ohne Gehalt vom Dienst freistellen will, wenn sie sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen. Wie bewerten Sie als Fachanwalt für Arbeitsrecht diesen Vorgang? Darf er das?

Diese Frage wird unter Arbeitsrechtlern aktuell sehr lebhaft diskutiert. Der Meinungsstand ist vielschichtig. Das Thema ist auch tatsächlich sehr komplex und die Rechtsauffassungen sehr unterschiedlich. Es gibt Stimmen, wie den Arbeitsrechtler Prof. Dr. Fuhlrott, die halten im Grundsatz eine solche Weisung des Arbeitgebers unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig. Dieser Ansicht würde ich mich allerdings nicht anschließen wollen. Ich halte solche Impfanweisungen von Arbeitgebern für rechtswidrig und das aus mehreren Gründen.

Versetzen wir uns einen Moment in die Lage des Arztes und berücksichtigen dabei die Besonderheiten in den Gesundheitsberufen. Wir alle wissen, dass bei Ärzten strenge Hygiene- und Schutzvorschriften bestehen. Das erleben wir beispielsweise im Wartezimmer und in den Behandlungsräumen.

Der Arzt schützt damit nicht nur seine Patienten, sondern auch seine Mitarbeiter, denn der Arzt ist nach § 3,4 Arbeitsschutzgesetz verpflichtet, die Gefahren für die Sicherheit und die Gesundheit am Arbeitsplatz zu beurteilen und Maßnahmen hieraus abzuleiten. Damit kommt er seiner Fürsorgepflicht gemäß § 618 BGB nach. In Bezug auf die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus hat sich der Arzt zudem an die von der Bundesregierung beschlossenen SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards[1]zu halten, mit denen die Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes umgesetzt werden sollen.

Die Verantwortung für die Umsetzung notwendiger Infektionsschutzmaßnahmen trägt also der Arzt entsprechend dem Ergebnis seiner Gefährdungsbeurteilung. Damit rückt die Gefährdungsbeurteilung in den Fokus der Abwägungsentscheidung des Arztes. Der Arzt muss im Rahmen seiner Gefährdungsbeurteilung bedenken, dass grundsätzlich (noch) keine gesetzliche Impfpflicht besteht und auch die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards nicht vorsehen, dass er eine Impfung seiner Mitarbeiter verlangen kann. Es dürfte auch nicht anzunehmen sein, dass im Arbeitsvertrag eine Impfverpflichtung mit den Mitarbeitern vereinbart wurde.

Nun könnte sich der Arzt auf den Standpunkt stellen, dass mit der Zulassung von Impfstoffen und mit Beginn der Impfungen endlich eine Maßnahme zur Gefahrenabwehr und Minimierung der Infektionsrisiken bei Patienten und Mitarbeitern zur Verfügung stünde. Er beruft sich auf sein Weisungsrecht aus § 106 Gewerbeordnung und weist die Mitarbeiter an, sich impfen zu lassen. Andernfalls droht er, wie im vorliegenden Fall, die unentgeltliche Freistellung von der Arbeit (bis auf Weiteres?) an.

Und ist diese Begründung rechtens?

Das Weisungsrecht des Arztes ist nicht schrankenlos. Die Ausübung des Weisungsrechts muss nach billigem Ermessen erfolgen. So schreibt es § 315 Abs. 1 BGB vor. Der Arzt hat also eine Interessensabwägung vorzunehmen und dabei nicht nur seine, sondern auch die Interessen des Mitarbeiters zu berücksichtigen, insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht[2] und die Menschenwürde[3].

