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Titel: Ampel-Sondierungsergebnisse – wo bleibt die „linke“ Handschrift?

Datum: 19. Oktober 2021 um 12:01 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Bundesregierung, Sozialstaat, Wahlen
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Der frisch bestätigte Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus kommentierte die Sondierungsergebnisse von SPD, Grünen und FDP als „strammste Linksagenda seit Jahrzehnten“. So viel Fehlsichtigkeit ist erstaunlich. Das Sondierungspapier verspricht eine moderne und digitalere Politik, sozialpolitische Akzente sind jedoch Mangelware. Es scheint vielmehr so, als habe sich die FDP hier auf ganzer Linie durchgesetzt. Von den roten Tupfern in den Programmen der SPD und der Grünen ist jedenfalls nicht viel übergeblieben. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Lesen Sie zum Sondierungspapier auch: Albrecht Müller – „Systemwettbewerb – die Ampel fällt in den ideologischen Grabenkampf zurück“.

Um es vorwegzunehmen: Ein Sondierungspapier ist kein Koalitionsvertrag. Es beschreibt die Richtlinien, anhand derer die Detailfragen in den nun laufenden Koalitionsverhandlungen festgeschrieben werden. Nur in wenigen Punkten haben sich die drei regierungswilligen Parteien auf konkrete Punkte geeinigt. Viel bleibt schwammig, stellt eher eine Absichtserklärung dar und ist streng genommen nicht mehr als eine Sprechblase. Wer will schon nicht die Kinderarmut bekämpfen, den sozialen Zusammenhalt stärken oder gerechte Renten zahlen? Wie man dies jedoch definiert, ist oft sehr subjektiv. Daher kann diese Analyse zum jetzigen Zeitpunkt auch nur vorläufig sein. Manchmal ist es jedoch interessanter, auf die Punkte zu achten, die nicht angesprochen werden. Und davon gibt es im Sondierungspapier reichlich.

So sind die konkreten und die vagen Aussagen zur Klimapolitik sehr umfassend. Kein Wunder, galt dieses Thema doch im Wahlkampf und im Vorfeld der Sondierungen als einer der zentralen Stolpersteine für eine Zusammenarbeit zwischen den drei Parteien. Im Sondierungspapier gibt man sich tatkräftig und fordert Anstrengungen, die alle Bereiche umfassen – vom Verkehr über Bauen und Wohnen, Stromerzeugung, Industrie bis Landwirtschaft. Es ist klar, dass mehr Klimaschutz in all diesen Sektoren nicht kostenlos zu haben ist. Doch wer bezahlt am Ende die Rechnung? Dazu schweigt das Papier. Das von den Grünen als zentrale Komponente zum sozialen Ausgleich bei der Energiewende und dem Klimaschutz entworfene „Energiegeld“ ist beispielsweise nicht im Sondierungspapier aufgenommen worden. Und auch sonst fehlt jeglicher Hinweis darauf, wie die Ampel es hinbekommen will, dass die Kosten für den Klimaschutz nicht zu einer noch größeren sozialen Schieflage führen. Lediglich vom geplanten Ende der Finanzierung der EEG-Umlage über den Strompreis ist im Papier die Rede. Zusätzliche Belastungen anderer Art für den Endverbraucher werden jedoch nicht einmal thematisiert. Dabei trägt der Endverbraucher letzten Endes ohnehin die Mehrkosten aller Sektoren, sind diese doch in den Verbraucherpreisen enthalten.

Schwammig sind auch die Formulierungen zu Arbeitszeit und tariflichen Fragen. Man will mehr Flexibilität ermöglichen, dies aber mit den Tarifpartnern „weiterentwickeln“. Dies soll dann zu fairen Bedingungen und fairen Löhnen führen. Das ist sicher gut für die Gewerkschaften, die mit am Tisch sitzen werden, aber schlecht für die Millionen Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nicht unter die klassische Tarifpartnerschaft fällt. Die Zweiklassen-Gesellschaft der Arbeitsverträge droht sich hier noch stärker zu fragmentieren.

