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Ökonomie

Ein ungerechtfertigter Angriff auf den Armutsbegriff

Kaum ein im öffentlichen Diskurs häufig verwendeter Begriff ist so umstritten wie der Terminus „Armut“, den seine liberalkonservativen Kritiker als politischen Kampfbegriff einstufen und mit Blick auf Deutschland möglichst ganz zu meiden suchen. Während sie die Existenz absoluter bzw. extremer Armut, bei der es für die Betroffenen ums nackte Überleben geht, unter Hinweis auf das Recht zum Bezug staatlicher Grundsicherungsleistungen fast durchgängig leugnen, wird relative (Einkommens-)Armut, bei der das allgemeine Wohlstandsniveau als Vergleichsmaßstab dient, systematisch kleingerechnet, verharmlost und beschönigt. In einem wohlhabenden, wenn nicht reichen Land wie der Bundesrepublik geschieht dies häufig mit dem Ziel, die krasse Ungleichverteilung von Einkommen, Vermögen und Lebenschancen zu rechtfertigen. Wer umgekehrt nach mehr Verteilungsgerechtigkeit strebt, muss sich daher gegen die Verdrängung des Begriffs „Armut“ aus dem öffentlichen Diskurs ebenso engagiert zur Wehr setzen wie gegen seine Verengung auf Not und Elend, um nicht gänzlich chancenlos zu sein. Von Christoph Butterwegge[*]

„Mehrheitsgesellschaft“ – Wissen Sie, was das ist? Ich auch nicht.

Aber der Terrorismus-Experte Peter R. Neumann und der ihn interviewende Deutschlandfunk-Redakteur Armbrüster scheinen das genau zu wissen. Am Dienstag früh verlautbarte der in London arbeitende Professor, die in den Terrorismus abgleitenden Jugendlichen fühlten sich von der „Mehrheitsgesellschaft“ verraten und ausgeschlossen, und die Jugendarbeit habe dem Zweck zu dienen, sie „wieder für diese Gesellschaft zu gewinnen“. (Die entsprechende Interviewpassage folgt gleich.) Interessant: Begriff und Argumentation signalisieren, dass eine friedliche Alternative zur „Mehrheitsgesellschaft“ nicht gesehen wird und auch nicht gesucht wird. TINA auch hier bei der Terrorismus-Ursachenforschung und den Therapieerwägungen. Albrecht Müller.

Die Aggressionspolitik der westlichen Allianz

Wolfgang Bittner legt nach: „Die Eroberung Europas durch die USA“. Seit Monaten wird der Ukraine-Konflikt, der zugleich ein Konflikt zwischen der „westlichen Allianz“ und Russland ist, überlagert und aus den Schlagzeilen verdrängt: zuerst durch die Griechenland-Krise, dann durch den Krieg in Syrien und den Zustrom hunderttausender Flüchtlinge nach Europa, zuletzt durch die Terroranschläge in Paris. Aber die Probleme in der Ukraine sind – trotz wiederholter Waffenstillstandsverhandlungen – nicht gelöst. Vielmehr besteht aufgrund des immer noch schwelenden und von Zeit zu Zeit wieder aufflammenden Bürgerkriegs, wie auch durch die aggressive Einkreisungspolitik der NATO unter Führung der USA weiterhin akute Kriegsgefahr. Von Jennifer Munro.

Die Terror-Manipulation

Conrad Schuhler

Die Schüsse am 7. Januar waren kaum verklungen, da wurden der Weltöffentlichkeit bereits die Täter präsentiert. Ein von den Profikillern im Tatfahrtzeug vergessener Personalausweis wies die entscheidende Spur. Von da an war klar: „Wir“, wir alle – wir sind die Opfer dieser Aggression gegen unsere Werte, unsere Kultur, unsere Zivilisation. Ob arm, ob reich, ob jung oder alt, ob Bomberpilot oder Antifaschist – unser aller national-kulturelles Kollektiv würde nun zusammenhalten und vereint der äußeren Gefahr ins Auge sehen müssen, die so rücksichtslos und barbarisch mordet, wie es „uns“ nicht einmal im Traum einfiele. Erinnern Sie sich? Der Autor Conrad Schuhler ebenso. In seinem soeben erschienenen Buch „Alles Charlie oder was“ skizziert er das Attentat auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ sowie die hierauf einsetzende Medienhysterie als „Manöver übler islamfeindlicher Propaganda“ und nahezu perfekte Manipulation. Jens Wernicke sprach mit ihm.

