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Titel: Es lebe das Ressentiment: Wie Schwarz-Rot die Republik nach rechts verschiebt

Datum: 20. August 2025 um 9:00 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Hartz-Gesetze/Bürgergeld, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Sozialstaat
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Für einfache und bedürftige Menschen bleibt in der Hochrüstungsrepublik nichts mehr übrig. Also spielen die Regierungsparteien sie eiskalt gegeneinander aus und bedienen sich schamlos am Blatt der Populisten. Kürzungen und Sanktionen beim Bürgergeld, Deutschpflicht, Asylleistungen auf Pump – keine noch so abseitige Idee lässt der sozialdarwinistische Erfindergeist aus. Und während Union und SPD auf billigen Applaus heischen, fährt die AfD die Ernte ein. Ein bestimmt unerhörter Weckruf, von Ralf Wurzbacher.

Liebe CDU/CSU, liebe SPD,

Sie betonen ja so gerne, welch große Stücke Sie auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Anstand halten und dass es das alles zu schützen gelte vor den Angriffen derer, die mit all dem auf Kriegsfuß stehen, namentlich gegen die „Feinde der Demokratie“. Vor allem münzen Sie das auf die Populisten und die Rechten, wovon es ja doch so einige und zusehends mehr gibt in diesem Land und die insbesondere in der AfD ein ziemlich großes Auffangbecken gefunden haben. Man müsse sich diesen Kräften in den Weg stellen, postulieren Sie zu jeder Gelegenheit, also klare Kante zeigen und die Werte hochhalten, für welche die Bundesrepublik stehe: Vielfalt, Toleranz, Menschlichkeit, Solidarität, sozialer Zusammenhalt.

Das sind schöne Worte und Vorsätze, die ich, für sich betrachtet, samt und sonders zu schätzen weiß und die zu befolgen und vorzuleben ich mich täglich bemühe. Allerdings ist dieses Bemühen in Ihren Reihen nicht allseits, jederzeit und durchgängig wahrnehmbar, stattdessen eher immer seltener oder praktisch gar nicht mehr. Und wie das nun einmal so ist: Wo Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen, ist es mit der Glaubwürdigkeit salbungsvoller Reden nicht mehr weit her beziehungsweise die Spielweise von Heuchlern und Lügnern gleich um die Ecke.

Zum Beispiel machte die AfD vor wenigen Tagen ein riesiges Fass auf mit einer „Enthüllung“, die nicht mehr enthüllt als die per Grundgesetz verbriefte Gewissheit, dass Deutschland ein Sozialstaat ist, zumindest noch formal. Freilich will das der sogenannte sozialpolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, René Springer, nicht wahrhaben, weshalb er sich medienwirksam darüber ereiferte, dass die Bundesagentur für Arbeit (BA) einen „mehrseitigen Flyer vollständig auf Arabisch“ verteilen würde, „der im Detail erklärt, wie Ausländer in Deutschland Bürgergeld beantragen können“. Und um das zu beweisen, ließ es sich Springer nicht nehmen, das „Corpus Delicti“ zu verlinken, damit auch noch jeder Doofkopf rafft, dass er nur Bahnhof versteht – „kann ja keiner entziffern“.

Dafür gab es die AfD-Botschaft in leicht verständlicher Sprache, von wegen „nichts anderes als eine offene Einladung zum Sozialtourismus“ und „eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie man vom ersten Tag an in die soziale Hängematte gelangt“. Dazu noch „Bürgergeld grundsätzlich nur für Deutsche“ und für Ausländer erst, „wenn sie zehn Jahre lang einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit nachgegangen sind und gut Deutsch sprechen“. Gut gebrüllt, dachte ich, lass die ihre Hetze abziehen, wird schon nichts bewirken. So kann man sich täuschen …

Nur fünf Tage nach dem AfD-Vorstoß, am Freitag der Vorwoche, ging durch die Medien die Meldung, die BA werde ihre „Kurzinformation zum Bürgergeld“ perspektivisch nicht mehr in fremder, sondern bloß noch „in deutscher und leichter Sprache“ offerieren. Bis dato gibt es zusätzliche Übersetzungen in Bulgarisch, Englisch, Französisch, Farsi (Persisch), Rumänisch, Russisch, Ukrainisch, Türkisch und eben auch und nicht nur auf Arabisch, wie die AfD weismachen wollte.

