Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Der fatale Triumph der US-Lobbys: Die EU soll russisches Gas „für immer“ verbieten
Datum: 9. September 2025 um 11:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Energiepolitik, Lobbyismus und politische Korruption, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Tobias Riegel
Viele Gründe sprechen für eine schnelle Rückkehr zum Energiehandel mit Russland durch Deutschland und die EU. Aber der energiepolitische Zug fährt in die entgegengesetzte Richtung und die EU erhöht sogar noch das Tempo: Radikale Stimmen in der EU-Kommission wollen den Bezug russischen Gases „für immer“ verbieten und durch US-LNG-Gas ersetzen — auch wenn der Ukrainekrieg zu Ende ist. Wir erleben eine beispiellose Verantwortungslosigkeit in der EU-Führung – und den zerstörerischen Triumph der US-Energie-Lobbyisten. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Die „Konjunkturschwäche“ Deutschlands wird offiziell mit allem möglichen begründet: Bürokratie, Fachkräftemangel, die „Bürde“ der Sozialausgaben und so weiter. Der riesige Elefant im Raum bleibt meistens unerwähnt – um auf das englische „It’s the Economy, Stupid!“ anzuspielen: Es sind die Energiepreise, Dummchen!
Doch an einer Änderung dieses Zustands gibt es auf der Führungsebene der EU, von Einzelstimmen abgesehen, offenbar überhaupt kein Interesse, was eine beispiellose Verantwortungslosigkeit gegenüber den EU-Bürgern darstellt. Im Gegenteil: Es gibt EU-Stimmen, die die sowieso schon extreme Unterwerfung der EU unter US-Interessen noch weitertreiben wollen.
Eine dieser radikalen (und einflussreichen) Stimmen in der EU ist der aktuelle EU-Kommissar für Energie und Wohnungswesen in der Europäischen Kommission, Dan Jørgensen. Der dänische Sozialdemokrat sagte am Freitag in Kopenhagen in einer Stellungnahme vor Beginn des Treffens der Energieminister:
„Europa wird nie wieder auch nur ein einziges Molekül russischen Gases kaufen, sobald diese Entscheidung getroffen ist. Das sind keine befristeten Sanktionen, das gilt für immer.“
Damit schloss Jørgensen eine Rückkehr zu russischen Energielieferungen auch nach dem Krieg kategorisch aus. „Auch wenn es Frieden gibt, sollten wir nicht zurückkehren zu russischer Energie“, betonte er – er bezeichnete diese auch auf Friedenszeiten bezogene Forderung aber in der Stellungnahme (vorerst noch) als seine persönliche Meinung. „Wir müssen aus der Vergangenheit lernen und dürfen Russland nie wieder erlauben, Energie als Waffe gegen Europa einzusetzen.“
Mitgliedsstaaten und EU-Parlament können noch einschreiten!
Das ist, wie gesagt, noch nicht beschlossen, so Jørgensen: „Dieser Vorschlag wird nun im EU-Parlament und den Mitgliedsstaaten verhandelt.“ Eine Übereinkunft sei wichtig, um ein starkes Signal an Russland zu senden, dass man eine „Erpressung“ durch Russland nicht „mehr“ akzeptieren wolle.
Es gibt also noch ein Fünkchen Hoffnung: Bereits anlässlich des Zoll-Deals zwischen EU und USA hatte ich in diesem Artikel geschrieben, dass dieser für die EU-Mitglieder selbstzerstörerische Deal unbedingt verhindert werden sollte – und dass das auch noch möglich ist: durch die Mitgliedsstaaten und durch das EU-Parlament, die noch einschreiten könnten.
Doch etwa aus dem EU-Parlament kommen beunruhigende und gegenteilige Signale. So hatte die EU-Kommission laut „Tagesschau“ bereits im Mai dieses Jahres einen Plan vorgelegt, nach dem die Union bis spätestens Ende 2027 vollständig aus russischem Gas, Öl und Uran aussteigen will. Vorgesehen sei, Spot-Verträge für Gasimporte noch in diesem Jahr zu beenden, neue Lieferverträge zu stoppen und den Import von Uran einzuschränken. Außerdem sollen zusätzliche Maßnahmen gegen die sogenannte Schattenflotte ergriffen werden. Das Europaparlament schreitet gegen diese irrationale Politik aber nicht etwa ein, im Gegenteil: Es drängt laut Berliner Zeitung inzwischen darauf, den Ausstieg sogar auf Januar 2027 vorzuziehen.
Der Bezug der EU von russischem Gas hat sich mit dem Stopp der Lieferungen über Nord Stream im Sommer 2022 und dem späteren Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines deutlich reduziert. Seit dem 1. Januar 2025 fließt zudem kein russisches Gas mehr durch die Ukraine in die EU. Als einzige Pipeline bleibe TurkStream über das Schwarze Meer, die vor allem Ungarn und die Slowakei noch mit russischem Gas versorge. Frankreich und Spanien importieren nach wie vor Flüssiggas aus Russland. Auch diese Lieferungen wolle Brüssel künftig unterbinden – notfalls nicht mehr einstimmig, sondern mit einer einfachen Mehrheit, berichtet die Berliner Zeitung.
