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Titel: Gaspreisexplosion – nun findet auch der SPIEGEL heraus, was Sie bereits vor mehr als zwei Monaten auf den NachDenkSeiten lesen konnten

Datum: 18. Oktober 2022 um 12:51 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Banken, Börse, Spekulation, Energiepolitik, Medien und Medienanalyse, Ressourcen
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Hartnäckig hält sich immer noch das Narrativ, Russlands verminderte Gaslieferungen seien der einzige Grund für die teils exorbitanten Großhandelspreise für Erdgas. Unstrittig ist, dass die Kappung der Lieferungen russischen Gases der Auslöser der Preisrallye war. Damit alleine lassen sich jedoch die extremen Preissteigerungen nicht erklären. Die NachDenkSeiten hatten bereits am 5. August die Hintergründe gründlicher analysiert und dabei vor allem die Einkaufspolitik der staatlich beauftragten Energieagentur Trading Hub Europe kritisiert, die maßgeblich für die extremen Preissteigerungen verantwortlich ist. Mehr als zwei Monate später schließt sich jetzt auch der SPIEGEL in einem Artikel hinter der Bezahlschranke diesem Urteil an. Getreu dem alten SPIEGEL-Werbeslogan könnte man wohl sagen: NachDenkSeiten-Leser wissen mehr. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Um zu verstehen, warum die Großhandelspreise für Erdgas vor allem im August jenseits von Gut und Böse waren, muss man verstehen, wie es der Bundesregierung gelungen ist, die nationalen Gasspeicher in einem Rekordtempo zu füllen. Im Frühjahr, als sich die Großhandelspreise nach der russischen Invasion in der Ukraine verdoppelt hatten, war die Bereitschaft privatwirtschaftlicher Unternehmen, Gas zu diesen Preisen für den nächsten Winter einzulagern, freundlich ausgedrückt zurückhaltend. Das brachte die zuständige Bundesnetzagentur und das Bundeswirtschaftsministerium auf den Plan. Am 3. Juni wurde der technische Dienstleister Trading Hub Europe (THE) damit beauftragt, die Füllung der nationalen Gasspeicher zu koordinieren. Am 23. Juni rief Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck dann die Alarmstufe des Notfallplans Gas aus, mit der er THE legitimierte, über ein Kreditfenster der staatlichen Förderbank KfW selbst Gas an den Energiebörsen zu kaufen und es in den Speichern einzulagern.

Diese Maßnahme war per se nicht falsch. Nachdem Gazprom die Gaslieferungen über die Nord-Stream-1-Pipeline unter fragwürdigen Erklärungen am 13. Juni auf 40 Prozent des maximalen Volumens gedrosselt hatte, waren die Preise noch einmal gestiegen und mittlerweile meldeten die großen privatwirtschaftlichen Gasimporteure wie Uniper, dass ihnen das nötige Geld für weitere Einkäufe ausgegangen sei. Hochproblematisch war jedoch die Vorgehensweise des staatlichen Einkaufsprogramms, das nun von THE umgesetzt wurde. Die NachDenkSeiten kommentierten dies damals folgendermaßen:

Die Firma Trading Hub Europe (THE) […] hat nun die hoheitliche Aufgabe, den Markt sprichwörtlich leerzukaufen und die nationalen Gasspeicher mit der technisch maximalen Menge pro Tag zu füllen. […] Auf den Preis soll THE dabei nicht achten, sondern blindlinks zu jedem aufgerufenen Preis einkaufen. […] Deutschland kauft also derzeit ohne Sinn und Verstand den Markt leer.

Die Intervention von THE sorgte nun also dafür, dass der ohnehin schon erhöhte Preis noch weiter in die Höhe stieg. Seit der Ausrufung der Alarmstufe ist THE am Markt aktiv. Wertet man die Daten der Bundesnetzagentur aus, ist jedoch ersichtlich, dass die Einkäufe in ihrem Volumen variieren. Das ist besonders interessant, wenn man diese Angaben mit dem Großhandelspreis in Verbindung setzt.

In der ersten Phase von der Ausrufung der Alarmstufe bis zum 11. Juli kaufte THE im Schnitt täglich ein Volumen, das der Füllung von 0,3% des nationalen Speichervolumens entspricht. In Folge stieg der Großhandelspreis von rund 130 Euro auf rund 180 Euro pro MWh. Ab dem 11. Juli fuhr THE seine Aktivitäten merklich zurück. Die Gründe dafür sind unbekannt. In den folgenden 10 Tagen betrug das Einkaufsvolumen im Schnitt nur noch 0,1%, was direkte Folgen für den Großhandelspreis hatte, der nun wieder auf rund 155 Euro pro MWh sank. Am 21. Juli erfolgte die Kehrtwende. Nun kaufte THE massiv die Märkte leer und kommt bis Ende August auf ein durchschnittliches Einkaufsvolumen von 0,5% der Speichermenge. Durch diese Aktivität verdoppelte sich der Großhandelspreis auf über 300 Euro pro MWh. Erst als THE ab dem 24. August seine Aktivitäten wieder drosselte und das Einkaufsvolumen auf 0,2% bis 0,3% im Schnitt senkte, sanken auch wieder die Großhandelspreise.

