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Titel: Die neuen kalten Krieger versuchen, die Ostpolitik Willy Brandts für sich zu besetzen. Um die militärische Rüstung zu schmieren.

Datum: 28. Februar 2017 um 17:05 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Aufrüstung, SPD, Strategien der Meinungsmache
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In der SPD streitet man sich um die neue Ostpolitik und um den Umgang mit Russland. Das könnte uns egal sein, wenn es nicht um Krieg oder Frieden ginge. Es ist von einem seltsamen Vorgang zu berichten: der Redenschreiber(!) des sozialdemokratischen Außenministers, jetzt Gabriel vorher Steinmeier, kanzelte im Parteiorgan „vorwärts“ den früheren Parteivorsitzenden Platzeck wegen zu großem Verständnis für Russland ab. Man kann und muss davon ausgehen, dass ein Redenschreiber so etwas nicht ohne Absprache mit seinem Chef tut. Und man muss auch davon ausgehen, dass das „Gscherr“ so denkt wie der Herr. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Matthias Platzeck hatte am 20. Februar in einem Beitrag im vorwärts notiert: „Ohne Entspannung mit Russland keine Sicherheit in Europa“. Er warb für eine pragmatische Realpolitik gegenüber Moskau und meinte, die Ostpolitik Brandts könnte Vorbild dafür sein. (Dieser Text entsprach in großen Zügen und kürzer dem, was Platzeck in seiner Dresdner Rede am Tag vorher gesagt hatte. Davon hatten wir berichtet.)

Am 24. Februar meldete sich dann der Redenschreiber des Außenministers, Simon Vaut, mit diesem Text zu Wort: „Warum Platzeck irrt: über Russland und über Brandts Ostpolitik“. Der Redenschreiber Vaut nimmt in Anspruch, die Ostpolitik Willy Brandts richtig zu interpretieren und wirft dem früheren SPD-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten von Brandenburg Platzeck vor, sie falsch zu interpretieren, zu wohlwollend gegenüber Russland zu sein.

Zunächst noch zum Formalen und Formellen dieses Vorgangs: Dass der amtierende. Außenminister und SPD-Vorsitzende Gabriel seinen Redenschreiber auf seinen Vorgänger im Parteivorsitz und früheren brandenburgischen Ministerpräsidenten antworten lässt, und dann noch in zurechtweisender Art, ist schon ein erstaunlicher Vorgang. Darin steckt eine deutliche Missachtung des Vorgängers durch den amtierenden Parteivorsitzenden.

Wenn Sie erfahren und erkennen wollen, mit welchen Mitteln jene arbeiten, die die Konfrontation mit Russland aufrechterhalten wollen und am Feindbildaufbau tätig sind, dann sollten Sie den Text des Simon Vaut lesen. Ich will auf einige erstaunliche Irreführungen oder Denkfehler hinweisen. Dabei ist interessant, dass sich Aussagen des Redenschreibers und des früheren Chefs im Auswärtigen Amt, Steinmeier, decken:

Erstens: Der Redenschreiber meint, Brandts Ostpolitik habe Dialogbereitschaft mit der Verteidigungsfähigkeit verknüpft. In der Sprache von Steinmeier hieß das, Gesprächsbereitschaft mit Abschreckung zu verbinden.

An dieser Feststellung ist richtig, dass am Ausgangspunkt der Ostpolitik direkt nach Ernennung Willy Brandts zum Bundesaußenminister bei einer NATO Konferenz in Reykjavik den neuen ostpolitischen Initiativen des sozialdemokratischen Partners der großen Koalition zugestimmt worden ist. Brandt hat sich dort abgesichert, was auch wichtig war, um den Koalitionspartner CDU/CSU wenigstens ansatzweise mit ins Boot zu holen. Aber diese Einbettung in das westliche militärische Bündnis war ja nur der Anfang. Ziel der Brandtschen Ostpolitik war ein Verhältnis zur Sowjetunion und dann zu Russland, wie wir es zu anderen Staaten Europas auch haben. Wir rüsten ja auch nicht gegen Polen und wir rüsten nicht gegen Ungarn und auch nicht gegen die Türkei. Und es war völlig klar, dass Versöhnung und Verständigung, wie es dann in den Verträgen mit Moskau, Warschau, Prag usw. in die praktische Arbeit umgesetzt worden ist, heißen sollte: totale Beendigung der militärischen Konfrontation. Wenn der Herr Redenschreiber dies nicht glauben will, dann soll er mal in das Grundsatzprogramm der SPD vom 20. Dezember 1989 schauen. Dort heißt es zum Beispiel:

  • Unser Ziel ist es, die Militärbündnisse durch eine europäische Friedensordnung abzulösen.
  • Dies eröffnet auch die Perspektive für das Ende der Stationierung amerikanischer und sowjetischer Streitkräfte außerhalb ihrer Territorien in Europa.

