Petra Frerichs

Petra Frerichs hat Literatur- und Sozialwissenschaften studiert. Sie schreibt über Literatur und Kunst. Zuletzt erschienen von ihr: Vom Glück zu finden (2016), Literarische Entdeckungen (2018 – gemeinsam mit Joke Frerichs) und Dieter Wellershoff – Eine Begegnung der besonderen Art (2019 – gemeinsam mit Joke Frerichs).

Gastbeiträge von Petra Frerichs

Franz Schuh: Memoiren. Ein Interview gegen mich selbst – Eine nachgeholte Rezension

Manchmal fallen einem Bücher in die Hand, die so viel an Geistesschärfe und politisch-kultureller Relevanz aufweisen, dass man sie weiterempfehlen möchte, auch wenn es sich dabei um keine Neuerscheinung handelt. Dass das Buch des österreichischen Philosophen Franz Schuh schon 2008 erschienen ist, kann kein Argument gegen seine Empfehlung sein. Und wenn es eines aktualisierenden Bezuges bedürfte, ist dieser mindestens im Hinblick auf die Behandlung des Themas Erinnern und Vergessen der Vergangenheit im 70. Jahr nach Kriegsende gegeben. Die eigentliche ‚Unfähigkeit‘ zu trauern liegt … deshalb vor, weil die Leute … über das Geschehene nicht traurig waren; sie waren höchstens darüber traurig, dass sie einen Krieg verloren hatten, und darüber, dass man ihnen eine Schuld an mörderischen Grausamkeiten geben konnte, für die sie sich gar nicht verantwortlich fühlten; und viele glaubten, falls sie den Krieg gewonnen hätten, dann hätte ihnen auch keiner einen Vorwurf gemacht. Die ‚Banalität des Bösen‘ war für sie ein Sachverhalt, der sie nicht berührt hat.
Eine Besprechung von Petra Frerichs

Der Jazz trieb uns den Marschtritt aus dem Leib – Krieg und Nachkrieg im Werk von Dieter Wellershoff

Anlässlich des 70. Jahrestages des Zweiten Weltkriegsendes, der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht und der Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft am 8. Mai 2015 werden wir wieder viele Beispiele einer salbungsvollen, abgehobenen Erinnerungsrhetorik erleben, wie sie bereits anlässlich des Gedenkens an das Entfachen des Ersten Weltkrieges und des Kriegsbeginns am 1. September 1939 zu vernehmen waren; gerade von denen, die heute geschichtsvergessen von einer neuen Verantwortung Deutschlands in der Welt fabulieren und dabei auch militärische Optionen nicht ausschließen. Es mutet seltsam an, mit welcher Selbstverständlichkeit in der Öffentlichkeit schon wieder Kriegsszenarien durchgespielt und damit die Errungenschaften der Entspannungspolitik mit dem Osten desavouiert werden.
In dieser Situation kann es hilfreich sein, die deutsche Nachkriegsliteratur noch einmal in Erinnerung zu rufen, spiegelt sie doch wie kein anderes Medium das nationale Debakel und die desaströse geistig-moralische Befindlichkeit der Bevölkerung in der „Stunde Null“ wider. Trümmer- und Kahlschlagsliteratur hat sie sich selbst genannt, womit sie zugleich auf die zerstörten deutschen Städte reflektierte wie auf das Erfordernis, mit literarischen Traditionen zu brechen und aus dem Nichts etwas Neues zu schaffen. Der Schriftsteller Dieter Wellershoff (Jahrgang 1925) hat als junger Mann diesen Krieg erlebt und überlebt, und es brauchte eine längere Zeit, bis er seine Erlebnisse verarbeiten konnte. Er war nicht einer der ersten, der darüber schrieb – dafür war er 1945 auch zu jung; aber kaum ein anderer unter den deutschen Literaten hat dann so viel für die Aufarbeitung dieser Erfahrungen und für die Aufklärung über das nationalsozialistische Regime geleistet wie er. Von Petra Frerichs