Bei der Ausübung seines Weisungsrechts muss der Arzt auch prüfen, ob er in die Grundrechte seiner Mitarbeiter eingreift. Das gilt hier insbesondere für das in Art. 2. Abs. 2 GG normierte Recht auf körperliche Unversehrtheit. Eine Impfung kann einen erheblichen Eingriff in die Gesundheit des Mitarbeiters darstellen, dies mit fatalen Folgen (Impfschäden). Namhafte Verfassungsrechtler wie Prof. Dr. Dietrich Murswiek halten eine Impfpflicht für verfassungswidrig: „Der Staat darf niemand zwingen, sich selbst zu schützen, zumal im Fall der Sars-Cov-2-Impfung, das Risiko langfristiger Nebenwirkungen nicht bekannt ist.“

Angesichts des Umstandes, dass der Arzt das grundgesetzlich gewährte Recht auf Schutz der körperlichen Unversehrtheit im Rahmen seiner Billigkeitsprüfung zu beachten hat, wäre es schwer verständlich, aus welchen Gründen er die Grundrechte seiner Mitarbeiter der einseitigen Impfanweisung nachordnet. Welchem Recht gebührt hier der Vorrang?

Sagen Sie es uns.

Meines Erachtens ist die einseitige Anordnung einer unbezahlten Freistellung für impfunwillige Mitarbeiter nicht zulässig. Eine solche Suspendierung müsste gerechtfertigt sein. Hierfür gibt es m.E. wie gesagt keine Rechtsgrundlage.

Hinzu kommt, dass der Arzt als Arbeitgeber das Betriebsrisiko trägt. Das Bundesarbeitsgericht hat in einer älteren Entscheidung[4] geurteilt, dass Ursachen, die von außen auf das Unternehmen einwirken, wie z.B. Naturkatastrophen, allein den Arbeitgeber belasten und diese Störungen nicht auf den Arbeitnehmer abgewälzt werden dürfen.

Die Arbeitnehmer haben somit einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Beschäftigung und mithin auf Vergütung[5]. Die Nichtbeschäftigung aufgrund einer abgelehnten Impfanweisung durch den Arbeitgeber müsste dieser begründen. Das dürfte ihm derzeit wohl nicht gelingen. Lehnt der Arzt die angebotene Arbeit seiner Mitarbeiter ab, gerät er in Annahmeverzug. Der Lohn dürfte dennoch gezahlt werden müssen.

Schließlich sollte der Arzt vor einer Impfanweisung an seine persönliche Haftung für damit im Zusammenhang stehende Impfschäden denken. Die Arzthaftung wird hier doch erheblich unterschätzt. Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts[6] dürfte der Arbeitgeber grundsätzlich für Impfschäden haften, soweit er diese anordnet. Eine Haftung im zu entscheidenden Fall kam nur deswegen nicht in Betracht, weil die geschädigte Mitarbeiterin freiwillig an einer von der Betriebsärztin durchgeführten Grippeschutzimpfung teilgenommen hatte.

Nun stellt ja eine Impfung mit einem unerprobten Impfstoff stets auch eine zumindest theoretische Gefahr für Leib und Leben dar. Dabei muss man im konkreten Fall noch nicht einmal allzu weit in die Ferne schweifen. So weist der Impfstoffhersteller Biontech selbst darauf hin, dass es aus den klinischen Testreihen keine validen Daten zur Wirkung des Impfstoffs auf Schwangere gäbe. Frauen im gebärfähigen Alter wird empfohlen, eine Schwangerschaft für mindestens zwei Monate nach der zweiten Injektion zu vermeiden. Als ob das so einfach wäre. Nun gibt es gerade in den Gesundheitsberufen ja sehr viele Frauen im gebärfähigen Alter, die auch häufig einen Kinderwunsch haben und so zu einer Risikogruppe für die Impfung gehören. Wenn diese Frauen von ihrem Arbeitgeber gezwungen werden, sich impfen zu lassen, stellt das dann nicht strenggenommen sogar den Straftatbestand der Nötigung dar?