Energiepolitik gegen die Vernunft, gegen die Bürger – sogar gegen das Klima
Es gibt keine rationalen Ausreden, die die Energiepolitik der EU und der Bundesregierung entlasten könnten: Es gibt keine Naturgewalt und auch keine politisch-militärisch moralisch einleuchtende Begründung, die uns zwingt, US-Interessen zu erfüllen und einen (bezüglich des Ukrainekriegs absolut wirkungslosen) Wirtschaftskrieg gegen Russland zu führen und damit essenzielle Rohstoffe und das Alltagsleben der Bürger hierzulande zu verteuern. Und übrigens auch keinen klimapolitischen Grund, schließlich war das russische Erdgas als eine wichtige Basis der Energiewende geplant – das mit US-LNG-Gas zu ersetzen, ist klimapolitischer Irrsinn. Dass diese neue Abhängigkeit von LNG-Gas ausgerechnet vor allem von den Grünen vorangetrieben wurde, illustriert die doppelten Standards der Partei sogar in der Klimafrage. Dass Entspannung und Handel keine naive militärische oder politische Unterwerfung gegenüber Russland bedeuten sollten, ist selbstverständlich.
Wenn man etwa noch einmal die Artikel von Jens Berger „Vorzeitige Beendigung der Energiepreisbremse – Willkommen in der neuen Hochpreis-Realität“ und „Die Haushaltskrise und die drei Elefanten im Raum“ liest, müsste eine logische Forderung jetzt lauten, die von Medien und der Bundesregierung aufgebauten ideologisch-moralischen Blockaden aufzulösen und sofort mit Russland über Energielieferungen und andere für beide Seiten wichtige Handelsbeziehungen zu verhandeln. Dort heißt es:
„Wenn Deutschland also keine 180-Grad-Wende hinlegt und wieder russisches Gas über die Pipelines importiert, wird auch der Gaspreis für Verbraucher auf einem hohen Niveau bleiben. Ob dieses Niveau nun stabil oder volatil ist und durch eine Gaspreisbremse stabilisiert werden muss, ist da zweitrangig und lenkt nur von der grundsätzlichen Frage ab, warum wir teures und kein preiswertes Gas importieren.“
Aber der energiepolitische Zug fährt in die entgegengesetzte Richtung und die EU erhöht sogar noch das Tempo, auch wenn es im Januar noch kleine Zeichen der Vernunft zu geben schien, wie Maike Gosch in diesem Artikel beschrieben hatte – demnach hätten laut Financial Times europäische Beamte damals darüber debattiert, „ob russische Pipeline-Gasverkäufe an die EU als Teil einer möglichen Einigung zur Beendigung des Krieges gegen die Ukraine wieder aufgenommen werden sollten“.
Fataler Triumph der US-Lobbys
Hinter den EU-Kulissen finden vermutlich heftige (aber sehr ungleiche) Machtkämpfe zur Frage der Energieversorgung statt. Diesen Machtkampf haben die US-Lobbyisten vorerst eindeutig für sich entschieden: Auf die fatale Zusage der EU, Energieprodukte im Wert von bis zu 750 Milliarden US-Dollar aus den USA zu beziehen, sind wir im Artikel „EU beschließt Selbstzerstörung: Durch Sanktionen und US-Unterwerfung“ eingegangen, wie die USA sich brüsten, ihre „Verbündeten“ im Rahmen dieses Abkommens ausplündern zu wollen, wird in diesem Artikel beschrieben.
Wessen Interessen bei der essenziellen Energiefrage durch die EU-Führung bedient werden, das machte jetzt zusätzlich noch der US-Energieminister Chris Wright deutlich, wie Medien berichten. Wright hat erklärt, dass europäische Länder den Kauf von russischem Gas und Öl einstellen sollen, um die Gesprächsbereitschaft der USA über neue Sanktionen gegen Russland zu erhöhen, so die Financial Times. Weiterhin forderte Wright einmal mehr, dass die europäischen Länder stattdessen amerikanisches Flüssigerdgas, Benzin und andere fossile Brennstoffe kaufen sollten.
Der EU-Energie-Kommissar Jørgensen und offenbar fast die gesamte EU-Führung haben die zerstörerische Mischung aus totaler Verantwortungslosigkeit gegenüber den EU-Bürgern und vorauseilendem Gehorsam gegenüber US-Lobbys voll verinnerlicht. Jørgensen meldet entsprechend Vollzug: „Wir haben starke Unterstützung von unseren amerikanischen Partnern – das transatlantische Abkommen stellt klar, dass russisches Öl und Gas durch US-Energie ersetzt wird.“
Titelbild: Vectorium / Shutterstock
EU beschließt Selbstzerstörung: Durch Sanktionen und US-Unterwerfung
Die USA haben den Gaskrieg gegen Russland gewonnen
Bidens LNG-Moratorium ist ein Wirtschaftskrieg gegen Deutschland
Klimapolitik paradox: LNG-Gas aus den USA ist bis zu dreimal so klimaschädlich wie Kohle
Wiederaufnahme russischer Gaslieferungen: Sind wir nicht alle ein bisschen „Putinknechte“?
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=138695