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Das kritische Tagebuch

Nachtrag zu den Gepeinigten einer menschenunwürdigen Erziehung

Den Hinweis Nr. 15 vom 15.6. über katholische Heimerziehung in IRLAND (“Wir waren Sklaven”) hatte ich mit der Bemerkung kommentiert, das wäre bei uns ein klarer Verstoß gegen Art. 1 des Grundgesetzes (Schutz der Würde des Menschen) und damit verfassungsfeindlich. Für diesen Kommentar wurde ich von einem unserer Leser kritisiert (siehe Anhang 1), von anderen wurde mein Kommentar mit interessanten Informationen ergänzt. Albrecht Müller

Obskures vom Lagerwahlkampf

Kanzlerkandidat Steinmeier sagt: “Schwarz-Gelb darf keine Mehrheit erhalten, weil die Ideologie, die in die Krise geführt hat, sicherlich nicht die Antwort auf die Krise sein kann.” Er schreibt die neoliberale Ideologie den Gelben und den Schwarzen zu. Das ist nicht falsch, falsch jedoch ist es, so zu tun, als habe man selbst, namentlich Kanzleramtsminister Steinmeier und der jetzige Finanzminister Steinbrück wie auch sein Vorgänger Eichel und Merkels Vorgänger Schröder nichts mit dem neoliberalen Kurs in Deutschland zu tun. Sie haben alle daran mitgewirkt. Was Steinmeier jetzt versucht, nämlich sich mit der SPD aus der Verantwortung zu stehlen, das hat ein Stratege der Union schon vor ihm versucht: Dr. Geißler. Dazu und zu anderen obskuren Blüten des Wahlkampfes gleich mehr. Albrecht Müller

Verschafft uns der SPD-Parteitag am Sonntag eine Alternative zu Schwarz-Gelb?

Was wäre zu tun, damit wir Wählerinnen und Wähler am 27. September eine wirkliche Wahl haben, also eine wirkliche Alternative zu Angela Merkel und Guido Westerwelle wählen können? Das ist die Kernfrage, die sich die Delegierten des SPD-Parteitages am Sonntag zu stellen haben. Die SPD-Führung, so muss man nach den bisherigen Einlassungen fürchten, wird diese Frage nicht zulassen. Sie müsste dann nämlich eine Kurskorrektur in Bezug auf die Inhalte und in Bezug auf die Koalitionsmöglichkeit vollziehen. Dazu scheint sie nicht bereit. Also stehen die Delegierten ihrerseits vor der Alternative, entweder den Aufstand gegen die Festlegungen der SPD-Spitze zu wagen oder mit ihr bei der Wahl im September unterzugehen. Albrecht Müller

Der Fahrstuhl kennt noch ein paar Etagen nach unten

In Deutschland kommen CDU/CSU zusammen mit der FDP auf rund 49%, in Europa ist die Rechte auf dem Vormarsch. Und das in einer der tiefgreifendsten Krisen, die das Scheitern der wirtschaftsliberalen und konservativen Ideologien jedermann vor Augen führen müsste.
Das scheint Gegenintuitiv, ist jedoch leicht erklärbar: In einer Zeit, in der sich sozialdemokratische Parteien in Deutschland, aber auch in Großbritannien vor allem durch ihr politisches Handeln zum Exekutor der neoliberalen Doktrinen gemacht hat, können sie ihre Wähler nicht mehr mobilisieren.
Die Konservativen verlieren zwar auch, aber sie können immer noch auf einen größeren Teil ihrer Stammwählerschaft bauen, ja sie haben es sogar geschafft, dass verängstigte potentielle Wählerinnen und Wähler der Linken, wie etwa Arbeiter, auf die zynischen Sprüche wie „Vorrang für Arbeit“ oder das Gerede von der „sozialen Marktwirtschaft“ hereinfallen. Wolfgang Lieb

Die „linke“ Hälfte wird bei den Wahlen vermutlich enttäuscht abschneiden

Nach meinem Eindruck werden vor allem SPD und Die Linke bei den heutigen Wahlen unter ihren Möglichkeiten bleiben. Das hat bei der SPD viel damit zu tun, dass sie sich inhaltlich bis auf wenige Ausnahmen dem neoliberalen Glaubensbekenntnis angepasst hat. Hinzu kommt der wahltaktische Fehler, dass sie sich trotz dieses faktischen eigenen Rechtsruckes einen Linksruck anhängen lässt. Dass die Linkspartei vermutlich unter ihren Möglichkeiten bleibt, hat ganz wesentlich mit einer bemerkenswert mangelhaften Wahlkampfführung zu tun. Seit langem ist erkennbar, dass die Strategie der anderen Parteien wie auch der Wirtschaftsverbände darauf zielt, die Linkspartei zu stigmatisieren und im konservativen bis liberalen Wählerbereich einen Antikommunismuswahlkampf wie in den fünfziger Jahren zu führen. Diese Kampagnen strahlen ab auf die potentiellen Wähler der Linkspartei. Sie werden verunsichert und fallen über weite Strecken als Multiplikatoren aus. Albrecht Müller