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Armut kann man nicht skandalisieren, Armut ist der Skandal!

Ulrich Schneider - Kampf um die Armut

»Zerrbild«[1], »Etikettenschwindel«[2], »Horrorstudie«[3], »Panische Überzeichnung« und »Skandalisierung«[4]. So rauschte es im Februar und März 2015 durch den konservativ-liberalen und neoliberalen Blätterwald. Was war passiert? Eigentlich nichts Besonderes. Der Paritätische hatte wieder mal seinen Armutsbericht vorgestellt. Das tut er jedes Jahr. Nur waren seine Befunde dieses Mal besonders schlecht: Mit einer Armutsquote von 15,5 Prozent war in Deutschland ein trauriger historischer Rekord erreicht. Seit 2006 zeigten die Armutsquoten darüber hinaus einen klaren Aufwärtstrend, auch darauf wies der Verband hin. Und noch nie war Deutschland auch regional so zwischen Arm und Reich zerklüftet wie derzeit.[5] Von Ulrich Schneider.

Nachruf auf Helmut Schmidt

Weil wir gestern diesen Nachruf angekündigt hatten, kamen einige Mails von NDS- Lesern. Einer meinte, der Sozialdemokrat Helmut Schmidt sei eines Nachrufs nicht würdig. Da bin ich ganz anderer Meinung. Selbst wenn es von Helmut Schmidt als Leistung nur die Mahnungen der letzten Zeit gegeben hätte, doch bitte nicht wieder zur Konfrontation zwischen West und Ost zurückzukehren und damit alles aufs Spiel zu setzen, was mit der Entspannungs- und Ostpolitik erreicht worden ist, wäre er positiv zu würdigen. Die Idee, die gemeinsame Sicherheit zwischen dem Westen und Russland neu zu beleben, wäre alleine schon eine Nachruf wert. Es gab in Helmut Schmidts politischem Leben noch sehr viel mehr, was positiv zu würdigen ist. Darüber will ich skizzenhaft aus meiner persönlichen Sicht berichten, und dabei kritisches nicht verschweigen. Albrecht Müller.

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Die Lüge von der Green Economy

Kathrin Hartmann

Angesichts der Klimakatastrophe ruhen alle Hoffnungen auf der Green Economy, die das Wirtschaften nachhaltig und sozial machen soll. Elektro-Autos statt CO2-Schleudern, Biosprit statt Benzin, Aquakultur statt Überfischung. Subventioniert von der Politik, unterstützt von Umweltorganisationen, ausgezeichnet mit Nachhaltigkeitspreisen. Wirtschaftswachstum und überbordender Konsum, so die frohe Botschaft der sogenannten dritten industriellen Revolution, sind gut für die Welt, solange sie innovativ und intelligent gemacht sind. Die technikbegeisterte Mittelschicht hört das gern. Doch auch der Rohstoffhunger des grünen Kapitalismus ist riesig: Selbst für nachhaltiges Palmöl, das in Biodiesel und Fertigprodukten steckt, werden Regenwälder gerodet und Menschen vertrieben. Und für Garnelen aus Zuchtbecken, die mit Öko-Siegeln aus Bangladesch exportiert werden, werden gegen den Willen der Bevölkerung erst Reisfelder und Mangrovenwälder zerstört. Um dann zwingt man ihnen gegen den eigenen Hunger Gentechnik-Saatgut auf. Zur Illusion der Green Economy sprach Jens Wernicke mit Kathrin Hartmann, deren soeben erschienenes Buch eine schonungslose Abrechnung zum Thema liefert.

