Helga Spindler

Helga Spindler ist emeritierte Professorin für Öffentliches Recht, Sozial- und Arbeitsrecht an der Universität Duisburg/Essen.

Gastbeiträge von Helga Spindler

Kinderarmut ist immer Familienarmut, aber wann ist eine Familie armutsgefährdet?

Auf den NachDenkSeiten sind am 2. November Kinderarmut: Über das Schweigen der gesellschaftlichen Elite und am 1. November Kinderarmut: „Man ist kurzzeitig schockiert und geht dann wieder zur Tagesordnung über“ zwei Beiträge zum Thema Kinderarmut erschienen. Die Juristin, mit Schwerpunkt Sozialrecht Helga Spindler war nicht mit allem einverstanden und hat einen eigenen Beitrag zum Thema formuliert. Möglicherweise werden die NachDenkSeiten noch einmal auf das Thema zu sprechen kommen. Hier zunächst der Text von Helga Spindler. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Warum ist eigentlich die Zuwanderung direkt in ein soziales Fürsorgesystem in Europa und in Deutschland so unklar und missverständlich geregelt?

Städte beklagen sich über die gehäufte Zuwanderung von Rumänen und Bulgaren. Die CSU inszeniert eine populistische Wahlkampagne unter dem Motto „Wer betrügt, fliegt“. Es geht nicht um „Armutswanderung“, es geht um Menschen, die nach Deutschland kommen, aber auch hier keine besseren Lebensmöglichkeiten finden, bzw. sie nur dadurch realisieren können, dass sie von Anfang an ins Fürsorgesystem einwandern und nur deswegen dauerhaft verbleiben können.
Die Frage ist nun, wie ist das in Europa geregelt? Darf man ohne jede Einschränkung einwandern, oder darf man von Leistungen oder vom weiteren Aufenthalt ausgeschlossen werden und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?
Weder Behördenmitarbeiter, noch Gerichte, noch Wissenschaftler oder gar Journalisten wissen genau Bescheid. Nur Politiker – und zwar aus jeder Richtung – und die Kommission, vor allem Sozialkommissar Andor und Justizkommissarin Reding behaupten, das sei alles ganz eindeutig geregelt. Nicht die Zuwanderer seien das Problem, sondern eine problematische EU-Gesetzgebung, die die Personenverkehrsfreiheit forcieren will, aber der nichts am Schutz des Niveaus nationaler sozialer Sicherheitssysteme liegt, meint Helga Spindler.

„Sozialer Arbeitsmarkt“ – Ein noch gigantischerer und zudem entwürdigenderer Niedriglohnsektor

Unter der Überschrift „Sozialer Arbeitsmarkt“ hat sich eine ungewöhnliche Allianz von Sozialverbänden, über die SPD, die Grünen bis hin zur FDP zusammengefunden. Auch in der CDU gibt es Sympathien für ein neues Beschäftigungsmodell für Langzeitarbeitslose. Freiwillig, existenzsichernd bezahlt und möglichst langfristig soll nach diesem Modell Langzeitarbeitslosen am Arbeitsmarkt und zwar am ersten Arbeitsmarkt eine „sinnvolle, normale, nicht stigmatisierende Beschäftigung“ verschafft werden. Das geltende Hartz IV-Systems soll dazu an zwei Stellen verändert werden, nämlich erstens durch den Wegfall der Voraussetzungen, dass die öffentlich geförderte Beschäftigung (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Arbeitsgelegenheiten, Beschäftigungszuschüsse) für Langzeitarbeitslose „gemeinnützig, zusätzlich und wettbewerbsneutral“ sein müssen und zweitens durch einen sog. „Passiv-Aktiv-Transfer“ (PAT), bei dem die Mittel für den „passiven Leistungsbezug“ aktiv zur Finanzierung von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, sprich als Lohnsubvention an die anstellenden Arbeitgeber eingesetzt werden sollen. Eine „Win-Win-Situation“ könnte man meinen. Helga Spindler, Professorin für Sozial- und Arbeitsrecht, widerspricht dem energisch. Sie befürchtet einen noch gigantischeren und zudem entwürdigenderen Niedriglohnsektor.