Diese Ziele waren Teil der Ostpolitik von Willy Brandt. Wo arbeitet denn das von Sozialdemokraten geführte Auswärtige Amt an der Realisierung dieser Ziele? Sie tun das Gegenteil. Sie winseln an der Tür der amerikanischen Politiker um deren militärisches Engagement in Europa und sie lassen alles zu: die Modernisierung der Atomwaffen, den Transport von Panzern von Grafenwöhr in Bayern und Kiel ins Baltikum und nach Polen.

Auch die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) und der Nachfolger OSZE waren darauf angelegt, ohne gegenseitige Verteidigungsfähigkeit auszukommen.

Zweitens: Zentrale Elemente der Ostpolitik der Regierung Brandt werden heute, übrigens auch im Text des Redenschreiber Vaut, missachtet.

Zum einen gab es den eisernen Grundsatz, mit der eigenen Politik und mit den eigenen Äußerungen Vertrauen aufzubauen. Heute wird Misstrauen gesät. Mit Sprüchen und mit der praktischen Politik der Rüstung und der Verlegung von Militär an die russische Grenze. Die NATO Osterweiterung war eine einzige Misstrauenskundgebung. Genauso der Aufbau des Raketenschildes der USA, verbunden mit der lächerlichen Behauptung, die Raketen dienten der Abwehr iranischer Raketen.

Zum andern war die strategische Überlegung und die wichtigste Idee der Ostpolitik, dass man Konfrontation abbauen müsse, um eine Veränderung auf der anderen Seite auszulösen, jedenfalls möglich zu machen. Der Schlüsselsatz, der von Egon Bahr 1963 in Tutzing verkündet worden war, lautete: Wandel durch Annäherung.

Genau das versucht Matthias Platzeck in Anlehnung an die ostpolitischen Ideen umzusetzen: Entspannung mit Russland, Verständigung, um mit Russland gut zusammenarbeiten zu können und um in Russland positive Entwicklungen auch im Inneren, auch in der sogenannten demokratischen Entwicklung auszulösen.

Die Scharfmacher vom Typ Vaut erreichen genau das Gegenteil und das ist in den letzten Jahren auch eingetreten: Russland hat auf die ausgestreckte Hand und das Angebot zur Zusammenarbeit, wie sie der Präsident Russlands in seiner Bundestagsrede im Jahr 2001 gemacht hatte, vor allem Ablehnung und auch Bedrohung gespürt. Die Ausdehnung der NATO war eine solche Bedrohung, die Versuche, ein Land nach dem anderen in die Europäische Union zu locken, die 5 Milliarden, die in der Ukraine zur Destabilisierung einer russlandfreundlichen Regierung investiert worden sind, die deutlich erkennbaren Absichten auf westlicher Seite, auch in Russland einen Regimewechsel zu erreichen, wurden als Maßnahmen zum Aufbau von Misstrauen verstanden. Und es hat so gewirkt.

Drittens: Wie auch der frühere Außenminister Steinmeier lässt der Redenschreiber des Auswärtigen Amtes mit der Übernahme der Krim durch Russland beginnen.

Wie üblich in diesen Kreisen wird die oben zitierte dauernde Provokation der westlichen Seite unter den Tisch gekehrt. Es wird nicht erzählt, was in der Nacht des Maidan vor der Flucht des amtierenden Präsidenten geschehen ist.

Viertens: Autor Vaut tut so, als habe Russland mit der aggressiven militärischen Interventionspolitik in Europa begonnen. Das ist schlicht die Unwahrheit. Der Westen einschließlich der Bundesrepublik Deutschland hat in Jugoslawien 1999 einen völkerrechtswidrigen Krieg geführt.

Wer nicht ganz unbeleckt war von internationalen Zusammenhängen, der wusste, dass dies Russland aus vielerlei Gründen tangieren musste. Nach dem Kriegseinsatz installierten die USA eine ihrer größeren Militärbasen in Europa, das Camp Bondsteel.

Wie der Redenschreiber von Außenminister Gabriel schreibt, so haben die harten Kalten Krieger von der Jungen Union und von der Springer-Presse in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts argumentiert. Das war ihre Welt. Jetzt tauchen wichtige Personen des sozialdemokratischen Milieus in diese Welt ein. Sie verspielen damit eine großartige Erbschaft: die Erbschaft der Ostpolitik, der Verständigung und der Versöhnung.


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