Nachtrag zu Strategie der Meinungsmache: „Die Wirtschaft boomt“ und „Null Bock auf Job“ vom 31. Januar 2007.
Einer unserer Nutzer schickt uns zum gestrigen Tagebucheintrag eine sehr informative Mail mit seinen eigenen praktischen Erfahrungen.
Einer unserer Nutzer schickt uns zum gestrigen Tagebucheintrag eine sehr informative Mail mit seinen eigenen praktischen Erfahrungen.
Seit längerem fällt schon auf, dass die ein bisschen besser verlaufende Konjunktur zu einem Boom hochstilisiert und in der Regel auch den Reformen zugeschrieben wird. Jetzt bringt der WDR in einer Ankündigung für „Hart aber fair“ mit Frank Plasberg – der Fernsehtipp auf der WDR-Startseite vom 30.1. – eine Erklärung dafür ins Spiel, dass trotz des angeblichen Booms noch zu viele Menschen arbeitslos sind: „Null Bock“ – also selbst schuld. Beide Behauptungen sind höchst fragwürdig. Sie sind vermutlich Teil der fortwährenden Gehirnwäsche.
Im Frühjahr des vorigen Jahres überzog eine durch die Berichterstattung der Medien geschürte Welle der Angst vor einer Vogelgrippe-Pandemie unser Land. Die Sorge vor einer möglichen Verknappung von angeblich wirksamen Arzneimitteln führte weltweit zu einer sprunghaft erhöhten Nachfrage durch die verängstigte Bevölkerung bei Ärzten und durch die Gesundheitsbehörden. Die geplanten deutschen Ausgaben für die staatliche Bevorratung in Medikamentendepots sollen dabei bis zu 200 Millionen Euro betragen haben. Allein für „Oseltamivir“, eines angeblich wirksamen Bekämpfungsmittel wird eine Umsatzsteigerung von 110 Millionen Dollar im Jahr 2003 auf über 700 Millionen Dollar bis Ende 2005 kalkuliert. Nun kommt eine Untersuchung im gewiss gegenüber der Pharmaindustrie nicht gerade als kritisch bekannten Deutschen Ärzteblatt zum Ergebnis: „In allen publizierten Fällen von mit aviären H5N1 infizierten Patienten fehlt ein erfolgreicher Behandlungsnachweis.“
Die Vermutung drängt sich auf, dass ganz ähnlich wie bei der Debatte um die demografische Entwicklung Ängste geschürt wurden, um daraus einen kommerziellen Gewinn zu ziehen. Wolfgang Lieb.
„Achse des Bösen“, der „Krieg gegen den Terrorismus“ oder der Kampf gegen den Islamismus als „entscheidender ideologischer Kampf unserer Zeit“, das sind Denk- und Deutungsmuster extremistischer christlicher Fundamentalisten und ihrer Think-Tanks. Sie prägen Weltbild und Sprache des amerikanischen Präsidenten. Selbst die Demokraten in den USA scheinen sich, um ihre Wahlchancen zu wahren, evangelikalen Strömungen anpassen zu müssen. Sarah Posner hat sich seit langem mit diesen Strömungen beschäftigt, mit einem Beitrag in AlterNet beschreibt sie, wie christliche Fundamentalisten die Stimmung für einen Krieg der Amerikaner gegen den Iran schüren.
Roger Strassburg und Brigitta Huhnke haben den Beitrag übersetzt und zum besseren Verständnis mit Fußnoten versehen. In Fußnote 4 hat Brigitta Huhnke noch einige Erläuterungen zur Wirkung der Evangelikalen auch auf die deutsche Politik hinzugefügt.
BILD gestern: „Alte kassieren! Junge zahlen nur drauf!“ BILD heute mal wieder mit der „Minus-Rente“.
