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Titel: Skandal in der BPK: Bundesregierung diffamiert deutschen Journalisten Hüseyin Doğru als „Desinformationsakteur“

Datum: 1. Oktober 2025 um 14:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Erosion der Demokratie, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien
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Es wird autoritärer und diffamatorischer in dieser Republik. Ein besonders eklatantes Beispiel für diese Tendenz war die aktuelle Regierungspressekonferenz. Von den NachDenkSeiten befragt, ob die Bundesregierung es für gerechtfertigt hält, dass für den von der EU mit sehr fragwürdigen „Belegen“ sanktionierten deutschen Journalisten und Staatsbürger Hüseyin Doğru neben Kontosperrung und Ausreise- auch ein allgemeines Arbeitsverbot gilt – reagierte das Auswärtige Amt in höchst manipulativer Weise. Es sprach dem Kollegen, zudem auf Grundlage mutmaßlich falscher Tatsachenbehauptungen, den Status als Journalist ab und rechtfertigte damit schwerste Eingriffe in dessen Grundrechte. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Hintergrund

Die Tageszeitung junge Welt hatte das Bundeswirtschaftsministerium (BMWE) vor einiger Zeit angefragt, ob sie den von der EU, mutmaßlich auf Initiative der Bundesregierung, sanktionierten deutschen Journalisten und Staatsbürger sowie ehemaligen Chefredakteur von Red Media, Hüseyin Doğru, als Redakteur anstellen könnte. Daraufhin erklärte der Leiter des Referates für Sanktionsdurchsetzung im BMWE, Sven Sattler, dass in dem Fall das sogenannte Bereitstellungsverbot greift. Dies bedeutet, von der EU sanktionierten Personen dürfen „keinerlei wirtschaftliche Vorteile mehr zugute kommen“ – auch nicht im Austausch für Lohnarbeit. Weiter fügte der BMWE-Beamte gegenüber der jW hinzu:

„Ein Verstoß gegen das Bereitstellungsverbot stellt eine Straftat dar.“

Das heißt, dem auf Grundlage von höchst fragwürdigen „Belegen“ von der EU sanktionierten Journalisten Doğru (die NachDenkSeiten berichteten ausführlich über die Art der „Belege“ im Artikel „EU und Bundesregierung sanktionieren deutschen Journalisten wegen kritischen Tweets zu Kanzler Merz“) wurden nicht nur alle Konten gesperrt und die Aus- sowie Einreise nach Deutschland untersagt, sondern er darf auch grundsätzlich keiner wie auch immer gearteten Form von Lohnarbeit oder auch selbstständiger Tätigkeit, die Einkommen generiert, nachgehen. Das Diktum „keine wirtschaftlichen Vorteile“ gilt allumfassend. Also selbst das Einladen von Herrn Doğru zu einem Kaffee würde in diesem Zusammenhang de jure eine „Straftat“ darstellen. Denn auch daraus würde sich ja ein wirtschaftlicher Vorteil für ihn ergeben.

Wie mit diesen Sanktionen finanziell überleben? „Nicht unser Zuständigkeitsbereich“

Es liegt die Frage auf der Hand, wie jemand wie Doğru, Vater von drei Kindern, davon zwei neugeborenen Zwillingen, das finanzielle Überleben seiner Familie sicherstellen soll. Die Krankenkasse hatte zudem zwischenzeitlich kurz vor der Geburt in Übererfüllung der Sanktionsauflagen die Krankenversicherung seiner Frau mitten in deren Risikoschwangerschaft aufgekündigt.

Die hilflosen Reaktionen der Sprecher des Bundeswirtschafts- und Arbeitsministeriums („Kommunikation, von der Sie sprechen, ist mir nicht bekannt“ – „Nicht unser Zuständigkeitsbereich“) zeigen in erschreckender Weise auf, dass die Bundesregierung eigene Staatsbürger einem umfassenden Sanktionsregime aussetzt und sich dabei keinerlei Gedanken macht, wie diese Leute mit Kontosperrung, Ein- und Ausreiseverbot sowie Anstellungsverbot finanziell überleben sollen.

