Das nennt man dreist: Grüne fordern einen Untersuchungsausschuss zu Angela Merkels „riskanter“ Gas-Politik. Ausgerechnet die Partei, die eine maßgebliche Verantwortung für die Energiekrise trägt, probt jetzt als Ablenkung die Vorwärtsverteidigung. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Grüne Politiker fordern einen Untersuchungsausschuss, der die Gaspolitik von Angela Merkel untersuchen soll, wie Medien berichten: Die „Risiken“ einer deutschen Abhängigkeit von russischem Gas seien vor dem Ukraine-Krieg bekannt gewesen, doch das Kanzleramt unter Merkel habe diese ignoriert.
Der Grünen-Vorsitzende Felix Banaszak sagte der SZ: „Ohne ernsthafte parlamentarische Aufklärung werden die bis heute offenen Fragen nicht zu klären sein.“ Und Michael Kellner (Grüne) behauptet gar:
„Angela Merkel wusste über die Risiken Bescheid und ist sie geflissentlich übergangen. Damit ist sie ihrem Amtseid, Schaden vom Land abzuwenden, nicht gerecht geworden.“
Diese Äußerungen sind aus Richtung der Partei, die in den letzten Jahren gerade auf den Gebieten der Außen- und Energiepolitik zu den zerstörerischsten Kräften gehörte, schon ein starkes Stück und ein klarer Fall von versuchter Ablenkung: Die Grünen rufen „Haltet den Dieb!“ und proben die Vorwärtsverteidigung.
Aktueller Aufhänger für die grünen Vorstöße ist ein Bericht der Süddeutschen Zeitung, wonach das Kanzleramt Warnungen vor einer großen Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas und den beteiligten Unternehmen zwar zur Kenntnis genommen, daraus aber keine Konsequenzen gezogen habe.
Traurig: LINKE mit im Boot
Wie zu erwarten – darum ist es nicht weniger traurig -, macht dabei auch die LINKE mit und nutzt eine ähnlich fragwürdige Rhetorik. Jan van Aken, Parteivorsitzender der LINKEN, sagte dem Spiegel:
„Die Abhängigkeit von russischem Gas, die uns die letzte schwarz-rote Bundesregierung eingebrockt hat, muss dringend parlamentarisch aufgeklärt werden. Wie auch die Milliardeninvestitionen der Ampelregierung für LNG-Terminals.“
Wenn Frieden und Wohlstand zum „Risiko“ erklärt werden
So so: die „Abhängigkeit“, die Merkel und ihre Vorgänger uns „eingebrockt“ haben. Diese „riskante Abhängigkeit“ hat immerhin für eine stabile und billige Energieversorgung gesorgt, was die Basis für zahlreiche soziale und industrielle Projekte im Land war/ist, zusätzlich zur durch den Handel reduzierten Kriegsgefahr. Wer das leichtfertig und aus ideologischen Gründen nicht nur akut zerstört, sondern auch für die Zukunft ausschließen will, führt nichts Gutes im Schilde. Dazu kommt, dass alle mit dem antirussischen Wirtschaftskrieg verbundenen Ziele (voraussehbar) verfehlt wurden, die negative Wirkung hierzulande aber immens ist. Satirisch haben wir diese Haltung im Artikel „Frieden und Wohlstand waren schreckliche Irrtümer“ thematisiert.
