Jens Berger ist freier Journalist und politischer Blogger der ersten Stunde und Chefredakteur der NachDenkSeiten. Er befasst sich mit und kommentiert sozial-, wirtschafts- und finanzpolitischen Themen. Berger ist Autor mehrerer Sachbücher, etwa „Der Kick des Geldes“ (2015) und des Spiegel-Bestsellers „Wem gehört Deutschland?“ (2014).
Beiträge von Jens Berger
Kolumbien – Nach 50 Jahren Dschungelkrieg mausert sich die FARC als legale Partei im spröden Frieden

Kolumbien versucht, sich einen Albtraum vom geschundenen Leib zu schütteln. Der Krieg, der vor fast 60 Jahren zwischen bürgerlichen Konservativen und Liberalen ausbrach und über Jahrzehnte von ihren Nachfolgern – Großgrundbesitzer- und Narcomilizen im häufigen Verbund mit den konventionellen Streitkräften gegen linke Guerillas – ausgefochten wurde, forderte zwischen 220.000 und 260.000 Tote und 60.000 Verschwundene. Nach Abschluss des mit der Regierung Juan Manuel Santos am 22. Juni 2016 vereinbarten Waffenstillstands erfüllte die bis vor kurzem noch aktive, größte Guerilla-Organisation Lateinamerikas, FARC-EP („Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee“), ein Jahr später ihren entscheidenden Beitrag zum kolumbianischen Friedensabkommen vom November 2016. Sie gab unter Aufsicht der UN ihr vollständiges Arsenal mit 14.000 Feuerwaffen ab und hielt im vergangenen August einen Kongress zu ihrer politischen Neufindung als legale Partei ab. Von Frederico Füllgraf.
Campact-Kampagne für Karlchen Überall – das hat schon ein Gschmäckle

Laut eigener Satzung ist die Campaigning-Plattform Campact parteipolitisch strikt neutral. Wie dies mit den aktuellen Kampagnen für die SPD-Politiker Lauterbach und Kelber in Einklang zu bringen ist, fragen auch zahlreiche Campact-Anhänger. Bei Campact versteht man die Kritik nicht. Man werbe ja nicht für eine Partei, sondern unterstütze „progressive Kandidaten“. Warum ausgerechnet Karl Lauterbach ein „progressiver Kandidat“ sein soll, erklärt Campact aber lieber nicht. Das ist auch verständlich, da der Mann mit der Fliege, der parteiintern aufgrund seiner Medienpräsenz auch „Karlchen Überall“ genannt wird, eigentlich eher als strammer Parteisoldat gilt und auch in seinem Fachbereich der Gesundheitspolitik keinesfalls so progressiv ist, wie er es gerne darstellt. Dafür kassierte Lauterbach auch als Aufsichtsrat des privaten Klinikriesen Rhön, für den er von 2001 bis 2013 im Aufsichtsrat saß, ein Salär von rund einer halben Million Euro. Als parteipolitisch neutral wird Campact künftig sicher nicht mehr gelten können. Von Jens Berger.
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Warum spielt das Thema Armut im Wahlkampf eigentlich keine Rolle?

Schon beim TV-Duell nahmen die AfD-Themen „Migration“, „Islam“ und „Terrorismus“ mehr als die Hälfte der gesamten Sendezeit ein. Für das Thema Armut waren da nur noch ein paar Nebensätze übrig. Dieses Missverhältnis lässt sich spiegelbildlich auf den gesamten Wahlkampf übertragen. Uns geht es doch gut … so könnte man meinen. Die offiziellen Zahlen zur Armutsgefährdung, die das Statistische Bundesamt Ende August veröffentlicht hat, sprechen da jedoch eine ganz andere Sprache. Während der gesamten Kanzlerschaft Merkels stieg die Armutsgefährdungsquote und liegt heute auf dem historisch höchsten Stand. Umso erstaunlicher ist es, dass dieses Thema weitestgehend ignoriert wird. Kann es sein, dass es den Eliten sehr gelegen kommt, dass Deutschland sich lieber über Flüchtlinge und Kopftücher aufregt als über die allgegenwärtige Armut? Denn so muss man wenigstens nichts ändern. Von Jens Berger.
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Demokratie braucht Konkurrenz und Medien, die diese Konkurrenz auch zulassen

Heribert Prantl ist ein publizistisches Faszinosum. Bei bestimmten Themen, wie der inneren Sicherheit oder dem Überwachungsstaat, ist das Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung eine der klügsten Stimmen im klassischen Journalismus. Bei anderen Themen scheint ihm jedoch der Durchblick abhandengekommen zu sein. Anfang dieser Woche überraschte uns Prantl beispielsweise mit einem verstörenden Kommentar, in dem er ausgerechnet die Linken und die Grünen für das Erstarken der AfD verantwortlich macht. Kernthese: Die Opposition habe es nicht geschafft, ihre Ideen der Öffentlichkeit zu präsentieren. Und das sagt ein Chefredakteur, dessen Zeitung Seit´ an Seit´ mit zahlreichen anderen „Qualitätszeitungen“ alles nur Denkbare tut, um die Linken und den linken Flügel der Grünen zu diskreditieren. Das hat schon Chuzpe, lieber Herr Prantl. Für eine ernstzunehmende Debatte disqualifizieren Sie sich damit aber. Von Jens Berger.
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Sigmar Gabriel und die Entdeckung der „echten Nazis“ – so viel Geschichtsvergessenheit macht wütend

Es ist Wahlkampf. Da darf man natürlich als Parteipolitiker auch schon mal etwas krachlederner zur Sache gehen und Warnungen vor der AfD sind im Kern ja nie falsch. Aber was Sigmar Gabriel in einem Interview sagt, das er gestern dem Portal t-online gegeben hat, sprengt sämtliche Grenzen von Anstand und Moral. Angesprochen auf den mittlerweile wohl wahrscheinlichen Einzug der AfD in den Bundestag sagt Gabriel, „dann [hätten] wir zum ersten Mal nach Ende des Zweiten Weltkriegs im deutschen Reichstag wieder echte Nazis“. Das ist geschichtsvergessen und dumm. Gerade in der Nachkriegszeit saßen zahlreiche „echte“ Nazis in den westdeutschen Landesparlamenten und im Bundestag. Das geht vom NS-Juristen, über hohe Beamte, die verantwortlich bei den Deportationen und dem Holocaust mitgemacht haben, waschechten Kriegsverbrechern und ideologischen Vordenkern der kruden NS-Ideologie bis hin zu einem Teilnehmer der zweiten und dritten Wannseekonferenz. Betroffen sind alle alten Parteien – auch die SPD, in deren Reihen ein von den Franzosen in Abwesenheit zum Tode verurteilter SS-Offizier sogar in den Bundesvorstand aufsteigen konnte. Wer derart geschichtsvergessen agiert, stärkt damit am Ende nur die AfD, die sich – diesmal sogar zu Recht – als Opfer einer Kampagne sieht. Von Jens Berger.
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