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Bundesverfassungsgericht, Verfassungsgerichtshof

Nach dem Verfassungsgerichtsurteil: Der Kampf um die Umsetzung

Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Regelsätzen nach Hartz IV geht es wie vielen Entscheidungen dieses Gerichts:
Jeder liest heraus, was er will. Jeder interpretiert hinein, was ihm passt. Jeder bekundet dem Gericht seinen Respekt, handelt dann aber nicht danach.
So soll gerade bei Entscheidungen, die ein Handeln des Gesetzgebers verlangen, die Debatte in eine Richtung geführt werden, die der eigenen politischen Vorstellung entspricht. Auch jetzt wird mit aller Raffinesse versucht davon abzulenken, worum es geht: Das, was die Verfassung verlangt, in einfaches Recht umzusetzen. Von Rüdiger Frohn

Hartz IV im Doppelpack: Jobcenter und Kinderzuschüsse

Der FDP Vorsitzende, Guido Westerwelle, inszeniert erneut seine Diffamierungsorgien gegen die sozial Schwachen in unserer Gesellschaft – sozusagen als zynisches Patentrezept, um die FDP aus dem Umfragetief zu holen. Gleichzeitig verpasst das Bundesverfassungsgericht der Politik zum zweiten Mal in Sachen Hartz IV eine schallende Ohrfeige. Das Gericht verlangt, die Job Center sowie die Regelsätze für Hartz IV und dabei vor allem die Kinderzuschüsse auf eine verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage zu stellen. Von Ursula Engelen-Kefer

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz-IV-Regelsätzen

Das Bundesverfassungsgericht hat die Berechnung der Regelsätze bei Hartz IV (Arbeitslosengeld II und Sozialgeld) für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt und die Bundesregierung verpflichtet, bis zum 1. Januar 2011 eine Neuberechnung vorzunehmen und bis dahin nötigenfalls einmalige Beihilfen zu gewähren, um Hilfebedürftigen durch Deckung ihrer Sonderbedarfe eine menschenwürdige Existenzsicherung zu gewährleisten.
Von Christoph Butterwegge

Bundesverfassungsgericht: Eine schallende Ohrfeige, die nicht besonders weh tut

Das mit Spannung erwartete Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist gefällt: Die Regelleistungen nach SGB II (“Hartz IV- Gesetz”) sind nicht verfassungsgemäß. Das Gericht verlangt einen absolut wirkenden Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, beim Umfang dieses Anspruchs bleibt es jedoch vage und lässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Es hält die derzeitige Höhe der Regelsätze nicht für „evident unzureichend“ und auch das bisherige Berechnungsverfahren sei „grundsätzlich tauglich“. Nur hinsichtlich des Verfahrens bei der Ermittlung der Regelsätze, besonders für Kinder finden die Karlsruher Richter deutliche Worte: die Schätzungen seien „freihändig“ und gingen „ins Blaue“ hinein. Das ist zwar eine schallende Ohrfeige für die sozialpolitische Willkür der Gesetz- und Verordnungsgeber seit Inkrafttreten der Hartz-Gesetze bis heute. Aber bis auf die Kinder und für Hilfsbedürftige mit einem besonderen Bedarf dürfte sich angesichts der politischen Konstellation die Lage der Armen nicht wesentlich verbessern. Der politische Kampf um die konkrete Bestimmung eines menschenwürdigen Existenzminimums wird weiter gehen müssen. Wolfgang Lieb

Ziel der Einführung von Hartz I-IV etc. ist der Aufbau des größten Niedriglohnsektors in der EU

Wenn die Befürworter der Hartz-Gesetze und dabei insbesondere die mitverantwortlichen Sozialdemokraten diese zerstörerischen Reformen verteidigen, dann verweisen sie routinemäßig auf das angeblich notwendige Ziel der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenunterstützung. Ziel war jedoch etwas ganz anderes. Ein Freund der NDS hat dies in einer Analyse niedergeschrieben, die einen guten Überblick verschafft. Albrecht Müller.

