Kategorie:
Ökonomie

“Sei rüde, sei ehrlich, mach es schnell”

Das ist die Überschrift über einem Beitrag des Spiegel vom 16. August 2004 zu Sozialreformen im Rahmen der Titelgeschichte dieser Woche: “Angst vor der Armut”. In diesem Artikel wird über eine neue so genannte Benchmarking-Studie der Bertelsmann Stiftung berichtet. Eingebettet in den Hauptartikel “Das verunsicherte Volk” ist dann auch ein Interview mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, Bischof Dr. Wolfgang Huber. Seine Hauptbotschaft laut Spiegel: Mehr Mut zu Reformen. Das ist der Tenor des gesamten Stücks. Wer sich mit den Reformen beschäftigt und die Art der Agitation bewundern will, sollte sich diese Beiträge ansehen.
Ich gebe einige Hinweise auf Denkfehler und Tücken, mit Schwerpunkt beim Bericht des Spiegel. Dabei greife ich auf Material zurück, das in einem Buch verarbeitet ist, das ich im letzten halben Jahr neben der Entwicklung der NachDenkSeiten geschrieben habe: Albrecht Müller, “Die Reformlüge – Denkfehler, Mythen und Legenden, mit denen Politik und Wirtschaft Deutschland ruinieren”. Mehr dazu in den nächsten Tagen.

Nachtrag OECD – das Statement auf der Pressekonferenz vom 5.8.

Das Statement lag noch nicht vor, als ich die erste Tagebuchnotiz schrieb. Ich reiche den Text nach, weil daran gut sichtbar ist, wie unbegründet die Forderung nach Strukturreformen erhoben wird und wie platt die Modernisierer argumentieren: Kaskaden der gängigen Behauptungen, mit denen wir seit über 20 Jahren traktiert werden. Siehe Eintrag zum Lambsdorff-Papier. Ich habe begonnen, in ((doppelten Klammern und kursiv)) Fragen anzumerken. Aber ich habe es nicht bis zum Ende ertragen. Vielleicht schaffen es unsere Leser.

Graf Lambsdorff als Stichwortgeber – Das meiste, was heute als modern gilt, ist uralt.

Seit über zwanzig Jahren immer nur dieselben Rezepte und nichts hat sich verbessert. Am 9. September 1982 hat der damalige Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff sein „Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ – den „Scheidebrief“ für die damalige sozialliberale Koalition – veröffentlicht. Seit dieser Zeit wird Politik – manchmal mehr, manchmal weniger – nach dieser Rezeptur gemacht. Und dennoch haben sich die Staatsschuld und die Zahl der Arbeitslosen vervielfacht.

75 Jahre auf Kurs

Die Argumentationsweise der Wirtschaftsverbände gegen sozialstaatliche Errungenschaften sind heute verblüffend ähnlich wie vor 75 Jahren. Darauf macht mich Claus Hofmann aufmerk-sam. Was er da in einer Denkschrift des Reichsverbandes der deutschen Industrie von 1929 ausgegraben hat, ist interessant für alle Nutzer der NachDenkSeiten, die gelegentlich ein Zitat für ihre eigenen Artikel und Reden brauchen.

„Auf dem Weg in die Unfreiheit“ Toll!

Die öffentliche Debatte in Deutschland wird immer verrückter – und verlogener. So verschickte die Friedrich-Naumann-Stiftung, die politische Stiftung der FDP am 14. Juli eine Presseinformation unter dem Titel „Auf dem Weg in die Unfreiheit – Deutschland fällt immer weiter zurück – Economic Freedom Report 2004 erschienen.“ Da wird behauptet, es ginge uns schlechter, weil wir wirtschaftlich kein richtig freies Land seien. Diese Behauptung ist sachlich abstrus. Fast schon komisch ist, dass die Behauptung von der Stiftung einer Partei kommt, die von Beginn der Bundesrepublik bis 1998 mitregiert hat und von 1974 bis 1998 den Bundeswirtschaftsminister stellte. Absender ist eine mit Steuergeldern finanzierten Stiftung.

Volkstümlich verpackt – ein Bundespräsident für die Oberschicht

Heute ist der neue Bundespräsident Köhler vereidigt worden und hat seine Antrittsrede gehalten. Der beste Kommentar dazu erschien schon heute früh in der Süddeutschen Zeitung, wenn auch ohne jeglichen Bezug auf das heutige Ereignis: „Auf zum letzten Gefecht“ von Heribert Prantl. Der Innenpolitiker der Süddeutschen Zeitung beschreibt darin die Folgen von Hartz IV für die betroffenen Arbeitslosen. Er kommentiert die Abwendung der SPD von den Schwächeren unserer Gesellschaft, die mit der Politik des „Umbaus des Sozialstaates“ verbunden ist, wie es beim Bundeskanzler und beim neuen Bundespräsidenten in gleicher Weise heißt. Es lohnt sich unbedingt, Prantls Kommentar zu lesen. Er enthält viele wichtige Informationen über die Folgen der Agenda 2010, die nach meiner Kenntnis auch viele politisch Interessierte noch nicht wahrgenommen haben. Es lohnt sich auch, die Rede des Bundespräsidenten zu lesen. Zu finden bei www.bundespraesident.de. Mit dieser Rede wird weiter deutlich, dass sich der Bundespräsident voll auf die Seite jener stellt, die eine Systemänderung zu Lasten der breiten Schichten unsres Volkes wollen und das beschönigend Erneuerung nennen.

