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Agenda 2010

IAT-Report: Mindestens sechs Millionen Niedriglohnbeschäftigte in Deutschland:

Knapp 21% aller abhängig Beschäftigten in Deutschland arbeiten für Niedriglöhne.
Nach der international üblichen Definition der Niedriglohngrenze (zwei Drittel des Medianentgelts) beträgt diese im Jahre 2004 in Westdeutschland 9,83 € und im Osten 7,15 €.
Teilzeitbeschäftigte und Minijobber/innen sind überdurchschnittlich häufig von niedrigen Stundenlöhnen betroffen. 9% oder gut 2,6 Millionen abhängig Beschäftigte arbeiten sogar für Stundenlöhne von unter 7,38 € in West- bzw. 5,37 € in Ostdeutschland.
Das sind einige der wichtigsten Ergebnisse einer Untersuchung von Thorsten Kalina und Claudia Weinkopf vom Institut Arbeit und Technik im IAT-Report 2006-03 [PDF – 344 KB].

Neue europäische Vergleichsstudie aus dem WSI: Mindestlöhne stabilisieren Einkommen – kein Hinweis auf Jobverluste

Mindestlöhne gehören in den meisten Ländern Europas zu den grundlegenden Instrumenten der Regulierung des Arbeitmarktes. Sie stabilisieren das Einkommen von Geringverdienern und schützen Betriebe vor Sozialdumping. Negative Auswirkungen auf die Beschäftigung lassen sich in der Regel nicht beobachten. Zu diesem Ergebnis gelangt eine aktuelle Studie [PDF – 58 KB] des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung.
In 18 von 25 Staaten der Europäischen Union existieren gesetzliche Mindestlöhne. Die Erfahrungen mit gesetzlichen Mindestlöhnen in Europa sind überwiegend positiv, zeigt der internationale Vergleich. Mit der Festlegung einer für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbindlichen Untergrenze wird die Einkommenssituation von Geringverdienern deutlich verbessert. Gleichzeitig werden die Betriebe vor Sozialdumping geschützt. Neuere wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass von den Mindestlöhnen in der Regel keine negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung ausgehen. So wurde etwa in Großbritannien der gesetzliche Mindestlohn seit seiner Einführung im Jahr 1999 um mehr als 40 Prozent erhöht, während im gleichen Zeitraum die Arbeitslosigkeit um 25 Prozent zurückging.

Tarifpolitischer Jahresbericht 2005 des WSI: Gemischte Bilanz – Reallohnverluste überwiegen

Die Bilanz des Tarifjahres 2005 fällt gemischt aus: In wenigen Branchen konnten die Gewerkschaften deutliche Reallohnsteigerungen durchsetzen, so zum Beispiel in der Stahlindustrie und in der chemischen Industrie. Im öffentlichen Dienst gelang nach langwierigen Verhandlungen die Vereinbarung über ein vollständig neues Tarifwerk. In vielen anderen Branchen kämpften die Gewerkschaften mit dem Rücken zur Wand. Geringe Lohn- und Gehaltssteigerungen zwischen 1 und 2 %, Einschnitte in manteltarifliche Regelungen und Leistungen und die Vereinbarung weiterer tariflicher Öffnungsklauseln und Flexi-Bestimmungen prägten die Abschlüsse in zahlreichen Tarifbereichen.
Die Zahl der Erwerbstätigen ging leicht zurück und die Arbeitslosenzahl stieg jahresdurchschnittlich von 4,4 auf 4,8 Mio. Die Gewinnsituation der Unternehmen verbesserte sich erneut: Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen stiegen nach knapp 12 % in 2004 im vergangenen Jahr noch einmal um über 6 %.

Mindestlohn-Kampagne

Mindestlöhne sind auch im Arbeitnehmer- und Gewerkschaftslager umstritten. Jede Seite hat Argumente für sich. Ich werde auf eine Kampagne für einen Mindestlohn aufmerksam gemacht und gebeten, darüber zu informieren. Das tue ich gerne: www.mindestlohn.de.
„Ziel der Kampagne ist, der permanenten Widerholung des empirisch widerlegten Arguments, dass ein Mindestlohn Arbeitsplätze vernichte, durch eine aktive Information aus der Welt zu schaffen. Der Mindestlohn könnte seit langem wieder mal ein Gewinnerthema der Arbeitnehmerseite werden und wird derzeit massiv beschossen. Dabei sind die Argumente der Gegner mehr als dürftig.“ So schreibt der Befürworter.

Unsere Eliten: Mittelmaß, aber perfekt in der Manipulation und in der Wahrnehmung der eigenen Interessen

Jetzt liegen einige Monate intensiver Arbeit an einem neuen Buch (nach der „Reformlüge“) hinter mir. Das Ergebnis erscheint am 21.3. bei Droemer unter dem Titel „Machtwahn. Wie eine mittelmäßige Führungselite uns zugrunde richtet.“ (Ich werde Sie in den nächsten Tagen mit der Inhaltsübersicht bekannt machen.)
Manchmal kamen mir während der Arbeit Zweifel, ob es erlaubt ist, anderen Mittelmäßigkeit und Korruptheit zuzuschreiben. Aber die Beweislage ist erdrückend. Ich will ihnen das an Hand von Beispielen und Artikeln zeigen, die von Lesern der NachDenkSeiten allein in der letzten vier Tagen an unsere Redaktion geschickt worden sind. Ich nenne die Links und kommentiere kurz.

