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Titel: Corona-Kritik schafft “seltsame Bettgenossen”

Datum: 2. Oktober 2020 um 11:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Gesundheitspolitik, Innen- und Gesellschaftspolitik, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medien und Medienanalyse
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Als Kritiker der Corona-Politik findet man sich inhaltlich manchmal neben „Bild“-Zeitung und FDP wieder. Das ist aber kein Verdienst des Boulevards und der Neoliberalen, sondern das Phänomen illustriert vor allem den Ausfall der kritischen Kräfte: Die bestimmenden Fragen der Zeit werden von ihnen nicht gestellt. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Man reibt sich dieser Tage verwundert die Augen: Bekannte empfehlen Artikel aus Quellen, die man früher höchstens als Objekt der harschen Medienkritik behandelt hätte. Doch der politische Umgang mit Corona, die mit unseriöser Datenbasis gerechtfertigten Maßnahmen, das Panik schürende Verhalten vieler Journalisten und Politiker und der Protest dagegen wirbelt die Positionen nun nochmals kräftig auf. Wie ein englisches Sprichwort sagt: Politik schafft seltsame Bettgenossen.

Fragwürdige Medien stellen vernünftige Fragen

Beispiele für fragwürdige Medien, die aber beim Thema Corona (und auch nur dort) in einzelnen Artikeln einige vernünftige Fragen stellen, wären zum Beispiel die „Bild“-Zeitung, die „Welt“, die „Neue Zürcher Zeitung“ oder der „Focus“.

Beispiele bei Blogs wären etwa Boris Reitschuster, dessen unseriöse Beiträge man z.B. beim Thema Russland nicht einmal mit der Kneifzange anfassen wollte, der aber zu Corona bereits den einen oder anderen Impuls geliefert hat. Oder die rechts-konservative Seite „Tichys Einblick“, die als erstes Medium das aus dem Innenministerium geleakte Corona-Papier veröffentlichte, das die NachDenkSeiten in dem Artikel „‚Der Staat hat sich in der Corona-Krise als einer der größten Fake-News-Produzenten erwiesen’ – BMI-Mitarbeiter leakt Dokument“ behandelt haben. Auf den Bühnen der „Querdenker“ treffen sich wohl nun auch mitunter Personen, die sich das vor Corona nicht hätten vorstellen können. Und auch auf der politischen Bühne vollziehen sich ähnliche Vorgänge. So brachte die FDP zu Corona ein Rechtsgutachten und einen Antrag im Bundestag ein:

„Der Bundestag wolle beschließen: Die Voraussetzungen für die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite im Sinne des § 5 Abs. 1 IfSG liegen nicht mehr vor. Die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 25. März 2020 wird aufgehoben. Berlin, den 16. Juni 2020.“

Ein besonders beunruhigender Aspekt bei dem Phänomen ist: Die einzige weitere Stimme, die sich (hörbar!) ähnlich der FDP äußert, etwa im Parlament, ist die AfD. Einmal mehr erhalten diese beiden fragwürdigen Formationen dadurch eine einflussreiche Bühne.

Haben ARD, ZDF, FAZ, SZ, Zeit, Spiegel, taz ihr Niveau nochmals abgesenkt?

Der fragwürdige Charakter der hier erwähnten Medien und Parteien soll in diesem Text nicht bezweifelt werden. Im Gegenteil: Hier wird beklagt, dass diese fragwürdigen Medien und Parteien durch das weitgehende Verstummen der restlichen Opposition eine so zentrale Rolle zugewiesen bekommen. Und Springer und FDP stellen immerhin Fragen – normale, sich aufdrängende Fragen, die aber von vielen anderen Medien und Politikern bereits als Corona-Ketzerei angesehen würden. Mittlerweile, noch nicht lange, gibt es aber auch in anderen Medien Zeichen der Abkehr von der allzu reinen Corona-Lehre, wie Jens Berger gerade in dem Artikel „Medien und Corona – Taktgeber mit ersten Selbstzweifeln?“ beschrieben hat. Eine Frage zum Thema wäre auch, ob Bild und FDP ihr kritisches Niveau gesteigert haben oder ob ARD, ZDF, Deutschlandfunk, FAZ, SZ, Zeit, Spiegel, taz, SPD, LINKE und Grüne das ihrige nochmals abgesenkt haben seit dem Ausrufen der „Pandemie“. Kommentierte Beispiele einer medialen Panikmache auf unseriöser Datenbasis aus der jüngeren Vergangenheit finden sich auf den NachDenkSeiten etwa hier oder hier.

Von der Opposition, von den Gewerkschaften oder von ehemals „linken“ Zeitungen kommt dagegen kein angemessener Widerstand gegen den politisch-medialen Umgang mit Corona – wenn man von einzelnen Detailkritiken absieht, die zudem nicht durchdringen. Umgekehrt vereinigen sich diese ehemals als „links“ eingeordneten Gruppen zu befremdlichen Verleumdungen der Demonstranten gegen die Corona-Politik.

