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Titel: Nach der schlimmen Tat von Hanau: Die Spalter rufen zur Einheit auf

Datum: 21. Februar 2020 um 10:11 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Innere Sicherheit, Rechte Gefahr, Strategien der Meinungsmache
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Als Reaktionen auf Anschläge und Rechtsruck müssten Sozialpolitik und Strafverfolgung massiv gestärkt werden. Aber diese Investitionen sind teuer. Statt dessen bieten die für Spaltungen verantwortlichen Politiker nun Floskeln von der „Solidarität“ an. Aber die Zeit der warmen Worte ist vorbei – Appelle werden die Gesellschaft nicht zusammenhalten. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Nach den furchtbaren Taten von Hanau müssen unsere Gedanken bei den Opfern und den Angehörigen sein. Gleichzeitig sollte aber einer Instrumentalisierung des Anschlags entgegengetreten werden. Diese Instrumentalisierung ist aktuell bei jenen zu beobachten, die als Verantwortliche einer unsozialen und staatsfeindlichen Kürzungspolitik auch ein Gutteil der Verantwortung für eine aufgewühlte und verunsicherte gesellschaftliche Stimmung tragen. Es ist auch und vor allem diese Stimmung der Vereinzelung und der Abstiegsängste, die Anschläge von Rechtsterroristen und Psychopathen begünstigen können. Die Hetze von AfD-Personal ist zu bekämpfen. Sie ist jedoch (noch) eher als Symptom denn als Ursache zu beschreiben. Im Vergleich zu diesen verbalen AfD-Ausfällen sind die tiefgreifenden und massenhaften gesellschaftlichen Erschütterungen, die das neoliberale Politik- und Medien-Personal in den letzten Jahrzehnten angerichtet hat, als erheblich dramatischer einzuschätzen.

Kampf gegen Rechts: Moralpredigt statt Investition

Gleichzeitig ist dem selben bestimmenden Politik-Personal eine langjährige Verharmlosung und Verschleppung der rechten Terror-Gefahr anzulasten. Und zusätzlich dazu hat die Kürzungspolitik eben jenes Personals zu einer Schwächung bei Polizei und Justiz geführt. Diese gravierenden Versäumnisse auf sozialpolitischer und strafrechtlicher Ebene sollen nun anscheinend durch eine Extra-Portion Moral verdeckt werden, wie die unten angeführten Zitate führender Politiker zeigen. Der Kampf gegen Rassismus muss auf mehreren Ebenen geführt werden: strafrechtlich, sozialpolitisch – und erst dann moralisch. Die sozialpolitische Seite wurde demontiert, die strafrechtliche durch Kürzungen auch. Übrig bleibt zahlreichen Politikern nun die Moral. Das ist nachvollziehbar: Investitionen in Sozialstaat und Justiz sind teuer – die Moral bekommt man umsonst. Zusätzlich wälzt man dadurch die eigene Verantwortung auf die Bürger ab, die sich angeblich weigern, beim Kampf gegen Rechts „endlich aus der Komfort-Zone herauszukommen“.

Politiker können nicht alle Psychosen und nicht alle einsamen Wölfe verhindern – aber die gesellschaftlich aufgewühlte und verunsicherte Stimmung, die solche Taten begünstigt, die können die Politiker, die die letzten Jahrzehnte geprägt haben, jetzt nicht „einschlägigen Internetseiten“ zuschreiben. Das müssen sie zu einem Gutteil auf die eigene Kappe nehmen – gemeinsam mit den Redakteuren großer Medien, die eine neoliberale Schwächung der Gemeinschaft und ihrer Basis (des Staates) publizistisch abgesichert haben.