Rezension: Wolfgang Bittner: Südlich von mir. Gedichte

Wolfgang Bittner ist ein in den NachDenkSeiten immer wieder präsenter Autor. Erst kürzlich hat er das Sachbuch „Die Eroberung Europas durch die USA“ (2014) zu Hintergründen der Ukraine-Krise veröffentlicht (siehe Rezension vom 05.11.2014). Zwei Jahre zuvor erschien der politische Roman „Hellers allmähliche Heimkehr“ (siehe Rezension vom 28.03.2013). Dass Bittner auch Gedichte schreibt, spricht für seine publizistisch-literarische Vielseitigkeit. Und dass er in dem Lyrikband „Südlich von mir“ (2014) so ganz anders von Griechenland spricht, als wir es dieser Tage etwa durch die „Institutionen“ über uns ergehen lassen müssen, spendet etwas Trost in den finsteren Zeiten, in denen wir leben (frei nach B. Brecht). Von Petra Frerichs.

Arno Schmidt – ein Nachkriegsautor der besonderen Art

Im vergangenen Jahr hätte Willy Brandt 100. Geburtstag gehabt, in diesem der Schriftsteller Arno Schmidt. Dass Schmidt zu den markantesten Nachkriegsautoren Westdeutschlands zählt, ist, wenn überhaupt gewürdigt, dann wieder in Vergessenheit geraten. Anlässlich des bevorstehenden 70. Jahrestages der Beendigung des Zweiten Weltkrieges und seines 100. Geburtstages gibt es einen doppelten Anlass, an diesen immer noch zu wenig bekannten Autor zu erinnern. Und das tut man am besten, indem man ihn (wieder) liest und sich mit ihm beschäftigt. Anregungen dazu von Petra Frerichs

Rezension: Dieter Wellershoff, Was die Bilder erzählen. Ein Rundgang durch mein imaginäres Museum

Nur Eingeweihte wussten es: Dieter Wellershoff hat es sich im hohen Alter nicht nehmen lassen, nach Abschluss seiner neunbändigen Werkausgabe, deren letzte drei Bände 2011 erschienen sind, noch einmal ein großes Buch zu schreiben. Diesmal nicht in den bisher von ihm reichlich bedienten Genres Roman, Erzählung, Novelle oder Essay, sondern auf dem Gebiet der Malerei. Er folgt seiner Faszination für die Bildende Kunst, wenn er am Beispiel von über 230 Gemälden von fast 80 Künstlern den Bildern aus einer Zeitspanne von der Renaissance bis zur Gegenwart eine Stimme gibt. Von Petra Frerichs.

Ästhetik und Politik

Unter dem Titel Schönheit und Gerechtigkeit fand in der Zentralbibliothek Köln ein Symposion zur Roman-Tetralogie Die Kinder des Sisyfos des Schriftstellers Erasmus Schöfer statt.
Es ist das große Verdienst Schöfers, mit seiner literarischen Geschichte von unten, diese Ereignisse vor dem Vergessen bewahrt zu haben. Er hat nicht nur über sie geschrieben; er hat an vielen der Widerstands-Aktion selbst teilgenommen. In seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Gustav-Regler-Preises hat der Autor sein literarisches Credo wie folgt formuliert: Für mich hat immer gegolten: Der Schriftsteller ist nicht nur kritischer Beobachter der Weltläufe, sondern handelnder, mitwirkender Beteiligter. Er ist einer, der sich zugehörig weiß zu den emanzipatorischen Bewegungen seiner Zeit, der an ihnen teilnimmt mit dem Bewusstsein, die Motive der Bewegten erkennen und bezeugen zu wollen, im Widerstand gegen die mächtigen Kräfte, in deren Interesse die Verdunkelung und Verfälschung dieser Motive liegt. Von Joke und Petra Frerichs