Ich könnte mir grundsätzlich den Zusammenhang zwischen einem rechtswidrigen Weisungsrecht und dem Straftatbestand einer Nötigung gemäß § 240 StGB vorstellen. Vor allen Dingen dann, wenn die Nichtbefolgung der Impfanweisung etwa zur Kündigung oder zur unbezahlten Freistellung von der Arbeit führen soll. Die Drohung mit wirtschaftlichen Nachteilen erfüllt den Tatbestand des § 240 StGB. Sollte es zudem zu Schäden an Körper und Gesundheit kommen, könnte der Vorwurf der Körperverletzung hinzutreten.

Rechtswidrig ist die Tat aber nur, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Als verwerflich betrachten Strafrechtler eine Verhaltensweise dann, wenn Gewaltanwendung oder Drohung zu dem beabsichtigten Zweck in einem auffallenden Missverhältnis stehen. Dabei muss das Missverhältnis derart auffällig sein, dass die Verhaltensweise als sozialethisch missbilligenswert anzusehen ist, d. h. von jedem verständigen Dritten als sozial unerträglich, als strafwürdiges Unrecht empfunden wird[7].

Ob ein solches Missverhältnis vorliegt, dürfte jedoch fraglich sein.

Richtig. Es ist fraglich, ob die Impfanweisung des Arbeitgebers als sozial unerträglich empfunden wird. Entgegen aller Verlautbarungen von Herrn Spahn diskutieren Politiker bereits über eine gesetzliche Regelung zur Einführung einer Impfpflicht in den Gesundheitsberufen. Und zu bedenken ist die Stimmungslage in der Bevölkerung, die durch Politik und Medien in einen Zustand von Angst und Verunsicherung versetzt wurde. Vor diesem Hintergrund fragt es sich, ob die Anordnung einer Impfung – zumal von Personal in den Gesundheitsberufen – als sozial unerträglich angesehen wird. Das würde ich stark bezweifeln. Auch die Beurteilung der Impfung während einer Schwangerschaft in der öffentlichen Wahrnehmung wird grundsätzlich nicht anders beurteilt. Der Schutz des ungeborenen Lebens und der Mutterschutz haben natürlich einen hohen Stellenwert. Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat aber beispielsweise keine Bedenken für Grippeimpfungen bei Schwangeren.

Die Weisung, sich gegen eine Infektion mit einem Sars-Cov-2-Erreger während einer Schwangerschaft impfen zu lassen, dürfte daher auch nicht als verwerflich angesehen werden. Zumindest würde ein Gericht die Einschätzung der STIKO nicht unberücksichtigt lassen.

Das mögen Strafrechtler gewiss anders beurteilen und vielleicht sogar gut begründen können. Meiner Ansicht nach könnte der Vorwurf der Nötigung an der Verwerflichkeitsklausel scheitern.

Gerade die Pflegekräfte, die schon vor der Pandemie durch die Privatisierung von Krankenhäusern und Pflegeheimen und Sparmaßnahmen der Träger sinnbildlich auf dem letzten Loch pfeifen, kommen sich nun vor wie die Kanarienvögel, die früher im Bergbau eingesetzt wurden. Fielen sie um, wussten die Kumpel, dass Grubengas freigeworden ist und konnten sich in Sicherheit bringen. Haben denn die Arbeitgeber im Gesundheitssystem keine Sorgfaltspflicht, um ihre Mitarbeiter vor Gefahren zu schützen?

Die Sorgfaltspflicht ist Bestandteil der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und beinhaltet Schutz-, Sorgfalts- und Auskunftspflichten. Arbeitgeber im Gesundheitswesen sind derzeit besonders stark gefordert, den Schutz der Mitarbeiter zu gewährleisten, um das Infektionsrisiko durch Sars-CoV-2 zu vermeiden. Neben den bestehenden Hygiene- und Schutzvorschriften sind die bereits angesprochenen Richtlinien des SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards einzuhalten. Daneben hat etwa das Robert Koch-Institut Empfehlungen zu Hygienemaßnahmen herausgegeben.

