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Hochschulen und Wissenschaft

Hochschulzulassung: Vom Versagen der Politik und der Scheu vor Verantwortung

Das Problem ist seit Jahren bekannt: Um ihre Zulassungschancen zu erhöhen, bewerben sich Studierwillige an einer Vielzahl von Hochschulen um einen Studienplatz. Im viel zitierten „Wettbewerb um die besten Köpfe“ nehmen die einzelnen Hochschulen nach ihren von Ort zu Ort unterschiedlichen Kriterien eine „Bestenauslese“ vor und bieten den Auserwählten (élitées) einen Studienplatz an. Bekommen die Studienbewerber mehrere Angebote, entscheiden sie sich für einen Studienplatz ihrer Wahl und teilen den anderen Hochschulen nur in seltenen Fällen (rechtzeitig) mit, dass sie deren Angebot ausschlagen. Die dort abgelehnten Studienplatzangebote können dann allenfalls noch in einem Nachrückverfahren besetzt werden oder – noch schlimmer – sie bleiben unbesetzt. Wolfgang Lieb

Der Staat fördert Studierende aus armen und reichen Haushalten fast gleich

In kaum einem anderen Land auf der Welt ist die Studienfinanzierung so vielfältig und unübersichtlich wie in Deutschland. In einem Vergleich zwischen Tschechien, England, den Niederlanden, Norwegen, Spanien und Deutschland stellte ein internationales Forscher-Konsortium unter der Beteiligung der HIS GmbH [PDF – 1.6 MB] fest, dass bei uns die staatliche Unterstützung der Studierenden aus einkommensstarken Familien (über 64.000 Euro p.a.) in Höhe von 5.135 Euro pro Jahr über indirekte Leistungen z.B. in Form von Steuererleichterungen nahezu gleich hoch ist, wie die Unterstützung von Studierenden in Höhe von 5.720 Euro pro Jahr aus einkommensschwachen Familien (bis knapp 31.000 Euro p.a.) durch indirekte zuzüglich direkter Leistungen z.B. durch das Bafög.
Noch geringer sind die Unterschiede bei den staatlichen Vergünstigungen für Studierenden, die bei ihren Eltern wohnen, nämlich 4.523 Euro pro Jahr bei einkommensstarken Haushalten gegenüber 4.669 Euro pro Jahr in der unteren Einkommensstufe.
In Deutschland werden überwiegend die Eltern gefördert und nicht die Studierenden unmittelbar.
Würde man die direkten und indirekten Unterstützungsleistungen zusammenfassen, dann könnte man damit auch eine elternunabhängige Förderung der Studierenden – wie etwa in Finnland – finanzieren. Wolfgang Lieb

Der Bildungsstreik – linksautonome Protestromantik mit gestrigen Forderungen?

Die Befürchtungen vor Start des Bildungsstreiks waren groß. Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) erwartete „plumpe Krawallaktionen“, „sinnlosen Populismus“, die CDU-Bundestagsfraktion gar „Wahlkampf-Events der Linken“. Den Hauptgrund dafür sahen viele Organisationen in einer „aktiven Unterwanderung der Bildungsstreikforen durch linksradikale Gruppen“ (Philologenverband). Die FDP im Bundestag befürchtete, der Bildungsstreik könne für „anarchistische Gewalt“ missbraucht werden. Statt sich jedoch inhaltlich mit der Bewegung, den Inhalten und den konkreten Missständen zu beschäftigen, reichte wohl der Blick auf die Liste der unterstützenden Organisationen, um sich eine pauschale Ablehnungshaltung zu eigen zu machen. Der Erkenntnis, dass es um eine ernsthafte Verbesserung und Veränderung des herrschenden Bildungssystems ging und nicht um die Austragung „ideologischer“ Konflikte ging, standen vorgefertigte Urteile entgegen. Von Michael Kolain

Humboldts Begräbnis – Zehn Jahre Bologna-Prozess

Am 19. Juni dieses Jahres jährt sich das wohl einschneidendste Ereignis der jüngeren europäischen Hochschulgeschichte zum zehnten Mal. An diesem Tag kamen 1999 im italienischen Bologna die Bildungsminister 29 europäischer Staaten zusammen, um die Mobilität der Studierenden im „europäischen Hochschulraum“ etwa durch vergleichbare Studienabschlüsse voranzutreiben. Das Ergebnis war die Verabschiedung der sogenannten Bologna-Erklärung, die bis heute von 46 Staaten unterschrieben wurde. Ihr Ziel sollte, neben der Verständlichkeit und Vergleichbarkeit von Hochschulabschlüssen, die Einführung eines zweistufigen (angelsächsischen) Studiensystems (Bachelor und Master) sowie die Förderung der Mobilität von Hochschulangehörigen sein. Seither haben sich die deutschen Hochschulen grundlegend verändert.
Ein Beitrag von Wolfgang Lieb in den Blättern für deutsche und internationale Politik, 06/2009
Download: Beitrag im PDF-Format [116 KB]