Auswärtiges Amt besticht mit Diffamierung und Falschbehauptungen

Noch erschreckender ist allerdings die Reaktion des Auswärtigen-Amt-Sprechers Josef Hinterseher. Dieser scheint sich über die Auswirkungen der Sanktionen auf Doğru geradezu zu freuen (siehe BPK-Video) und diffamiert diesen deutschen Journalisten und Staatsbürger öffentlich als „Desinformationsakteur“ und spricht ihm in diesem Zusammenhang offen dessen Status als Journalist ab. Er begründet dies zudem auf Basis von falschen Tatsachenbehauptungen:

„Sie bezeichnen den Betreffenden als Journalisten. Er wurde unter dem Sanktionsregime für Desinformation gelistet. Das heißt, es geht um einen Desinformationsakteur. Die EU hat im Rahmen dessen in diesem Listungspaket festgestellt, diese Listungsbegründungen sind auch öffentlich einsehbar, dass die betreffende Person im Auftrag mutmaßlich russischer Stellen Desinformation verbreitet. Insofern betrachten wir das, was Sie hier öfter als Kollegen bezeichnen, als Desinformationsakteur.“

Der AA-Sprecher behauptet hier, die EU hätte „festgestellt“, dass Hüseyin Doğru „im Auftrag mutmaßlich russischer Stellen Desinformation verbreitet“.

Auf Betreiben seiner Anwälte schickte der EU-Ministerrat am 1. September 2025 Doğru das gesamte „evidence pack“ – also die „Beweisunterlagen“, auf deren alleiniger (!) Grundlage die umfassenden Sanktionen und massiven Grundrechtseingriffe gegen ihn gerechtfertigt werden. In dem Schreiben heißt es zudem:

„Sie erhalten Zugang zu diesem Dokument ausschließlich zum Zweck der Wahrung der Interessen Ihres Mandanten im Zusammenhang mit dessen Aufnahme in die oben genannten Anhänge („privilegierter Zugang“). Es wird gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, und Sie dürfen es nicht veröffentlichen.“

Am 3. September entschloss sich Doğru dann, wenn ihm die EU auch untersagt, das „evidence pack“ zu veröffentlichen, so zumindest die in dem „Beweismaterialpaket“ aufgeführten „Belege“ auf X der Öffentlichkeit in einem mehrteiligen Thread bekannt zu machen.

Das „Beweismaterial“ umfasst nach seiner Darlegung ausschließlich Tweets, sechs an der Zahl, von seinem privaten X-Account sowie von Red Media, darunter ein Tweet, in dem er sich über die Tatenlosigkeit deutscher Journalisten-Kollegen beschwert, sowie zwei Tweets, in denen er sich kritisch mit dem Aufrüstungsdiskurs von Kanzler Merz auseinandersetzt.

Den NachDenkSeiten ist es durch eine Quelle in der EU-Administration gelungen, das „evidence pack“ des Ministerrates einzusehen. Wir können daher bestätigen, dass es sich bei den vom Red-Media-Chefredakteur aufgeführten Tweets tatsächlich um die einzigen „Belege“ handelt, mit denen die EU und die Bundesregierung die Aufrechterhaltung der Sanktionierung eines Journalisten und deutschen Staatsbürgers rechtfertigen. Es findet sich im gesamten offiziellen „Beweismaterialpaket“ der EU, im Gegensatz zur Darstellung des Auswärtigen Amts, kein einziger Beleg für die behauptete Verbindung mit Russland. Ebenso wenig erfüllen die von der EU als Belege angeführten Tweets den Tatbestand der „Desinformation“, exemplarisch sei auf diesen Tweet zu Kanzler Merz im „evidence pack“ verwiesen:

„Totale Willkür und Zensur“

Die NachDenkSeiten befragten Doğru zu seiner Einschätzung der Aussagen des Auswärtigen Amtes. Er sieht darin ein bewusstes Vorgehen, um mit seinem Präzedenzfall auch andere kritische Journalisten einzuschüchtern:

„Dass das Auswärtige Amt sich hinstellt, um mir meinen Status als Journalist willkürlich aberkennt und mich als „Desinformationsakteur“ kriminalisiert, erinnert mich an die 1930er Jahre. Damals hatten die Nazis das sogenannte Schriftleitergesetz eingeführt, um kritische Stimmen zu kriminalisieren.

Das Vorgehen der Bundesregierung und der EU hat einen doppelten Effekt. Erstens sollen damit zukünftige kritische Stimmen eingeschüchtert werden. Journalisten sollen nur noch nach Staatsräson berichten.

Und zweitens geht es auch darum, dass Angst geschürt werden soll, was wiederum beides in den Militarisierungsprozess der Bundesregierung, aber auch der EU passt. Jeder, der sich meinen Fall ansieht und die „Beweise“ der EU, die ich veröffentlicht habe, auf deren alleiniger Grundlage ich sanktioniert worden bin, wird sehen, dass dies totale Willkür und Zensur ist.