Es gibt also durchaus eine Vielzahl von gesetzlichen Vorschriften, die die Sorgfaltspflicht der Arbeitgeber konkretisieren. In der Praxis ist es aber aufgrund personeller Unterbesetzung, Arbeitsüberlastung und fehlenden finanziellen Ressourcen oft nicht möglich, die guten und wichtigen Empfehlungen und gesetzlichen Vorgaben umzusetzen. Ob Arbeitgeber ihrer Fürsorgepflicht verantwortungsvoll nachkommen können, ist dann eher fraglich. So berichtet ver.di beispielsweise über katastrophale Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals durch Arbeitsüberlastung und unzureichenden Arbeitsschutz.

Verletzt der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht fahrlässig oder schuldhaft, bestehen für Arbeitnehmer verschiedene Abwehrrechte. Beispielsweise kommen Unterlassungsansprüche, Zurückbehaltungsrechte an der Arbeitskraft sowie Schadensersatzansprüche in Betracht. Soweit vorhanden sind Betriebsräte zudem verpflichtet[8], sich für die Einhaltung des Arbeitsschutzrechts einzusetzen. Meiner Wahrnehmung nach nehmen viele Betriebsräte diese Aufgabe sehr ernst. Allerdings werden Betriebsräte oftmals mit den Grenzen der Ökonomie konfrontiert.

Der bayerische Ministerpräsident Söder hat in der letzten Woche ja sogar eine Impfpflicht für Mitarbeiter in den Pflegeberufen gefordert. Nun will er diese Idee erst einmal von der Ethikkommission prüfen lassen. Würde eine solche gesetzliche Impfpflicht die juristische Lage ändern?

Herr Söder verlangt eine gesetzliche Impfpflicht für Pflegekräfte, ohne eine allgemeine Impfpflicht gesetzlich zu regeln. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass nur die Hälfte der Pflegekräfte eine Impfbereitschaft zeigen soll.

Anders als im Falle des Masernschutzgesetzes würde es sich um eine eingeschränkte Impfpflicht handeln, die sich erstens auf eine ganz spezielle Berufsgruppe bezieht und zweitens auf eine Impfung gegen alle möglichen Infektionen beziehen könnte. Ob dies mit unserem Grundgesetz vereinbar ist, könnte fraglich sein, da eine solche Impfpflicht insbesondere die Berufsfreiheit[9] einschränken dürfte. Sollte ein entsprechendes Gesetz tatsächlich vom Bundestag beschlossen werden und in Kraft treten, dürfte wohl mit zahlreichen Verfassungsbeschwerden zu rechnen sein.

Nun hat Herr Spahn den Vorstoß seines Kollegen Söder bereits abgelehnt. Er bleibe dabei: Eine Impfpflicht werde es nicht geben.

Wie auch immer: Will man mehr Menschen für den Pflegeberuf gewinnen, sollte die Berufswahl nicht durch eine Impfpflicht erschwert werden. Schon deswegen nicht, weil es ernstzunehmende wissenschaftliche Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der Impfstoffe gibt. In einem Thesenpapier von Prof. Dr. med Schrappe und anderen heißt es[10]: „Es ist laut Robert-Koch-Institut (RKI) noch nicht geklärt, ob und in welchem Maße geimpfte Menschen das Coronavirus noch übertragen können. Derzeit ist auch noch unklar, wie lange die Wirkung bei den Geimpften als Schutz vor einer Ansteckung vorhält. Dies ist aber wichtig, um bestimmen zu können, wie viele Menschen sich impfen lassen müssen, um der Pandemie ein Ende zu setzen.“

Dieser Befund macht mich offen gesagt sehr nachdenklich, wenn man sich vorstellt, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage Grundrechte eingeschränkt werden sollen. Es gibt praktisch keine validen wissenschaftlichen Studien, die einen dauerhaften Impfschutz nachweisen würden. Es bleibt zu hoffen, dass der Deutsche Ethikrat auch diesen Gesichtspunkt in seine Überlegungen einbezieht, falls er sich mit dem Söder’schen Vorschlag befassen sollte.