„Es geht nicht so sehr um Neugründung, sondern um effektive Gegenmacht”

Ein Interview mit Kolja Möller über linke Antworten und Optionen im Zeitalter der neoliberalen und postdemokratischen Globalisierung. Kolja Möller ist Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Exzellenzcluster „Normative Orders” an der Goethe-Universität Frankfurt. Das Interview führte Patrick Schreiner [*].

Von der „Willkommenskultur“ zur Fremdenabwehr?

Zuwanderung als Bewährungsprobe des Wohlfahrtsstaates
Ulrike Herrmann hat in einem Kommentar der taz (v. 12.10.2015) davor gewarnt, Steuererhöhungen zwecks Bewältigung der aktuellen „Flüchtlingskrise“ ins Gespräch zu bringen, weil damit Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten geleitet würde. Christoph Butterwegge widerspricht der renommierten Journalistin: Seines Erachtens war die Gelegenheit nie günstiger, um Steuererhöhungen auf Kapitalerträge, Vermögen und große Erbschaften durchzusetzen, als derzeit. Er plädiert dafür, die vermehrte Zuwanderung als schlagendes Argument für die Notwendigkeit einer Umverteilung des Reichtums von oben nach unten zu nutzen, und hält es für eine Illusion zu glauben, man könne die Kosten der Aufnahme, Unterbringung und Verpflegung von Asylsuchenden leugnen oder herunterspielen.

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Die neoliberale Domestizierung der Sozialen Arbeit

Matthias Heintz

Wir alle sind – auf Gedeih und Verderb – auf unser Gesundheits- und Sozialsystem angewiesen. Aber wer weiß schon genau, wie die Systeme funktionieren? Wie sie sich verändert haben? Wer begreift noch den Sinn und die Auswirkungen staatlicher Verordnungen, der »Reformen« der letzten Jahre? Wer begreift, wie die Denkgifte [PDF] der neoliberalen Ideologie mehr und mehr die Institutionen durchdrungen, sich in den Köpfen und Herzen der Menschen festgesetzt haben und hierdurch etwa den Armen immer besser weißzumachen vermögen, sie selbst seien ihres Unglückes Schmied. Diese Entwicklung beobachtet der Pädagoge und Familientherapeut Matthias Heintz auch im Bereich der Sozialen Arbeit sowie der Kinder- und Jugendhilfe, weswegen er zur Abwehr der immer massiveren Angriffe auf diesen Bereich auch das „Bündnis Kinder- und Jugendhilfe – für Professionalität und Parteilichkeit“ ins Leben gerufen hat. Jens Wernicke sprach mit ihm darüber, wie Politik unter dem Deckmantel des Fortschritts immer deutlicher soziale Rechte unterminiert, soziale Sicherheit abschafft sowie einer Ökonomisierung und Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge in die Hände spielt.

Grönemeyer bei Jauch – wer auch nur in Richtung einer Reichensteuer denkt, wird von den Medien gnadenlos plattgemacht

Das politische Deutschland schwankt in der Flüchtlingsfrage zwischen „Das Boot ist voll“ und „Wir schaffen das“. Wie „wir“ das schaffen sollen, ist in der öffentlichen Debatte jedoch erstaunlicherweise kein Thema. Dabei sollte klar sein, dass die hohen Flüchtlingszahlen nicht nur kurz-, sondern vor allem mittel- und langfristig auch immens hohe Kosten für den Staat mit sich bringen. Wer den sozialen Frieden erhalten und die gesellschaftliche Akzeptanz von Flüchtlingen nicht vollends vernichten will, sollte sich daher tunlichst Gedanken darüber machen, wer die Mehrkosten schultern wird. Der Sänger Herbert Grönemeyer hat dies in der ARD-Talkshow Günther Jauch getan – „man kann sich auch überlegen, ob man nicht den Besserverdienern in Deutschland etwas ans Geld geht“, so Grönemeyer. Nach diesem – eigentlich harmlosen – Satz brach jedoch die publizistische Hölle über den Barden zusammen. War er gerade eben noch der gefeierte Musikstar, galt er nach diesem Satz als „wirr“, „bizarr“, „populistisch“ und „niveaulos“. Auch die sozialen Netzwerke kochten nur so vor heiligem Zorn gegen den „Heuchler“ und „Phrasendrescher“. Armes Deutschland! Wenn diese Meinungen repräsentativ sein sollten, ist der Rechtsruck wohl bereits vollzogen. Von Jens Berger.