Rezension. Wolfgang Bittner, Hellers allmähliche Heimkehr

Ein Roman, der im Vorfeld des Prozesses gegen die Neonazi-Terrorzelle NSU in die Zeit passt, denn auch hier geht es um eine rechtsradikale Gruppe und deren Wirken in der Provinz. Aber es geht auch um Korruption. Am Beispiel einer norddeutschen Kleinstadt werden deren Mechanismen im Zuge aktueller Privatisierungspolitiken aufgezeigt und mit dem von den Ordnungskräften geduldeten, verharmlosten Agieren der rechtsradikalen Gruppierung in Verbindung gebracht. Der in seine Heimatstadt zurückgekehrte Journalist Heller sorgt als neuer Chefredakteur des Lokalblatts für Aufklärung und lässt einen doppelten Skandal auffliegen – auch wenn es ihn den Posten bei der Zeitung kostet. Von Petra Frerichs.

Erziehung zum Klassenhass? Waldorfschüler verspotten ihre Chorweiler Nachbarn

„Waldorfschüler verspotten ihre Chorweiler Nachbarn“ – so lautete eine Schlagzeile des „Kölner Stadtanzeigers“ vom 20. Dezember 2012. In dem Artikel wird berichtet, wie Kölner Waldorfschüler den Stadtteil Chorweiler sehen, in dem sich ihre Schule befindet. „Das Viertel färbt ab“ – so lautete das Thema eines Mottotages der Abiturienten der Waldorfschule. Teilergebnisse davon sind in der Abi-Zeitung der Schüler veröffentlicht worden, darauf abgebildet: eine junge Schwangere mit Zigarette, Großfamilien mit „10 Kusäängs und 19 Kusinään“, gewaltbereite Jugendliche, posende Mädchen in Jogginghosen. Die Abi-Zeitung hat im Stadtteil Chorweiler für viel Aufregung gesorgt, da sie auf einem Adventsbasar verkauft wurde. Für die Bezirksbürgermeisterin ist unverständlich, „dass die beteiligten Lehrer augenscheinlich nicht im Vorfeld der Mottotage über die diskriminierenden Aspekte und das mögliche Konfliktpotenzial des Mottotags gesprochen haben.“ Ein ganzes Stadtviertel und seine Bewohner seien abgewertet, Hohn und Spott über Gleichaltrige ausgeschüttet worden. Die Abiturienten hätten ein „Unreifezeugnis“ verdient. Von Joke und Petra Frerichs

Das literarische Werk Dieter Wellershoffs

Dieter Wellershoff gehört zu den bedeutenden Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur. In seinen Romanen, Novellen und Erzählungen schildert er die Schattenseiten einer Gesellschaft, der trotz aller Freiheitsversprechen und Konsumangebote eine gemeinsame, verbindliche Sinnstiftung abhanden gekommen ist. Für sein Werk hat Wellershoff zahlreiche Literaturpreise erhalten, u.a. den Heinrich-Böll-Preis.
Joke und Petra Frerichs haben das literarische Werk Wellershoffs analysiert. In ihrem Buch Leben braucht keine Begründung interpretieren sie sämtliche Romane, einige ausgewählte Novellen und Erzählungen sowie die Gedichte des Autors. Der folgende Textauszug ist der Einleitung zu ihrem Buch entnommen.

Rezension: Fritz J Raddatz: Tagebücher 1982-2001

Auf über 900 Seiten stellt Raddatz sich und sein Universum in einem Zeitrahmen von neunzehn Jahren vor: Seine Weggefährten, Mitstreiter, Berufskollegen, Freunde und Nicht-Freunde; seine Aktivitäten, Reisen, Aufenthalte; seine Recherchen, Publikationen; sein Schaffen. Dabei schälen sich bestimmte Muster heraus: immer wiederkehrende Erfahrungen, Verhaltensdispositionen und Situationen, die für sein Leben typisch zu sein scheinen. Auf diese Muster möchte ich mich beim Besprechen der Tagebücher konzentrieren. Von Petra Frerichs