Gibt es rechtliche Fälle, die ähnlich gelagert sind? Auch die Grippe ist ja vor allem für immunschwache und hochbetagte Menschen, die in Krankenhäusern und Alten- und Pflegeheimen untergebracht sind, hoch gefährlich. Dennoch gibt es keine Impfpflicht für das Personal. Und gab es in der Vergangenheit auch Gerichtsentscheide aus diesem Themenfeld?

Die aktuelle Diskussion über eine Impfpflicht zur Eindämmung des Corona-Virus kann mit anderen Fällen zur Impfpflicht meines Erachtens nur bedingt verglichen werden. In Betracht würde allenfalls die Verfassungsbeschwerde des Vereins „Ärzte für individuelle Impfentscheidung e.V.“ kommen, die verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Masernschutzgesetz vorgebracht hat. Über die Verfassungsbeschwerde ist in der Hauptsache noch nicht entschieden worden. Der Fall betrifft den Nachweis einer Masernimpfung als Voraussetzung für den Besuch einer Kita. Die minderjährige Beschwerdeführerin rügt hier eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und vertritt die Ansicht, dass die Masernschutzimpfungen in unverhältnismäßiger Weise in ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingreifen. Vor allem könne man sie nicht zwingen, irreversible Impfreaktionen hinzunehmen und sich den Gefahren unerwünschter Nebenwirkungen auszusetzen. Ich darf anmerken, dass die Impfstoffe gegen Masern im Gegensatz zu den Corona-Impfstoffen auf evidenzbasierten Studien und jahrzehntelanger Forschung beruhen. Über Nebenwirkungen bei der Masernimpfung kann durch Ärzte umfassend aufgeklärt werden. Das ist mit den Corona-Impfstoffen nicht gewährleistet.

Durch die öffentliche Debatte werden Mitarbeiter ja förmlich unter Druck gesetzt, sich impfen zu lassen. Ich könnte mir vorstellen, dass es für Skeptiker auch im beruflichen Umfeld nicht eben einfach ist, sich diesem Druck zu widersetzen.

Der Umgang mit Mitarbeitern ist ein weiteres Themenfeld. Es gibt Mitarbeiter, die eine Impfung ablehnen, andere lassen sich impfen. Sorgen sie dafür, dass sich die Belegschaft nicht spaltet und der Betriebsfrieden gefährdet wird. Das Schild an der Bürotür des Chefs „Ich lasse mich impfen“ fördert nicht gerade den Teamgeist, sondern führt zur Ausgrenzung. Auch im Betrieb herrscht Meinungsfreiheit. Gerade in der aktuellen Situation erscheint es mir immer wichtiger zu werden, die Meinung des anderen zu respektieren.

Und wie sieht es für die Betreiber von Altenheimen mit der Schutzverantwortung gegenüber den Bewohnern aus? Zurzeit rücken die mobilen Impfteams ja schon in die ersten Alten- und Pflegeheime ein. Findet dort eine individuelle Impfberatung für die Bewohner durch deren Hausarzt statt? Und wer entscheidet eigentlich für demente Personen, ob sie geimpft werden sollen und auf welcher fachlichen Basis kann eine solche Entscheidung überhaupt gefällt werden? Selbst namhafte Virologen tun sich ja schwer, für solche Personen, die ja meist eine komplizierte Krankheitsgeschichte haben, ohne individuelle Anamnese eine klare Impfempfehlung auszusprechen.