Meinhard Miegel, der als Running-Gag der Rentenkatastrophe täglich durch die Medien geistert, rechnet uns in einer „Bild-Tabelle“ auf den Euro genau vor, wie viel ein in dreiunddreißig Jahren zur Welt kommendes Baby in hundert Jahren als Rentner von der Rentenkasse weniger herausbekommen wird als dieser Mensch einbezahlt haben wird. Falls wir im 22.Jahrhundert noch den Euro haben werden. Miegel kann vermutlich auch ausrechnen, wie lange in hundert Jahren je nach Geburtsjahrgang unsere Fußzehennägel gewachsen sein werden. Wolfgang Lieb.
Mit der Initiative “Altersvorsorge macht Schule” gibt der Sozialminister eine weitere Kapitulationserklärung für die gesetzliche Rente ab: Ohne zusätzliche private oder betriebliche Absicherung lasse sich der während des Erwerbslebens gewohnte und für später gewünschte Lebensstandard in aller Regel nicht halten. Die zusätzliche Altersvorsorge müsse noch größere Verbreitung finden.
Keiner der Projektbeteiligten verfolge ein „spezifisches“ Geschäftsinteresse.
„Spezifisch“ im Sinne des Geschäftsinteresses eines einzelnen Finanzkonzerns vielleicht nicht, wohl aber im Geschäftsinteresse der gesamten Versicherungsbranche. Welchen Vorteil es für Arbeitnehmer bringen sollte, sich zusätzlich zur gesetzlichen Rente und ohne einen paritätischen Finanzierungsanteil der Arbeitgeber auf eigene (Mehr-) Kosten bei kommerziellen Finanzkonzernen zu versichern, statt erheblich weniger Geld zur auskömmlicheren Finanzierung des umlagefinanzierten Rentensystem ausgeben zu müssen, auf diese Fragen geben die Renten-Schulmeister leider keine Antwort. Letztlich geht es um eine staatlich finanzierte Werbekampagne für die Verlagerung des Kapitalrisikos und von zusätzlichen Kosten für die Altersvorsorge auf die Arbeitnehmer bei gleichzeitiger dauerhafter Entlastung der Arbeitgeberseite, also um Umverteilung von unten nach oben.
Warum dabei der DGB, die Deutsche Rentenversicherung, die Verbraucherverbände und die Volkshochschulen mitmachen, verstehe wer will.
Wir freuen uns wirklich darüber, dass die Konjunktur wieder etwas angezogen und das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 2,5 Prozent angestiegen ist. Muss man aber deshalb wie der neue Präsident des Statistischen Bundesamtes gleich von einem „kräftigen“ Wirtschaftswachstum [PDF – 520 KB] sprechen. „Kräftig“ gewachsen ist das BIP zwischen 1950 und 1960 mit durchschnittlich 8,2% oder in den 60er Jahren mit 4,4%, oder in den 70er Jahren mit teilweise knapp 5% oder gar noch während des Einigungsbooms Anfang der 90er Jahre mit über 5% (Schaubild 2 [PDF – 908 KB]). Davon kann man heute nur noch träumen. Ähnliche relativierende Warnungen vor allzu großer Euphorie sind auch bei anderen Daten angezeigt. Wolfgang Lieb.
Mit dieser Schlagzeile, vergleichbar mit dem billigsten Schurkentrick, dem Ausruf „Haltet den Dieb“, verweist die die BILD-Zeitung vom 10. Januar auf ihrer ersten Seite auf den Vertrauensverlust der Deutschen gegenüber der Rente und lenkt dabei von der eigenen zynische Kampagne mit dem Ziel der Zerstörung des Vertrauens der Bürger in die gesetzliche Rente ab. BILD berichtet über eine unveröffentlichte Allensbach Studie, wonach 88 % der Bürger „kein oder weniger Vertrauen“ in ihre Rente haben; unter den hauptsächlich auf die Rente angewiesenen Berufstätigen, seien es sogar 91%. Es ist der Gipfel der Heuchelei, wenn gerade eines der skrupellosesten Propagandaorgane gegen die umlagefinanzierte Rente nun auch noch den von ihm wesentlich herbeigeführten Vertrauensverlust verkündet. Das Opfer der Rentenpolitik wird zum Täter der Aushungerung der gesetzlichen Altersvorsorge erklärt. Wolfgang Lieb.
