Ginge es nach einem Plan der EU-Kommission, der gestern vorgestellt wurde, soll der Import russischen Erdgases „spätestens bis Ende 2027“ in allen EU-Staaten verboten werden. Sollte dieses Vorhaben tatsächlich umgesetzt werden, würde die EU sich energiepolitisch noch stärker von den USA abhängig machen, die derzeit die Handelspolitik als Waffe gegen die gesamte Welt und auch die EU einsetzen. Doch nicht nur das. Eine erzwungene Verschiebung der Handelsströme würde Gas und damit auch Strom noch teurer machen und hätte zudem massive klimapolitische Folgen. Die EU setzt damit ihren Selbstmord auf Raten fort. Von Jens Berger.
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Trotz nunmehr stolzer 16 Sanktionspakete, die die EU gegen Russland verhängt hat, nimmt der Import russischen Erdgases immer noch 14 Prozent der Gasimporte der EU ein. Das hat verschiedene Gründe. Einige EU-Staaten, wie z.B. Ungarn oder die Slowakei, haben erklärtermaßen kein Interesse daran, preiswertes russisches Pipelinegas gegen teure LNG-Importe, die dann über die Nachbarländer geliefert werden müssten, einzutauschen. Das ist ökonomisch vernünftig und sorgt dafür, dass diese Länder weit weniger von Energiepreissteigerungen betroffen sind wie z.B. Deutschland. Russisches LNG landet jedoch auch noch in größeren Mengen in Staaten wie Deutschland, da zahlreiche Importeure über Langfristverträge Abnahmegarantien mit russischen Lieferanten erfüllen müssen. Diese Verträge haben eine sogenannte Take-or-Pay-Klausel. Das heißt, die Importeure müssen auch dann zahlen, wenn sie gar kein Gas abnehmen. Auch hier ist der Import ökonomisch vernünftig, auch wenn die Lieferung als LNG deutlich teurer als die frühere Lieferung über Pipelines ist.
Der Import russischen Erdgases war der EU-Kommission stets ein Dorn im Auge. Offiziell heißt es, man „fülle damit Putins Kriegskasse“, was jedoch argumentativ fragwürdig ist, da Russland sowohl seine Soldaten als auch seine Waffen nicht in Devisen, sondern in Rubel bezahlt und es für die Staatsfinanzen ohnehin keinen großen Unterschied macht, ob man sein Gas nun den Europäern oder anderen Kunden wie den Chinesen oder Indern verkauft. Allenfalls die LNG-Export-Kapazitäten sind hier ein Flaschenhals.
Der jüngste Vorstoß des dänischen EU-Kommissars Dan Jörgensen dürfte jedoch – wenn man die Rhetorik einmal beiseitelässt – ohnehin wenig mit Russlands Fähigkeit, den Krieg in der Ukraine fortzusetzen, zu tun haben. Der weltweite Markt für LNG ist angebotsseitig angespannt. Es gibt nur sehr wenige Länder, die überhaupt freie Lieferkapazitäten haben. Dazu zählt in kleinerem Rahmen auch Aserbaidschan, das zwar erst vor weniger als zwei Jahren einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Armenien führte und von Demokratie und Menschenrechten nicht viel hält, aber von der EU als zentraler Wirtschaftspartner auserkoren wurde. Vor allem sind es aber die USA, die ihre LNG-Exportkapazitäten zurzeit massiv ausweiten, die die Lücke schließen können, die ein Verbot russischer Gasimporte aufreißen würde.
Es ist sicher kein Zufall, dass US-Präsident Trump im Handelsstreit mit der EU auf eben jene zusätzlichen LNG-Importe setzt, die aus seiner Sicht das Handelsdefizit zwischen den USA und der EU ausgleichen sollen. Das geplante Verbot russischer Gasimporte ist also keinesfalls im Kontext des Ukrainekriegs, sondern im Kontext des amerikanischen Handelskriegs zu sehen. Die EU knickt vor Trump ein – die Folgen dieser Kapitulation sind ein weiterer Schritt beim ökonomischen Selbstmord auf Raten, der vor allem Deutschland treffen wird.
Gern verweist man seitens der EU darauf, dass man ja ohnehin bestrebt sei, den Gasverbrauch zu senken. Das ist korrekt, wenn man ausschließlich den Heizungssektor betrachtet, in dem Gas so langsam gegen Strom als Energieträger ausgetauscht wird. Dadurch wird Gas zum Teil als Primärenergie gegen Strom ersetzt, gleichzeitig spielt Gas bei der Stromerzeugung jedoch eine immer wichtigere Rolle. Vor allem Deutschland setzt bei der Energiewende voll auf Gaskraftwerke, die dringend und in großer Zahl benötigt werden, um als flexible Reservekapazität die Versorgungssicherheit in einem Energiekonzept zu sichern, das ansonsten vor allem auf variable Stromerzeugung aus Wind und Sonne setzt. Weht wenig Wind und scheint wenig Sonne, müssen Gaskraftwerke die Lücke schließen. Im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD ist der Ausbau der Gaskraftwerkskapazität um stolze 20 GW vorgesehen. Um diese Zahl einmal einzuordnen: Dieser Zubau entspricht in der Summe der gesamten Kapazität, die die deutschen Kernkraftwerke vor Fukushima lieferten. Und wir reden hier nur über den Ausbau!