Studie von Irene Becker und Richard Hauser: Hartz IV: Umverteilung von unten nach ganz unten.

Hartz IV verteilt Einkommen unter den ärmsten Haushalten um. Rund 60% verlieren, etwa 40% gewinnen. Zu dieser Einschätzung kommt eine Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. Unter den 60 % „Verlierern“ verliert ein Viertel seinen Anspruch komplett. Die verschärfte Anrechnung des Partnereinkommens treffe vor allem Frauen. Vielen bisher „verdeckten Armen“, die nur wenig Arbeitslosenhilfe bezogen hätten, aber keine ergänzende Sozialhilfe in Anspruch genommen hätten (darunter viele Alleinerziehende), gehe es besser. Die relative Armut – nach EU-Definition 60 Prozent des mittleren Einkommens – steige unter den Betroffenen von etwa 50 auf 65 Prozent.

Siehe dazu auch eine grafische Darstellung [PDF – 200 KB] der „Gewinner“ und „Verlierer“.

Über die Umfunktionierung und Instrumentalisierung der „Ein-Euro-Jobs“

Arbeitsgelegenheiten zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit gab es schon vor den Ein-Euro-Jobs. Die massive Umfunktionierung und Instrumentalisierung sozialer Hilfen durch die neu eingeführten Ein-Euro-Jobs analysiert Professorin Helga Spindler.
Es gehe nicht mehr darum, zu helfen, sondern Menschen mit der nackten Wahrheit zu konfrontieren, dass man nichts mehr für Ihre Integration am Arbeitsmarkt ausrichten könne.
Ein-Euro-Jobber ersetzten Zivildienstleistende oder sie dienten zum Abschieben arbeitsloser Jugendlicher. Es gehe nicht mehr um soziale Hilfe, sondern um „Arbeiten für die Sozialhilfe“. An die Stelle der „Gemeinnützigkeit“ der Tätigkeiten trete die „Privatnützigkeit“. Auch im öffentlichen Bereich würden Ein-Euro-Jobber zunehmend dort eingesetzt, wo Stellen vorher abgeschafft worden seien, sogar als Streikbrecher würden sie missbraucht. Gemeinnützige Beschäftigungsträger von Ein-Euro-Jobbern würden vielfach zu Arbeitskräfteverleihern.
Die Autorin plädiert für ein frei gewähltes ehrenamtliches Engagement von Arbeitslosen.
Für alle, die sich ein umfassendes Bild über die Funktion von Ein-Euro-Jobs machen wollen.

Disput zu Flassbecks Beitrag

Unser Nutzer Adrian widerspricht der Einschätzung Flassbecks und anderer deutscher Ökonomen: „Haushaltseinkommen in den USA fällt seit 5 Jahren“. Und Heiner Flassbeck antwortet.

Winfried Schmähl in den VDI-nachrichten: Wirtschaftliche Interessen beherrschen die Rentendebatte

Die Sozialversicherungsbeiträge könnten von derzeit 42 % auf 35 % eines Monatslohns sinken, wenn die Fehlfinanzierung in den Sozialversicherungen beendet würde, erklärt der Bremer Ökonom Winfried Schmähl. Er hält die Förderung der privaten Altersvorsorge aus Steuermitteln für problematisch. Dieses Geld sollte besser für Qualifizierung eingesetzt werden. Sagt Schmähl in einem Interview mit den VDI-Nachrichten.
Professor Schmähl, Mitglied der von der früheren Bundesregierung eingesetzten Kommission für den 5. Altenbericht, widerlegt einmal mehr die Argumente der Propagandisten für die private Altersvorsorge und deren Angstkampagne gegen die gesetzliche Rente. Anders als die Raffelhüschens und die Rürups wird er allerdings von der Versicherungswirtschaft zu sog. „Informationsveranstaltungen“ nicht eingeladen. Warum wohl?

Durch die Einführung von Gebühren sollen Klagen von Versicherten und Leistungsempfängern vor den Sozialgerichten eingedämmt werden.

In einem Gesetzentwurf vom 10.02.06 (BR-Drucks. 54/06) schlägt der Bundesrat – wie schon einmal vor zwei Jahren – vor, in Klageverfahren vor dem Sozialgericht für den Fall, dass der Prozess verloren geht, eine Gebühr von 70 Euro zu erheben. Für Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht soll diese Gebühr 150 Euro betragen und sich in Revisionsverfahren vor dem Bundessozialgericht auf 225 Euro belaufen. Durch die Gebühren sollen die durch die „Sozialreformen“ fortlaufend anwachsende Flut von Gerichtsverfahren eingedämmt werden.
So folgt eines aufs andere: Erst kürzt man die Sozialleistungen und baut mit schludrigen Gesetzen neue Barrieren für die Leistungsempfänger auf. Wenn sich die Betroffenen dann vor Gericht dagegen wehren wollen, erschwert man den Rechtsweg. Wie soll ein Hartz-IV- Empfänger diese Gerichtsgebühren aufbringen?