Zumutbare Arbeit und Sanktionspraxis – Zu den Neuregelungen im SGB II

Letztlich sind inzwischen die letzten Bezüge zur Arbeitslosenhilfe – der befristete Zuschlag und die Rentenversicherungspflicht – ganz abgeschafft. Das Versprechen von der „Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe“ entpuppt sich ganz offen als das, was von Anfang an geplant war: die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe in Deutschland.
Aber die Ethik und das Niveau der Sozialhilfe sind ebenfalls nicht erhalten geblieben, sondern werden durch immer schärfere Pauschalisierung und neuerdings erweiterte Aufrechnungsmöglichkeiten unterlaufen.
Das Ganze geschieht nicht nur zum Selbstzweck, – und noch nicht einmal um nennenswert zu Sparen -, sondern soll bewirken, dass auch immer niedrigere Löhne, Renten etc. akzeptiert werden und möglichst wenig aufgestockt werden müssen. Von Helga Spindler

Wie die Bertelsmann Stiftung neues Vertrauen zurückgewinnen will – Ein Rückblick

Am 17.09.2009 berichteten wir in den Hinweisen des Tages über die Bildung einer „Task-Force“ durch die Bertelsmann Stiftung zum Thema “Perspektive 2020 – Deutschland nach der Krise”.
Solche Aktivitäten der Bertelsmann Stiftung, die gesellschaftspolitische Agenda zu bestimmen, sind nicht neu. Schon über 10 Jahre lang arbeitet die Stiftung auf ihre Weise z.B. auch an der Änderung der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland. So wurde auch die Hartz-Reform vorbereitet, mit Versprechen die nicht eingehalten wurden und die über die wahren Absichten täuschten.
Wenn jetzt nach dem Scheitern der Bertelsmann Mission von weniger Staat, mehr Wettbewerb und Flexibilisierung neues „Vertrauen in der Gesellschaft zurückgewonnen und stabilisiert“ werden soll, dann braucht man offenbar eine neue Strategie.
Man hat wohl erkannt, dass die alten Formeln vom “aktivierenden Sozialstaat” und vom “Fördern und Fordern” angesichts der Erfahrungen, die die Menschen mit dieser Politik gemacht haben, nicht mehr ausreichen. Man muss also nach neuen Formeln suchen, wie „Vertrauen in die demokratische und marktwirtschaftliche Ordnung in Krisen bewahrt und gestärkt werden“ kann.
Wie die Bertelsmann Stiftung bisher vorgegangen ist, um ihre Mission zu erfüllen, das lässt sich u.a. recht gut an der Vorbereitung und Begleitung der Hartz-Gesetze studieren. Um sich einen kritischen Blick auf die neue „Task-Force“ und hinter die wohlklingenden Ankündigungen zu bewahren, halten wir es für interessant noch einmal den Blick zurück zu werfen.
Welchen Einfluss die Stiftung auf die Vorbereitung und Begleitung der Hartz-Gesetze genommen hat, das kann man in der materialreichen Untersuchung von Helga Spindler nachlesen, die im Sammelband “Bertelsmann – Netzwerk der Macht” 2007 veröffentlich wurde. Die Autorin hat diesen Beitrag 2008 um ein Nachwort ergänzt.

Die Hartz-Gesetzgebung wirkt. Aber wie?

In einem Schwerpunktheft des Archivs für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit zu Erfahrungen, Auswirkungen und Schlussfolgerungen nach drei Jahren SGB II ist Helga Spindler speziell dem „Fordern und Fördern“ und seinen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt nachgegangen. Nicht nur dass Sanktionen immer umfangreicher verhängt werden und immer mehr Menschen selbst die unzureichenden Regelsätze nur gekürzt erhalten, der Staat bleibt auch noch nicht einmal beim Fördern neutral, sondern greift durch den Umgang mit den Arbeitslosen einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer in den Markt ein, nimmt ihnen Verhandlungsmacht und verhindert den Aufbau notwendiger Arbeitsplätze.