Prof. Schmelz über die Verflechtung von Finanzindustrie und einschlägiger Wissenschaft

Wenn unsere Medienschaffenden für ihre Beiträge zur Finanzkrise und zur Börsenentwicklung wissenschaftlich klingende Äußerungen brauchen, dann greifen sie häufig auf Wissenschaftler aus Frankfurt und Umgebung zurück. Dass viele dieser Wissenschaftler direkt mit der Finanzwirtschaft verbunden und von ihrem Geld abhängig sind, wird uns dabei nicht mitgeteilt. Der seit längerem bewährte Kritiker dieser Entwicklung in der Finanzwirtschaft Professor a.D. Dr. jur. Karl-Joachim Schmelz hat dazu einen Text verfasst. Was er beschreibt, erinnert im übrigen sehr viel an das, was Wolfgang Lieb und wir insgesamt in den NachDenkSeiten schon über die Übereignung unserer Wissenschaft an die Wirtschaft beschrieben haben. Albrecht Müller.

Manager erobern die Unis

Referat auf Einladung AStA an der Universität zu Köln, am 19. Mai 2009 über die „unternehmerische Hochschule“, über die Hintergründe für den Leitbildwechsel von der staatlich verantwortete, sich selbst verwaltenden Hochschule zur wettbewerbsgesteuerten Hochschule und über das jetzt schon erkennbare Scheitern der Wettbewerbsideologie bei der zukunftsfähigen Entwicklung der Bildungs- und Hochschullandschaft. Von Wolfgang Lieb

Das CHE-Hochschulranking 2009/10 ist alles andere als ein Studienführer

„Die Zeit“ als Medienplattform für dieses Ranking begibt sich mit der Veröffentlichung in den Graubereich der Vermischung von Journalismus und PR. Der „ZEIT-Studienführer“ dient eher der Imagepflege des CHE und der Bertelsmann-Stiftung als neutralen und gemeinnützigen Einrichtungen. Das Ranking selbst dient dem CHE, um seine Ideologie vom Wettbewerb als Steuerungsinstrument für die Hochschulen zu propagieren. Die dem Ranking zugrundeliegenden Kriterien werfen mehr Fragen als Antworten auf, aus kaum einem Kriterium lässt sich wirklich auf die Qualität des Studienangebotes schließen. Darüber hinaus ist höchst fraglich, ob die Bewertungen repräsentativ sind. Der „Zeit Studienführer“ ist für die weit überwiegende Zahl der Studierwilligen irrelevant, ja sogar eine Frust auslösende Irreführung, denn angesichts der um sich greifenden Zulassungsbeschränkungen kann sich ohnehin kaum noch ein Studienanfänger seinen Studienort auswählen. Wolfgang Lieb

Rhetorik der Sozialverträglichkeit – zum Studiengebühren-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat in letzter Instanz die Klage der Studierendenschaft der Universität Paderborn abgewiesen, mit der diese in einem Musterprozess die Rückzahlung eines Semesterbeitrages in Höhe von 500 € durchsetzen wollte. Die politische Allerweltsformel von der „sozialen Verträglichkeit“ musste als „juristische“ Begründung für das Urteil herhalten. Die obersten Verwaltungsrichter haben sich nicht etwa mit der der in Artikel 5 GG verankerten Wissenschaftsfreiheit, die ja die Studierfreiheit mit erfasst, oder mit dem Recht auf freie Berufswahl nach Artikel 12 GG oder dem Sozialstaatsprinzip nach Artikel 20 GG auseinandergesetzt, sondern sie haben sich kritiklos die Argumente des nordrhein-westfälischen „Innovationsministeriums“ zu eigen gemacht. Das Urteil ist ein politisches und kein juristisches.
Aber nicht einmal die politische Rhetorik von der „Sozialverträglichkeit“ wurde hinterfragt. Wolfgang Lieb

Ordoliberale Ökonomen rufen zum letzten Gefecht auf

Ausgehend von einem Streit um die Ausschreibung von sechs vakanten VWL-Lehrstühlen an der Hochburg der ordoliberalen Wirtschaftspolitik, der Universität Köln, gab es einen Sturm einiger Emeriti, die das Erbe des eigentlichen Begründers der „sozialen Marktwirtschaft“, Alfred Müller-Armack, bewahren wollen. Die neoklassischen Siegelwahrer Willeke, Willgerodt und Wartrin wehrten sich dagegen, dass sechs Lehrstühle im Paket ausgeschrieben wurden, um junge, an der internationalen Forschungsfront ausgewiesene Wirtschaftswissenschaftler für einen Forschungsschwerpunkt zur Makroökonomie zu gewinnen. Dem Protest schlossen sich nun laut FAZ vom 27. April 2009 83 Professoren für Volkswirtschaftslehre mit einem Aufruf „Rettet die Wirtschaftspolitik an den Universitäten!“ (der Entwurf stammt von Renate Ohr und wurde in wiwo abgedruckt. Unter den Unterzeichnern finden sich den NachDenkSeiten-Leserinnen und –Lesern so bekannte Namen wie Peter Oberender, Bernd Raffelhüschen, Joachim Starbatty, Ulrich van Suntum oder Roland Vaubel. Wolfgang Lieb