Interessant ist in diesem Kontext, dass die Großhandelspreise nach der am 30. August von Russland verkündeten vollständigen Einstellung der Gaslieferungen über Nord Stream 1 und den Anschlägen auf die beiden Nord-Stream-Pipelines am 26. September sogar sanken. In diesem Zeitraum waren die Speicher bereits fast voll und dank des warmen Herbsts lag der Verbrauch in einem überschaubaren Bereich. Das Sinken der Nachfrage hatte nun deutliche Auswirkungen auf den Großhandelspreis, der nun mit gerade einmal 66 Euro pro MWh auf dem „Vorkriegsniveau“ liegt – und dies, obgleich aus Russland nur noch minimale Gaslieferungen über das Transgas-Pipeline-System kommen und die neuen LNG-Terminals noch nicht in Betrieb sind. Doch das ist nur eine Momentaufnahme, die abermals dem warmen Wetter geschuldet ist. Spätestens wenn die Temperaturen wieder deutlich sinken, wird sich auch die Nachfrage wieder deutlich erhöhen und die Großhandelspreise werden massiv anziehen. Dies erkennt man auch am „Spread“ zwischen den Spotmarktpreisen und den Preisen für Terminkontrakte in einem Monat, die zurzeit mit 150 pro MWh auf Krisenniveau rangieren.

Was hat die Preise also derart in die Höhe getrieben? War es wirklich ausschließlich die etappenweise Einstellung der russischen Gaslieferungen? Sie war zweifelsohne der Auslöser und ist – wie man aus den Daten grob herauslesen kann – für eine Steigerung auf rund 125 bis 150 Euro pro MWh verantwortlich. Die Preisexzesse im Sommer lassen sich damit jedoch nicht erklären. Das ist auch die Kernaussage der NachDenkSeiten-Analyse vom 5. August. Wenn ein mit unendlichen Geldmitteln ausgestatteter staatlicher Akteur den Markt physisch leerkauft, hat dies massive Auswirkungen auf die Preise. Man kann sich das so vorstellen: Ohne die Intervention von THE wäre das Gas auf dem Spotmarkt während der gesamten Sommersaison nicht knapp gewesen. Die Preise wären auf einem deutlich niedrigeren Niveau, Sonderkunden aus Industrie und Gewerbe und auch die Versorgungsunternehmen hätten ihr Gas zu deutlich niedrigeren Preisen kaufen können.

Und was wäre mit den Speichern gewesen? Wären die dann heute leer? Natürlich nicht. THE hätte den Einkauf und den Verkauf der eingespeicherten Gasmenge – wie in der Branche üblich – über Termingeschäfte abwickeln können. Im August schrieben die NachDenkSeiten dazu: „Richtig problematisch wird es immer dann, wenn man zwar marktwirtschaftliche Mechanismen zum Leitfaden erklärt, dann jedoch diese Mechanismen ignoriert und ohne Sinn und Verstand entgegen marktwirtschaftlicher Logik handelt.“ Exakt dies ist geschehen und die Folgen sind volkswirtschaftlich dramatisch. Die – in diesem Maße – unnötig hohen Gaspreise haben sich schließlich auf die Strom- und die Erzeugerpreise ausgewirkt und sind nicht „nur“ auf unserer Gasrechnung, sondern auch in fast allen anderen Produkten und Dienstleistungen enthalten. Ohne die amateurhafte Einkaufspolitik, die Robert Habecks Bundeswirtschaftsministerium als oberste Dienstbehörde zu verantworten hat, müssten wir jetzt nicht mit einer zweistelligen Preissteigerung kämpfen.

Diese Kritik wird nun auch im SPIEGEL geäußert. Dort heißt es:

„Nur leider hat die zuständige Firma beim Einkauf offenbar unnütz die Preise nach oben getrieben. Händler und Experten sind fassungslos. […] Im August, als die Einspeicherung auf Hochtouren lief, kaufte THE allein für Deutschlands größten Gasspeicher in Rehden an vielen Tagen ein Viertel der Gasmenge ein, die zur selben Zeit in ganz Deutschland verbraucht wurde. »Das hat auf jeden Fall zu einer weiteren Verknappung geführt«, sagt Andreas Schroeder vom Energieanalysehaus ICIS. Ende August kletterten die Preise auf einen Rekordstand von mehr als 300 Euro pro Megawattstunde. Versorger gerieten in Finanznöte, beim Energieriesen Uniper war die Lage so schlimm, dass er ein paar Wochen später verstaatlicht wurde. […] Manche Branchenkenner zeigen sich fassungslos über den Trading Hub. Denn wirklich Sinn ergibt dessen Einkaufsstrategie nicht.“

Damit bestätigt der SPIEGEL genau das, was die NachDenkSeiten bereits vor mehr als zwei Monaten feststellten. Besser spät als nie? Nein, denn damals hätte noch die Chance bestanden, umzusteuern. Das ist heute – zumindest für diese Heizperiode – zu spät. Man darf gespannt sein, ob wenigstens das Bundeswirtschaftsministerium aus diesem katastrophalen Fehler lernt und ihn im Frühling 2023 abschaltet, wenn die Speicher wieder gefüllt werden müssen.

Zumindest kann sich Robert Habeck sicher sein, dass die Kritik an ihm im SPIEGEL – anders als auf den NachDenkSeiten – dosiert geäußert wird. Laut SPIEGEL war es nämlich nur eine „Nachlässigkeit“, die „vermutlich die Preise unnötig in die Höhe getrieben“ habe. Nun ja. Auch in diesem Punkt wissen NachDenkSeiten-Leser natürlich mehr.

Die NachDenkSeiten haben im letzten Jahr zahlreiche Artikel zum Thema veröffentlicht, die ebenfalls „ihrer Zeit voraus“ waren oder es heute noch sind:

Titelbild: Oil and Gas Photographer/shutterstock.com


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