Diese Praxis wird jetzt kurzerhand beendet, was bemerkenswert ist: Schließlich hat nahezu die Hälfte aller Bürgergeldempfänger keinen deutschen Pass, nicht wenige sind als Flüchtlinge, häufig als Opfer vom Westen angezettelter Kriege, ohne Deutschkenntnisse ins Land gekommen und erhalten mithin jahrelang keine Arbeitserlaubnis. Es ist nicht nur eine sozialstaatliche Verpflichtung, sondern ebenso eine Frage von Gerechtigkeit und Gleichbehandlung, all diese Menschen bestmöglich über ihre Rechte, Ansprüche und Pflichten in Kenntnis zu setzen und eben nicht nur jene, die Deutsche sind oder Deutsch sprechen. Kurzum: Der Sozialstaat ist für alle da, die ihn brauchen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und Religion.

Sich auf Spargründe zurückzuziehen und darauf, dass Google als Übersetzer einspringen könne, ist eine billige Ausrede, wie etwa der Bundesgeschäftsführer der Linken, Janis Ehling, klargestellt hat. Für einen Rechtsanspruch brauche es rechtssichere Informationen, und das „kann kein Auto-Übersetzer liefern“. Die BA-Formulierungen seien selbst für Muttersprachler oft überfordernd, „unsere Sozialbürokraten sollten sich lieber Gedanken machen, wie sie die Verständlichkeit ihrer Anforderungen verbessern, statt sie zu verschlechtern“. Sehr richtig!

Nun frage ich Sie, liebe Damen und Herren von der Union und der SPD: Warum hört man von Ihnen nichts in der Angelegenheit? Sonst stellen Sie sich doch auch demonstrativ vor jede noch so kleine Minderheit, um sie vor Diskriminierung und ihre Würde und Identität zu bewahren. Und wieso ließ BA-Chefin Andrea Nahles – die frühere SPD-Vorsitzende – ihre Pläne ausgerechnet via Bild verbreiten, wo Hetze gegen Migranten und „Sozialschmarotzer“ eine Heimat hat? Weshalb pfeift sie keiner zurück, und sei es bloß, um nicht den Eindruck zu erwecken, man tanze nach der Pfeife der AfD? Und wollen Sie wirklich als Wegbereiter einer überwunden geglaubten Tradition herhalten, wonach in deutschen Amtsstuben bitte schön nur noch Deutsch zu sprechen und zu hören sein darf? Das und denkbare Folgemaßnahmen in größerem öffentlichen Raum vertrügen sich schwerlich mit der Regenbogenflagge.

Jedenfalls beschleicht einen das ungute Gefühl, Sie ließen sich gerne vor den Karren der Rechten spannen, um Dinge durchzusetzen, die Sie als Christ- und Sozialdemokraten in unaufgeregteren Zeiten nicht durchsetzen könnten. Oder machen Sie, was die AfD an sozial- und migrationspolitischen Zumutungen anregt, nur mit, um sich als die volksnäheren Populisten zu verkaufen? Beide Motive wären schäbig und für echte Demokraten ein Unding. Sie aber nutzen fast noch jede Vorlage der Rechtsausleger, um bei deren demagogischem Süppchen mitzukochen.

Vor Wochen hatte die AfD per Regierungsanfrage „explodierende Kosten“ beim Bürgergeld in die Welt gesetzt und gewütet, die Leistung dürfe es nur mehr für Deutsche geben. Von Ihnen war daraufhin zu vernehmen: verschärfte Sanktionen (Bärbel Bas, SPD) und kein Bürgergeld mehr für Ukrainer (Markus Söder, CSU). Ihre Replik hätte auch lauten können: ,Wir haben mit unserer Russland- und Energiepolitik die Wirtschaft ruiniert, viele Menschen um ihre Arbeit gebracht und in die soziale Bedürftigkeit genötigt.´ Aber nein! Sie ließen lieber den Eindruck „historischer Rekordausgaben“ wirken und redeten den vermeintlich neidgeplagten einfachen Werktätigen, „die täglich malochen“ (Dirk Wiese, SPD), das gute Gefühl ein, dass es ihnen wieder besser gehen wird, sobald es anderen noch schlechter geht.