Alles andere als „links“ ist auch die umrissene Rentenpolitik. Positiv ist hier, dass die drei Parteien Rentenkürzungen und eine Anhebung des Renteneintrittsalters kategorisch ausschließen. Dafür will man jedoch „langfristig“ in eine „teilweise Kapitaldeckung“ der Gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen. Der soll es nun ermöglicht werden, „ihre Reserven am Kapitalmarkt reguliert anzulegen“. Den Kapitalstock dafür soll der Bund aus Haushaltsmitteln bereitstellen. Das wird vor allem bei BlackRock und Co. die Sektkorken knallen lassen, bieten diese Finanzkonzerne doch genau die maßgeschneiderten Lösungen an, mit denen eine Anlage der Reserven der Rentenversicherung verwirklicht werden kann.

Der echte Hauptgewinn für die Finanzkonzerne ist jedoch, dass die drei Koalitionspartner auch noch die private Altersvorsorge „grundlegend reformieren“ und dafür „das Angebot eines öffentlich verantworteten Fonds mit einem effektiven und kostengünstigen Angebot mit Abwahlmöglichkeit prüfen“ wollen. Wäre das Sondierungspapier eine Ausschreibung, so könnte man sagen, dass diese Formulierung eins zu sein darauf abzielt, das von BlackRock und Co. eifrig in Brüssel lobbyierte „PEPP“ umzusetzen. Zu den Unterstützern dieses Modells zählen übrigens nicht nur die FDP, sondern auch der Grünen-Politiker Sven Giegold, der an den Sondierungsgesprächen teilnahm.

Auf den ersten Blick positiv und löblich klingt hingegen die Formulierung, man wolle Hartz IV durch ein Bürgergeld ablösen. Wie dieses Bürgergeld jedoch aussehen soll, ist im Sondierungspapier nur vage umrissen. Man will jedenfalls an den „Mitwirkungspflichten“ festhalten – doch eine Sozialleistung mit Sanktionsdrohung ist nun mal Hartz IV, egal welchen Namen man dem Kind gibt. Dafür will man aber die Zuverdienstmöglichkeiten verbessern. Auch das klingt sicher für viele Betroffene erst einmal gut, ist jedoch auch eine Gefahr für den Missbrauch des Bürgergelds als eine Art zweiter Arbeitsmarkt, um sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse, die besonderen Schutz genießen, zu umgehen. Hier wird man abwarten müssen, wie dieses Modell im Koalitionsvertrag konkreter definiert wird.

Erstaunlich vage bleiben die drei Verhandlungspartner auch bei der nicht eben unwichtigen Frage, wer die ganzen Kosten für die gemeinsamen Pläne – insbesondere der Energiewende – bezahlen soll. Man will keine Substanzsteuern einführen und weder Einkommen-, noch Unternehmens- oder Mehrwertsteuer erhöhen. An der Schuldenbremse will man aber auch festhalten. Das Papier erweckt jedoch aufgrund der gewählten Formulierung den Verdacht, dass man die Schuldenbremse unter Verweis auf den Investitionscharakter bestimmter Ausgaben umgehen will. Das ist ja auch nicht falsch. Letztlich führt das jedoch zu einer noch größeren Unterscheidung der Ausgaben. Die „guten“ Ausgaben sind Investitionen und können abseits der Schuldenbremse finanziert werden, die „bösen“ Ausgaben sind Konsum und dürfen nicht über das erlaubte Maß steigen. Natürlich fallen dann z.B. alle Sozialausgaben unter die letztere Kategorie und stehen damit unter Finanzierungsvorbehalt. Die Schuldenbremse wird dadurch letztendlich vor allem eine „Ausrede“ sein, um bestimmte Ausgaben zu kürzen, die vor allem den Bürgern zugutekommen, die sozioökonomisch nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen.

Was an all diesen Punkten so fürchterlich „links“ sein soll, weiß daher wohl auch nur die CDU. Ein denkbares Sondierungspapier zwischen der SPD und den Unionsparteien hätte in nahezu allen Punkten sehr ähnlich ausgesehen. Bleibt am Ende nur noch der einzige Punkt, der sofort ins Auge sticht: Die Ampelparteien wollen den Mindestlohn sofort auf 12 Euro erhöhen. Das ist zwar immer noch zu wenig, aber gemessen an den Umständen sicher der wohl positivste Punkt des gesamten Sondierungspapiers. Zu einer „strammen Linksagenda“ macht dies das Papier jedoch ganz sicher nicht.

Titelbild: monticello/shutterstock.com


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