Arbeitgebern aus Gesundheitsberufen und Pflegeeinrichtungen, aber auch den Berufsbetreuern möchte ich ans Herz legen, sich bei dem Thema Impfungen und Impfpflichten nicht unter sozialen Druck setzen zu lassen. Ich frage mich immer, woher kommt die Eile, wenn beispielsweise noch am 27. Dezember ein Impfteam in ein Altenheim einfällt und mal schnell die Bewohner durchimpfen möchte. Man muss sich Zeit lassen. Es geht nicht nur um einen Pieks, wie man immer wieder verharmlosend die Impfung bezeichnet. Lassen Sie sich nicht verunsichern. Nirgendwo ist geregelt, dass die Impfung innerhalb einer bestimmten Zeit erfolgen muss. Verfallen Sie nicht in Panik, sondern bestehen Sie auf Aufklärung und auf die Hinzuziehung eines Arztes für eine gründliche Anamnese, bevor die Impfeinwilligung unterschrieben wird. Das sollten Sie auch den Angehörigen vermitteln, die häufig selbst mit der Situation überfordert sind und alles unterschreiben, was man ihnen vorlegt. Die Aufklärung ist wirklich ein zentrales Thema der Impfung und bisher nicht wirklich zufriedenstellend gelöst.

In dem bereits zitierten Thesenpapier von Prof. Dr. Schrappe et al. wird kritisiert, dass das Aufklärungsmerkblatt des RKI/Deutsches Grünes Kreuz keinen Hinweis darauf enthält, dass die Aufklärung durch ein persönliches Gespräch mit einem dafür ausgebildeten Arzt erfolgen muss. Im dazugehörigen Anamnese/Einwilligung-Formular[11] wird vielmehr der Eindruck erweckt, durch das Ankreuzen vorformulierter Sätze könne das persönliche Gespräch mit dem Arzt ersetzt werden. Dort steht dann …

Solche Merkblätter stellen nach der ständigen Rechtsprechung des BGH nur ein Indiz für eine stattgehabte Aufklärung dar, beweisen sie aber nicht. In den Hinweisen zur Impfaufklärung heißt es: „Das Aufklärungsmerkblatt dient der (vorherigen) Information des Impflings und ersetzt nicht die Möglichkeit zu einem Aufklärungsgespräch.“ Die „Möglichkeit eines Aufklärungsgesprächs“ erweckt den rechtlich fehlerhaften Eindruck, das Aufklärungsgespräch sei nicht erforderlich. Richtig ist: Es kann darauf verzichtet werden, aber das erfordert eine ausdrückliche Erklärung der zu impfenden Person, die durch ein Formular nicht ersetzt wird.

Davon abgesehen ist es nicht einfach, insbesondere bei Demenzerkrankten festzustellen, ob sie sich überhaupt impfen lassen wollen. Vor diesem Problem sehen sich Angehörige und Berufsbetreuer gleichermaßen gestellt. Was hätte der Betroffene gewollt, wenn er noch einwilligungsfähig gewesen wäre? Zur Klärung dieser Frage ist der Betreuer gemäß § 1901 BGB verpflichtet. Dient die Impfung dem Wohl des Betreuten? Aber auch der Arzt muss gemäß § 1901 b BGB ein Gespräch zur Feststellung der Einwilligungsfähigkeit des Patienten führen. Geschieht dies in der Praxis wirklich? Vor allem wenn mir berichtet wird, in welchem Tempo durchgeimpft werden soll.

So wie Sie das sagen, gibt es für den gesamten Themenbereich ja viele offene Fragen, die sich daraus ergeben, dass es weder eine klare Rechtsprechung noch einen klar definierten Gesetzesrahmen gibt. Dabei hätte die Politik doch eigentlich genügend Zeit gehabt, hier klarere Regeln vorzugeben. Die Debatte ist ja nicht neu, schon im Frühjahr hieß die Losung, wir warten auf einen Impfstoff. Nun sind die Impfstoffe da und man wirkt überrumpelt und alles muss schnell, schnell gehen. Hat die Politik hier versagt?

