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Hartz-Gesetze/Bürgergeld

Fünf Jahre Hartz: Nahezu 2 Millionen Kinder unter 15 leben in Hartz IV-Haushalten

1,929 Millionen Kinder im Alter von unter 15 Jahren (nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige bzw. Sozialgeld-Empfänger/innen) leben in sog. SGB II-Bedarfsgemeinschaften – der höchste Bestand in den ersten 27 Monaten nach Inkrafttreten von Hartz IV. Das sind 16,9 Prozent der Kinder in diesem Alter. Der Anteil der Kinder im Alter von unter 15 Jahren deren Mütter und/oder Väter auf Arbeitslosengeld II angewiesen waren, reichte im März 2007 in den 16 Ländern von 37,6 Prozent in Berlin bis 8,5 Prozent in Bayern.
Lesen Sie mehr in der statistischen Aufbereitung des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) [PDF – 184 KB]. Wolfgang Lieb.

Fünf Jahre Hartz-Reformen – ein kritischer Kommentar zu FR-Artikeln wäre nötig gewesen

Im Hinweis Nr. 1 von heute wird auf drei Beiträge der Frankfurter Rundschau hingewiesen – unteren anderem auf „BA-Chef ist zufrieden“ und auf „Das neue Denken“ von Markus Sievers. Ich werde darauf aufmerksam gemacht, dass sich die NachDenkSeiten einen Hinweis darauf hätten sparen können, zumindest hätte kommentiert werden müssen. – Ich jedoch hatte gedacht, das „kräftige Sowohl-als-auch“ in „Das neue Denken …“ falle auf und den Rest erledige die Bewertung von Ottmar Schreiner. Ich lasse mich aber eines Besseren belehren und mache noch einige Anmerkungen, vor allem zu „Das neue Denken nach Hartz“. Albrecht Müller.

Adecco-Chairman Clement meldet sich zurück

Der ehemalige Superminister und heutige Multi-Aufsichtsrat, Vorstandsmitglied im Verlag Neven DuMont, Mitglied im „Konvent für Deutschland“, WamS-Kolumnist sowie „Chairman“ des Adecco Institute in London – ein vom „Weltmarktführer für Personaldienstleistungen“ finanziertes Institut – sagt uns im Zeitgeistmagazin „Cicero“, wo es in der Großen Koalition lang gehen muss. Ein typisches Beispiel des gängigen inhaltsleeren, ja unsinnigen „Reformsprechs“.

4,108 Millionen registrierte Arbeitslose – aber 6,427 Millionen “Arbeitslosengeld-Empfänger/innen” (SGB III und SGB II)

Gegenüber dem Vorjahr wurden im März 869.000 oder 17 Prozent weniger Arbeitslose gezählt, das meldete die Bundesagentur für Arbeit vor wenigen Tagen [PDF – 960 KB].
Wir freuen uns über jeden Arbeitslosen, der wieder Arbeit gefunden hat. Das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) [PDF – 216 KB] meldet allerdings, dass die Zahl der Alg- oder AlgII-Empfänger nur etwa um die Hälfte, nämlich um 447.000 zurückgegangen ist. 2,56 Millionen AlgII-Empfänger/innen gelten nicht als Arbeitslose im Sinne der amtlichen Statistik. Wenn es 6,427 Millionen Alg- oder AlgII-Empfänger/innen gibt, heißt das, dass über die registrierten 4 Millionen weitere 2 Millionen Menschen zwar nicht als arbeitslos gelten, aber so wenig verdienen, dass sie nach den Sozialgesetzbüchern noch anspruchsberechtigt sind. Wolfgang Lieb.

Die Folgen der Hartz-Gesetze waren vorhersehbar

Am 30.11.2002(!) hat der Berliner Dipl. Ingenieur Reinhard Dunkel vor der Delegiertenversammlung der IG Metall Berlin eine Rede zu den Hartz-Gesetzen u.a.m. gehalten. Weil das eine gute Vorhersage war und zugleich belegt, dass unsre Verantwortlichen wissen konnten, was sie tun, und dennoch einige heute aus der Verantwortung fliehen wollen, geben wir den Text wieder, einschließlich eines aktuellen Nachtrags des Autors. Albrecht Müller.

Die Sozialstaatsreformer vor der großen Weltwirtschaftskrise vertraten nicht nur dieselben Konzepte, sie trugen – Ironie der Geschichte – auch noch den gleichen Namen

Peter Hartz, früher Personalvorstand des größten Automobilkonzerns in Europa, Leiter der Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ und Miturheber der nach ihm benannten vier Gesetze (Hartz I-IV), steht wegen seiner Verwicklung in den sog. VW-Skandal um „Lustreisen“ für Manager wie Betriebsräte vor Gericht und mit einem Bein im Gefängnis. Hier geht es allerdings weder um ihn als Person noch um sein Konzept, das die Arbeitslosigkeit nicht verringert, aber die Armut erhöht hat, sondern um einen Namensvetter von Peter Hartz, der bisher weitgehend unbekannt, aufgrund seiner Rolle als geistiger Vorläufer aktueller und Pionier während der Weimarer Republik entwickelter „Reformpläne“ jedoch sehr interessant ist. Es mutet wie ein Treppenwitz der Geschichte an, dass die „Sozialstaatsreformer“ damals und heute denselben Familiennamen hatten. Christoph Butterwegge hat uns die Langfassung seines heute in der FR veröffentlichten Beitrags zur Verfügung gestellt.

