„Sprachrohr von Eliten“

„Sprachrohr von Eliten“

„Sprachrohr von Eliten“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Vom Redakteur der Süddeutschen Zeitung zum Regierungssprecher der neuen Bundesregierung: Stefan Kornelius hat sich eingefügt in eine lange Reihe von Medienakteuren, die aus dem Journalismus in die Presseabteilungen der Politik gewechselt sind. Wie sind solche Wechsel zu verstehen? Der Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen spricht von einer „Drehtür“ zwischen Journalismus und Politik und sagt: „Diese Wechsel sind ein Punkt, an dem für jeden sichtbar wird, wie eng Medien und Politik verbandelt sind. Das gilt übrigens auch für andere Bereiche.“ Das Interview führte Marcus Klöckner.

Marcus Klöckner: Herr Meyen, die neue Bundesregierung hat auch einen neuen Pressesprecher. Es ist Stefan Kornelius. Viele Jahre war Kornelius als leitender Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung. Zuerst die Herrschenden kritisieren, dann ihr Sprecher sein. Sehen Sie da ein Problem?

Michael Meyen: Ja. Solche Drehtüren senden ein doppeltes Signal, nach innen und nach außen. Das Publikum denkt: Die stecken ohnehin alle unter einer Decke. Diesen Verdacht gibt es ja schon länger. Man muss sich dafür nur die Vorgänger von Kornelius anschauen. Die drei Ampelsprecher waren allesamt prominente Journalisten. Steffen Hebestreit war bei Dumont, Christiane Hoffmann beim Spiegel und Wolfgang Büchner Chefredakteur bei den wichtigsten Nachrichtenmedien im Land. Spiegel, dpa, Redaktionsnetzwerk Deutschland. Wenn wir noch zwei Schritte zurückgehen: Steffen Seibert, Merkels letzter Sprecher, war Fernsehansager und durfte aus dem Stand das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung leiten, eine Behörde mit über 500 Planstellen und einem dreistelligen Millionenetat. Ulrich Wilhelm, Seiberts Vorgänger, ist als Intendant zum Bayerischen Rundfunk gewechselt, und Seibert wurde Botschafter in Israel. Kein Wunder, wenn nicht wenige sagen: Das ist alles eine Sauce.

Das ist das Signal nach außen.

Das Signal nach innen ist genauso fatal. Jeder Redakteur sieht die Drehtür und weiß damit: Es gibt auch für unsereins Jobs mit Beamtenstatus, geregelten Arbeitszeiten und Pensionsanspruch. Also halte ich mich lieber zurück mit Kritik und mit Informationen, die Ministerien und Behörden in Schwierigkeiten bringen könnten. Vielleicht schaffe ich so ja eines Tages den Sprung auf die andere Seite.

Lassen Sie uns darüber anhand der Personalie Kornelius sprechen. Seit Langem steht der Vorwurf im Raum, dass viele Journalisten ihrer eigentlichen Aufgabe nicht nachkommen. Der Vorwurf lautet: Zu viele Journalisten sind mit „denen da oben“, vor allem mit Politikern, weltanschaulich verbunden. Das führe dazu, so der Vorwurf, dass dort, wo Journalisten Politiker scharf kritisieren sollten, sie allenfalls mit Watte werfen. Nun haben wir also einen Journalisten wie Kornelius, der zu den, sagen wir: Spitzenjournalisten des Landes gehörte und bei einem der angesehensten Medien der Republik gearbeitet hat. Wie ordnen Sie die journalistische Arbeit von Kornelius ein? War er ein Journalist, der den Ansprüchen eines herrschaftskritischen Journalismus gerecht geworden ist?

Dazu gibt es ja zum Glück Forschung. Uwe Krüger hat sich für seine Dissertation fünf dieser Spitzenjournalisten genauer angeschaut. Kornelius war dabei. Es ging um den Themenbereich Außen- und Sicherheitspolitik, um Netzwerke und um die Frage, was das aus dem macht, was uns als objektive Berichterstattung verkauft wird. Krüger zeigt, dass Kornelius in den Nullerjahren Sprachrohr von Eliten war, die für Rüstung, eine starke US-Bindung, mehr NATO-Engagement und weniger Beschränkungen für die Bundeswehr waren. Die ZDF-Sendung „Die Anstalt“ hat daraus 2014 eine Tafelnummer gemacht, die viral gegangen ist.