Vor 5 Jahren kassierte das Bundesverfassungsgericht die Studiengebührenfreiheit

Am 26. Januar 2005, hat das Bundesverfassungsgericht § 27 Absatz 4 des Hochschulrahmengesetzes für nichtig erklärt und die Studiengebührenfreiheit abgeschafft. Zahlreiche CDU-regierten Länder haben auf das Urteil nur gewartet und Studiengebühren eingeführt. Zum 5-jährigen Jahrestag, dieses Paradigmenwechsels, der die Hochschulbildung von einem öffentlichen Gut zu einem privates Investment in das „persönliche Humankapital“ umkehrte, erinnere ich an meine damalige Kritik „Studiengebührenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts – ein politisches Urteil“ .
Ich habe daran nichts zu korrigieren und alles, was damals nur prognostiziert werden konnte, ist so eingetreten, wie es zu erwarten war.
Die Website „Studis Online“ veröffentlicht aus Anlass dieses „Jubiläums“ einen Buchbeitrag von mir, der die Ausrichtung der Hochschulen auf die Einwerbung von Drittmitteln und Studiengebühren skizziert. Wolfgang Lieb

Bundesverfassungsgericht: Nationaldemokratische Starrheit – Europäische Demokratie bleibt auf der Strecke

Das BVerfG hat den Lissabon-Vertrag im Großen und Ganzen passieren lassen, allerdings hat es das sog. Begleitgesetz moniert, das die Rechte des Bundestages festschreiben soll. Das heißt, das BVerfG hat in Übereinstimmung mit den Klägern ein demokratisches Defizit im politischen Mehrebenensystem Europa und Bundesrepublik festgestellt, das allerdings nicht auf europäischer, sondern auf nationaler, d.h. bundesdeutscher Ebene behoben werden soll. Gestärkt wird damit die nationale Legislative gegenüber der Exekutive – das ist gegenüber dem gegenwärtigen Zustand eine Stärkung der Demokratie, aber nur eine halbherzige. Von Andreas Fisahn*

Nachtwächter über den Nachtwächterstaat

Mit einem „Zwar-Aber“-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht den Vertrag von Lissabon passieren lassen, die Selbstentmachtung von Bundestag und Bundesrat durch das Begleitgesetz zur Zustimmung jedoch kassiert. Das Gericht entzog sich weitgehend einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Reformvertrag und stellte vor allem darauf ab, ob dieser die staatliche Souveränität tangiere. Das Gericht ließ den Lissabon-Vertrag passieren und schränkte nur die Reichweite dieses Vertrages etwa im Justizwesen und beim Militär ein. Nur für zukünftige Entscheidungen einer fortschreitenden europäischen Integration verlangte es „Einzelermächtigungen“ die dem „Demokratieprinzip“ (also vor allem der Zustimmung der Gesetzgebungsorgane) entsprechen. Der Sozialstaat sei durch die Vertragswerke der europäischen Union nicht tangiert. Das Bundesverfassungsgericht reduzierte seine Existenzberechtigung auf eine „Reservekomptenz“ über die „unverfügbare Verfassungsidentität“, also letztlich auf den Kernbestand der Staatlichkeit. Dem Gericht bleibt künftig die Rolle des Nachtwächters über den Nachtwächterstaat. Wolfgang Lieb

Lissabon-Vertrag – Bundesverfassungsgericht hält sich an einer Fiktion fest

Mal abgesehen von manchen bemerkenswerten Seiten dieses Urteils, die Gegenstand der Kommentierung der Prozessparteien und der Medien sind, mir fiel beim Zuhören auf, wie sehr die Verfassungsrichter an das Funktionieren der Demokratie und an die tatsächliche Macht des Volkes glauben. Dieser Glaube war offensichtlich wichtig für das Urteil. – Die Erkenntnis, dass einzelne Personen und Interessengruppen, die über viel Geld und publizistische Macht verfügen, in Europa wie auch hierzulande die Entscheidungen bestimmen, hat sich noch nicht bis Karlsruhe herumgesprochen. Selbst Berlusconi stört das schöne Bild von der Demokratie in Europa nicht. Fast schon bewundernswert, wenn es nicht auch jämmerlich wäre. Albrecht Müller.