Gegen Rechts wirkt ein handlungsfähiger Staat

Der AfD und ihrem Gedankengut muss Widerstand entgegengesetzt werden. Hier wirken aber keine stetig wiederholten moralischen Appelle. Hier würde eher eine Wirtschaftspolitik helfen, die dem Staat seine Handlungsfähigkeit zurückgibt, und eine Sozialpolitik, die diesen Namen verdient. Zusätzlich muss der neoliberale Charakter des AfD-Programms (immer wieder) enttarnt werden. Und Polizei und Justiz müssen üppig mit Mitteln und Personal ausgestattet werden, um ihren gesellschaftlichen Pflichten bei der Strafverfolgung wieder gerecht werden zu können. Als weitere wichtige Aspekte wären unter anderem Investitionen in Infrastruktur und Bildung sowie Reformen im Bereich von Löhnen und Renten zu nennen.

Vor diesem Hintergrund müssen die aktuellen warmen Worte von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, von Kanzlerin Angela Merkel oder von der Präsidentin der Europäischen Union, Ursula von der Leyen, zu den Taten von Hanau als Heuchelei eingeordnet werden.

„Die Bundesregierung (…) steht für die Rechte und Würde“

So hatte Steinmeier nach dem Anschlag zu gesellschaftlichem Zusammenhalt und Zivilcourage aufgerufen: „Wir stehen als Gesellschaft zusammen, wir lassen uns nicht einschüchtern, wir laufen nicht auseinander. (…) Die Gesellschaft muss einig sein gegen Hass, Rassismus und Gewalt“. Steinmeier rief die Bürger zu „gelebter Rücksichtnahme und Solidarität auf“. Dies sei das „stärkste Mittel gegen den Hass“, sagte er. „Halten wir dagegen, wenn Einzelnen oder Minderheiten in unserem Land die Würde genommen wird.“ Und dann legte auch er die Betonung falsch auf verbale (kritikwürdige, aber symptomatische) Umtriebe:

„Achten wir auf unsere Sprache in der Politik, in den Medien, überall in der Gesellschaft.“

Die Präsidentin der Europäischen Union, Ursula von der Leyen, nutzte die Gelegenheit, um für die (angeblichen) Grundwerte der EU-Politik zu werben. Spalterisch ist demnach nicht die (ursächliche) wirtschaftsradikale EU-Politik, sondern die Symptome „Hetze und Gewalt“:

„Die entsetzliche Tat von Hanau steht fundamental gegen alle Grundwerte, die die EU ausmachen und auf die wir zurecht stolz sind. Wir stellen uns entschlossen denen entgegen, die unsere Gesellschaften mit Hetze und Gewalt spalten wollen.“

Und auch Kanzlerin Angela Merkel sah keinen Anlass für Selbstkritik an einer spalterischen Politik – im Gegenteil:

“Die Bundesregierung und alle staatlichen Institutionen stehen für die Rechte und Würde eines jeden Menschen in unserem Land. (…) Wir unterscheiden Bürger nicht nach Herkunft oder Religion. Wir stellen uns denen, die versuchen, in Deutschland zu spalten, mit aller Kraft und Entschlossenheit entgegen.”

Die Rechten sollen von eigener Verantwortung ablenken

Dies sind nur drei Beispiele einer weiterverbreiteten Praxis: Durch das Zeigen auf „die Rechten“, die zuerst ein Symptom sind, soll von der eigenen Verantwortung für gesellschaftliche Spaltungen abgelenkt werden. Es wird auch suggeriert, die gravierendste Spaltung würde zwischen „Rechts“ und „Links“ verlaufen – und nicht zwischen „Oben“ und „Unten“. Man wird in den nächsten Tagen noch eine Fülle solcher wohlfeiler moralischer Aufforderungen an „die Bürger“ hören, doch endlich „aufzustehen“. Wie viele dieser Appelle werden die soziale Spaltung anprangern? Und die Heuchelei der Spalter? Werden sich Gewerkschaften und „Zivilgesellschaft“ auch nach Hanau auf die wohlklingenden, aber völlig ungenügenden Floskeln von „Unteilbar“ zurückziehen?

Anmerkung: Der 4. Absatz wurde um einen Satz ergänzt.


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