Den Geist der Zeit bestimmen Personen, die sich nur noch in Nuancen vom Geist der Rechten unterscheiden

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Die CDU-Vorsitzende hält eine militaristische Rede – weit weg von den Grundgedanken der Bundesrepublik Deutschland. Siehe dazu Jens Bergers Beitrag. Die neue EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen meint, Europa müsse die Sprache der Macht lernen, siehe hier. „CDU will private Vorsorge“ verkündet die CDU-Vorsitzende im Umfeld der Beratungen über die Grundrente. Überschwänglich bedankt sich der deutsche Bundesaußenminister beim US-amerikanischen Außenminister für die große Rolle, die die USA beim Abbau der Mauer gespielt hätten. Seinen eigenen Parteifreund Willy Brandt und die Rolle der Entspannungspolitik hängt der tiefer. Darauf hinzuweisen, bleibt dem früheren Generalsekretär der KPdSU, Michael Gorbatschow, vorbehalten. Siehe hier im Interview mit Fritz Pleitgen. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Michael Gorbatschow erinnert an die Verabredung, gemeinsam für Sicherheit sorgen zu wollen. Er spricht vom gemeinsamen Haus Europa. Und er erinnert an die Entspannungspolitik von vor 50 Jahren, an den Vertrag der Bundesrepublik Deutschland mit Moskau, den so genannten Moskauer Vertrag von 1970, und er erinnert an die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die Mitte der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts in Gang gesetzt wurde und dann in der OSZE ihre Fortsetzung fand. Wo ist das alles geblieben?

Gorbatschow erinnert auch daran, wie die Verständigung kaputtgemacht worden ist – von westlicher Seite.

Daran wollen die amtierenden Politikerinnen und Politiker und unsere Medien nicht erinnert werden; deshalb nehmen sie von Gorbatschow und seinem neuen Buch kaum Notiz. Es gibt ja Ausnahmen – wenige: Das erwähnte Interview von Pleitgen mit Gorbatschow und auch eines in meiner Regionalzeitung Die Rheinpfalz. 

Dort gibt es auch eine interessante Passage zum gängigen Feindbild-Aufbau von heute. Gorbatschow wird vom Interviewer Stefan Scholl gefragt, wie er Putin bewerte. Die Antwort: „Als Putin die Macht übernahm, herrschte Chaos im Land“ … und weiter wörtlich: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie er unter diesen Umständen ausschließlich nach einem Lehrbuch der Demokratie hätte handeln können. Und er musste handeln, ohne Verzögerung. Einige Entscheidungen riefen Kritik hervor, aber es gelang, die Lage zu stabilisieren. Die Menschen bekamen das Gefühl, dann die Gewissheit, dass sich ihr Leben zum besseren verändert.“ So etwas will man im Westen nicht hören, weil das den Feindbildaufbau stört.

Zurück zur Veränderung des Geistes, der unser Zusammenleben bestimmt: 

  • die Forderung nach militärischen Interventionen folgt auf die Idee der gemeinsamen Sicherheit,
  • die Forderung bzw. Anregung von der Leyens, Europa müsse „eigene Muskeln aufbauen“ und Europa müsse die Sprache der Macht lernen, folgt auf Willy Brandts Kniefall und die Grundidee der Friedenspolitik, sich in die Lage des Anderen, des Partners oder des Gegners, zu versetzen.
  • Von der Leyens Satz „Wir können die Bedingungen beeinflussen, zu denen wir Geschäfte machen“ ist himmelweit entfernt vom entwicklungspolitischen Grundverständnis des gerade verstorbenen Erhard Eppler, der von 1968–1974 Bundesentwicklungsminister war, und weit entfernt von der Nord-Süd Politik des Olof Palme und seines Freundes Willy Brandt.

Die Welt und der Geist, der weht, hat sich verändert, nein, falsch: er wurde verändert. Willentlich und zwar von Leuten, die offensichtlich Gewalt und Kommerz im zwischenmenschlichen Umgang mit der politischen Muttermilch aufgesogen haben.