Kritik einstellen – wegen „seltsamer Bettgenossen“?

Die hier beschriebenen „neuen Bettgenossen“ und befremdlichen politischen Konstellationen sollten zu denken geben. Aber sollte man wegen dieser – nicht eingeladenen – „Verbündeten“ die eigene Kritik verstummen lassen? Würde das nicht die Kriterien der „Deppen-Dialektik“ erfüllen, die Jens Berger in diesem Artikel beschrieben hat? Andererseits stützt die plötzliche Gesellschaft neoliberaler und fragwürdiger Medien und Politiker bei der Corona-Kritik die verleumderische These, die Kritik an der Corona-Politik sei selber im Kern neoliberal.

Der in diesem Text beschriebene Zustand ist kein Verdienst der nun Teile der kritischen Öffentlichkeit besetzenden Rechten und Neoliberalen. Das Phänomen illustriert statt dessen vor allem den Ausfall der kritischen und „linken“ Kräfte: Die bestimmenden Fragen der Zeit werden im Moment aus dieser Richtung nicht gestellt. Den Rechten wird dadurch wieder Gelegenheit gegeben, ein wichtiges Thema zu besetzen und sich gar als “Stimme der Vernunft“ darzustellen. Bei vielen Bürgern wird dieses Verhalten die politische Heimatlosigkeit nochmal verstärken. Wo sind die „linken“ Stimmen, die diesen Menschen antworten?

Corona-Kritik ist viel mehr als Maske

Es ist eine unseriöse Marotte, die Kritik an der Corona-Politik auf die Masken-Frage zu reduzieren. Daran sind auch einige Corona-Skeptiker nicht unschuldig, weil manche von ihnen das Thema sehr in den Vordergrund rücken. Das wiederum ist in Maßen verständlich, weil das Anziehen der Maske die öffentliche Akzeptanz einer innerlich strikt abgelehnten Politik mitsamt ihrer unseriösen medialen Begründung bedeutet – diesen Akt der symbolischen Unterwerfung sollte man auch nicht zur Petitesse erklären.

Zwar gehören die teils nicht nachvollziehbaren Masken-Zwänge auch zu den Verwerfungen der Virus-Politik, aber sie sind nur ein Symptom unter vielen Ausprägungen, die teils erheblich gravierender sind: da wäre das aktuell praktizierte Regieren durch Anordnungen zu nennen, die staatliche Vorratsdatenspeicherung durch Gaststättenlisten, die „durch Corona“ erheblich forcierte private Überwachung am Arbeitsplatz; zu nennen ist auch der Umgang mit den Kindern und den Alten sowie die positive Beschwörung einer perspektivischen „Neuen Normalität“: Keine Kultur, kein Protest, keine Betriebs-Gemeinschaften mehr, statt dessen Isolation im digitalisierten Homeoffice mit Überwachung und ungeduldiger Gängelei im öffentlichen Raum – vor solchen (noch nicht eingetretenen) Visionen haben viele Bürger begründete Angst, sie möchten sie durch ihren jetzigen Protest verhindern.

Von gigantischen, dubiosen und mit Corona gerechtfertigten aktuellen Geldströmen ganz zu schweigen. Und von den von wirtschaftsliberalen Kräften in den letzten Jahren angerichteten Krisen, die nun (so ein Verdacht) mutmaßlich unter „Corona“ verbucht und versteckt werden könnten. Wer sich von der „Corona-Episode“ aber positive, wachrüttelnde Effekte für das Sozialwesen oder einen Aufbruch zu einer Rückeroberung des Staates aus den Händen der Marktradikalen erhofft hatte, der ist bis jetzt bitter enttäuscht worden.

Sind das ausreichend Gründe, um die gravierenden Differenzen mit den oben genannten „Mitstreitern“ vorübergehend hintanzustellen? Und um dennoch ein Stück zusammen zu gehen, bis die akuten Corona-Verwerfungen wieder abgestellt sind und der Vor-Corona-Zustand wieder herrscht? Diese Forderung wird oft als asozial hingestellt, weil das Motiv (Vor-Corona-Zustand) nicht edel genug erscheint. Und es stimmt ja auch: Mehr als diesen gemeinsamen Nenner des Vor-Corona-Zustands wird man mit der Bild-Zeitung und der FDP keinesfalls erreichen können.

„Die wollen ja nur ihr altes Leben zurück“

„Die wollen ja nur ihr altes Leben zurück“ – bei diesem häufig geäußerten Satz schwingt neben Arroganz mit, das „neue“ Leben habe bessere Perspektiven zu bieten. Welche (außer einem gesenkten Schadstoff-Ausstoß im Flugverkehr) sollten das sein? Und viele Bürger wollen eben nicht nur „ihr altes Leben zurück“: Sie fürchten sich, wie gesagt, zusätzlich vor einer sich in ihren Augen abzeichnenden Neuen Normalität, in der die Arbeitnehmer Tracking-Armbänder tragen und der Impfstatus über einen gegängelten, digitalisierten und überwachten Alltag bestimmt, während die Kinder maskiert und die Alten isoliert werden. Darum möchten diese Bürger jetzt schon, bevor es soweit kommt, ein Zeichen setzen.