OECD als Stichwortgeber im Zusammenspiel der Neoliberalen

Die OECD hat einen 222 Seiten starken Bericht zur „Regulierungsreform in Deutschland – Konsolidierung der wirtschaftlichen und sozialen Erneuerung“ vorgelegt. Wir dokumentieren die Kurzfassung, die zugleich eine Pressemitteilung ist. An diesem Beispiel kann man wieder einmal gut sehen, wie sehr diese Organisation von den Neoliberalen unterwandert ist und – diesem Fall mit Steuergeldern – ideologische Arbeit leistet. Mit welchem Recht, so kann man und muss man wohl auch fragen, wird hier der Privatisierung und Deregulierung das Wort geredet, mit welchem Recht wird dazu aufgefordert, in Deutschland auf diesem Weg weiterzugehen, obwohl bisher jeglicher Erfolg für unsere wirtschaftliche Entwicklung ausgeblieben ist.

Die Guten ins Kröpfchen, die Schlechten ins (Steuer-)töpfchen

50 Milliarden Euro Verluste aus der Spekulationsblase bei der Mannesmann-„Übernahme“ will die deutsche Vodafone-Tochter von der Steuer absetzen. Geld, das zuvor von Spekulationsgewinnlern weitgehend steuerfrei abgezockt werden konnte. Kein Wunder, dass die Staatsschuld steigt und durch „Reformen“ an sozialen Leistungen eingespart werden muss.

Weitere Argumente gegen die „Miesmacher“ des Wirtschaftsstandortes

Deutschland gilt nach den USA und China als der weltweit attraktivste Investitionsstandort. Das ergab eine Umfrage der Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaft „Ernst & Young“ unter 513 internationalen Top-Managern. Aus Sicht von 40 Prozent der Befragten hat Deutschland die qualifiziertesten Arbeitnehmer. Bei der Verkehrs- und Telekommunikationsinfrastruktur und den Möglichkeiten, Produktivitätszuwächse zu erzielen, schneiden wir in Europa am besten ab. Beste Noten gibt es auch für Forschung und Entwicklung.
Dieses Umfrageergebnis war ddp am 28.05.04 eine kleine Meldung wert. Nur ganz wenige Medien – und wenn, dann ganz versteckt – haben sie verbreitet. Warum wohl?

„Der Mythos vom Abstieg“ – Selbst der liberalen „Die Zeit“ geht die allgemeine Miesmache allmählich zu weit

Auf den „NachDenkSeiten“ versuchen wir, die Eindimensionalität des politischen Diskurses aufzubrechen. Wir haben nur allzu oft Grund dazu, das ungeprüfte nachplappern von Denkschablonen durch die Medien zu beklagen. Um so erwähnenswerter sind Beiträge, die vom Mainstream abweichen. Die Abhandlung „Der Mythos vom Abstieg“ von R. von Heusinger und W. Uchatius in der Wochenzeitschrift „DIE ZEIT“ Nr. 17, 2004 soll deshalb nicht unerwähnt bleiben. Eine Analyse, die den wirklichen Ursachen für das mangelnde wirtschaftliche Wachstum nachgeht und Alternativen zur angeblich alternativlosen Spar-, Lohnkürzungs- und Sozialabbaupolitik aufzeigt.

“Schwarzgeld-Amnestie ist bisher ein Flop” – “Die Schweiz bleibt ein Paradies für Steuerhinterzieher”

Zwei Schlagzeilen an ein und dem selben Tag sagen eigentlich alles über die Ungerechtigkeiten bei der Besteuerung von Kapital- und Lohneinkommen. Am 19. Mai berichtet der Kölner Stadt-Anzeiger, dass trotz Steuer-“Amnestie” und Minibesteuerung von 25% von den geschätzten 100 Milliarden Euro, die vor der Steuer ins Ausland verschoben worden sind, seit in Kraft treten des Steueramnestie-Gesetzes noch nicht einmal eine halbe Milliarde zurückgeholt wurde. Gleichzeitig meldet die Frankfurter Rundschau, dass Schweizer Banken, bei denen schätzungsweise 1.300 Milliarden ausländische Gelder angelegt sind, auch künftig bei einem Verdacht auf Steuerhinterziehung den Finanzämtern jegliche Auskunft verweigern dürfen.

“Basar-Ökonomie oder Basarökonomen?” Heiner Flassbeck: “Mit solcher Ökonomie ist Deutschland nicht mehr zu retten.”

Da meldet das Statistische Bundesamt für März 2004 einen neuen Rekordüberschuss im Außenhandel mit einem Plus von 16,6% gegenüber dem Vorjahr. Eigentlich ein Grund zum Jubel über die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland. Doch auch aus den seit Jahren weltweit höchsten Exportwerten wird bei unseren notorischen Miesmachern ein “Untergangsszenarium” (Bundespräsident Johannes Rau in seiner “Berliner Rede” vom 12. Mai 2004). Es handle sich dabei nur um “Basar-Ökonomie”, weil Deutschland “die Weltmärkte mit den Waren bedient, die wir in unserem osteuropäischen Hinterland produzieren lassen” meint der Chef des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung in seiner “Deutschen Rede” unter der Überschrift “Der kranke Mann Europas” vom 15. November 2003. Deutschlands “klügster Wirtschaftsprofessor” (BILD vom 21. April 2004) unterliegt einem Denkfehler: Bei der Außenhandelsbilanz sind die Importe von den Exporten abgerechnet!