CHE: Zwei Jahre Hochschulpakt – eine Halbzeitbilanz

Das Bertelsmann Centrum für Hochschulentwicklung hat eine Studie über „Herausforderungen, Maßnahmen und (Miss-)Erfolge“ [PDF – 241 KB] nach zwei Jahren des Hochschulpaktes 2020 vorgelegt. Die Studie birgt viele Informationen über die Umsetzung in den 16 Ländern. Sie ist insofern spannend, weil das CHE in vielen Punkten mit den von ihm selbst propagierten Vorschlägen konfrontiert wird.
Die Befunde müssten eigentlich auch für das CHE an vielen Stellen Anlass zu Selbstkritik sein. Doch das vorausgegangene Tun und die ideologischen Scheuklappen verstellen besserer Einsicht den Blick. Wolfgang Lieb

Rezension: „Hochschule im historischen Prozess“ von Jens Wernicke

Es kann mittlerweile kein Zweifel mehr daran bestehen, dass wir am Beginn einer epochalen Umstrukturierung des deutschen Hochschulsystems stehen, die einige Kommentatoren mit der Zäsur der von Humboldt inspirierten preußischen Universitätsreform (1810) vergleichen. Die treibenden Kräfte dieses Umbaus bringen selbst zum Ausdruck, dass es nicht um die Reform einer überlieferten Struktur ginge, sondern um eine gänzliche Neukonstruktion der Hochschulen in ihren tragenden Säulen. Als Leitbild wurde dafür aus dem angelsächsischen Raum der Terminus der »unternehmerischen Hochschule« importiert.
Die vorliegende Veröffentlichung ist hervorragend dazu geeignet, das Verständnis dieses Umbaus und die mit ihm verbundenen politischen Widersprüche und Auseinandersetzungen zu fördern und begrifflich zu schärfen. Dieses Vorwort von Torsten Bultmann ist zugleich eine gute Rezension.

„Noch nie gab es so viele Studienanfänger“ – Eine zweifelhafte Erfolgsmeldung des Statistischen Bundesamtes

Heute meldete das Statistische Bundesamt : „Im Studienjahr 2008 (Sommersemester 2008 und Wintersemester 2008/09) haben sich so viele Studienanfängerinnen und -anfänger wie noch nie an den deutschen Hochschulen eingeschrieben. Nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) nahmen rund 386.500 Anfängerinnen und Anfänger ein Studium auf. Damit wurde die bisherige Höchstmarke aus dem Studienjahr 2003 noch einmal um 9 000 Erstimmatrikulierte (+ 2,4%) übertroffen. Während bei den Frauen der Spitzenwert um 5,8% von 181 800 auf rund 192 300 stieg, verfehlten ihre männlichen Kommilitonen den Höchstwert von 2003 um 0,7% (2008: knapp 194 300).“ Diese Daten führten in den Medien zu Jubelmeldungen. Bildungspolitisch ist dieser „Erfolg“ jedoch höchst zweifelhaft. Wolfgang Lieb

Hochschulzulassung oder das Chaos der Hochschul-Autonomie

Im Zuge der Einführung „unternehmerischen“ der Hochschulen ist bei der Zulassung zum Studium das Chaos ausgebrochen. Weil die ach so sehr auf ihre Autonomie versessenen Hochschulen über ihre Studierenden selbst auswählen wollen – und das zu Lasten der Studienanfänger. Obwohl und fast zwei Drittel der neuen BA/MA-Studiengänge zulassungsbeschränkt sind, blieb jeder fünfte dieser Studienplätze frei, weil sich die Hochschulrektoren einem angeblichen „Zulassungszentralismus“ verweigern. Dabei stünde bei der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) ein funktionsfähiges Portal auch für dezentrale Bewerbungs- und Zulassungsverfahren zur Verfügung. Doch bei den sich als „Vorstandsvorsitzende“ aufspielenden Hochschulrektoren hat die Wettbewerbsideologie die Funktion des Verstandes übernommen. Durch unausgeschöpften Kapazitäten werden nicht nur Steuergelder vergeudet, sondern es werden tausende von studierwilligen jungen Menschen, die keinen Studienplatz bekommen, enttäuscht und entmutigt. Von Wolfgang Lieb