NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Die Ampel muss weg? Ja! Und dann?

Datum: 24. Januar 2024 um 12:04 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Bundesregierung
Verantwortlich:

Der Slogan „Die Ampel muss weg“ ist prinzipiell richtig, die Bundesregierung ist bezüglich ihrer Politik, aber auch ihrer sturen und arroganten Selbstdarstellung unhaltbar. Die Umdeutung von selbst angerichteten Krisen zu höheren Gewalten, denen man sich entgegenstelle, ist unredlich. Beim Thema Krieg und Frieden sind einige Positionen brandgefährlich. Die Soziale Frage bleibt unbeantwortet, ein wirkungsloser Wirtschaftskrieg hat voraussehbar das Leben verteuert. Zahllose Bürger haben sich abgewendet. Trotzdem ist dieser Slogan auch zu kurz gedacht. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der Slogan „Die Ampel muss weg“ bedeutet indirekt auch: „Die CDU muss her!“. Die Parteien, die momentan mit höchstem Erfolgspotenzial zur Wahl stehen (CDU oder AfD) bieten in zentralen Fragen keine bessere Politik als Rot-Grün-Gelb an. In einer solchen Konstellation kann es sein, dass die Situation durch einen Sturz der Ampel sogar verschlechtert würde: wenn die dann bestimmende CDU auf fast allen Feldern eine ähnliche, aber bei der Sozialen Frage eine möglicherweise noch fragwürdigere Politik gegenüber benachteiligten Bürgern machen würde als die Ampel.

Eine schwarz-blaue Koalition?

Auch beim Steckenpferd der Konservativen, bei der Flüchtlingspolitik, sind die Signale widersprüchlich. Zugespitzt formuliert ist das wirksamste Mittel gegen Fluchtbewegungen der Einsatz für Frieden und Waffenstillstand: Die große Mehrzahl der hiesigen Asylbewerber (neben den Ukrainern) kommt aus Ländern, die von westlichen Kriegen zerstört wurden (Irak, Afghanistan etc.), auch bei der Ukraine führte letztlich westlicher Militarismus (NATO-Osterweiterung) indirekt und voraussehbar zum Krieg. Die Ampel stellt sich weder gegen die NATO-Erweiterung noch tritt sie für einen Waffenstillstand etwa in der Ukraine oder in Gaza ein. Aber jene Konservativen, die sich der „Zeitenwende“ und dem neuen Militarismus nicht entgegenstellen, sollten zur Flüchtlingspolitik ebenso schweigen wie die Kriegstreiber unter den Grünen.

Nach einer möglichen Neuwahl halte ich einen Einsturz der „Brandmauer“ zwischen CDU und AfD für nicht ausgeschlossen. Wäre damit etwas „gewonnen“? Die CDU signalisiert, dass sie den Militarismus der „Zeitenwende“ eher noch forcieren will. Die Flüchtlinge der daraus entstehenden Konflikte werden dabei in Kauf genommen, was eigentlich konträr zu proklamierten eigenen Forderungen bezüglich einer „Begrenzung der Zuwanderung“ steht. Die AfD ist in diesen Fragen nicht eindeutig, zumindest beim Ukrainekrieg fordert sie diplomatische Bemühungen, andererseits tritt sie in militärischen Fragen teils umso fragwürdiger auf: Oskar Lafontaine hat gerade beschrieben, dass die AfD auch für die NATO-Erweiterung sei. Außerdem plädiere die AfD für eine „privilegierte EU-Partnerschaft für die Ukraine“. Die AfD sei zudem für Aufrüstung und befürworte das 2-Prozent-Ziel der NATO. Nicht zuletzt befürworte die AfD „Interventionskriege, wenn sie im Interesse Deutschlands sind“, so Lafontaine.

Dennoch: Positionen der AfD wie jene zum Ukraine- und zum antirussischen Wirtschaftskrieg oder zur Corona-Aufarbeitung machen die Partei für viele Bürger attraktiv. Aber die Vermutung ist begründet, dass in einer möglichen schwarz-blauen Koalition diese Positionen zur Folklore und zum folgenlosen Feigenblatt verkommen, während die beiden Parteien in furchtbarer neoliberaler Einigkeit Privatisierungen vorantreiben und den Sozialstaat sowie das Asylrecht angreifen könnten.