Um es ein wenig polemisch zuzuspitzen: Deutschland wird in Zukunft weniger Erdgas in der Heizung verbrennen, dafür um so mehr Gas dafür benötigen, dass die Wärmepumpen mit Strom heizen. Und dieses Gas wird nicht zuletzt durch das geplante Verbot russischer Gasimporte teurer, wodurch auch der Strom teurer wird. Auch wenn die neue Regierung immer davon spricht, die Energiepreise senken zu wollen – mit dem Verbot russischer Gasimporte erreicht die EU-Kommission das exakte Gegenteil.
Und hier geht es keinesfalls „nur“ um die EU selbst. Russland hört ja nicht auf, Gas zu exportieren, nur weil die EU dieses Gas nicht mehr will. Was wird passieren? Russland wird seine LNG-Exportkapazitäten für die westsibirische Gasförderung ausbauen und mittel- bis langfristig genau die Menge an Gas, die bislang in die EU verkauft wurde, auf dem Weltmarkt verkaufen. Kunden dafür gibt es genug. Die Handelsströme werden nicht gestoppt, sondern lediglich umgelenkt. Nun sind allein die Kosten dafür, russisches Gas erst zu verflüssigen und dann mit einem Tanker um den halben Erdball zu transportieren, aber hoch. Ebenso hoch übrigens, wie die Kosten, amerikanisches Gas zu verflüssigen und nach Europa zu verschiffen. Die Folge: Der Gaspreis wird weltweit steigen – die EU wird davon lediglich besonders getroffen, da hier die bislang vergleichsweise preiswerten russischen Importe ganz wegfallen.
Auch für die Klimapolitik ist diese Entwicklung der reine Wahnsinn. Bis vor kurzem hat der deutsche Michel mit russischem Gas, das relativ emissionsarm via Pipeline aus Westsibiren kam, sein Haus geheizt. Künftig heizt er es mit Strom, der in einem Kraftwerk mit Gas erzeugt wurde, das mit massiven Emissionen per Tanker aus den fernen USA um die halbe Welt geschifft wurde.
Ist dieser ökonomische und ökologische Wahnsinn noch zu stoppen? Vielleicht. Der Plan der EU ist ohnehin bereits ein Plan B. Plan A war es, russische Gasimporte durch Sanktionen außenpolitisch zu verbieten. Dafür bräuchte es jedoch einen einstimmigen Entschluss aller EU-Staatschefs. Den gibt es nicht, da sowohl Ungarn als auch die Slowakei dies kategorisch ausschließen. Nun versucht man es über das Energierecht. Für eine dementsprechende Richtlinie reicht die „qualifizierte Mehrheit“ der Mitgliedsstaaten. Die müssen dann in einem festgelegten Zeitrahmen diese EU-Richtlinie in nationales Recht umsetzen.
Dieses Vorgehen hat jedoch einen gewaltigen Nachteil: Die Importeure, die langfristige Verträge mit russischen Lieferanten abgeschlossen haben, werden selbstverständlich gegen diese Gesetzesänderungen klagen. Und hier kommen wir zu den obengenannten Take-or-Pay-Klauseln zurück. Im skurrilsten Fall werden europäische Energiekonzerne dann künftig russische Exporteure bezahlen, ohne dass sie dafür das Gas auch physisch geliefert bekommen und zusätzlich das physisch gelieferte LNG aus den USA kaufen müssen. Der mehr als doppelte Preis müsste dann entweder an die Kunden weitergegeben oder vom Staat als Schadensersatz ausgeglichen werden. Ist beides nicht möglich, gehen diese Unternehmen bankrott und „müssen“ auf Steuerzahlerkosten gerettet bzw. zwangsverstaatlicht werden. Das Spiel kennen wir in Deutschland ja schon.
Es ist zu hoffen, dass die EU-Kommission mit diesem selbstmörderischen Plan noch gestoppt werden kann. Eigentlich müsste die neue deutsche Regierung, die ja günstigere Energiepreise versprochen hat, hier intervenieren. Es ist jedoch eher unwahrscheinlich, dass man sich offen gegen die Interessen der USA stellt – Anti-Trump-Rhetorik hin oder her.
Titelbild: Shutterstock / vchal