Die Sendung und die Kritik an Kornelius liegen einige Jahre zurück. Könnten Sie noch mal kurz skizzieren, worum es genau ging?

Um den Einfluss transatlantischer Netzwerke auf die wichtigsten Leitmedienredaktionen. Auf der Tafel sieht man die fünf Köpfe und etliche Linien zu Think Tanks und Lobbyorganisationen. Stefan Kornelius war von 1996 bis 1999 für die Süddeutsche Zeitung in Washington. Dieser Ort gehört offenbar zur Regierungssprecherkarriere wie der Senf zur Bratwurst. Wilhelm, Seibert und Hebestreit waren dort auch jeweils irgendwann. Kornelius wurde 2000 Außenpolitikchef in München. In Krügers Untersuchungszeitraum 2002 bis 2009 hat er an der Münchner Sicherheitskonferenz teilgenommen, war im Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, im Präsidium der Deutschen Atlantischen Gesellschaft und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Heute ist er unter anderem in der Atlantik-Brücke.

Wie hat Kornelius auf die Kritik von Krüger und in der „Anstalt“ reagiert?

Mit Unverständnis. Solche Mitgliedschaften würden zu seinem Job gehören. Und was Krüger gemacht habe, sei keine Wissenschaft, sondern politischer Aktivismus. Dass man nicht permanent mit Leuten zu tun haben kann, über die man berichten soll, und dass es mindestens ein Geschmäckle hat, wenn ich in der Öffentlichkeit für Konzepte und Sprachformeln werbe, die vorher hinter verschlossenen Türen in meinem Beisein und vielleicht sogar unter meiner Mitwirkung entwickelt worden sind, sieht er offenbar nicht. Mit dem Wissen von heute kann man sagen: Stefan Kornelius hat sich damals als Sprecher bewährt und ist nun ganz offiziell mit diesem Titel belohnt worden.

Kornelius verantwortete erst das außenpolitische Ressort der Süddeutschen Zeitung und ab 2021 dann das gesamte Politikressort. Sie kennen sicherlich die Bilderberg-Konferenzen. Soweit ich das weiß, hat die Süddeutsche Zeitung nie über diese Zusammenkunft der Machteliten berichtet – schon gar nicht wahrlich kritisch. Angenommen werden darf Folgendes: Ein Journalist, der so gut transatlantisch vernetzt ist wie Kornelius und der sich dazu auch noch mit der großen Politik beruflich beschäftigt, dürfte von der Existenz des semi-geheimen Elitezirkels gewusst haben. Halten wir uns vor Augen: Bei Bilderberg kommen etwa 140 der führenden Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Bildung, Militär, Geheimdiensten, Forschung, Bildung und Adel zusammen. Dieser Personenkreis mietet sich für drei bis vier Tage ein komplettes Hotel, schottet sich nach außen hin ab und auf der Agenda stehen große, weltpolitische Themen. Sie sind nicht nur Kommunikationswissenschaftler und Journalismusforscher, sondern haben selbst eine Ausbildung zum Journalisten durchlaufen. Bitte ordnen Sie das Thema Bilderberg für uns aus journalistischer Sicht ein! Ist es nachzuvollziehen, dass die Süddeutsche das Thema ausgeblendet hat?

Ja, wenn man an der Erzählung festhalten will, dass alle Macht vom Volke ausgeht und dieses Volk alle paar Jahre die Möglichkeit hat, seine Vertreter auszutauschen, wenn es unzufrieden ist. Jeder Bericht über die Bilderberger und andere Elitenzirkel, die ganz ähnlich funktionieren, würde am Lack der Demokratie-Erzählung kratzen. Selbst wenn die Leitmedien berichten wollten, wäre das nicht so einfach, da die Teilnehmer ja in aller Regel Stillschweigen versprechen müssen. Die Bilderberg-Konferenzen sichern Herrschaft über den Wahltag hinaus. Bis auf Adenauer war jeder Bundeskanzler mindestens einmal dort. Das gilt auch für viele andere Spitzenpolitiker, die anschließend gar nicht so selten richtig durchstarten konnten. An Orten wie Bilderberg klopft man die großen Linien fest und castet das Personal, das in der Lage ist, diese Linien umzusetzen.