Wie es nach dem russischen Einmarsch 2022 zum Erliegen der Gaslieferungen kam, unterliegt einem Kampf um die Deutungshoheit. Peter Vonnahme hat dazu auf den NachDenkSeiten geschrieben:
„Wichtig ist die zeitliche Abfolge. Zuerst hat sich Deutschland mit schweren Waffen und Einweisung ukrainischer Militärs auf die Seite der Kriegspartei Ukraine geschlagen; das kann faktisch als Kriegsbeteiligung gewertet werden (so der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags). Als Antwort hierauf entsann sich der Kreml seines Arsenals von Gegenmaßnahmen, angefangen bei kurzfristigen Liefereinschränkungen infolge von Reparaturarbeiten über Wartungsprogramme bis hin zu echten Lieferstopps. Rückblickend ist unübersehbar, dass die deutschen Sanktionen und Militärhilfen die entscheidenden Ursachen für unsere heutigen Probleme sind.“
Wichtig ist auch diese Aussage:
„Von einer verantwortlichen Politik wäre zu erwarten gewesen, dass sie nicht Sanktionen beschließt, bevor sie sich mit der massiven Verwundbarkeit des eigenen Landes vertraut gemacht hat.“
Habeck und die lächerliche Pose des „Retters“
Dass die Grünen diese Verwundbarkeit „des eigenen Landes“ ignoriert und kleingeredet haben, ist jetzt offensichtlich: Grüne Politik und ihre jahrelange antirussische Stimmungsmache sowie der auch daraus resultierende Wirtschaftskrieg (der in diesen Tagen noch einmal mit neuen Sanktionen eskaliert werden soll) haben entscheidend mit zu der aktuellen Energie-Situation beigetragen. Das macht Robert Habecks heroische Pose des „Retters“ noch lächerlicher: Das Problem, dem er sich heldenhaft entgegengestellt hat, wurde maßgeblich von der eigenen Partei mit angerichtet. Dass die Grünen das jetzt vernebeln wollen, ist nachvollziehbar, Tichys Einblick schreibt aktuell dazu:
„Habeck geht sogar so weit zu behaupten: ‚Die Ursache der Krise war: Es kam kein Gas aus Russland mehr.‘ Reicht Robert Habecks Gedächtnis nicht einmal in das Jahr 2022 zurück, als im April Annalena Baerbock in Riga tönte, dass Deutschland keine russischen Energieimporte mehr haben wollte: ‚Wir werden bis zum Sommer das Öl halbieren und bis Ende des Jahres bei null sein. Und dann wird Gas folgen, in einem gemeinsamen europäischen Fahrplan – denn unser gemeinsamer Ausstieg, der vollständige Ausstieg mit der Europäischen Union, ist unsere gemeinsame Stärke.’“
Ein Fazit des Mediums:
„Nicht Putin hat die Energielieferungen eingestellt, sondern die deutsche Außenministerin hat den Weg in die Energiekrise freigeräumt.“
Zu betonen ist aber auch, dass die Grünen bei diesem Thema nicht die einzige destruktive politische Kraft in Deutschland sind – sie geraten aber besonders in den Fokus, weil sie ihre Ideologie beim Thema Russland und Energie stilistisch und inhaltlich besonders radikal vorantreiben.
„Nord Stream 2 geht direkt nach Deutschland. (…) Man muss nur den Knopf drücken.“
Die Verknüpfung der Floskel „unprovozierter russischer Angriffskrieg“ mit den Floskeln von der „riskanten“ Abhängigkeit von russischem Gas führt noch aus einem weiteren Grund in die Irre: Lange Zeit hatten zunächst die Sowjetunion und dann Russland allen geopolitischen Krisen zum Trotz zuverlässig Energie geliefert. Sogar dann noch, als von westlicher Seite ein Wirtschaftskrieg entzündet wurde, der von einer aggressiven Rhetorik begleitet wurde und wird.
Und sogar nach der Lieferung deutscher Waffen an die Ukraine und dem Terroranschlag auf deutsch-russische Infrastruktur (Nord-Stream) hatte die russische Seite noch mehrfach gesagt, dass es an der deutschen Seite liege, ob und wann die Energie-Lieferungen wieder aufgenommen werden. Der russische Präsident hatte etwa 2023 bei der „Russischen Energiewoche“ festgestellt:
„Aber Nord Stream 2 geht direkt nach Deutschland. Ein Strang ist unbeschädigt, das wären 27,5 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, man muss nur den Knopf drücken. Dafür ist aber ein Beschluss der deutschen Bundesregierung erforderlich. Die wollen lieber alles 30 Prozent teurer kaufen und nicht unsere Energieträger nutzen. Das ist ihre Entscheidung.“
Das echte Risiko für die Energieversorgung und als Folge die Verteuerung und die Kriegsgefahr gingen und gehen von den Personen aus, die – mutmaßlich im Interesse US-amerikanischer Machtgruppen – eine Verständigung von Deutschland und Russland langfristig verhindern wollen und dafür auch die inländischen Folgen ihrer Schocktherapien billigend in Kauf genommen haben. Diese Risiken sind militärischer, wirtschaftlicher und in der Folge auch sozialer Natur.
Der offizielle Umgang mit dem Terroranschlag auf Nord Stream 2 und aktuell mit dem Eigentümerstatus der Pipeline ist ein Skandal für sich.
Deutsch-russische Annäherung langfristig verhindern
Wenn die Waffen im Ukrainekrieg erst einmal schweigen, ist eine Rückkehr zu einem vernünftigen Energiehandel zwischen Deutschland und Russland trotzdem nicht gänzlich ausgeschlossen, wie ein jüngster Vorstoß von CDU-Politikern zeigte. Bemühungen in diese Richtung werden selbstverständlich auf das härteste diffamiert, zuletzt traf es Ralf Stegner (SPD) oder Michael Kretschmer (CDU).