Diese Feststellung soll dazu dienen zu verstehen, dass wir den Kampf um die herrschenden Ideologien und Grundwerte aufnehmen müssen, dass wir uns nicht in Einzelheiten verzetteln, sondern zum Beispiel die Abwesenheit von sozialen und humanen Grundwerten bei solchen Personen wie Frau von der Leyen und Frau Kramp-Karrenbauer sehen und beim Namen nennen müssen.

Damit bin ich ganz nah an der Feststellung, dass die genannten Personen sich nicht wesentlich von der Rechten unterscheiden. Ihre Parolen von Freiheit und Demokratie sind aufgesetzt. Sie wollen Geschäfte machen. Sie wollen anderen Völkern ihren Stempel aufdrücken. Sie wollen ihre Interessen auch mit Gewalt, auch mit militärischer Gewalt durchsetzen. Wo soll da der Unterschied zu wirklich Rechten und Rechtsradikalen im Denken sein? Der Unterschied verschwimmt.

Die SPD und die Grünen sind mitverantwortlich für die Verschiebung der Ordinate nach rechts. Sie haben alles mitgemacht. Das sieht man deutlich daran zum Beispiel, dass von SPD-Seite kein wirklich fundamentaler Widerspruch zu den letzten Grundsatzreden der CDU-Vorsitzenden und der kommenden EU-Präsidentin gekommen ist. Nicht einmal von den Bewerbern für den Vorsitz der SPD. Die Entspannungspartei SPD und die Friedenspartei Die Grünen haben ihre Wurzeln und ihre großen Verdienste verraten.

Das gilt genauso für die Innenpolitik. Das hat das Geschachere um die Grundrente beispielhaft gezeigt. Die Grundrente, selbst wenn sie ein wirklicher Wurf geworden wäre, ist ja nur ein kleiner Pflasterstein auf dem Weg zur Sicherung der Menschen vor Altersarmut. Beide Parteien der großen Koalition, auch die SPD, gehen an das Grundproblem, nämlich die Verbesserung der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente, nicht ran. Sie wollen nicht heilen, was sie kaputtgemacht haben mit der geplanten Erosion der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente. Sie wollen das nicht heilen, weil beide Parteien offenbar ein Interesse daran haben, den kommerziell tätigen Versicherungskonzernen, Banken und Finanzdienstleistern das Geschäft mit der Altersvorsorge nicht zu vermasseln, obwohl sich Riester-Rente und die Entgeltumwandlung für die öffentlich geförderte betriebliche Altersvorsorge als teuer und weitgehend erfolglos erwiesen haben.

Die SPD hat anders als die CDU die dahintersteckende Absicht nicht offen bekannt. Frau Kramp-Karrenbauer hingegen behauptet gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 9. November, es sei sinnvoll und notwendig, die schon vorhandenen Vorschläge um „Maßnahmen zur Stärkung der betrieblichen und privaten Vorsorge zu ergänzen“.

Auch diese Vorschläge und dieser Weg und dieser Geist entsprechen übrigens dem, was die rechtsradikale Partei AfD propagiert.

Zusammenfassend: ich wollte mit diesem kleinen Text darauf hinweisen, dass die geistige Nähe von Union und rechtsradikalen Parteien und Personen viel größer ist, als allgemein behauptet wird. Es ist kein Wunder, dass es einen erkennbaren personellen Austausch zwischen beiden gibt. Schon der Kopf, Gauland, kam nicht aus dem Nichts, sondern aus einer langen Tätigkeit für die CDU. Und, um die CSU mit einzubeziehen, die Sprüche des früheren bayerischen Ministerpräsidenten von der CSU, Streibl, über Asylbewerber unterschieden sich nicht von den heutigen rechtsradikaler Personen und Gruppen. Ich zitiere Streibls Äußerung vom Aschermittwoch des Jahres 1992 in Passau: „Was wir nicht brauchen können, das sind die Wirtschaftsschmarotzer aus der ganzen Welt.“