Was ich verstehen kann, ist Folgendes: Die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung von Sars-Cov-2-Viren sollten gewissermaßen nur übergangsweise bis zur Entwicklung eines Impfstoffes zum Einsatz kommen. Das Ziel stand somit fest: Ein Impfstoff musste her, der die Pandemie beenden würde. Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, dass man sich keine Zeit gelassen hat, um evidenzbasierte Studien zur Gefährlichkeit und zum Nachweis des Virus zu beschaffen und man nicht auf der Grundlage wissenschaftlicher Studien einen Impfstoff hat entwickeln lassen. Die Behauptung, dass Eile geboten war, weil das Gesundheitssystem anderenfalls zusammengebrochen wäre, ist bis heute nicht belegt. Andere Strategien zur Bewältigung der Corona-Krise hat die Bundesregierung nicht einmal in Betracht gezogen, beispielsweise Schutzmaßnahmen von Anfang an nur für bestimmte, stark gefährdete Bevölkerungsgruppen vorzusehen, wie dies unter anderem von Herrn Prof. Dr. med. Schrappe et. al. frühzeitig gefordert wurde.

Haben diese Maßnahmen ihren Zweck verfehlt? Trotz AHA-Regeln und schmerzhafter Lockdowns sind die Infektionszahlen gestiegen und bleiben meines Wissens aktuell auf einem hohen Niveau. Fest steht, dass die Maßnahmen zu gravierenden gesellschaftlichen Einschnitten und Belastungen geführt haben.

Fälle wie der eingangs genannte Zahnarzt aus Pfaffenhofen sind keine Einzelfälle. Oft tauchen sie – wenn überhaupt – nur in der Lokalpresse auf und es gibt keine Selbsthilfegruppen oder Vernetzungen, über die die Betroffenen Rat und Unterstützung finden können. Sicherlich können auch viele Leser der NachDenkSeiten zu diesem Thema ihre Erfahrungen beitragen und ich könnte mir auch vorstellen, dass es viele Leser gibt, die selbst Rat und Unterstützung suchen. Könnten Sie sich vorstellen, dass es im Rahmen der Leserschaft und unserer Gesprächskreise zu einem solchen Erfahrungsaustausch kommen könnte?

Wir werden zunehmend mit rechtlichen Problemen bei der Bewältigung der Corona-Krise zu kämpfen haben. Es ist vollkommen ungewiss, wie sich das Infektionsgeschehen entwickeln wird. Es ist ebenso ungewiss, mit welchen Maßnahmen die Bundesregierung und die Länder auf die weitere Entwicklung reagieren werden. Kann die Impfkampagne angesichts der Schwierigkeiten bei der Impfstoffversorgung durchgeführt werden oder kommt es zu weiteren Maßnahmen und gesetzlichen Verschärfungen? Kommt am Ende doch eine gesetzliche Impfpflicht in welcher Form auch immer daher und wie wäre darauf zu reagieren? Ich würde mich sehr freuen, wenn es zu diesen Fragen und Themen einen regen Austausch mit den Lesern der NachDenkSeiten kommen könnte.

Herr Golüke, wir danken für dieses Gespräch.

Titelbild: r.classen/shutterstock.com


[«1] (Stand:20.08.2020) bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Schwerpunkte/sars-cov-2-arbeitsschutzstandard.pdf?__blob=publicationFile&v=2

[«2] Artikel 1 Abs. 1 GG

[«3] Artikel 2 GG

[«4] BAG Urteil vom 30.01.1991, 4 AZR 338/90, AP Nr. 33 zu § 615 BGB

[«5] § 611, § 613, § 615 BGB in Verbindung mit § 242 BGB;BAG – Entscheidung vom 19.08.1976- 3 AZR 173/75

[«6] BAG 21.12.2017- 8 AZR 853/16

[«7] BGHSt 18, 389, 393; BayObLG NJW 1993, 212

[«8] § 89 Abs. 1 Satz. 1 BetrVG

[«9] Artikel 12 GG

[«10] Artikel 12 GGThesenpapier 7 vom 10.01.2021 Seite 54 f.

[«11] Stand 22.12.2020; zuletzt abgerufen 2.1.2021


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