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Die Lüge von der Zivilisiertheit der „westlichen Welt“

Sascha Pommrenke

“Terrorismus ist der Krieg der Armen und der Krieg ist der Terrorismus der Reichen”, wusste schon Peter Ustinov und widersprach damit dem medialen Bild, „wir“, der sogenannte Westen, würden seit einigen Jahren ohne jegliche Schuld immer häufiger und schlimmer von Barbaren attackiert, gegen die es sich nunmehr zu wehren gölte. Dieser Sicht widerspricht auch der Autor und Publizist Sascha Pommrenke, der gerade ein Buch über den „Terror des Westens“ schreibt. Jens Wernicke sprach mit ihm.

Positionen #2: Ethik oder Etat – Sind unsere Werte nur Börsenwerte?

Das zweite Gespräch, das Ken Jebsen mit vier Gesprächsteilnehmern für seine Senderubrik „Positionen“ geführt hat, ist gerade erschienen – als Positionen Nr. 2. Siehe hier bei YouTube und hier der Link zur Veröffentlichung auf der Homepage von KenFM. Ich habe an diesem Gespräch teilgenommen, weil mir das Thema der Kommerzialisierung aller Lebensverhältnisse nahe geht und weil Ken Jebsen aus meiner Sicht mit diesem Format eine Lücke schließt, die die Talkshows im allgemeinen Fernsehen wegen ihrer Oberflächlichkeit und Sprunghaftigkeit hinterlassen haben. Schauen Sie sich, wenn Sie die Zeit aufbringen können, die Diskussion bitte an. Zu den Gesprächspartnern … Albrecht Müller

Wenn die Breite an der Spitze schmaler wird

Obgleich sich nur 30 Prozent der Bevölkerung für Fußball interessieren, ist dieser Sport auf irgendeine Weise in unser aller Leben omnipräsent. Live-Übertragungen an jedem Wochentag auf einem der vielen Fernsehkanäle. Prominente Fußballspieler in jedem Werbeblock jedes Senders und jeder Zeitschrift. Keine Nachrichtensendung ohne irgendeine Meldung aus dem oder rund um das Medienspektakel Fußball. Man mag den Fußball lieben oder hassen, ihn aufregend, langweilig oder nervig finden – sich ihm völlig entziehen, vermag keiner von uns. Weder medial noch finanziell. Von Lutz Hausstein [*]

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(Ex-)VW-Chef: Ein Fall für TTIP

In Wolfsburg gibt es Wölfe, Martin Winterkorn aber ist ein (Unschulds-)Lamm, das sich opfert. So ungefähr muss man die Rücktrittserklärung von Martin Winterkorn als Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG verstehen, wenn er erklärt, er sei „bestürzt“, dass „Verfehlungen dieser Tragweite im Volkswagen-Konzern möglich waren“, sein Rücktritt erfolge „im Interesse des Unternehmens, obwohl er sich „keines Fehlverhaltens bewusst“ sei.
Zugegeben: Eigene Kenntnis und Verantwortung einzugestehen könnte den Ex-Chef teuer zu stehen kommen. Denn die zwischenzeitlichen Ermittlungen der US-Staatsanwaltschaft könnten sich auch gegen ihn persönlich richten und die gefälschten Abgaswerte werden dem VW-Konzern empfindliche Geldbußen und Zusatzkosten für Rückrufaktionen, Nachrüstung u.ä. einbringen, die der Aufsichtsrat verpflichtet ist, im Namen der Gesellschaft als Schaden gegen Winterkorn geltend zu machen, sollte ihm persönliches Verschulden nachzuweisen sein. Dass sich Winterkorn also keines „Fehlverhaltens bewusst“ ist, ist kein moralisches, sondern ein juristisches statement: Ich habe meine Pflichten als Vorstandsvorsitzender erfüllt. Von Erik Jochem