Bei einer seriös begründeten Gefahr für Leib und Leben sind Einschränkungen der persönlichen Freiheiten zu akzeptieren! Allerdings müssten diese Maßnahmen ins Verhältnis zu ihren Schäden und zu nichtmedizinischen Bereichen der Gesellschaft gesetzt werden. Bei der „Corona-Pandemie“ ist aber beides nicht der Fall. Die Bürger erleben einen inakzeptablen und unseriösen Umgang mit der Zahlenbasis durch viele Medien und Politiker: Die aktuelle auf dem „Anstieg der Neuinfektionen“ basierende Angst-Kampagne hantiert mit absoluten Zahlen und setzt diese nicht ins Verhältnis. Die mit der Kampagne gerechtfertigten Maßnahmen wiederum werden nicht ins Verhältnis zu ihrem teils immensen gesellschaftlichen Schaden gesetzt, etwa bei der Maskenpflicht für Schulkinder. Die letzte Kampagne mit dem „Anstieg der Neuinfektionen“ haben die NachDenkSeiten in dem Artikel „Corona und Medien: Gibt es einen rasanten ‚Anstieg’ bei den ‚Neuinfektionen’“? thematisiert.

Kritiker sind „asozial“ – Begleitschäden werden aber kalt ignoriert

Man sollte Politik und Medien für den Beginn der Corona-Episode einen gewissen Freiraum für Fehlentscheidungen einräumen – auch um den Verantwortlichen einen baldigen und gesichtswahrenden Ausstieg aus dem jetzigen Zustand zu ermöglichen. Allerspätestens jetzt ist dieser Freiraum aber endgültig ausgeschöpft – allerspätestens jetzt muss die Corona-Politik endlich angemessen (ergebnisoffen, aber kritisch) diskutiert werden.

Wer aber die (bereits wirksamen und die potenziell möglichen) Verwerfungen der Corona-Politik anspricht und sie ins Verhältnis zum Gefahrenpotenzial des Virus setzen will, wird als „asozial“ beschimpft. Die aktuell oft erklingende, erstaunte Frage: „Welche Maßnahmen denn?“ illustriert die rasante Gewöhnung vieler Bürger an Zustände, die noch vor einem Jahr unvorstellbar waren.

Gleichzeitig werden die sich auftürmenden internationalen Hiobsbotschaften der Lockdown-Folgen für Arme und Kranke, für Frauen, für Kinder und für Alte kühl ignoriert und diese herzlose Haltung als „Schutz für die Schwächsten“ verkauft.

Propaganda lässt „Linke“ verstummen

Die aktuell teils proklamierte „Aufhebung von rechts und links“ erscheint sehr fragwürdig. Es herrscht zusätzlich Verwirrung über die Begriffe und was sie heute inhaltlich noch aussagen. Eine Definition hat Albecht Müller kürzlich im Artikel „Die Parole ‚Weder links noch rechts’ begünstigt rechts, sie begünstigt die Neoliberalen und das Militär“ geprägt.

Die Überschneidungen mit den genannten, problematischen Medien beziehen sich ausschließlich auf das Thema Corona-Maßnahmen. Bei den Themen Krieg und Frieden oder marktradikale Wirtschaftsordnung sind sie weiterhin rechte Scharfmacher. Generell – und das muss man in Zeiten der Begriffsverdrehung immer wieder sagen: Der Springer-Verlag, Focus und die NZZ sind als rechts einzuordnen – im Sinne von teilweise kriegstreiberischen und neoliberalen Botschaften. Die Politik der Bundesregierung ist aus den gleichen Gründen ebenfalls zu weiten Teilen als rechts einzuordnen. Das ist die Art einer politischen Rechten, auf die man als Bürger zuerst das Augenmerk richten sollte. Denn diese rechten und neoliberalen Kräfte sind erheblich einflussreicher und dadurch gefährlicher als die Neonazis in den Internetforen.

Schuld am Verstummen der „Linken“ ist auch die massive Propaganda. Der durch viele Medien erzeugte Druck gegen Corona-Kritik ist für Linke gefährlicher als für Rechte: Während manche Rechte sich die Verleumdung durch große Medien als Orden an die Brust heften können, haben viele „Linke“ noch immer große Angst davor. Zu Recht: Verleumdungen als „Covidiot“ können für Betroffene im „linken Lager“ böse enden. Um aus der „Pandemie“-Episode wieder herauszukommen, müssten aber doch wenigstens die „linken“ Zeitungen und Politiker eine entsprechende Stimmung entfachen. Die Entwicklung geht aktuell aber in die entgegengesetzte Richtung.

Titelbild: Jorge Salcedo / Shutterstock


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