Institut der deutschen Wirtschaft: Soziale Umverteilung von oben nach unten?

Mit einer geradezu trotzigen Provokation rechtzeitig zum Vorwahlkampf bestreitet das IW [PDF – 11 KB] nicht nur die für jedermann spürbare, immer weiter auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich, es widerspricht auch allen Befunden und Studien, wonach in den letzten Jahren die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer geworden sind. Dass der Sozialstaat von unten nach oben verteile, dass sei nur ein Vorurteil, meint Michael Hüther, der Chef das arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft. Wolfgang Lieb

Der Kampf des Ritters zu Guttenberg gegen „Freibier“ für Opel und die seit Jahrzehnten offene Hand Bayerns für Subventionen vom Bund

Zugegeben, die Entscheidung über den Versuch zur Rettung von Opel mithilfe eines 1,5 Milliarden-Überbrückungskredit und andere Hilfen ist nicht einfach gewesen. Warum Opel retten und nicht Arcandor? Sind Arbeitsplätze bei der Automobilindustrie wertvoller als Arbeitsplätze im mittelständischen Gewerbe, beim Handwerk und beim Außenhandel? Meines Erachtens Nein. Wie weit reicht die Kraft zur Rettung? Warum keine Staatsbeteiligung, wenn schon öffentliches Geld fließt? Das sind durchweg berechtigte Fragen. Aber diese Fragen und Zweifel rechtfertigen keineswegs die jetzt begonnene Profilierung des Bundeswirtschaftsministers Guttenberg. Er lässt sich mit Polemik gegen die „Freibier-für-alle-Mentalität“ in Bayern feiern (siehe im Anhang zwei Beiträge von Spiegel Online), war aber in Berlin nicht konsequent genug, zurückzutreten, als sich seine Forderung nach Insolvenz nicht durchsetzen ließ. Und zu Guttenberg lässt bei seiner Wertung außen vor, wie sehr gerade Unternehmen in Bayern von der von ihm gegeißelten Freibiermentalität profitiert haben und profitieren. Albrecht Müller

Sind die NachDenkSeiten für Kinder und Jugendliche ungeeignet?

Nachdem die NachDenkSeiten noch vor einigen Tagen vom Jugendschutzverein JusProg e.V. als „gesperrt“, danach als „individuell“ – also nicht unter das (Sperr-)Raster fallend – eingestuft wurden, kommt derzeit auf eine Prüfanfrage die Rückmeldung: „Die Seite nachdenkseiten ist noch nicht in unserem Filter vorhanden.“ Dennoch scheint unsere Website vom Family Online Safety Institute (Fosi) offenbar „aufgrund bestimmter Wortverknüpfungen“ den „Extrem-Bereichen der Erotik, Gewalt und Politik“ zugeordnet zu werden und erst nach einer zusätzlichen individuellen Überprüfung nicht mehr unter das Raster fallend eingestuft worden zu sein.

Schuldenbremse – eine Absage an eine aktive, zukunftsgerichtete Wirtschaftspolitik

Der 29. Mai wird als ein schwarzer Tag für die aktive und die zukünftigen Generationen in die Geschichte unseres Landes eingehen. Kurz nach den Lobgesängen auf das wirtschaftspolitisch bisher neutrale Grundgesetz anlässlich des 60. Jahrestages seiner Verkündung wird einer aktiven makroökonomischer Wirtschaftspolitik und einer nachhaltigen Finanzpolitik eine verfassungsrechtliche Barriere vorgeschoben. Die Chance, von diesem unverantwortbaren Irrweg wieder mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundes abzukehren, dürfte sich politisch so bald nicht mehr ergeben – das wäre nur noch durch eine dramatische Notsituation denkbar, die hoffentlich nie eintreten möge. Die Hoffnung, dass der Bundesrat oder die Gerichte diese Verfassungsänderung wegen ihres Eingriffs in die Finanzautonomie und damit in die Eigenstaatlichkeit der Länder [PDF – 270 KB] stoppen, ist nur gering.
Als Bürgerinnen und Bürger bleibt uns nur noch die Möglichkeit, die Kandidatinnen und Kandidaten für den künftigen Bundestag zur Rede zu stellen. Deswegen können wir Sie nur noch ermuntern, sich mit Argumenten gegen die Schuldenbremse zu wappnen, und – auf welchem Wege auch immer – Ihre Vertreterinnen und Vertreter für das Bundes- und für die Länderparlamente damit zu konfrontieren. Wolfgang Lieb