In diesen Zeiten der Begriffsverwirrung ist es außerdem wichtig, immer wieder festzustellen: „Linksgrün“ ist nicht links, pseudolinks ist nicht „linksliberal“. „Darf“ man die SPD und die Grünen aktuell in der Frage des Sozialstaats unterstützen? Selbstverständlich: Sozialkürzungen sind kein Triumph über die Bundesregierung, die neoliberalen verbalen Angriffe auf das Bürgergeld müssen zurückgewiesen werden.

Soll man also die Ampel gewähren lassen?

Soll man also die Ampelregierung in Ruhe gewähren lassen? Auf keinen Fall! Denn diese Regierung ist meiner Meinung nach eben nicht „die dümmste Europas“, wie es manchmal heißt, sondern sie handelt sehr zielgerichtet und ist in der beflissenen Erfüllung von US-Interessen als gefährlich zu bezeichnen – unter anderem, weil diese US-Hörigkeit dazu führte, dass die Konfrontation mit Russland in unverantwortlicher Weise eskaliert wurde. Die Bundesregierung hilft tatkräftig mit, in Europa einen neuen Geist des Militarismus zu entfachen und ist bereit, dafür indirekt soziale Anliegen zu opfern (siehe hier oder hier). Dazu kommt, dass die Ampel-Politik und der wirkungslose Wirtschaftskrieg gegen Russland massive materielle Einbußen für viele Bürger herbeigeführt haben.

Die unterwürfige Hinnahme des Terroranschlags gegen die Ostsee-Pipeline Nordstream 2 durch die Bundesregierung kommt zusätzlich einer außenpolitischen Selbst-Degradierung gleich. Hier wird aber keineswegs eine Konfrontation gegen die oder eine Lossagung von den USA gefordert! Deutschland könnte und sollte eine Brückenfunktion übernehmen.

Gründungsmythos: Die „Rettung der Gasversorgung“

Ausgerechnet das Abschneiden Deutschlands von russischer Energie durch einen westlichen Wirtschaftskrieg, der ebenfalls indirekt vor allem US-Interessen bedient, wird von der Ampel und befreundeten Journalisten zur Notlage durch höhere Gewalt umgedeutet und ist mittlerweile geradezu Gründungsmythos einer Schicksalsgemeinschaft: die „Rettung“ der deutschen Gasversorgung, nachdem „Putin uns den Gashahn zugedreht hat“. Im Zuge dieser „Rettung“ wurden die Bürger von der Bundesregierung ohne Not den höheren Kosten der zusätzlich auch noch klimaschädlichen Fracking-Industrie ausgeliefert.

Wenn der von der Bundesregierung vom Zaun gebrochene Wirtschaftskrieg nicht beendet wird, ist alles andere ein Doktern am Symptom – das wird aber viel zu wenig thematisiert, auch von konservativen Kritikern der Ampel. So reiben sich viele Konservative in einem meiner Meinung nach oberflächlichen und ablenkenden Kulturkampf um Gendern und Diversität auf, während elementare Faktoren, die die aktuellen ökonomischen Symptome erst hervorrufen, aus dem Blick geraten.

Alles nur eine Frage der „Gefühle“

Mit großer Sturheit wird momentan von vielen Seiten behauptet, die aktuelle massive und weitverbreitete Unzufriedenheit mit der Bundesregierung beruhe auf täuschenden Gefühlen. Damit sollen die ganz realen Einbußen, die die Ampel-Politik vielen Bürgern beschert (siehe etwa hier oder hier) einfach weggewischt werden. Statt realer Änderungen werden „emotionale Angebote“ gemacht.

Das ist ein zentrales Problem, auch beim Umgang mit der AfD. Die Zeit, in der „emotionale Angebote“ noch wirksam als Ablenkung von den Auswirkungen der realen Politik dienen konnten, scheint vorerst vorbei: Wer die AfD kleinhalten möchte, muss sich um die Flüchtlingssituation, bezahlbare Wohnungen, die sozialen und geopolitischen Folgen der Militarisierung, die Energiepolitik, die Verteuerung des Alltags, die Gesundheitsversorgung, ordentliche Renten, um den Arbeitsmarkt und so weiter kümmern. Die emotionalen Slogans sind verbraucht, leer und wirkungslos, wenn sie nicht endlich wieder mit realer Politik gefüllt werden, die den Bürgern konkrete Verbesserungen bringt.