Das Grundgesetz im „Wind der Veränderung“

Auch der Inhalt der Verfassung unterliegt ständig der Gefahr, mit dem Status quo der politischen und gesellschaftlichen Machtverhältnisse identifiziert zu werden. Im Widerstand gegen solche Vereinnahmungen muss sich wahrer Verfassungspatriotismus bewähren.
Der Staats- und Verwaltungsrechtler Martin Kutscha beschreibt in seinem Aufsatz Einschnitte in die Verfassungsordnung des Grundgesetzes am Beispiel der Beschwörung von Terrorismusgefahren und an der „marktgerechten“ Umgestaltung der Wissenschaftsfreiheit.

Bundesverfassungsgericht: Neuregelung der “Pendlerpauschale” verfassungswidrig

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, „dass diese Neuregelungen mangels verfassungsrechtlich tragfähiger Begründung mit den Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG an eine folgerichtige Ausgestaltung einkommensteuerrechtlicher Belastungsentscheidungen nicht vereinbar und verfassungswidrig sind.
Der Gesetzgeber ist danach verpflichtet, rückwirkend auf den 1. Januar 2007 die Verfassungswidrigkeit durch Umgestaltung der Rechtslage zu beseitigen. Bis zur gesetzlichen Neuregelung ist die Pauschale des § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG – vorläufig – ohne die Beschränkung auf Entfernungen erst ab dem 21. Kilometer anzuwenden.“ Wolfgang Lieb

Öffentliche Haushalte: Höchster Richter fordert Schuldenverbot

Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, sieht wegen der riesigen Staatsverschuldung die Leistungsfähigkeit des Rechts- und Sozialstaats in Gefahr. Er hält striktere Vorschriften und eine umfassende Übertragung von Staatsaufgaben in private Hände für nötig.
Hier greift der oberste Verfassungsrichter in eine aktuelle politische und wirtschaftspolitische Debatte ein. Das ist nicht seine Aufgabe. Dieses Interview mit Bild am Sonntag ist in mehrerer Hinsicht „beachtlich“.

Studiengebührenurteil des Hessischen Staatsgerichtshofs: Chancengleichheit durch Verschuldung

Mit Wortverdreherei und juristischer Rabulistik gelingt es der Mehrheit der Richter am hessischen Verfassungsgerichtshof, den eindeutigen Wortlaut des Artikels 59 der Hessischen Landesverfassung in sein Gegenteil zu wenden. Aus der Unentgeltlichkeit des Studiums wird die Zulässigkeit des Bezahlstudiums für alle. Wer kein Geld hat, muss sich eben verschulden, dann hat er genauso viel, wie derjenige, der Geld hat. Ein klassischer Fall von Oberschichten-Justiz.

Der Einsatz deutscher Soldaten in AWACS-Flugzeugen über der Türkei hätte der Zustimmung des Bundestags bedurft – doch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist leider nur ein Pyrrhussieg

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai 2008 ist in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung:

  1. Aktuell, weil es die die Rolle der Bundeswehr als „Parlamentsarmee“ bekräftigt und die schleichende Ausdehnung der militärischen Entscheiddungskompetenzen der Exekutive begrenzt,
  2. rückblickend für die juristische Beurteilung der deutschen Beteiligung am Irak-Krieg,
  3. für die Zukunft, weil es den Plänen der CDU/CSU für ein neues Sicherheitskonzept enge Grenzen setzt.
  4. Spannender wird aber nun die Frage werden, wie sich dieses Urteil zu Artikel 28a des EU-Reformvertrages verhält, in dem die Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf die Europäische Union übertragen wird und unter Führung der Union militärische „Missionen“ auch mit Hilfe der Bundeswehr durchgeführt werden dürfen.

Wolfgang Lieb