Sagt uns die Ignoranz der Süddeutschen gegenüber dem Thema Bilderberg etwas über den Journalisten Kornelius?

Ich würde das gar nicht an seiner Person festmachen. Es sagt eher etwas über die Leitmedien insgesamt. Die großen Redaktionen sind so fest eingebunden in den Machtkomplex, dass ein Einzelner da kaum ausscheren kann.

Kornelius ist, wie gesagt, nun Sprecher der Regierung. Er ist aber nicht der Einzige, der aus dem journalistischen Feld als Sprecher ins politische Feld gewechselt ist. Können Sie weitere Beispiele anführen?

Wenn wir das erschöpfend machen wollten, würden wir heute nicht mehr fertig werden. Frank-Walter Steinmeier hat seine aktuelle Sprecherin 2022 auch von der SZ geholt – Cerstin Gammelin. Sie war vorher im Parlamentsbüro der Süddeutschen in Berlin. Gammelins Vorgängerin Anna Engelke kam 2017 aus dem ARD-Hauptstadtbüro. Jetzt leitet Engelke dort die Gemeinschaftsredaktion Radio. Es geht also hin und her. Das gilt auch eine Ebene tiefer. Im September 2021 sind auf einen Schlag drei der vier Landtagskorrespondenten in Rheinland-Pfalz Sprecher in Ministerien geworden.

Wahrscheinlich müssen wir jetzt spekulieren: Aber was ist Ihre Ansicht? Wie läuft so ein Wechsel ab? Der gesunde Menschenverstand spricht dagegen, dass hier jemand ist, der maximal herrschaftskritisch agiert und dann aus dem Nichts aus der Politik bekommt, bei dem es heißt: Wir finden Ihre Arbeit so großartig. Wollen Sie für uns arbeiten? Wie sehen Sie das?

Schön zu beobachten war das ja bei Michael Stempfle, der Anfang 2023 Sprecher im Verteidigungsministerium wurde. Ein paar Tage vorher hatte er Boris Pistorius auf tagesschau.de noch über den grünen Klee gelobt. Also ja: Da gibt es Beziehungen, Absprachen und Bewerbungsartikel.

Sie wissen es selbst: Wir leben in einer Zeit, in der Medien und Politik wohl von vielen Bürgern so kritisch betrachtet werden wie noch nie. Die Vorwürfe der Komplizenschaft, ja, der Inzucht zwischen Journalismus und Politik finden sich überall. Lassen sich diese Vorwürfe an den Wechseln von Journalisten in den Dienst von Politikern festmachen?

Diese Wechsel sind ein Punkt, an dem für jeden sichtbar wird, wie eng Medien und Politik verbandelt sind. Das gilt übrigens auch für andere Bereiche – für die Wirtschaft, für die Kultur, für den Sport, mittlerweile sogar für die Wissenschaft. Heute geht nichts mehr ohne öffentliche Zustimmung. Für alles, was Sie anpacken, benötigen Sie entweder Rückenwind aus den Leitmedien oder wenigstens keine negativen Berichte. Während vor 30, 40 Jahren oft Leute zum Pressesprecher gemacht wurden, die man woanders nicht mehr gebrauchen konnte, holt man sich heute Profis aus den Redaktionen und hofft auf ihr Know-how und ihre Kontakte. Wenn jemand wie Stefan Kornelius bei den Kollegen von einst anruft und um dieses oder jenes bittet, wird er eher Gehör finden als ein Laufbahnbeamter. Außerdem setzen die Apparate auf einen Imagetransfer. Wenn da ein Journalist sitzt mit der Aura des unabhängigen Berichterstatters, wirkt das immer noch glaubwürdiger als bei jedem Politiker, der ja per Definition Vertreter partikularer Interessen ist.

Auf der Plattform X gibt es ein Video (0:15), das Kornelius am Tag der Wahl von Merz zum Kanzler im Bundestag zeigt. Und dann gibt es das Titelblatt der Süddeutschen Zeitung. Überschrift: „Bahn frei für einen Kanzler Merz“. Ich bitte um Einordnung.

Besser kann man unser Gespräch nicht auf den Punkt bringen.

Titelbild: Screenshot Bundesregierung via YouTube