Zum Versuch, eine Annäherung der beiden großen europäischen Länder auch langfristig zu verhindern, gehört nun auch der Trick mit dem U-Ausschuss zu Merkel, der in zwei Richtungen wirkt: Zum einen wird durch die begleitende grüne und „linke“ Rhetorik jegliche Zusammenarbeit der Länder auch für die Zukunft prinzipiell als „Risiko“ oder gar als potenzieller „Verrat“ definiert. Zum anderen soll rückwirkend die Energiepolitik von Angela Merkel (und Vorgängern) sozusagen „offiziell“ als Fehler eingestuft werden – eine Politik, die erheblich seriöser und verantwortungsbewusster war als die der Grünen.
Der grüne Kampf gegen Nord Stream 2
Den grünen Kampf gegen normale Beziehungen mit Russland und gegen die inzwischen zerstörte Nord-Stream-2-Pipeline gab es ja schon vor dem russischen Einmarsch von 2022. So verteidigten Grüne 2021 sogar indirekt US-Sanktionsdrohungen gegen Deutsche, wie im Artikel „Nord Stream 2: ‘Putins Pipeline’ und die Verteidiger der US-Sanktionen” beschrieben wird. Damals gab es noch Vernunft in der SPD und der Fraktionsvize Sören Bartol sagte geradezu prophetisch:
„Indem sie (Baerbock) Nord Stream 2 ablehnt, macht sie den Import von schmutzigen Fracking-Gas hoffähig. (…) Das ist dann die verschwiegene Konsequenz des grünen Populismus.“
Einen Einblick in die zielgerichteten und langfristigen Handlungen gegen die deutsch-russische Energieversorgung gibt auch die folgende Vision, die Robert Habeck 2016 bezüglich Russland entworfen hatte und in der er schon damals Widerstand gegen Nord Stream 2 und Wirtschaftsbeziehungen zu Russland ankündigt. Unter diesem Link findet sich das folgende Video bei Youtube :
Nun, da der Theaterdonner der grünen Meinungsmache langsam verklingt, müssten viele Bürger eigentlich wahrnehmen, dass die neue „grüne“ Energieversorgung bizarr ist: Sie ist teuer, sie ist klimaschädlich – und sie ist angesichts der neuen Partner, denen man sich ausliefert, viel riskanter und moralisch in keiner Weise ein Fortschritt. Und, bezüglich LNG-Gas, liebe Grüne: „Wer hat uns eigentlich in die Gas-Abhängigkeit von Donald Trump geführt?“
Wer hat es versäumt, „Schaden vom Land abzuwenden“?
Wenn sie aus dem grünen Lager kommt, dann ist auch die Aussage, Merkel habe ihren Amtseid missachtet, „Schaden vom Land abzuwenden“, einfach nur dreist. Die NachDenkSeiten haben Merkels Politik auf vielen Gebieten (und auch bezüglich ihrer Ukraine-Politik) oft und scharf kritisiert – diese kritikwürdige Politik soll hier nicht in der Rückschau verniedlicht oder weißgewaschen werden. Aber: Im direkten Vergleich mit Annalena Baerbock ist Merkel eine Diplomatin von Format und im Vergleich mit Robert Habeck ist sie eine verantwortungsvolle Politikerin. Die Grünen sollten aufpassen, dass sich der indirekte Vorwurf des „Landesverrats“ nicht gegen sie selber wendet, wenn sie diesen zur Ablenkung eigens in die Debatte einführen.
Denn das ist ja genau das, was zahlreiche Bürger Robert Habeck und Annalena Baerbock und anderen Grünen angesichts des hinterlassenen Scherbenhaufens vorwerfen: Dass sie ihre Pflicht, Schaden vom Land abzuwenden, mit Füßen getreten haben, dass sie verbunden mit einer selbstverliebten und hysterischen Pose unvorsichtig und verantwortungslos gehandelt haben – mit Duldung anderer Parteien und mit massiven Folgen für viele Bürger.
Wer hat hier also viel eindeutiger seinen Amtseid verletzt? Wessen Energie-, Wirtschafts- und Außenpolitik müsste also viel eher von einem Untersuchungs-Ausschuss durchleuchtet werden?
Titelbild: Alexandros Michailidis / shutterstock.com
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