Buch-Tipp: Steffen Lehndorff (Hg.), Das Politische in der Arbeitspolitik. Ansatzpunkte für eine nachhaltige Arbeits- und Arbeitszeitgestaltung

Arbeitspolitik wie Arbeitsforschung befinden sich gleichermaßen in der Defensive. Wenn heute in Zeiten andauernder Massenarbeitslosigkeit „Vorrang für Arbeit“ gefordert wird, ist damit auch gemeint: „Hauptsache irgendwelche Arbeit“. Die veränderten, auf „indirekte“ Steuerung setzenden Arbeits- und Organisationsformen entziehen der Arbeitspolitik herkömmlichen Zuschnitts zusätzlich den Boden.

Dieses Buch basiert auf einem Verständnis von Arbeitsforschung, deren Analysen der Arbeitswelt darauf zielen, offensiv Ansatzpunkte für Politik freizulegen.

Lesen Sie weitere Informationen [PDF – 135 KB] zum Buch.

Die Große Koalition nimmt den Kampf gegen die jugendlichen „Sozialschmarotzer“ auf

Arbeitslose Jugendliche bis 25 Jahren erhalten statt 345 nur noch 276 Euro. Wer als Jugendlicher von zu Hause auszieht, braucht die Zustimmung der Arbeitsagentur, sonst bekommt er keinerlei Leistungen für seine Unterkunft mehr. Das Vermögen und Einkommen der Eltern ist künftig auch für den Unterhalt der bis zu 25-Jährigen heranzuziehen.
Der Beitrag für die Rentenversicherung für Arbeitslosengeld-II-Bezieher wird von 78 auf 40 Euro gesenkt, d.h. deren Rente sinkt noch mehr.
Das Erwerbslosen Forum Deutschland bezeichnet den durch die große Koalition vorgelegten Gesetzentwurf als Missachtung eines menschwürdigen Daseins und als Entrechtung von jungen Erwachsenen. Die Novelle ist aber wohl auch ein Testlauf für eine generelle Absenkung der Transferleistungen für Bedürftige.

Die Manipulation der Renten-„Reformer“

Die Panikmache als Methode zum Abbau der gesetzlichen Rentenversicherung und der Umwandlung in eine (zusätzliche) private Altersvorsorge lenkt von den wirklichen Problemen der Umlagefinanzierung ab. Durch hypothetische Spekulationen über die Rentenentwicklung und isolierten „Reform“-Vorstößen wie etwa der Anhebung des Renteneintrittsalters und immer neuen Alarmrufen von sog. Rentenexperten werden Ängste bei Jung und Alt geschürt. Damit wird eine Diskussion über auf dem Tisch liegende Vorschläge für einen dauerhaften Ausweg aus den gegenwärtigen Finanzierungsproblemen der gesetzlichen Rente systematisch verweigert. Lesen Sie dazu einen Beitrag „Zur aktuellen Rentenpolitik“ von Karl Mai.

Armut erreicht die Chefetagen? Rick Wagoner, Konzernchef von GM halbiert sich den Lohn

GM hat den Abbau von 30.000 Stellen für die nächsten drei Jahre angekündigt, die Krankenkassenzuschüsse für beschäftigte und pensionierte Mitarbeiter und die Altersvorsorge werden gekürzt. Allein bei Opel sind schon 8000 Stellen abgebaut worden. „Der Chef des angeschlagenen amerikanischen Autoriesen General Motors, Rick Wagoner, kürzt sein eigenes Gehalt um die Hälfte“ titelt die NZZ. Laut Forbes bezog Rick Wagoner im Jahr 2004 4,8 Millionen Dollar „Cash Compensations“ und 2,7 Millionen „Stock Options“ zum damaligen Markwert von 5 Dollar pro Stück.
„Entbehrungen für Arbeiter und Management“ meint die Nachrichtenagentur Reuters.

Hinter dem Streit um die Nachfolge von Ursula Engelen-Kefer als DGB-Vize-Chefin steht mehr als eine Personalfrage.

Gerade in Zeiten einer Großenkoalition, wo der politische Streit eher unter den Teppich gekehrt wird, wo die kleinen Oppositionsparteien nicht mehr in die veröffentlichte Debatte vordringen, wären die großen gesellschaftlichen Institutionen, wie die Gewerkschaften gefordert, außerparlamentarisch die Regierung anzutreiben und die von ihr gemachte Politik, mit den eigenen Vorstellungen und Konzepten zu konfrontieren. Statt nun alle, wirklich alle Kraft darauf zu konzentrieren, auf dem Feld einer arbeitnehmerorientierten Sozial- und Wirtschaftspolitik in die Offensive zu gehen, betreiben einige „hohe Gewerkschaftsfunktionäre“ eine ziemlich jämmerliche Personaldebatte, um die Nachfolge von Ursula Engelen-Kefer als stellvertretende DGB-Vorsitzende.