Bei Ihrem Hang zur Stimmungsmache geben Sie auch nichts mehr auf Fakten, die Sie ja sonst so vehement gegen Fake News verteidigen. So könnten Sie etwa, um Ressentiments gegen Arbeitslose und Migranten zu begegnen, auf eine neue Studie aus dem Haus der Hans-Böckler-Stiftung verweisen, der zufolge „überall in Deutschland ein deutlicher Lohnabstand zwischen einer Vollzeitbeschäftigung zum Mindestlohn und Bürgergeld besteht“ und der Vorwurf, Faulenzen gehe über Arbeit, „sachlich falsch und stigmatisierend“ sei. Oder Sie könnten klarstellen, dass die Erzählung von aus dem Ruder laufenden SGB-II-Kosten einer Prüfung nicht standhält und diese seit Anfang 2025 im Sinken begriffen sind.

Aber mit Details und Relativierungen mögen Sie das Publikum nicht behelligen. Lieber bedienen Sie sich an den Plattheiten, Klischees und Lügen, die ihnen die ach so verhasste AfD auf dem Silbertablett serviert. Und auf die Idee, dass Sie damit den Rechten noch mehr Wähler in die Arme treiben – „dann lieber gleich das Original“ –, wollen Sie dabei partout nicht kommen. Vor allem Sie nicht von der SPD mit Umfragewerten von 13 Prozent. Da ist wahrlich nicht mehr viel Luft nach ganz unten – da, wo die und immer mehr von denen kauern, die Sie komplett verraten haben mit „Agenda 2010“, „schwarzer Null“ und „Schuldenbremse“.

Und neuerdings mit „Kriegstüchtigkeit“. Wie wäre es ausnahmsweise mit reinem Wein, sprich Ehrlichkeit: „Liebe Wählerinnen und Wähler, Deutschlands Hochrüstung bis an die Zähne beißt sich mit Sozialstaatsgebot und Wohlstandsversprechen. Für Euch bleibt einfach nichts mehr hängen.“ Für „die da oben“, die an Schulden und Hochrüstung verdienen, dafür um so mehr. Viel mehr? Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) liebäugelte dieser Tage wahrhaftig mit Steuererhöhungen für Spitzenverdiener und Vermögende. Dafür erhielt er prompt die kalkulierte Abfuhr. Das sei „jetzt nicht die Zeit“ dafür, watschte ihn Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) ab. Ausgerechnet er, den eine ausgeprägte Affinität Richtung rechts außen antreibt und die klammheimliche Mission, als möglicher kommender Bundeskanzler mit der AfD gemeinsame Sache für Deutschland zu machen.

Wenigstens das könnten doch Sie von der SPD begierig aufgreifen, meinetwegen gerne auch ausschlachten. Das lassen Sie aber bleiben und sehen lieber wortlos zu, wie zwei „sozialdemokratische“ Landräte in Thüringen das Feld der Rechten beackern. Ihr Vorschlag: Sozialleistungen an Geflüchtete und Nicht-EU-Ausländer nur noch als Darlehen auszahlen. Damit wirke man auch einer Neiddebatte gegenüber Migranten entgegen, meint Marko Wolfram vom Kreis Saalfeld-Rudolstadt. Darauf ist nicht einmal die AfD gekommen. Die sagt trotzdem: Danke für die Blumen – und die Wähler.

Deshalb: Tun Sie endlich das, was Demokraten tun, um den Erhalt der Demokratie zu sichern. Beenden Sie die Spaltung und führen Sie die Menschen wieder zusammen, setzen sie dem individuellen Reichtum Grenzen, verteilen ihn zugunsten der breiten Bevölkerung, damit alle am Wohlstand teilhaben können. Dann klappt‘s auch wieder bei den Wahlen. Das alles wünsche ich mir und Ihnen, allein mir fehlt der Glaube daran.

Und so verbleibe ich mit besten Grüßen und hoffnungslos …

Titelbild: EUS-Nachrichten / Shutterstock


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