Dass heutzutage ein Post, in dem ich kritisiere, dass die große Mehrzahl der deutschen Journalisten nachweislich nicht über meinen Fall berichten, von der EU und der Bundesregierung als sanktionswürdige „Desinformation“ eingestuft wird – sollte dazu führen, dass die Alarmglocken läuten bei all denen, die für die bürgerliche Demokratie kämpfen. Um es leicht abgewandelt mit den Worten des unabhängigen irischen EU-Abgeordneten Michael McNamara zu sagen: Die EU und Deutschland verwandeln sich in das, was sie angeblich vorgeben zu bekämpfen. Sie werden zu einem Akteur der Desinformation und Einschüchterung.“

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 29. September 2025

Frage Warweg

Auf Anfrage der „jungen Welt“, ob sie den von der EU mutmaßlich auf Initiative der Bundesregierung sanktionierten deutschen Journalisten und Staatsbürger Hüseyin Doğru als Redakteur anstellen könne, erklärte der Leiter des Referats für Sanktionsdurchsetzung im Bundeswirtschaftsministerium, Sven Sattler, dass in dem Fall das sogenannte Bereitstellungsverbot greife, was bedeutet, von der EU sanktionierte Personen dürfen keinerlei wirtschaftliche Vorteile mehr zugutekommen, auch nicht im Austausch für Lohnarbeit. Dazu würde mich interessieren, ob es wirklich die Haltung der Bundesregierung ist, dass für Herrn Doğru und alle anderen von der EU sanktionierten deutschen Staatsbürger ein De-facto-Berufsverbot gilt. Die Frage geht im Zweifel zuerst an das zuständige Wirtschaftsministerium.

Wentzel (BMWE)

Die Kommunikation, von der Sie sprechen, ist mir nicht bekannt. Deswegen kann ich das nicht kommunizieren. Die grundsätzliche Federführung für Sanktionspolitik liegt im Auswärtigen Amt.

Hinterseher (AA)

Vielleicht kann ich noch einmal grundsätzlicher ausführen, weil Sie diese Frage ja hier schon mehrfach gestellt haben. Sie wissen, die Sanktionierung ist eine EU-Angelegenheit. Die EU hat beschlossen, die betroffene Person im Rahmen ihres extra dafür geschaffenen EU-Sanktionsregimes für die Stabilisierung zu listen. Insofern gelten dann natürlich die sich aus dieser Listung ergebenden Rechtsfolgen.

Aber es ist klar: Sanktionen sind ein außenpolitisches Instrument. Das ist nicht mit einer justiziellen Maßnahme vergleichbar, so wie Sie es hier öfter darstellen. Die Personen können das einerseits justiziell überprüfen, aber sie können dagegen zum Beispiel auch beim Rat Einspruch erheben. Es gibt also verschiedene Wege und Mittel innerhalb der Europäischen Union, und das steht den betroffenen Personen natürlich immer frei.

Zusatzfrage Warweg

Gut. Aber der besagte Journalist ist deutscher Staatsbürger. Ich gehe davon aus, die Bundesregierung wird sich vor der Sanktionierung eigener Staatsbürger Gedanken über die Auswirkungen der Umsetzung gemacht haben. Wie soll bitte ein deutscher Staatsbürger, der in Deutschland lebt, dem aufgrund der EU-Sanktionen die Konten gekündigt werden, der Deutschland nicht verlassen darf und in Deutschland nicht arbeiten kann, finanziell überleben?

Die zweite Frage geht vielleicht an das BMAS: Hat solch eine Person dann zumindest Anspruch auf ALG I oder ALG II?

Hinterseher (AA)

Vielleicht noch einmal zur ersten Frage: Sie bezeichnen den Betreffenden als Journalisten. Er wurde unter dem Sanktionsregime für Desinformation gelistet. Das heißt, es geht um einen Desinformationsakteur. Die EU hat im Rahmen dessen in diesem Listungspaket festgestellt – diese Listungsbegründungen sind auch öffentlich einsehbar -, dass die betreffende Person im Auftrag mutmaßlich russischer Stellen Desinformation verbreitet. Insofern betrachten wir das, was Sie hier öfter als Kollegen bezeichnen, als Desinformationsakteur.

Schuler (BMAS)

Der Anspruch auf Arbeitslosengeld I würde davon abhängen, ob er vorher auch in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat. Der Anspruch auf Bürgergeld besteht für jeden deutschen Staatsbürger, aber nur, wenn er auch bedürftig ist.

Zusatzfrage Warweg

Aber die Frage war ja, ob jegliche Art von wirtschaftlicher Unterstützung als Straftat gewertet wird. Die Bundesregierung wird doch keine eigenen Staatsbürger sanktionieren lassen und dann nicht wissen, wie diese mit diesem gesamten Sanktionspaket hier überleben sollen.

Schuler (BMAS)

Ich kann Ihnen nicht mehr dazu sagen als die allgemeine Auskunft, die ich Ihnen jetzt gegeben habe. Das ist, glaube ich, auch nicht unser Zuständigkeitsbereich.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 29.09.2025


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