Darum ist es mindestens unbefriedigend, wenn auf den jüngsten Demos gegen Rechts nicht zuerst reale Veränderungen der Politik gefordert werden, sondern vor allem eine „Haltung“. Der AfD wurde durch Untätigkeit anderer Parteien die (irrtümliche) Rolle als Notbremse gegen eine Schocktherapie zugestanden. Der Erfolg der Partei speist sich auch aus den realen Versäumnissen der Politik der vergangenen Jahre. Die aktuellen Gedankenspiele zum AfD-Verbot sind abwegig und kontraproduktiv. Gleichzeitig verstärkt sich bei sehr vielen Bürgern das Gefühl, dass die eigenen Probleme gar nicht wahrgenommen, sondern arrogant als der „Frust von Abgehängten“ oder als reines Gefühl abgetan werden.

Spiegel“-Kolumne aus dem Wolkenkuckucksheim

Dazu passt etwa diese Botschaft aus dem Wolkenkuckucksheim, kürzlich formuliert in einer Kolumne des „Spiegel“:

Die Kritik an der Ampel ist überzogen, die Forderung nach Neuwahlen gefährlich. Die schlechte Stimmung im Land hat weniger mit Fakten zu tun als mit einer getrübten Wahrnehmung.“

Es gibt außerdem die Tendenz, dass sich die Bundesregierung mit „der Demokratie“ gleichsetzt und Kritik an der Ampel von vielen Journalisten als radikal diffamiert wird. Sahra Wagenknecht hat es einmal mehr auf den Punkt gebracht, als sie gerade bezüglich des AfD-Erfolgs sagte:

Und verantwortlich ist die Bundesregierung, die mit ihrer Unfähigkeit, Abgehobenheit und Klientelpolitik die Menschen zu Recht empört. Wenn jetzt Ampel-Politiker vorn in den Demonstrationen mitlaufen, ist das pure Scheinheiligkeit und Heuchelei, denn im Grunde demonstrieren sie damit gegen sich selbst, gegen die Früchte ihrer Politik.“

Trotzdem: Die Ampel muss weg?

Innerhalb der Ampel erscheint mir die SPD noch am rationalsten. Und auch wenn das momentan schwer nachzuvollziehen ist und als große Naivität abgetan werden kann, setze ich langfristig noch Hoffnungen in diese Partei: Ich denke, an der SPD-Basis erinnern sich noch genug Sozialdemokraten, warum sie sich einst für diese Partei entschieden haben. Die Gründe waren bestimmt nicht die Hoffnung auf mehr Konfrontation gegen Russland und eine Verteuerung des Alltags.

Die Grünen werden von mir häufig stark kritisiert, aber nicht für ihre „grüne“ Politik, sondern für ihren Kriegskurs und eben dafür, dass das „Grün“ bei dieser Partei inzwischen die reine Fassade ist. Die FDP ergänzt zu ihrem teils schrillen Eintreten für die Militarisierung noch den Kampf für soziale Kürzungen und für eine destruktive „Schuldenbremse“.

Wäre eine schwarz-rote „Große Koalition“ ein kleineres Übel als die Ampel? Und wie kann das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) die verfahrene Situation beeinflussen? Ein Erfolg des BSW könnte (möglicherweise, langfristig) die Strategen der SPD anregen, sich dort eine Politik abzuschauen, die die Bürger nicht in einem solchen Maße enttäuscht, dass die alte sozialdemokratische Volkspartei im Osten aus Landtagen zu verschwinden droht. Aus einer solchen Wandlung der SPD könnten auch (langfristig und zumindest potenziell) Koalitions- und Machtoptionen für das BSW entstehen.

Auch wenn der Slogan „Die Ampel muss weg“ teils nicht zu Ende gedacht ist: Ich finde, es wäre schon einiges gewonnen, wenn Annalena Baerbock Deutschland nicht mehr im Ausland vertreten würde und Christian Lindner nicht mehr die Finanzpolitik verantwortet. Also doch: Die Ampel muss weg?

Titelbild: Pretty Vectors / Shutterstock


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=109972