70 Prozent der Deutschen würden Köhler wählen. – Wie das?

Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz verkündet. Genau 60 Jahre später dürfte Horst Köhler zum zweiten Mal zum Bundespräsident gewählt werden. Die Wahl in der Bundesversammlung ist weitgehend Formsache, dort spiegeln sich die Mehrheiten im Bundestag und in den Länderparlamenten wieder und dort haben eben Schwarz-gelb zusammen mit den gleichfalls konservativen freien Wählervereinigungen eine knappe Mehrheit. Diese konservative Mehrheit ergibt sich daraus, dass die SPD seit der letzten Wahl zum Staatsoberhaupt eine Wahl nach der anderen verloren hat, zuletzt in Bayern und Hessen. Es reicht also nicht einmal mehr zu einer Mehrheit von Rot-rot-grün. Köhler profitiert also vor allem vom Niedergang der SPD.
Das ist aber nur die parteipolitische Seite der Präsidentenwahl.
Viel deprimierender ist allerdings, dass Köhler, wenn er direkt vom Volk gewählt würde noch eine viel deutlichere Mehrheit erhielte.
Wie ist es zu erklären, dass ein Hardliner des Weiter-so in der Bevölkerung eine derart unkritische Unterstützung und Sympathie erfährt? Wolfgang Lieb

FDP: Täuschung lohnt sich

„Arbeit muss sich wieder lohnen“, das war das Motto des 60. ordentlichen Bundesparteitags der FDP in der Messe Hannover, in dessen Mittelpunkt „Beratungen“ zum Wahlprogramm [PDF – 620 KB] für die Bundestagswahl standen. Schon aus diesem Slogan kann man ablesen, dass die FDP nicht lügen muss, um einen Wortbruch zu begehen. Nein, die FDP ist geschickter. Sie deutet schon die ursprüngliche Bedeutung der Worte so um, dass sie eine Lüge enthalten. Bei „Arbeit muss sich wieder lohnen“ geht es nämlich nicht darum, dass Arbeit wieder gut be-“lohnt“ wird, sondern ausschließlich darum, dass die Steuern und Sozialabgaben auf den Lohn gesenkt werden. Und das – wie sollte es bei der FDP auch anders sein – besonders für diejenigen, die hohe Löhne beziehen.
„Arbeit muss sich wieder lohnen“ ist tatsächlich eine Lügenphrase, um die wahren Gedanken und Absichten der FDP zu verschleiern. Wolfgang Lieb

Zum Bundestagswahlprogramm der Partei der Linken

In letzter Zeit liest man allenthalben die oft nur vorgespiegelt fürsorgliche Frage, warum die Krise der Linken nicht in die Hände spielt. Heribert Prantl begründet dieses erklärungsbedürftige Phänomen in der Süddeutschen Zeitung damit: „Wenn die Leute in der Klemme sitzen, dann wollen sie nicht immer nur hören, warum das so ist. Sie wollen wissen, wie sie da wieder herauskommen. Dazu ist von der Linkspartei nicht viel zu hören.“ Ein ausgewiesener Realo aus der Linkspartei, das Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus Carl Wechselberg, wirft seiner eigenen Partei im Spiegel vor, sie biete den „Bürgern und Wählern, die sich in der Krise existentiell bedroht sehen“ keine „echte Antworten und Konzepte“ und keine „politische Strategie zu deren Umsetzung“.
Auch der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering schlägt im ZDF in die gleiche Kerbe: Die Linke habe ihren Höhepunkt überschritten, sie „hat keine Orientierung an den Lebenswirklichkeiten, sie versucht sozialpopulistischer sein als die anderen.
Umso interessanter ist es, das Bundestagswahlprogramm [PDF – 320 KB] einmal danach abzuklopfen, ob die Linke tatsächlich keine Antworten und Konzepte oder keine Orientierung an der Lebenswirklichkeit hat. Wolfgang Lieb