Die oberen zehn Prozent der Steuerpflichtigen zahlten 2006 rund 57 Prozent der gesamten Einkommensteuereinnahmen des Bundes, wie die „Sächsische Zeitung“ unter Berufung auf die jüngsten Steuerstatistiken des Bundesfinanzministeriums berichtet. 2004 waren dies nur knapp 53 Prozent. Mit dieser Bauernfängerei, wird zu passender Gelegenheit immer wieder die zu hohe Steuerlast von Spitzenverdienern beklagt, diesmal passend zur Einführung der „Reichensteuer“. Wolfgang Lieb.
Ein Gedicht aus dem Jahre 1928, das so treffend zu der Kampagne von BILD und anderen Medien passt, um mit der dummen Geschichte des unrasierten Enrico F., der Kurt Beck attackierte, Arbeitslose als arbeitsscheues Gelichter zu diskriminieren.
Der Entwurf des Grundsatzprogramms versucht die Quadratur des Kreises: Er will die Richtigkeit des Regierungskurses unter Kanzler Schröder bestätigen, er will möglichst wenig Angriffspunkte zum Kurs der Großen Koalition liefern und er soll gleichzeitig Perspektiven für eine „soziale Demokratie“ aufzeigen. Der am 3. Dezember von der SPD-Programmkommission verabschiedete Entwurf bedient sich dabei der Methode Kurt Becks. Wie in den programmatischen Aussagen des neuen SPD-Vorsitzenden, lässt er bei jeder Aussage, die gemacht wird, ein oder manchmal sogar mehrere Hintertürchen offen, um wieder entwischen zu können, sobald man sich darauf einlässt.
Heute gab es bei SpiegelOnline diese Top-Meldung: „Boom, Boom, Deutschland“. Spiegel Online beruft sich bei dieser Einschätzung auf eine Korrektur der Wachstumsprognosen durch das Kieler Institut.
Ich habe mir die 516 schmal bedruckten Seiten angetan: Ein so „dünnes“ Buch habe ich seit langem nicht mehr gelesen. Mit einer nicht enden wollenden Aneinanderreihung der von Schröder nachgeplapperten Leerformeln von der „Globalisierung“ oder der „demografischen Entwicklung“ wird in penetranter Selbstgerechtigkeit die Politik der rot-grünen Bundesregierung als ein „notwendiges“ „umfassendes reformerisches Programm“ zelebriert. Schröder hat es gefallen, dass ihn Erhard Eppler als „political animal“ bezeichnet hat, vielleicht hat Eppler dabei eher an das Gehabe eines Alpha-Männchens auf dem Affenfelsen gedacht. Wolfgang Lieb.
Gestern hatte ich die Versuche unserer Eliten kritisiert, durch den Gebrauch und Austausch von Leerformeln (wie z.B. von der Wissensgesellschaft) mehr zu verkleistern als zu erhellen. Das hat einen Leser der NDS dazu angeregt, auf den Internetseiten des Ministeriums von Müntefering zu recherchieren. Seine Ausbeute, wörtlich: „Ich habe nur mal kurz die Seite des Bundesarbeitsministeriums begutachtet und sofort einige weitere Beispiele gefunden.“
In der Phoenix-Runde (7.12.) sprach Kurt Biedenkopf in gängiger Manier von der Wissensgesellschaft. Der Gebrauch und Austausch von solchen Formeln ist ein Symbol für den Niedergang der Vernunft unserer Meinungsführer, zu denen auch Kurt Biedenkopf zählt. Einmal abgesehen vom prinzipiellen Fragezeichen hinter solchen Einteilungen der gesellschaftlichen Entwicklung, die mehr verkleistern als erhellen – was wir um uns herum erleben, ist gerade in diesen Tagen wieder alles andere als ein Zeichen von Wissen und Vernunft. Wir sind aktuell einer Fülle von geistigen Zumutungen – Unkenntnis, Widersprüchen, Nachplapperei und Propagandaformeln – ausgesetzt. Weil das nicht nur mich umtreibt, hier ein paar Hinweise. Albrecht Müller.