Das neue Elterngeld. Oder: Wer gewinnt durch eine späte Geburt?

Frauenärzte warnen vor einem künstlichen Hinauszögern der Geburten bis zum Inkrafttreten des Elterngeldes. Bis zu 25.000 Euro könnte ein Kind den Eltern „bringen“, wenn es nach dem 1. Januar 2007 zur Welt kommt. Wer wird profitieren? Rund 155.000 Familien werden danach 3.600 Euro weniger im Geldbeutel haben. Spürbare Verbesserungen wird es erst bei einem ausfallenden Verdienst von 1.500 Euro netto geben.
Helga Spindler, Professorin für Sozial- und Arbeitsrecht, kritisiert das Missverhältnis zwischen einer Kürzung der Zuschüsse bei den armen Haushalten, die damit eine Erhöhung bei reicheren Familien gegenfinanzieren müssen, die um so größer ist, je reicher der Haushalt vorher war.

Hartz IV: Ist das Existenzminimum für arme Familien zu hoch? – oder: wie Herr Jörges vom Stern der raffinierten Verschwörung des Fürsorgestaats zugunsten von Familien auf die Schliche gekommen ist.

Sie erinnern sich sicher, im Mai 2006 hat Ulrich Jörges, der stellvertretende Chefredakteur des Stern, unter der Überschrift „Der Kommunismus siegt“, „Arbeit wird verhöhnt, Nichtstun belohnt.“ eine Polemik gegen den Sozialstaat und gegen Hartz IV-Empfänger geschrieben, die Schlagzeilen und ihn zum Stammgast vieler Talk-Shows gemacht hat. Helga Spindler, Professorin für öffentliches Recht, Sozial- und Arbeitsrecht an der Universität Essen, ist den Fakten nachgegangen und sieht in der Argumentation von Jörges ein Beispiel dafür, wie ein Teil der Gesellschaft Abschied vom Anspruch an Solidarität im Staatswesen nimmt und es offenbar für schick hält, die humanitären und verfassungsgeschichtlichen Wurzeln zu kappen und dabei vermutlich noch nicht einmal ahnt, was das für Folgen haben wird. Helga Spindler hat den NachDenkSeiten diesen Beitrag zur Verfügung gestellt.

Über die Umfunktionierung und Instrumentalisierung der „Ein-Euro-Jobs“

Arbeitsgelegenheiten zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit gab es schon vor den Ein-Euro-Jobs. Die massive Umfunktionierung und Instrumentalisierung sozialer Hilfen durch die neu eingeführten Ein-Euro-Jobs analysiert Professorin Helga Spindler.
Es gehe nicht mehr darum, zu helfen, sondern Menschen mit der nackten Wahrheit zu konfrontieren, dass man nichts mehr für Ihre Integration am Arbeitsmarkt ausrichten könne.
Ein-Euro-Jobber ersetzten Zivildienstleistende oder sie dienten zum Abschieben arbeitsloser Jugendlicher. Es gehe nicht mehr um soziale Hilfe, sondern um „Arbeiten für die Sozialhilfe“. An die Stelle der „Gemeinnützigkeit“ der Tätigkeiten trete die „Privatnützigkeit“. Auch im öffentlichen Bereich würden Ein-Euro-Jobber zunehmend dort eingesetzt, wo Stellen vorher abgeschafft worden seien, sogar als Streikbrecher würden sie missbraucht. Gemeinnützige Beschäftigungsträger von Ein-Euro-Jobbern würden vielfach zu Arbeitskräfteverleihern.
Die Autorin plädiert für ein frei gewähltes ehrenamtliches Engagement von Arbeitslosen.
Für alle, die sich ein umfassendes Bild über die Funktion von Ein-Euro-Jobs machen wollen.