WSI: Enttäuschende Bilanz der Hartz-Reformen

Was die Zwischenberichte der wissenschaftlichen Evaluierung der ersten drei Hartz-Gesetze bereits vor einem Jahr angedeutet hatten, bestätigen nun die Endberichte: Die Reformen am Arbeitsmarkt haben zwar den Arbeitsmarkt flexibilisiert, sie haben aber “nur in geringem Umfang zur Überwindung der Arbeitslosigkeit beigetragen”. Einige der mit großen Erwartungen auf den Weg gebrachten Instrumente haben nahezu völlig versagt. Hierzu gehören die Personalserviceagenturen, die Arbeitslose als Leiharbeitnehmer in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln sollten.

„Blanke Heuchelei“ nennt Müntefering Rüttgers Vorstoß zur Verlängerung des Alg I für ältere Arbeitlose. Wer heuchelt eigentlich mehr?

„Die SPD-Bundestagsfraktion hat am 14. Juni 2005 beschlossen, die gestaffelte Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes von bis zu 32 Monaten bis 31. Januar 2008 zu verlängern“, so heißt es in den Willy-Brandt-Haus-Materialien vom 15. Juni [PDF – 24 KB]. Der SPD-Arbeitsmarktexperte Brandner begründete diese Änderung von Hartz IV damit, dass ältere Arbeitslose auf dem angespannten Arbeitsmarkt weiter nur geringe Chancen hätten. Dieser Antrag wurde sogar in den Bundesrat eingebracht und dann auf Druck des damaligen Bundeskanzlers Schröder im Zusammenhang mit dessen Neuwahl-Coup zurückgezogen. Zur Zeit dieses Fraktionsbeschlusses war Franz Müntefering Vorsitzender der SPD-Fraktion. Heute nennt er einen ähnlichen Vorstoß von Rüttgers eine „Sauerei“. Wolfgang Lieb.

„Vermittlungsgutscheine sind ein Flop“

Bei meinem gestrigen Tagebucheintrag „Die hohle Welt der Reformer“ zum weit gehenden Scheitern der Reformpolitik hatte ich die Vermittlungsgutscheine vergessen. Die Hannoversche Allgemeine berichtete am gleichen Tag über eine Untersuchung des Bundesrechnungshof: „Der Bundesrechnungshof hat massenhaften Missbrauch bei der Vermittlung von Arbeitslosen durch private Vermittler aufgedeckt.“ Lesenswert! Albrecht Müller.

Die hohle Welt der Reformer

Am 5.11. berichtete die Berliner Morgenpost unter der Überschrift „Reformtempo bleibt hoch“ von Bekenntnissen der beiden Koalitionsspitzen Merkel und Beck zu den Reformen. (Siehe unten) Man könnte auch von Durchhalteparolen sprechen. Ich mache Sie darauf aufmerksam, weil man an diesen Äußerungen zeigen kann, dass die Reformer in einer eigenen Welt hohler Phrasen leben und Glaubensbekenntnisse den Bezug zur Realität ersetzen. Sich dessen bewusst zu bleiben ist wichtig, weil man sonst immer wieder zum Opfer der gleichgerichteten Parolen wird. Typisch dafür ist auch die erstaunlich wohlwollende Aufnahme von Gerhard Schröders Buch und damit seines Versuchs, die Reformpolitik als notwendig und erfolgreich darzustellen und ihr und sein Scheitern zu übertünchen. Albrecht Müller.

Richtungswechsel Makroökonomie an der Zeit

Als Böcklerimpuls 15/2006 erschien ein interessanter Hinweis auf einen Beitrag des Wirtschaftswissenschaftlers Dieter Vesper vom Berliner DIW. Seit Jahren versuche der Fiskus, den Haushalt zu konsolidieren – ohne nachhaltigen Erfolg. Haupthindernis sei das bislang schwache Wirtschaftswachstum. Damit die Konjunktur jetzt nicht wieder abgewürgt werde, sei eine andere Finanzpolitik nötig, so Vesper.
Ich weise darauf hin, weil in der öffentlichen Debatte, und in der Politik sowieso, die Notwendigkeit und Bedeutung einer guten Makropolitik völlig unterschätzt und ausgeblendet wird. Albrecht Müller.

Zeitungslektüre – oder: warum nicht nur ein gewisser Herr Fewkoombey Schwierigkeiten hat, die Welt zu verstehen

Die Lektüre einer ganz normalen Tageszeitung verlangt immer häufiger extremes Durchhaltevermögen, ja sogar eine geradezu übernatürliche psychische Stabilität. Wer sich nicht etwa schon nach zwei oder drei Artikeln verzweifelt an den Kopf fasst oder aus Resignation die Lektüre einstellt – was immerhin verständlich wäre und für eine normal ausgebildete Sensibilität spricht – dem wird eine Menge abverlangt.
Oder: Was einem kritischen Zeitungsleser so durch den Kopf geht, wenn er seine Tageszeitung durchblättert. Eine Beobachtung von Joke Frerichs.

Gerhard S. Mittelmaß

Ich habe mir jetzt die Mühe gemacht, den Auszug aus Schröders Buch im „Spiegel“ zu lesen. Es geht dabei vor allem um die Entstehungsgeschichte der Agenda 2010 und um die Gründe für Schröders Neuwahlbegehren. Wenn ich diesem Rechtfertigungsstück glaube, dann muss ich feststellen, dass wir einen Bundeskanzler hatten, der keine Ahnung von den einfachsten gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen hatte und den Bezug zur Wirklichkeit verloren hatte. Es folgen Anmerkungen zu einzelnen Textteilen.